Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien Internist 2014 · 55:156–164 DOI 10.1007/s00108-013-3303-y Online publiziert: 10. Februar 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Schreiber1, 2 · P. Rosenstiel2 · A. Franke2 1 Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,

Campus Kiel, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 2 Institut für Klinische Molekularbiologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,

Campus Kiel, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Schwerpunktherausgeber

W.L. Gross, Lübeck S. Schreiber, Kiel

Das letzte Jahrzehnt war durch die „Genetisierung“ der Medizin geprägt. Für eine Vielzahl chronischer Erkrankungen, insbesondere aber der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen konnten erbliche Risikofaktoren identifiziert werden. Es zeigt sich, dass ein zentrales Thema in der Entstehung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen die gestörte Interaktion zwischen intestinaler Barrierefunktion und Mikrobiota ist. Sowohl die intestinale Barrierefunktion als auch die adaptive Immunität und die Zusammensetzung der Mikrobiota werden durch erbliche Faktoren reguliert. Die rapide zunehmende Identifizierung primärer ätiologischer Prinzipien durch die Aufklärung der genetischen Ursachen dieser Erkrankungen ermöglicht die Entwicklung neuer ursachenorientierter Therapieverfahren und einen neuen Zugangsweg zu chronischen Erkrankungen in der Inneren Medizin über die Modifikation der Darmgesundheit.

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und subklinische Entzündungsformen Epidemiologie Die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, mikroskopische Kolitis und kollagene Kolitis haben in den nordwestli-

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Genetische Ätiologie bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen chen Industriegesellschaften eine Lebenszeitprävalenz von bis zu 1%. Darüber hinaus stellen chronisch-entzündliche Erkrankungen – oft auch als „immune mediated disorders“ (IMED) beschrieben – eine relativ häufige Ursache chronischer Erkrankungen dar, die 4–8% der Individuen europäischer Herkunft betreffen.

Systematische genetische Studien zeigen, dass die Ätiopathogenese der chronischentzündlichen Darmerkrankungen nicht nur auf einer Hyperregulation der T-Zellvermittelten Immunantwort beruht, sondern weitaus komplexer ist.

Ätiopathogenese

Das Auftreten von Entzündungsformen des Darms ist häufig mit anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen vergesellschaftet. So wurde beschrieben, dass bei einem erheblichen Anteil der Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Psoriasis gleichzeitig entzündliche Veränderungen des Ileums vorliegen [5]. Hierbei handelt es sich meist um abortive Formen, die im klinischen Routinealltag sicher unterdiagnostiziert sind, da die vorherrschenden Beschwerden der Patienten sich auf andere Organbereiche konzentrieren.

Über Jahrzehnte wurde die Ätiopathogenese chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ausschließlich mit einer Regulationsstörung der adaptiven Immunität erklärt. Dabei standen Hypothesen wie eine primär erhöhte Aktivität der TZell-vermittelten Immunität im Vordergrund. Auf dieser pathophysiologischen Hypothese basierend wurden immunologische Therapieverfahren entwickelt, die auf die Blockade einzelner entzündlicher Mediatoren zielten. Hieraus ergab sich der Siegeszug der Anti-Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-Therapien, welche die chronisch-entzündliche Aktivität bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa tatsächlich in erheblichem Maße zu kontrollieren vermochten, auch wenn die Erkrankung auf diesem Weg nicht heilbar ist [1, 2, 3]. Die gezielte Inhibition von Interleukin(IL)-17, einem für die Th1-Zell-Aktivierung zentralen Zytokin, führt hingegen nicht zu einer Besserung des Krankheitsgeschehens bei Morbus Crohn, sondern im Gegenteil zu einer erheblichen Exazerbation der entzündlichen Aktivität [4].

Komorbidität

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Bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen auch des Darms treten kardiovaskuläre Komplikationen gehäuft auf Mit rheumatoider Arthritis und Psoriasis sind erheblich erhöhte Risiken für die Entwicklung kardiovaskulärer Komplikationen assoziiert, z. B. für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardialen Tod. Bei diesen Krankheitsbildern hat sich daher die Vermeidung von Komorbiditäten zu einem wichtigen unabhängigen Thera-

pieziel entwickelt. Systematische Studien, die an großen Kohorten von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen in Dänemark und anderen skandinavischen Ländern durchgeführt wurden, weisen darauf hin, dass auch hier das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen deutlich erhöht ist, obwohl die absoluten Zahlen angesichts des jüngeren Alters der Patienten deutlich niedriger sind.

Inhomogenes Krankheitsbild Das Krankheitsbild der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist in sich nicht einheitlich. Es existieren in der Literatur klare morphologische Kriterien, die es ermöglichen sollten, einen Morbus Crohn von einer Colitis ulcerosa zu unterscheiden. Diese beziehen klinische, histopathologische, radiologische und immunologische Faktoren ein. Es zeigt sich jedoch in der klinischen Realität, dass bis zu 25% der Patienten bereits bei der initialen Diagnose nicht zweifelsfrei einem Subphänotyp zugeordnet werden können. Darüber hinaus ist bei einigen Patienten der Phänotyp über die Erkrankungsdauer nicht stabil.

Verlauf Das Auftreten intestinaler und extraintestinaler Komplikationen stellt langfristig häufig die eigentliche therapeutische Herausforderung in der Führung von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen dar. Bis zu 50% der Patienten mit Morbus Crohn werden im Verlauf ihrer Erkrankung chirurgisch behandelt, wobei Operationen zur Sanierung von narbigen Stenosen oder Fistelsystemen dominieren. Das Auftreten solcher Komplikationen ist einer der Faktoren, die Therapierefraktärität gegenüber antientzündlichen Therapien begründen und oft zur Akkumulation erheblicher medikamentenvermittelter Toxizitäten führen. Bei der Colitis ulcerosa (und der Crohn-Kolitis) dominiert als Komplikation die erhöhte Entstehungsrate kolorektaler Karzinome, die sich statistisch nach etwa 10 Krankheitsjahren abzeichnet. Darüber hinaus kann eine chronische Entzündungsaktivität bei Colitis ulcerosa ausgedehnte Vernarbungen und

Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien Abb. 1 9 Molekulare Struktur von NOD2. Die Abbildung zeigt die leucinreiche Sensordomäne, die 3-dimensional am ehesten mit der Form eines Hufeisens beschrieben werden kann. Die drei wesentlichen krankheitsassoziierten Varianten betreffen die Struktur dieses Proteinanteils oder führen über ein falsches Signal für einen Translationsstopp zu einer Verkürzung des Proteins. (Adaptiert nach [9])

Funktionsverluste des Dickdarms verursachen, die für sich genommen auch ohne weitere entzündliche Aktivität zu Durchfällen und einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Interessanterweise ist nicht jeder Krankheitsverlauf bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen durch die Entwicklung solcher Komplikationen gekennzeichnet. In einer systematischen, populationsrepräsentativen Studie in Südnorwegen wurden die Neumanifestationen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen über einen 1-Jahres-Zeitraum erfasst. Die Patienten wurden dann über 10 Jahre beobachtet. Dabei zeigte sich, dass sowohl bei Morbus Crohn als auch bei Colitis ulcerosa etwa 50% der Patienten unter Standardtherapien einen sehr günstigen Verlauf nahmen, in dessen Rahmen weder Komplikationen beobachtet wurden noch therapeutische Interventionen durch stark wirksame immunsuppressive Verfahren nötig waren. Bis heute sind alle Versuche, einen spezifischen pathophysiologischen oder genetischen Hintergrund dieses sehr unterschiedlichen Krankheitsverlaufs zu ergründen, gescheitert.

Bedeutung der Darmflora In Tiermodellen zur Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen wird durch Einsatz toxischer oder immunaktivierender chemischer Verfahren eine Phänokopie hergestellt oder es werden genetisch konditionierte Mäuse ver-

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wendet, bei denen einzelne, dem Erhalt der intestinalen Immunität oder der intestinalen Barrierefunktion dienende, Faktoren gezielt ausgeschaltet wurden. In einer Vielzahl dieser Modelle zeigt sich, dass der Zusammensetzung der intestinalen Flora eine entscheidende Rolle in der Manifestation des chronisch-entzündlichen Krankheitsbilds zukommt. Eine solche „kolitogene“ Flora kann dann auch im Modell in genetisch gesunde Mäuse übertragen werden, wo es dann auch unter leichten Provokationen zur Entstehung einer chronischen Kolitis in einer ansonsten „normalen“ Maus kommt. Ohne die Anwesenheit einer mikrobiellen Besiedlung kommt es im Übrigen in fast allen Modellen nicht zu einer chronisch-entzündlichen Reaktion am Darm nach Provokation. Der Darmflora kommt also eine eigenständige, obwohl teilweise genetisch kontrollierte, Rolle in der Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen zu. Darüber hinaus scheinen wesentliche Therapeutika, die in das Immunsystem eingreifen, ebenfalls eine klare Wirkung auf die Flora zu besitzen. Eine Veränderung der Flora durch genetische Suszeptibilität, aber auch durch den Lebensstil westlicher Industriegesellschaften könnte somit eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen sein und die seit dem Zweiten Weltkrieg erheblich steigende Inzidenz und Prävalenz erklären.

NOD2 und intestinale Barrierefunktion NOD2 wurde als Mitglied der NOD1/ Apaf-1-Familie bereits 2001 identifiziert und als einer der wesentlichen Regulatoren einer Lipopolysaccharid(LPS)- bzw. Muramyldipeptid(MDP)-vermittelten Aktivierung von NF-κB in Monozyten beschrieben. In einem Kandidatengenansatz erfolgte 2001 die Identifikation von drei Polymorphismen im Anteil des Gens, der für den carboxyterminalen leucinreichen Teil des Proteins codiert. Die Polymorphismen sind in hohem Maße mit dem Auftreten des Morbus Crohn assoziiert (. Abb. 1; [6, 7, 8]). Der genetische Effekt dieser strukturverändernden Varianten ist sehr ausgeprägt und folgt fast einem autosomal-rezessiven Vererbungsweg. Alle drei zu diesem Zeitpunkt identifizierten Polymorphismen führen zu strukturellen Veränderungen des Proteinanteils, wobei die als „single nucleotide polymorphism“ (SNP) 13 beschriebene Variante zu besonders ausgeprägten Funktionsverlusten durch vorzeitige Verkürzung des entstehenden Proteins im Translationsprozess führt [9]. Diese Entdeckung löste eine breite Bewegung der genetischen Exploration anderer chronischer Erkrankungen aus. Es war nun erwiesen, dass die Methoden der molekulargenetischen Forschung eine Qualität erreicht hatten, welche die Bewältigung großer Patientenzahlen und die Erzeugung reproduzierbarer Ergebnisse ermöglichte und so zur ätiologischen Aufklärung komplexer, familiär gehäufter Krankheitsbilder ohne klaren Mendelschen Erbgang beitragen konnte.

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NOD2-Varianten erklären die mit dem Krankheitsrisiko assoziierte genetische Variabilität nur zum Teil Gleichzeitig schien durch die Identifikation der Varianten in NOD2 auch eine einfache Erklärung für die Ätiopathogenese der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen möglich: Individuen mit genetischer Suszeptibilität sind deutlich im Vorteil in Bezug auf die Erkennung bakterieller Zellwandbestandteile inner-

Zusammenfassung · Abstract halb von Epithelzellen des Darms. Anhand einer Veränderung der Stuhlflora im Rahmen der Lebensgewohnheiten westlicher Industriegesellschaften ließe sich dann erklären, wie es bei in den letzten Generationen stabiler genetischer Suszeptibilität zu steigenden Inzidenzen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen kommen konnte. Diese einfache Erklärung wurde jedoch durch zwei Beobachtungen gestört. Zum einen erklären die beobachteten genetischen Varianten in NOD2 nur einen Bruchteil der mit dem Krankheitsrisiko assoziierten genetischen Variabilität [10]. Es muss daher eine Vielzahl weiterer Krankheitsgene existieren. Zum anderen zeigte sich später, dass die Einführung der für den Menschen relevanten NOD2-Varianten in Mausmodelle nicht zur Entstehung einer Kolitis in der Maus führt. Es entstehen jedoch ähnliche Veränderungen der Mikrobiota, wie sie auch in Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung beobachtet werden. Bereits leichte chemisch-toxische Provokationen lösen dann aber eine erhebliche Kolitis in den Mäusen aus. Wesentlicher Treibriemen ist die Stuhlflora. Bei Übertragung der Stuhlflora aus NOD2-kompromittierten Mäusen in „normale“ Mäuse erwerben diese ebenfalls die erhöhte Bereitschaft, bereits bei geringgradiger Provokation eine chronische Darmentzündung zu entwickeln. Damit ist das einfache Modell eines Wechselspiels zwischen vererbbarer genetischer Suszeptibilität einerseits und durch den Lebensstil determinierter Stuhlflora andererseits in Bezug auf NOD2 widerlegt. Darüber hinaus sind Varianten in NOD2, die die Funktion des für die angeborene Immunität wesentlichen Faktors beeinflussen, über die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mit einer Vielzahl anderer Erkrankungen ebenfalls assoziiert. So führen Varianten in anderen Teilen des Gens zu dem der Sarkoidose ähnlichen Blau-Syndrom. Die für den Morbus Crohn als ursächlich identifizierten Varianten sind auch mit dem kolorektalen Karzinom, der chronischen Parodontitis, dem Mammakarzinom, dem erhöhten Auftreten von Graft-versus-hostErkrankungen nach Knochenmarktransplantationen und mit chronisch-entzünd-

Internist 2014 · 55:156–164  DOI 10.1007/s00108-013-3303-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 S. Schreiber · P. Rosenstiel · A. Franke

Genetische Ätiologie bei chronisch-­entzündlichen Darmerkrankungen Zusammenfassung Die beiden häufigsten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sind die Colitis ulcerosa und der Morbus Crohn. Die Lebenszeitprävalenz für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen liegt in den Hochinzidenzländern der nordwestlichen Industriegesellschaften bei 1%. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind typische polygene Erkrankungen, bei denen eine Vielzahl genetischer Suszeptibilitätsfaktoren zusammen mit Faktoren des Lebensstils zu einer Manifestation der Erkrankung führt. Die rasante technologische Entwicklung im Bereich der molekularbiologischen Techniken ermöglichte es in den letzten Jahren erstmals, systematische genomweite Studien durchzuführen und die Ebene Kandidatengen-getriebener Assoziationsstudien zu verlassen. Charakteristisch für genomweite Untersuchungen sind sehr große Studienkonsortien und eine hohe Reproduzierbarkeit. Sie haben mittlerweile zur Identifikation von mehr als 200 Genen und Genregionen geführt. Die Forschung der nächsten Jahre werden insbesondere zwei Beobachtungen prägen: Zum einen bestehen für viele der identifizierten Krankheitsgene

und krankheitsassoziierten Regionen multiple Verbindungen zur Entstehung anderer entzündlicher und nichtentzündlicher Krankheiten. Dies wirft die Frage auf, ob wesentliche Komorbiditäten bislang in der klinischen Charakterisierung übersehen wurden oder ob es bislang unbekannte pathophysiologische Brücken zwischen scheinbar sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern gibt. Zum anderen müssen sich die modellhaften Vorstellungen der Krankheitspathophysiologie und Ätiopathogenese ändern, da die meisten entzündlichen Erkrankungen wie auch die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen offensichtlich keine T-Zell-vermittelten Autoimmunerkrankungen sind. Es ist zu erwarten, dass sich, untermauert durch den enormen Fortschritt in der modernen Ätiologieforschung, neue therapeutische Zugangswege zu einer Vielzahl chronischer Erkrankungen auftun werden. Schlüsselwörter Genomweite Assoziationsstudien · Morbus Crohn · Colitis ulcerosa · Barrierefunktion · Genetische Suszeptibilität

Genetic etiology of chronic inflammatory bowel disease Abstract Crohn’s disease and ulcerative colitis are the two main forms of inflammatory bowel di­ sease. Inflammatory bowel diseases have a life time prevalence of up to 1% in western industrialized countries. It is generally proposed that genetic susceptibility, which is much more widespread in the population, needs (unknown) factors in lifestyle in order to lead to disease manifestation. Systematic genome-wide association studies opened a new level of understanding of the risk architecture of inflammatory bowel diseases. This has led to the concept that barrier problems on the level of the intestinal epithelial cells may be a main driver in disease etiopathogenesis. Many of the newly discovered dis-

lichen Atemwegserkrankungen, insbesondere Asthma, assoziiert [11]. Von besonderem Interesse ist eine Studie, die systematisch die Ursachen der Lepra an Han-Chinesen untersuchte. Hier waren von 6 identifizierten Krankheitsgenen 5 mit Morbus-Crohn-Krankheitsge-

ease genes are not only relevant for inflammatory bowel disease but also for other disorders. This has initiated a large research interest in co-morbidities, which appear to be overlooked on the clinical side, too. Novel therapies should address the primary disease mechanisms and therefore provide causal interventions. Endpoints should include the avoidance of co-morbidities, which may be a limiting factor for patients with chronically active disease. Keywords Genome-wide association studies · Crohn disease · Colitis, ulcerative · Barrier function · Genetic susceptibility

nen identisch [12]. Darunter waren NOD2 sowie ein weiteres Gen im NOD2-Signalweg. Eine Vielzahl weiterer Erkrankungen zeigt ebenfalls Assoziationen mit NOD2Varianten, dazu gehören die allergische Rhinitis, die multiple Sklerose, die Vitiligo, die frühe Menopause und der KnoDer Internist 2 · 2014 

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Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien zung ist, dass die Ursachengene entsprechend alt sind und sich auf eine sehr kleine gemeinsame Gründerpopulation zurückführen lassen, mit der sowohl die Patienten als auch die Kontrollen über viele Tausend Generationen verwandt sind. Diese Voraussetzungen sind in der europäischen Population in besonderem Maße gegeben (. Abb. 2). Geografische Distanz ist hier die einzige Determinante, die die genetische Ähnlichkeit beeinflusst [13]. Darüber hinaus sind sich Europäer genetisch wesentlich ähnlicher als zuvor angenommen.

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Patienten und Kontrollen müssen einander genetisch ausreichend ähnlich sein

Abb. 2 8 Genetische Unterschiede zwischen Europäern. In einer Analyse von 2514 Individuen aus 23 europäischen Populationen wurden die Daten zu 500.000 Polymorphismen (GenChip®, Affymetrix) verglichen. Auf der Koordinatenachse ist die genetische Ähnlichkeit der verschiedenen europäischen Populationen abgebildet. Insgesamt sind sich die Populationen sehr ähnlich. Wird die genetische Ähnlichkeit 2-dimensional dargestellt, ergibt sich das Bild der europäischen Landkarte, die im Vergleich oben rechts gezeigt ist. Der genetische Unterschied korreliert somit im Wesentlichen mit der geografischen Distanz. (Adaptiert nach [13])

chenverlust bei Frauen im Alter. Die Entstehung von NOD2 als Ursache des Morbus Crohn ist somit nicht nur der Anstoß für eine breite genetische Exploration chronischer Erkrankungen, sondern auch ein Meilenstein des Paradigmenwechsels in der Indikationsdefinition chronischer Erkrankungen. Zunehmend wird klar, dass Krankheitsgene keinesfalls 1:1 mit einzelnen Krankheitsentitäten in Verbindung gebracht werden können.

Systematische genomweite Assoziationsstudien Ein Meilenstein in der Durchführung molekulargenetischer Ätiologiestudien war die Möglichkeit, genomweite Kartierungen an großen Patientenzahlen durchzuführen. Durch die Sequenzierung des Humangenoms waren erstmalig Karten von zunächst wenigen Hunderttausend und später Millionen von häufigen Polymorphismen verfügbar, die durch den Einsatz von Chiptechnologien in Hun-

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derten und später Tausenden von Patienten und Kontrollen vergleichend typisiert werden konnten. Der Prozess der Vererbung führt über Tausende von Generationen durch die Begünstigung einzelner chromosomaler Bruchpunkte zur Weitergabe konservierter, unterschiedlich langer DNA-Stücke. Durch den Vergleich einer ausreichend großen Patientenpopulation mit entsprechend zahlreichen Kontrollen ist es daher möglich, anhand von Frequenzunterschieden häufiger Polymorphismen Krankheitsassoziationen für einzelne genetische Regionen zu entdecken. Das bedeutet auch, dass viele der Polymorphismen auf diesen Karten nur Marker für die wirklich ursächlichen Varianten sein werden. Die wesentliche Voraussetzung für solche Studien ist, dass Patienten und Kontrollen einander genetisch ausreichend ähnlich sind – und damit nicht statt eines Unterschieds zwischen „Krankheit“ und „Gesundheit“ andere Charakteristika der Populationen erfasst werden. Eine weitere Vorausset-

Dank der Automatisierung der Laborabläufe konnte in einer Vielzahl hochrangiger Publikationen die Risikoarchitektur der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen skizziert werden, die auch zwischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa differenziert. Bei Morbus Crohn steht die Epithelzelle im Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens (. Abb. 3). Eine Rolle spielen sowohl Barrierefunktionen wie Detoxifikation und Zell-Zell-Kontakte als auch in besonderem Maße Mechanismen, die die angeborene Immunität betreffen, z. B. NOD2. Fehlfunktionen der angeborenen Immunität führen indirekt zu Störungen in der Sekretion antimikrobieller Peptide wie β-Defensin und DMBT1, die jedoch auch eigenständige Krankheitsgensignaturen tragen. Ein weiterer wichtiger Krankheitsmechanismus ist die Autophagie, ein Mechanismus, der die Zerstörung und Entsorgung von bakteriellen Anteilen und fehlgefalteten Proteinen bewerkstelligt und in dessen Stoffwechselwege mehrere Krankheitsgene fallen. Das endoplasmatische Retikulum (ER) mit Mechanismen der Proteinfaltung und der Bewältigung von ER-Stress scheint ebenfalls durch mehrere Krankheitsgene gestört zu sein, sowohl bei Morbus Crohn als auch bei Colitis ulcerosa. Wichtig sind auch Mechanismen der unspezifischen Entzündungsamplifikation, insbesondere im Bereich der Prostaglandine. Stoffwechselwege der adaptiven Immunität sind mehrfach betrof-

Abb. 3 9 Hypothetische Systembiologie des Morbus Crohn. Die Abbildung zeigt eine Auswahl von Krankheitsgenen und ein hypothetisches Netzwerk der medizinischen Systembiologie. Weitere Erläuterungen s. Haupttext. ER Endoplasmatisches Retikulum; IFN Interferon; IL Interleukin; MDP Muramyldipeptid; PG Peptidoglykan; PGE2 Prostaglandin E2 TNF Tumor-Nekrose-Faktor

fen, hier finden sich krankheitsassoziierte Varianten, sowohl in Zytokinen als auch in Zytokinrezeptoren und entsprechenden Signaltransduktionsmolekülen (. Abb. 3). Bei der Colitis ulcerosa, für die auch deutlich weniger Krankheitsgene als für Morbus Crohn identifiziert wurden, scheint es, als ob die Prozesse der angeborenen Immunität eine deutlich geringere Rolle spielen, so fehlt z. B. eine Assoziation mit NOD2-Varianten. Dafür liegt aber eine wesentlich stärkere genetische Suszeptibilitätskomponente im Bereich der adaptiven Immunität. Markant ist hier v. a. der IL-10-Weg, der auch eine besondere Rolle bei der frühen pädiatrischen Kolitis spielt [14, 15].

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Die Krankheitsgene von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa überlappen stark Neben diesen Unterschieden fällt jedoch auch die enorme Überlappung von Krankheitsgenen auf, die sowohl bei Morbus Crohn als auch bei Colitis ulcerosa eine ätiologische Rolle spielen. Daraus er-

klären sich vielleicht die klinischen Beobachtungen, die manchmal eine klare Zuordnung zu einem der beiden Phänotypen erschweren oder die einen Wechsel des Phänotyps über die Krankheitsdauer beschreiben. Es scheint vielmehr, dass Morbus Crohn und Colitis ulcerosa keineswegs zwei unterschiedliche Krankheiten darstellen, sondern dass die klaren Phänotypen eher die Antipoden eines Spektrums sind, in dem ein fließender Übergang zwischen einem „typischen“ Krankheitsbild für Morbus Crohn und einem „typischen“ Krankheitsbild für Colitis ulcerosa beobachtet wird [16]. Bereits diese Erkenntnisse lassen hinterfragen, ob antientzündliche Therapien für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen der einzig mögliche Zugangsweg sind. Vielmehr scheint es wichtig, gerade bei Patienten, bei denen Störungen der angeborenen Immunität vorliegen, auch an die Entwicklung von Interventionen zu denken, die solche Prozesse stimulieren würden. Damit übereinstimmend wurde in klinischen Studien sowohl bei Verwendung von Interferonen als auch unter Einsatz des makrophagenstimulierenden Wachstumsfaktors (M-CSF) ein

schwaches Signal der Verbesserung des Krankheitsgeschehens bei einer unselektierten Population von Patienten mit Morbus Crohn beschrieben. Vor weiteren therapeutischen Versuchen sollte jedoch zunächst die Patientenpopulation mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen in Untergruppen aufgetrennt werden, um mögliche therapeutische Signale durch solche Eingriffe zuverlässiger ableiten zu können.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und andere chronisch-entzündliche Krankheitsbilder Für die molekulargenetische Analyse sehr großer Patientenpopulationen erwies sich das Instrument der Megaanalyse als besonders hilfreich. Hierzu werden die Rohdaten verschiedener Populationen aus eigenständigen Experimenten zusammengefasst. Durch die Zusammenlegung der Rohdaten und die Reanalyse erhöht sich die statistische Kraft gegenüber den zuvor kleinen Experimenten an „nur“ wenigen Tausend Patienten und Kontrollen um ein Vielfaches. In dieses ExperiDer Internist 2 · 2014 

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Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien

Abb. 4 8 Entwicklung molekularer Techniken und genetische Ätiologiestudien. Identifizierte Krankheitsgene. Im Jahr 2001 erfolgte die Identifikation von NOD2 und IBD5 als Krankheitsgene chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, insbesondere des Morbus Crohn. Bereits wenige Jahre später ermöglichten die fortschreitende Laborautomatisierung und der Einsatz chipbasierter Technologien die Durchführung systematischer genomweiter Assoziationsstudien, in denen jeweils eine Vielzahl von Krankheitsgenen identifiziert wurde. Dadurch kam es zu einer schnellen Zunahme replizierter, mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen assoziierter Krankheitsgene und Genregionen. Nachdem im Jahr 2010 erst 39 Krankheitsloci bekannt waren, kam dieser Prozess mit der Veröffentlichung einer genomweiten Assoziationsstudie an >75.000 Individuen zum Abschluss, die sowohl eine Megaanalyse fast sämtlicher vorhandener Studienpublikationen als auch Untersuchungen mit dem Immunochip beinhaltete. Derzeit sind mehr als 200 Krankheitsgene für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen annotiert und repliziert

ment, in dem zusätzlich ein spezifischer „Immunochip“ eingesetzt wurde, um etwa 160.000 Genvarianten direkt abzufragen, wurden fast 75.000 Patienten und Kontrollen eingeschlossen (. Abb. 4). Es wurden diverse neue Krankheitsgene und krankheitsassoziierte Genregionen identifiziert, die jedoch interessanterweise oft auch mit bereits bekannten Loci zusammenfielen und diese mit größerer Detailschärfe auflösten. Die Vielzahl der so identifizierten Krankheitsgene war für beide Subphänotypen, den Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa, gleichermaßen ursächlich. Der Einsatz des Immunochips erlaubte parallele Experimente auch an anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen, was einen direkten Vergleich mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ermöglichte. Viele der mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ätiologisch assoziier-

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ten Gene und Genvarianten sind auch für andere chronisch-entzündliche Krankheitsbilder von erheblicher Bedeutung. Dies trifft insbesondere auf die Spondylitis ankylosans und die Psoriasis zu. Interessanterweise zeigte sich auch eine scharfe Überschneidung mit mykobakteriellen Infektionen, die durch genomweite Expressionsanalysen gestützt wird. Somit ist durchaus davon auszugehen, dass ein Teil der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Patienten mit spezifischen Infektionen repräsentiert, wobei frühere funktionelle Studien – in der unsegmentierten Gesamtpopulation – den Nachweis einer kausalen Rolle von Mykobakterien niemals erbringen konnten. Eine weitere Beziehung zeigt sich schließlich zu metabolischen und chronischen neurologischen Erkrankungen, insbesondere zum Typ-1- und Typ-2-Diabetes und der Depression.

Diese globale Analyse markiert den vorläufigen Abschluss der systematischen genomweiten Suche nach krankheitsverursachenden Genvarianten. Durch die Nutzung neuer Sequenziertechniken wird es zukünftig möglich sein, nicht nur indirekt genetische Vergleiche durch Überlagerung von Polymorphismuskarten durchzuführen, sondern direkt jede einzelne Base von Patienten und Kontrollen gegenüberzustellen. Dennoch ist aus statistischen Gründen nicht zu erwarten, dass sich aus diesem Vorgehen eine hohe Zahl neuer Krankheitsgene ergibt. Vielmehr werden solche Technologien zu einer höheren Auflösung bereits bekannter Krankheitsloci führen und es erlauben, nicht nur Marker, sondern auch die ursächlichen Varianten und die davon ausgehenden Stoffwechselwege gleichzeitig zu identifizieren.

Die genomweite Analyse einer so großen Patientenzahl ermöglichte auch die statistische Modellierung der zugrunde liegenden evolutionären Selektionsprinzipien. Hierbei zeigte sich, dass einzelne Gene, z. B. TNFRSF18 oder TNFSF18, einer direktionalen Selektion unterliegen, d. h. einer Begünstigung von Variantenträgern in einem Alles-oder-nichts-Verfahren für das Überleben. Andere Krankheitsgene, wie NOD2 und IL23R, sind eher Produkt einer balancierten Selektion. Letzteres bedeutet, dass insbesondere die heterozygoten Individuen, bei denen nur eine Kopie des Gens die krankheitsassoziierte Variante trägt, unter dem Druck der Selektion einen Überlebensvorteil hatten.

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Neue Sequenziertechniken werden eine höhere Auflösung bekannter Krankheitsloci ermöglichen Solche Analysen, die derzeit für viele der chronischen Krankheiten durchgeführt werden und zur Einrichtung von ersten Lehrstühlen für evolutionäre Medizin geführt haben, sind von großer Wichtigkeit, weil sie ein mechanistisches Verständnis der Bedeutung und Herkunft krankheitsassoziierter Varianten ermöglichen. Verstünde man die Überlebensvorteile, die solche Varianten unter gänzlich anderen Umweltbedingungen geboten haben, würden sich auch neue Zugangswege eröffnen, ein „gesundes Leben“ zu definieren oder gezielte Hypothesen für Präventionseingriffe zu formulieren.

Ausblick Durch die technologische Entwicklung auf dem Gebiet molekulargenetischer Methoden und die Laborautomatisierung konnte die Vielfalt der chronischen Erkrankungen des Menschen jetzt mit genetischen Risikoarchitekturen unterlegt werden. Insbesondere die chronischentzündlichen Darmerkrankungen, für die mittlerweile über 200 Krankheitsgene und krankheitsassoziierte genetische Regionen identifiziert wurden, sind hier Vorreiter in einer breiten Bewegung gewesen, die mittlerweile eine Vielzahl chronischer Erkrankungen umfasst. Das sich da-

raus ergebende Verständnis der komplexen ätiologischen Vorgänge führt von den bisherigen pathophysiologischen Modellen weg und wird in wenigen Jahrzehnten in neuen therapeutischen Interventionsprinzipien münden. Ohne Zweifel ist dies ein Weg, auf dem noch viele klinische Studien konzipiert und durchgeführt werden müssen. Wahrscheinlich werden Interventionen, die unmittelbar auf die Beeinflussung ätiologisch relevanter Prinzipien zielen, nur in Frühphasen der Erkrankungen wirksam sein. Nach heutigen diagnostischen Kriterien wären diese Interventionen als gezielte Prävention einzustufen. Es ist jedoch zu erwarten, dass auch der Krankheitsbegriff geschärft werden muss. Er sollte eigentlich einen Prozess definieren, in dem die molekularen Vorgänge den „point of no return“ überschritten haben und in dem die weitere Entwicklung unweigerlich auf die erst später sichtbaren makromorphologischen Manifestationen der Erkrankung zutreibt.

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Die heutige organzentrierte Definition von Krankheit muss hinterfragt werden Die Ätiologie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zeigt eine enorme Überschneidung mit anderen Indikationsbereichen. Die bisherige Definition von Krankheiten ist im Wesentlichen durch eine Fokussierung auf anatomische Grenzen, d. h. Organe, geprägt. Da die Interventionsmöglichkeiten, die sich aus der Kenntnis genetischer Ursachen ergeben, dann auch eine Vielzahl von Indikationen gleichzeitig betreffen sollten, muss hinterfragt werden, ob die heutige organzentrierte Definition von Krankheit das richtige Strukturprinzip für solche Entwicklungen ist. Ähnlich der Entwicklung in der Tumortherapie ist zu erwarten, dass es Entzündungstherapeutika geben wird, die oberhalb der jetzigen Krankheitsbegrifflichkeiten eingesetzt werden, deren Einsatz aber ein entsprechendes Spezialwissen und begleitende molekulare Analysen erfordert. Bereits heute sollte das klinische Bewusstsein für Komorbiditäten geschärft werden. Die systematische Charakterisierung von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankun-

gen, aber auch groß angelegte epidemiologische Studien, die solche Patientenpopulationen über lange Zeit beobachten, lassen vermuten, dass die Vermeidung von Komorbiditäten von großer Bedeutung für die Definition optimaler Therapieziele in der Langzeitbehandlung ist. Die enge Interaktion zwischen genetisch-ätiologischen Suszeptibilitätsmechanismen und der intestinalen Mikroflora ist zweiseitig zu betrachten. Das gegenwärtige Verständnis des intestinalen Mikrobioms und seiner Funktion befindet sich noch in der Frühphase eines molekularen Forschungsprozesses, der jedoch technologisch noch erheblich größere Herausforderungen zu meistern hat als die Exploration des menschlichen Genoms. Zu erwarten ist aber, dass gerade die Möglichkeiten, das intestinale Mikrobiom gezielt positiv zu beeinflussen, eine wesentliche therapeutische Option der Zukunft darstellen. Darüber hinaus könnte das Verständnis des intestinalen Mikrobioms auch zu neuen Biomarkern für den gezielten Einsatz von Therapien führen. Solche Forschungsprozesse lassen sich nur in großen Konsortien bewältigen, die indikationsübergreifend und international organisiert werden. Hier ist Deutschland international sichtbar, da das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die letzten Jahrzehnte eine weitsichtige gezielte Forschungsförderung praktiziert hat.

Fazit für die Praxis F Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen umfassen ein Spektrum von Entzündungsformen, in dem der „typische“ Morbus Crohn und die „typische“ Colitis ulcerosa die Antipoden eines fließenden Übergangs darstellen. F Krankheitsgene und krankheitsassoziierte Genregionen des Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa sind von Bedeutung für die epitheliale Barrierefunktion, aber auch für die generelle Funktion der Epithelzelle und die adaptive Immunität. F Die genetische Ätiologie chronischentzündlicher Darmerkrankungen ist überraschend polygen. Zudem sind viele der Krankheitsgene auch für Der Internist 2 · 2014 

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Schwerpunkt: Genomweite Assoziationsstudien chronische Erkrankungen relevant, die vordergründig nicht mit dem Darm assoziiert sind. F Die Aufklärung der ursächlichen genetischen Prinzipien inklusive der damit verbundenen primären pathophysiologischen Ereignisse wird in den nächsten Jahrzehnten die Entwicklung neuer Therapieverfahren ermöglichen. F Komorbiditäten werden angesichts der meist jungen Patientenpopulationen wahrscheinlich unterschätzt. Sie sollten stärker in den klinischen Fokus rücken. Wichtig ist dies insbesondere hinsichtlich des Langzeitverlaufs der Erkrankung.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. S. Schreiber Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel Schittenhelmstr. 12, 24105 Kiel [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  S. Schreiber, P. Rosenstiel und A. Franke geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Hanauer SB, Feagan BG, Lichtenstein GR et al (2002) Maintenance infliximab for Crohn’s disease: the ACCENT I randomised trial. Lancet 359:1541– 1549   2. Colombel JF, Sandborn WJ, Rutgeerts P et al (2007) Adalimumab for maintenance of clinical response and remission in patients with Crohn’s disease: the CHARM trial. Gastroenterology 132:52–65   3. Schreiber S, Khaliq-Kareemi M, Lawrance IC et al (2007) Maintenance therapy with certolizumab pegol for Crohn’s disease. N Engl J Med 357:239– 250 [Erratum in: N Engl J Med (2007) 357:1357]   4. Hueber W, Sands BE, Lewitzky S et al (2012) Secukinumab, a human anti-IL-17A monoclonal antibody, for moderate to severe Crohn’s disease: unexpected results of a randomised, double-blind placebo-controlled trial. Gut 61:1693–1700   5. Hindryckx P, Laukens D, Serry G et al (2011) Subclinical gut inflammation in spondyloarthritis is associated with a pro-angiogenic intestinal mucosal phenotype. Ann Rheum Dis 70:2044–2048   6. Hugot JP, Chamaillard M, Zouali H et al (2001) Association of NOD2 leucine-rich repeat variants with susceptibility to Crohn’s disease. Nature 411:599–603

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Der Internist 2 · 2014

Fachnachrichten

  7. Ogura Y, Bonen DK, Inohara N et al (2001) A frameshift mutation in NOD2 associated with susceptibility to Crohn’s disease. Nature 411:603–606   8. Hampe J, Cuthbert A, Croucher PJ et al (2001) Association between insertion mutation in NOD2 gene and Crohn’s disease in German and British populations. Lancet 357:1925–1928 [Erratum in: Lancet (2002) 360:806]   9. Albrecht M, Domingues FS, Schreiber S, Lengauer T (2003) Structural localization of disease-associated sequence variations in the NACHT and LRR domains of PYPAF1 and NOD2. FEBS Lett 554:520– 528 10. Franke A, McGovern DP, Barrett JC et al (2010) Genome-wide meta-analysis increases to 71 the number of confirmed Crohn’s disease susceptibility loci. Nat Genet 42:1118–1125 11. Daley D, Lemire M, Akhabir L et al (2009) Analyses of associations with asthma in four asthma population samples from Canada and Australia. Hum Genet 125:445–459 12. Zhang FR, Huang W, Chen SM et al (2009) Genomewide association study of leprosy. N Engl J Med 361:2609–2618 13. Lao O, Lu TT, Nothnagel M et al (2008) Correlation between genetic and geographic structure in Europe. Curr Biol 18:1241–1248 14. Franke A, Balschun T, Sina C et al (2010) Genomewide association study for ulcerative colitis identifies risk loci at 7q22 and 22q13 (IL17REL). Nat Genet 42:292–294 15. Glocker EO, Kotlarz D, Boztug K et al (2009) Inflammatory bowel disease and mutations affecting the interleukin-10 receptor. N Engl J Med 361:2033– 2045 16. Jostins L, Ripke S, Weersma RK et al (2012) Hostmicrobe interactions have shaped the genetic architecture of inflammatory bowel disease. Nature 491:119–124

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Call for Abstracts: „Der besondere Fall“ 42. DGRh-Kongress,   17.–20. September 2014, Düsseldorf Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rheumatologie ist spannend und lehrreich, unsere Fälle sind garniert mit exzeptionellen Diagnosen und besonderen Verläufen. Wir alle betreuen Patienten, deren Diagnose oder Verlauf durch ihre Seltenheit, die besondere Präsentation des Krankheitsfalles, ihren überraschenden Ausgang oder ihre innovative Therapieform besticht. Dieser Tatsache Rechnung tragend will das Programmkomitee der DGRh für den kommenden Kongress in Bochum das Forum „Der besondere Fall“ fortführen, das in den letzten Jahren großen Anklang gefunden hat. Im Forum „Der besondere Fall“ sollen Fälle aus dem vielfältigen Repertoire rheumatologischer Krankheitsbilder mit o. g. Besonderheiten präsentiert werden. Die sechs spannendsten Fälle werden ausgewählt und während eines eigenen Symposiums präsentiert. Ein solches Symposium kann nur durch Ihre aktive Teilnahme gelingen: Somit laden wir Sie ein, uns Ihre exzeptionellen Fälle in Abstract-Form zu beschreiben und einzureichen. Die Abstracts sollten gegliedert sein in: 1. Vorgeschichte 2. Leitsymptome bei Krankheits­ manifestation 3. Diagnostik 4. Therapie 5. weiterer Verlauf Im Titel soll die letztendliche Diagnose nicht genannt sein, um die Spannung zu erhalten. Die Fälle können im Rahmen des AbstractVerfahrens der DGRh bis 30.04.2014 online eingereicht werden – mit dem „Call for Abstracts“ informieren wir Sie über die Details. Wir sind gespannt auf Ihre Beiträge und freuen uns auf eine neue und interessante Session in Düsseldorf! Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz

[Genetic etiology of chronic inflammatory bowel disease].

Crohn's disease and ulcerative colitis are the two main forms of inflammatory bowel disease. Inflammatory bowel diseases have a life time prevalence o...
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