Der interessante Fall

Riesenmolluscum kann Lidtumor vortäuschen Giant Molluscum Contagiosum Eyelid Lesions as a Solid Tumour

Einleitung !

Für das Behandlungsmanagement bei Lidtumoren ist es wichtig, nicht nur zwischen benignen und malignen Lidtumoren zu differenzieren, sondern auch entzündliche und pseudotumoröse Prozesse zu beachten. Die klinische Verlaufskontrolle und Lidbiopsie tragen wesentlich zur Klärung der Differenzialdiagnose bei.

Kasuistik !

Eine 69-jährige Patientin wurde aufgrund von Warzen am linken Oberlid nach vorangegangener Bindehautentzündung vom Augenarzt in unsere Klinik überwiesen. Eine einseitige Konjunktivitis hatte dabei bereits über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten vorbestanden, ohne eine wesentliche Befundbesserung unter Lokaltherapie erkennen zu lassen. Unter dem Verdacht auf einen klinisch nicht auszuschließenden malignen Tumor am Oberlid bei der Erstvorstellung wurde die zweizeitige Tumorexzision mit an-

schließender okuloplastischer Defektdeckung im Intervall nach histopathologischer Beurteilung empfohlen.

Klinischer Befund Befund der klinischen Erstuntersuchung in unserer Ambulanz: Der Lokalbefund am linken Auge imponierte im Übergang vom nasalen zum mittleren Liddrittel durch eine Verdickung der Lidkante mit einer weißlichen, solide erscheinenden, infiltrativen Veränderung. Bei stärkerer Schüppchenbildung im Rahmen einer Blepharitis squamosa war die äußere Lidkante betroffen. Die Conjunctiva bulbi zeigte ebenfalls einen einseitigen Reizzustand, die Ausführungsgänge der Meibom-Drüsen waren nicht erweitert und zeigten lediglich die Retention von weiß" Abb. 1). lichem Sekret (l

Verlauf Klinischer Untersuchungsbefund 2 Monate später unmittelbar präoperativ: Das suspekte Areal des medialen Oberlids war vollkommen abgeheilt und es imponierte zu diesem Zeitpunkt eine zystisch erschei-

Abb. 1 Verdickung der Lidkante mit weißlichen, solide erscheinenden, infiltrativen Veränderungen. Einseitige therapieresistente Konjunktivitis.

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nende Veränderung mit leichtem Lidödem bei weißlichem Kolorit im tempo" Abb. 2). Zusätzlich ralen Oberliddrittel (l erkannte man am Unterlid im Übergang vom nasalen in das mediale Liddrittel eine neu aufgetretene typische Dellwarze. Aufgrund dieses aktuellen Befunds wurden die Differenzialdiagnosen neu gefasst: benigne Pseudotumoren (Mollusca contagiosa), beginnendes Keratoakanthom oder Plattenepithel- bzw. Talgdrüsenkarzinom. Aufgrund der breiten klinischen Differenzialdiagnosen wurde eine exzisionale Biopsie unter Belassung des posterioren Lidblatts vorgenommen. Schnelleinbettung des Materials und histopathologische Untersuchung folgten der Exzision. Die Abheilung in Laissez-faireTechnik verlief komplikationslos.

Histopathologischer Untersuchungsbefund Makroskopisch imponiert ein knötchenartiges beige-weiß-rosafarbenes Gewebsstück. Bei der detaillierteren morphologischen Untersuchung erkennt man mehrschichtiges, verhornendes Plattenepithel der Lidhaut, welches in der Mitte der Schnitte plump endophytisch proliferiert. Innerhalb dieses zentralen Bereichs sieht man große, prall mit Viruspartikeln gefüllte Zellen. Dieses Areal wird subepithelial begrenzt von Infiltraten mit Lymphozyten, Plasmazellen und neutrophilen Granulozyten. Die histopathologische Beurteilung ergab die Diagnose: Riesen-Mol" Abb. 3 und 4). luscum contagiosum (l

Abb. 2 Deutliche Befundänderung im Krankheitsverlauf. Rückbildung des Tumors im mittleren Liddrittel, neuer Befund lateral davon. Am Unterlid zeigt sich der typische Befund einer Dellwarze mit zentraler Einziehung. Der konjunktivale Reizzustand ist rückläufig.

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Abb. 3 Im Exzisionspräparat stellt sich mehrschichtiges, verhornendes Plattenepithel der Lidhaut, zentral plump und endophytisch proliferierend dar. Innerhalb des zentralen Bereichs sind große, prall mit Viruspartikeln gefüllte infektiöse Zellen. Dieses Areal wird subepithelial begrenzt von Gewebe mit lymphozytären und plasmazellulären Infiltraten (HE-Färbung, 2×).

Diskussion !

Die typische Manifestation von Mollusken findet sich bei Kindern und Jugendlichen. Im Kindesalter unter dem 8. Lebensjahr tritt die sich selbst limitierende Infektion besonders häufig auf. Adulte Patienten oder ältere Menschen sind deutlich seltener betroffen. Das sogenannte Riesen-Molluscum contagiosum ist dabei eine seltenere Erscheinungsform dieses Virus und weist auf eine Störung der Immunkompetenz hin [1, 2]. Mollusken finden sich dann oft an sonst weniger typischen Manifestationsorten, z. B. der behaarten Kopfhaut oder sie sind besonders groß (Giant Molluscum contagiosum). Bei jüngeren Erwachsenen liegt häufiger eine Immunschwäche und eine CD4-Absenkung (Lymphozytensubpopulation CD4), z. B. durch HIV-Infektion vor. Als doppelsträngiges DNA-Virus zählen die hochansteckenden viralen Erreger zur Familie der Pockenviren (Poxviridae) und ihre ausgelösten Veränderungen an Haut, seltener Schleimhaut, zu den benignen Tumoren. Typisches Infektionsbild sind kleine gruppierte Papeln mit 1–10 mm Durchmesser und hautfarbenem Äußeren. Es gibt bis heute weder eine einheitliche Behandlungsstrategie noch einen passenden Impfstoff. Die Übertragung der Virusinfektion erfolgt vorrangig durch direkten Hautkontakt. Im pädiatrischen Fachgebiet ist die Verbreitung der Erkrankung bei Gruppenbildung im Kleinkind- und Kindesalter bekannt. Im Erwachsenenalter sind wei-

Abb. 4 Die zytoplasmatischen Einschlüsse (Molluscum-Körper) färben sich basophil und ersetzen das Zytoplasma vollständig. Weiterführend wird der Zellkern randständig verdrängt. Die Virusinfektion beginnt in den unteren Schichten der Epidermis, hier zeigen sich zunächst eosinophile, zytoplasmatische Einschlüsse (HE-Färbung, 20×).

Tab. 1 Übersicht über die bislang in klinischen Studien geprüften Behandlungsverfahren bei Molluscum contagiosum und das selbst verwendete Behandlungsschema. Wirkprinzip

Intervention oder exemplarischer Wirkstoffvertreter, modifiziert nach [8]

physikalische Therapie chemisch-destruktive Behandlung chemisch-nichtdestruktive Therapie Immunmodulatoren Virostatika Greifswalder Behandlungsvariante*

Kürettage, Kryotherapie, Laser, PDT (photodynamische Therapie), Elektrotherapie 9–12 MeV Phenol-Trichloracetat, Kaliumhydroxid Salicylsäuregel Imiquimod, Cimetidin, Interferon alpha, Retinoide Cidofovir Kürettage und Povidon-Iod

* nicht Gegenstand des Cochrane Reviews

testgehend Patienten nach direktem Hautkontakt mit einem infizierten Patienten oder Sexualpartner betroffen. Ein Aufkratzen der bläschenhaften infektiösen Hautareale setzt mukös-gelblich bis bräunliches virenhaltiges Sekret frei. Unter Ringern wird die Infektion an eher untypischen somatischen Regionen durch den intensiven physischen Kontakt dieser Sportart übertragen und dann auch als „Molluscum gladiatorum“ bezeichnet [3]. Durch kleinste Hautläsionen gelangen freie Viruspartikel zur Basalschicht des Epithels, wo eine Reifung in ca. 5 Tagen erfolgt und eine konsekutive massive Vermehrung stattfindet. Atopiker und Patienten mit chronisch-topischer Steroidbehandlung sind daher gesteigert betroffen [4]. Das Auftreten von chronischer Konjunktivitis, periokulären Läsionen bzw. in selteneren Fällen von Keratitiden wird bei einer Manifestation am Auge (Lidhaut/Lidkante) beschrieben.

Molluskeninfektionen der Haut und Schleimhaut heilen an sich nach 2 bis 3 Monaten spontan ab. In anderen Hautarealen flammt die Infektion dann erneut auf, wenn keine Behandlung erfolgt. Ein Cochrane Review [5] wertete überwiegend topisch angewandte Therapiekonzepte aus, ohne dass sich für einen der evaluierten Therapiepfade statistisch signifikante Überlegenheit nachweisen ließ. Letzteres kann jedoch an den eingesetzten Studiendesigns liegen. Einige der Therapievorschläge aus den bislang publizierten Studien sind nicht im Bereich von Augenoberfläche und Augenlidern ein" Tab. 1 dargestellten setzbar [6, 7]. Die in l Prinzipien wurden in klinischen Studien evaluiert. In unserer klinischen Erfahrung hat sich besonders im Augenbereich die Kürettage und Desinfektion mit PovidonIod bewährt. Probleme mit der Narbenbildung traten dabei im Lidbereich nicht auf. Die Auswertung des Cochrane Re-

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views [5] legt die Anwendung topisch einsetzbarer Therapiekonzepte nahe. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden dabei nicht erfasst. Der klinische Befund imponiert typischerweise mit einer kleinen papulösen, perlenartigen, kuppelförmigen Hauterhebung mit zentraler Delle und ist für den Augenarzt dann eine Blickdiagnose. Komplizierter wird die klinische Differenzialdiagnose bei RiesenMolluscum contagiosum wie im vorgestellten Krankheitsfall. Morphologisch imponiert der zentrale Keratinpfropf bei akanthotisch verdicktem Epithel. Hier sind differenzialdiagnostisch auch das Basalzellkarzinom, Keratoakanthom, Plattenepithelkarzinom, Histoplasmose, Kryptokokkose, Verruca vulgaris und warzenartige Dyskeratosen in Erwägung zu ziehen [8–10]. Für die Behandlungsplanung ist es wichtig, nicht nur zwischen benignen und malignen Lidtumoren zu differenzieren, sondern es müssen auch entzündliche und pseudotumoröse Prozesse Beachtung finden. Bei unsicherem klinischem Bild werden zytologische Untersuchung oder eine weiterführende Polymerasekettenreaktion zur Diagnosesicherung notwendig. Die zytoplasmatischen Einschlüsse (Molluscum-Körper) färben sich basophil und ersetzen das Zytoplasma vollständig. Der Zellkern wird dabei randständig verdrängt und zusammengepresst. Im Vollbild der Infektion sind

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die Molluscum-Körper größer als die Wirtszelle. Die bei der Patientin initial vorhandene chronische follikuläre Konjunktivitis wurde durch eine Streuung der Viren vom Lidrand auf die Augenoberfläche hervorgerufen.

Interessenkonflikt: Nein. R. Kempin 1, S. Vogelgesang 2, F. H. Tost 1 Augenklinik der Universitätsmedizin, Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswaldd 2 Institut für Pathologie der Universitätsmedizin, Ernst-Moritz-Arndt Universität, Greifswald

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Literatur 1 Kim HK, Jang WS, Kim BJ et al. Rare manifestation of giant molluscum contagiosum on the scalp in old age. Ann Dermatol 2013; 25: 109–110 2 Massa AF, Borges-Costa J, Soares-Almeida L et al. Molluscum contagiosum eyelid lesions in an HIV-patient. Dermatol Online J 2013; 19: 10 3 Thompson AJ, Matinpour K, Hardin J et al. Molluscum gladiatorum. Dermatol Online J 2014; 20: 16 4 Braue A, Ross G, Varigos G et al. Epidemiology and impact of childhood molluscum contagiosum: a case series and critical review of the literature. Pediatr Dermatol 2005; 22: 287–294 5 van der Wouden JC, van der Sande R, van Suijlekom-Smit LW et al. Interventions for

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Bibliografie DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-1545828 Online-publiziert: 21.5.2015 Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 886–888 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse Dr. Robert Kempin Augenklinik der Universitätsmedizin Ernst-Moritz-Arndt Universität Ferdinand-Sauerbruch-Straße 17475 Greifswald [email protected]

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