Weißdorn

© Dr. Willmar Schwabe

Campher

© naquiewei / iStockphoto.com

© photos.com

Knoblauch

Phytotherapie

Grüne Kraft für Herz und Kreislauf Fingerhut ist (fast) Geschichte. Doch auch jenseits von Digitalis haben Heilpflanzen heute bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen einen Platz – auf wissenschaftlicher Grundlage. Die pflanzlichen Kardiaka bewähren sich vor allem in der Prävention, im Frühstadium und in der begleitenden Langzeittherapie.



Kommt für Herzpatienten ein pflanzliches Arzneimittel in Frage? Wichtige Unterschiede bestehen gegenüber Synthetika wie Betablockern, ACE-Hemmern und Kalziumkanalblockern: Die pharmakologischen Angriffspunkte sind weniger spezifisch, die Wirkstärke milder, der Wirkeintritt langsamer und die Nebenwirkungen sind quasi zu vernachlässigen. Dieses Profil prädestiniert sie für eine Vielzahl von Patienten mit degenerativen Veränderungen wie dem sog. Altersherz. Trotz fehlender Erstattungsfähigkeit ist die Akzeptanz der Heilpflanzen beim Patienten hoch. Sie steigt eindrücklich bei „Verordnung“ auf dem grünen Rezept. Koronare Herzkrankheit Die Therapie einer manifesten KHK und vorhandener Risikofaktoren (Hyperlipidämie, Hypertonie, Übergewicht, Diabetes) können Phytopharmaka nur unterstützen. Ihr Wert liegt mehr in der Prävention, in der Vasoprotektion und in der Verhinderung einer Dyslipidämie. Je nach Therapieziel kommen infrage zur Arterioskleroseprophylaxe: Knoblauchpräparate, schwarzer und grüner Tee, Buchweizenkraut oder Perillaöl, zur Prävention, im Initialstadium der KHK und zur antihypoxischen und koronardilatierenden Langzeittherapie: Weißdornblüten und -blätter, bei akuter Angina pectoris: adjuvant Herzsalben mit Rosmarinöl, Campher, Menthol [1].

− − −

26

Knoblauch ist so alltäglich – und wird daher unterschätzt. In geeigneter Darreichung und Dosierung handelt es sich um ein wirksames und gut dokumentiertes Phytotherapeutikum. Die schwefelhaltigen Inhaltsstoffe von Allium sativum entfalten vasodilatierende, perfusionsfördernde und antiatherogene Effekte, hemmen die Thrombozytenaggregation und fördern die Elastizität der Gefäßwand [1]. Knoblauch ist das einzige Naturheilmittel, bei dem placebokontrollierte Studien eine günstige Beeinflussung des Lipidmusters belegen. So führte die Gabe von 900 mg Knoblauchextrakt pro Tag bei Ausgangswerten um 6,92 mmol/l Gesamtcholesterin zu einem Rückgang auf 6,31 mmol/l, unter Placebo nur auf 6,74 mmol/l. LDLSpiegel sanken um 10% (Placebo 6%), der systolische Blutdruck um 17% (Placebo: keine Veränderung) [2]. Forscher am Nationalen Kardiologischen Forschungszentrum in Moskau registrierten bei 42 Männern nach 12-wöchiger Therapie mit 600 mg/d Knoblauch in retardierter Form eine Senkung des Gesamtcholesterins um 7,6%, des LDL-Cholesterins um 11,8% und einen HDL-Anstieg um 11,5% [3]. Allium sativum ist positiv monographiert zur Unterstützung diätetischer Maßnahmen bei Erhöhung der Blutfettwerte und zur Vorbeugung altersbedingter Gefäßveränderungen [4]. Hoch dosierte Fertigpräparate mit einer Tagesdosis von 900–1200 mg Trockenextrakt sind zugelassen zur Vorbeugung der allgemeinen Arterienverkalkung. In der

notwendigen Dosis von 4 g pro Tag bzw. entsprechender Menge an Trockenextrakt resultiert bei jedem zweiten Anwender Knoblauchgeruch. Dagegen hilft: Zähne und Zunge reinigen, Kauen von Pfefferminze, Petersilie, Ingwer oder Kardamom-Früchten oder die Sauna. Asiatisches Perillaöl enthält bis zu 60% alpha-Linolensäure und ist die pflanzliche Antwort auf Fischöl. Allerdings ist die Umwandlungsrate in kardiovaskulär günstige Eicosapentaensäure niedrig. Teeblätter, reich an antioxidativ wirksamen Polyphenolen, zeigen vasoprotektive und antikanzerogene Effekte. Den Tee lange ziehen lassen (5–8 Min.), dann steigt der Gehalt an Polyphenolen, während die anregende Wirkung abnimmt [1]. Herzinsuffizienz Digitalis-Extrakte und „Digitaloide“ aus Adoniskraut, Maiglöckchen und Meerzwiebel werden seit über zwei Jahrhunderten zur Behandlung des schwachen Herzens eingesetzt. Heute isoliert man die herzwirksamen Glykoside, um sie als Monosubstanzen in Fertigarzneimitteln einzusetzen. Diese sind wegen ihrer geringen therapeutischen Breite und schlechten Steuerbarkeit verschreibungspflichtig. Anders bei Weißdorn (Crataegus): Auf grünem Rezept können wässrig-ethanolische Extrakte aus Blättern und Blüten verordnet werden, die eine stärkere Wirkung entfalten als Frischpflanzensäfte oder Tees [1]. Mit Digitalis teilt Weißdorn die positiv inotrope Wirkung durch Zunahme der intrazellulären Kalziumfreisetzung. Für definierte Extrakte wie WS®1442 (Crataegutt®) sind neben der Kontrakti-

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (10)

AKTUELLE MEDIZIN _ NATURHEILKUNDE

litätssteigerung eine Erhöhung der Reizleitungsgeschwindigkeit sowie der Reizschwelle am Herzmuskel gezeigt worden. Das Arzneimittel verringert den peripheren arteriellen Gefäßwiderstand (Nachlastsenkung) und steigert die Koronardurchblutung [7]. Zwei Unterschiede zu Digitalis: Unter Weißdorn verlängert statt verkürzt sich die Refraktärzeit des Myokards, was einen rhythmusstabilisierenden Effekt hat. Einen Wirkungseintritt spürt der Patient unter Digitalis schon nach wenigen Tagen, unter Crataegus in der Regel erst nach Wochen. Digitalis- und WeißdornPräparate lassen sich aber wegen des unterschiedlichen Wirkmechanismus problemlos kombinieren. Die Wirksamkeit standardisierter Weißdornextrakte bei leichterer Herzinsuffizienz bestätigt eine Cochrane-Analyse. In den meisten Studien wurde der Crataegus-Extrakt zusätzlich zur Standardtherapie gegeben. In zehn placebokontrollierten Doppelblindstudien bei 855 Patienten im NYHA Stadium I–III (meist II) waren die Extrakte im Vergleich zu Placebo im Durchschnitt signifikant überlegen. Es zeigten sich Verbesserungen der körperlicher Belastbarkeit, des kardialen Sauerstoffverbrauchs sowie der kardialen Symptome [8]. Die Grenzen der Weißdorn-Therapie bei Patienten im Stadium NYHA II und III zeigte 2008 eine Endpunktstudie (SPICE): Während zweier Jahre konnte keine generelle prognoseverbessernde Wirkung durch zusätzliche Einnahme

von WS® 1442 nachgewiesen werden [9]. Beim primären Endpunkt – der Zeit bis zum ersten kardialen Ereignis – erwies sich der Extrakt im Vergleich zu Placebo nur tendenziell überlegen. Bei Patienten mit LVEF ≥ 25% ging allerdings der plötzliche Herztod im Vergleich zur alleinigen Standardmedikation um 40% zurück. Die Verträglichkeit war gut, die Kombination mit der Standardmedikation ohne Sicherheitsprobleme möglich. Funktionelle Herzbeschwerden Bei Herzbeschwerden vermuteter biopsychosozialer Genese sind Phytopharmaka eine gute Therapieoption. Infrage kommen u. a. Weißdorn und seine traditionellen Kombinationen mit Baldrianwurzel (bei nervösen Herzbeschwerden und Schlafstörungen, z. B. Tornix®) oder mit Herzgespannkraut (z. B. Kneipp Herzund Kreislauftee). Eine Kombination aus Weißdorn und Digitaloiden ist in einem Präparat umgesetzt, das zur Kreislaufstabilisierung zugelassen ist bei leicht eingeschränkter Herzleistung, Orthostasesyndrom, funktionellen Herzbeschwerden und Altersherz (Miroton®). In einer Praxisstudie besserte es auch Belastungsdyspoe, periphere Ödeme und Schwindel [10]. Bei Herzbeschwerden aufgrund eines Roemheld-Syndroms können pflanzliche Carminativa wie Kümmel-, Anisund Fenchelfrüchte hilfreich sein. Blutdruck Rauwolfia-Alkaloide haben eine deutlich blutdrucksenkende Wirkung, sind

aber mit Nebenwirkungen wie Müdigkeit, nasaler Kongestion und Depression behaftet. Besser verträgliche und steuerbare synthetische Arzneimittel haben sie verdrängt. Adjuvant kann bei Hypertonie hoch dosierter Knoblauchextrakt (1200 mg/Tag), der vasodilatativ und antiatherogen wirkt, eingesetzt werden. Eine Metaanalyse von elf placebokontrollierten Studien zeigte nach Einnahme von 900 mg/d Knoblauchpulver eine Blutdrucksenkung um 8,4/7,3 mmHg [11]. Bei Hypotonie stehen aber Phytopharmaka als Alternative zu Synthetika durchaus zur Verfügung, zumal letztere besonders in der Langzeitwirkung wenig geeignet sind. Zentral analeptisch wirkt natürlicher D-Campher. Campher mit Weißdornextrakt hat in placebokontrollierten Studien gute Wirksamkeit bei orthostatischer Hypotonie gezeigt (Korodin® Tropfen), die gerade bei Senioren häufig für Stürze verantwortlich ist [12]. Bei Schwächeanfällen werden alle 15 Minuten 5–10 Tr. auf ein Stück Zucker eingenommen. Bei chronischen Kreislaufproblemen werden traditionell Lavendel- und Rosmarinöl empfohlen, z. B. als Vollbad-Aromatherapie. Externa mit Campher, Menthol und ätherischen Ölen (z. B. Cor-Vel Truw Herzsalbe) können belebend auch über kutiviszerale Reflexe wirken. Ralf Schlenger ■

Literatur auf mmw.de

Tabelle 1

Pflanzendrogen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen – eine Auswahl [mod. nach Schilcher et al.] Arzneidroge

Anwendung

Beachten

Präparatebeispiel

Knoblauchzwiebel (Allii sativi bulbus)

Erhöhte Blutfette, Vorbeugung altersbedingter Gefäßveränderungen [4] , Durchblutungsverbesserung bei PAVK, Infekte der oberen Atemwege [5], leichter Bluthochdruck [6]

Mögl. Tagesdosis 900–1200 mg, Wirkungsverstärkung von Antikoagulanzien und Antihypertensiva

Kwai®, Sapec®

Perillaöl (Oleum perilla frutescens semen)

KHK, Atherosklerose

Reich an Omega-3-Fettsäuren

Tuim® arteria

Weißdornblätter mit -blüten (Crataegi folium cum flore)

Herzinsuffizienz NYHA I–II, Herzrhythmusstörungen, funktionelle Herzbeschwerden, KHK, Arteriosklerose

Tagesdosis 160–900 mg Extrakt mit Mindestgehalt an Flavonoiden und Procyanidinen; Wirkungseintritt nach Wochen

Ardeycordal®, Crataegutt®, Esbericard®, Faros®, Protecor Weißdorn

Campher

„Kreislaufschwäche“, orthostatische Hypotonie Auch als Akutmedikation geeignet

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (10)

Korodin®, Korovit®

27

Literatur 1. Schilcher H, Kammerer S, Wegener T: Leitfaden Phytotherapie, 4. Aufl. 2010, Elsevier, München, Kapitel Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen 2. De Santos et al. British Journal of Clinic Research 1993,4:37–44 3. Sobenin et al. Journal of Atherosclerosis and Thrombosis, 2008;15(6):334-338 4. Monographie der Kommission E 5. Monographie der ESCOP: 6. Monographie laut WHO 7. Brixius et al. 1998, Schwinger et al. 2000 8. Pittler, M. H. et al, The Cochrane Library 2008 9. Holubarsch CJ et al. Eur J Heart Fail 2008;10:1255-1263 10. Schwinger RH, Erdmann E. Z Phytother 1992,13:91-95

[Green power for heart and circulation].

[Green power for heart and circulation]. - PDF Download Free
214KB Sizes 2 Downloads 9 Views