Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Stand der hausärztlichen Palliativversorgung in Deutschland Ein systematischer Literaturreview General practitioners in palliative care in Germany: a systematic review

Autoren

D. Becka1 A. Riese2 R.P. T. Rychlik1 B. Huenges1 H. Rusche1

Institut

1 Abteilung für Allgemeinmedizin, Ruhr-Universität Bochum 2 Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Burscheid

Palliativmedizin

Die ambulante palliativmedizinische Versorgung ▼

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Schlüsselwörter Palliativversorgung Sterbebegleitung ambulante Versorgung Hausarzt

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Keywords palliative care terminal care outpatient care general practitioner

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eingereicht 26.02.2014 akzeptiert 17.07.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1387257 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 : 2254–2258 · © Georg 0 Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. Dr. med. Reinhard PT Rychlik Denise Becka Ruhr-Universität Bochum Abteilung für Allgemeinmedizin Universitätsstraße 150 44801 Bochum eMail [email protected]

Der ambulante palliativmedizinische Versorgungsbedarf schwerstkranker Patienten mit einer absehbar begrenzten Lebenserwartung wird weiter steigen. Aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt die Zahl älterer und hochbetagter Menschen zu und das Krankheitsspektrum in der Gesellschaft verschiebt sich hin zu chronischen Erkrankungen und Multimorbidität. Die Versorgung und Betreuung von Palliativpatienten in der häuslichen Umgebung ist eine traditionelle Aufgabe des Hausarztes. Sie beinhaltet neben Symptomkontrolle und Schmerztherapie auch die Begleitung von Patienten und deren Angehörigen im Sterbeprozess. Diese ist geprägt von einer vertrauensvollen, langjährig gewachsenen Arzt-Patient-Beziehung [12]. Die psychosoziale und mentale Unterstützung der Patienten gewinnt am Lebensende an Bedeutung [2], dementsprechend erfordert die palliative Versorgung eine hohe soziale Kompetenz des Arztes und in der Regel auch mehr Zeit als eine Routinebehandlung. Da Patienten mehrheitlich zu Hause sterben möchten, sollte die ideale ambulante Palliativbetreuung zwischen den beteiligten Versorgern optimal organisiert sein und eine an der Lebensqualität der Patienten ausgerichtete Betreuung gewährleisten können. Die ambulante Palliativversorgung hat sich mit der Einführung der Spezialisierten Ambulanten Palliatv Versorgung (SAPV) im Jahr 2007 in den letzten Jahren zunehmend differenziert und spezialisiert. Von der spezialisierten Versorgung profitieren Patienten, die aufgrund bestimmter Erkrankungen einen besonderen fachlichen Versorgungsbedarf haben mit einer hohen Konzentration auf Tumorpatienten. Allerdings ist die Zielgruppe mit einem Versorgungsbedarf gemäß der SAPV relativ klein (15–20 % der Palliativpatien-

ten) [1]. Zugleich ist zu beobachten, dass in verschiedenen Regionen mit Blick auf die palliativmedizinischen Versorgungsstrukturen und die beteiligten Leistungserbringer unterschiedliche Entwicklungsstufen vorliegen und sich z. T. noch in der Pilotphase befinden [9]. Entsprechend sind SAPV-Verträge bis heute nicht flächendeckend in allen Bundesländern wirksam [12]. Mit Blick auf die beschriebenen Tendenzen hin zu einer spezialisierten Palliativversorgung stellt sich die Frage, ob und wie sich die Rolle des Hausarztes als langjährigem Partner und Begleiter des Patienten in der ambulanten Versorgung am Lebensende verändert und welche neuen Entwicklungen, Kooperationen und Versorgungsstrukturen zwischen hausärztlicher und spezialisierter Palliativversorgung entstehen. Um die Rolle des Hausarztes in der ambulanten Palliativversorgung abschätzen zu können, wurde ein systematischer Literaturreview durchgeführt, der folgende Fragen beantworten soll: 3 Welche Fragen sind Gegenstand der derzeitigen Forschungen im Bereich der ambulanten Palliativmedizin? 3 Gibt es neue Entwicklungen von Kooperationsbeziehungen, wie z. B. fachübergreifende Zusammenarbeiten mit hausärztlicher Beteiligung? 3 Welche Maßnahmen werden entwickelt, die auf eine Verbesserung der Versorgungsqualität der hausärztlichen Palliativversorgung abzielen?

kurzgefasst Die Versorgung Sterbender erfordert eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung und eine bedürfnisgerechte Versorgung. Welche Rolle spielt hier die Allgemeinmedizin und was kann sie in Forschungsarbeiten zur Verbesserung der ambulanten Palliativversorgung beitragen?

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Allgemeinmedizin

Allgemeinmedizin

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Anästhesiologie

Anästhesiologie

Onkologie

Sonstige

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Abb. 1 Zuordnung der Erstautoren von Publikationen zur ambulanten Palliativversorgung.

Palliativmedizin

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Sonstige

Abb. 2 Zuordnung der Letztautoren von Publikationen zur ambulanten Palliativversorgung.

Methodik und Suchergebnisse ▼

Der Hausarzt als Forscher ▼

Die systematische Literaturrecherche wurde am 3.4.2013 in einer Sitzung in den vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bereitgestellten Datenbanken durchgeführt. Zusätzlich wurde eine Internetrecherche in drei Sitzungen durchgeführt.

Im Gesamtkontext der Forschungsarbeiten zur ambulanten Palliativversorgung ist das Feld klassisch besetzt von Forschungen aus Instituten für Palliativmedizin mit 12 Erstautoren und 10 Letztautoren, gefolgt von 9 Erstautoren und 11 Letztautoren aus Kliniken für Anästhesiologie (q Abb. 1, q Abb. 2). Mit 9 Erstautoren und 5 Letztautoren der Publikationen sind Forschungsarbeiten aus der Allgemeinmedizin im Kontext der ambulanten Palliativversorgung jedoch nicht unterrepräsentiert. Aus der Onkologie, die ebenfalls Berührungspunkte mit der Palliativmedizin hat, stammen 3 Letztautoren. Vereinzelt forschen jedoch auch Wissenschaftszweige außerhalb der Medizin, u. a. Arbeitsund Sozialpsychologie, Pflegewissenschaften sowie Gesundheitsökonomie zur ambulanten Palliativversorgung, die unter „Sonstige“ zusammengefasst sind.

Die Suchstrategie umfasste die Begriffe „palliativ“ oder „palliation“. Die Einschränkung auf ein Erscheinungsjahr ab 2000 sollte gewährleisten, dass die Publikationen sich auf die aktuelle Situation beziehen. Zusätzlich sollte die Publikation „deutsch“ oder „german“ beinhalten. Des Weiteren wurde die Suche durch die Begriffe „schmerz“ oder „pain“ sowie „ambulant“ oder „outpatient“ sowie „hausarzt“, weiter eingeschränkt. Verschiedene Trunkierungen wurden berücksichtigt. Bei der Freihandsuche im Internet wurde analog zur systematischen Datenbankrecherche vorgegangen.

kurzgefasst Es wurden 411 Publikationen gefunden, nach Duplikatencheck verblieben 395 Literaturstellen. Nachdem eine weitere Auswahl über den Titel bzw. den Abstract getroffen wurde, wurden 60 Volltexte gesichtet. Es wurden schließlich 52 Literaturstellen in den Literaturreview eingeschlossen, die Daten aus Deutschland enthalten bzw. sich auf die deutsche Situation der ambulanten Palliativversorgung beziehen. Die systematische Auswertung der Publikationen erfolgte anhand eines Erhebungsbogens, mithilfe dessen für jede Studie jeweils Design und Methodik, Evidenzklasse, Reichweite, Zielgruppe/n, die Struktur der Beteiligten sowie das Forschungsthema erfasst wurden.

Ergebnisse ▼ Alle einbezogenen Studien stammen aus Deutschland, wobei 13 der insgesamt 52 Publikationen in englischer Sprache verfasst sind. Bei 45 Publikationen handelt es sich um empirische Forschungsarbeiten, während es sich bei den übrigen Studien um Expertenmeinungen und Übersichtsarbeiten ohne empirischen Hintergrund handelt. Die Mehrheit der empirischen Forschungsarbeiten bewegt sich auf einem Evidenzniveau der Klassen III und IV. Darunter befinden sich v. a. Befragungen von Leistungserbringern, Patienten oder (pflegenden) Angehörigen. 10 Studien waren retrospektiv angelegt, 3 Studien wurden prospektiv durchgeführt. Unter den gesichteten Studien befanden sich außerdem 6 Sekundärdatenanalysen, die Patientendaten anhand von Dokumentationssystemen auswerteten sowie eine Kohortenstudie.

Das Forschungsfeld der ambulanten Palliativversorgung ist klassisch besetzt durch Forschungen aus palliativmedizinischen Instituten. Hausärzte sind als Forscher in Studien zur ambulanten Palliativversorgung jedoch nicht unterrepräsentiert.

Zielgruppen der Studien: Patienten und Angehörige ▼ Die Zielgruppen der gesichteten Studien zur palliativmedizinischen Versorgung sind zumeist nicht näher bezeichnete „Palliativpatienten“ (14 Studien) oder Krebspatienten (12 Studien). Nur sehr wenige Studien rücken Patienten mit spezifischen Erkrankungen außerhalb der Onkologie in den Mittelpunkt, beispielsweise MS-Patienten. Auch im Bereich der Altersmedizin wird wenig zur Palliativmedizin geforscht: Lediglich eine Studie ist auf die Betreuungssituation demenzkranker Patienten ausgerichtet, allerdings ließen sich keine weiteren Studien mit einem besonderen Fokus auf Alterspatienten oder multimorbide Patienten finden. Als „Sprachrohr“ für Patienten wurden überwiegend Angehörige zur Beurteilung der Qualität der ambulanten bzw. hausärztlichen Palliativversorgung befragt. Patienten stellen dementsprechend häufig eine „passive“ Zielgruppe dar. Pflegende Angehörige sind in der Regel sehr intensiv in die häusliche Betreuung und Pflege von Palliativpatienten involviert und können die Bedürfnisse und das

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Palliativmedizin

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tungen starben als zu Hause [5]. Auch eine Interviewstudie mit Hausärzten kommt zu dem Ergebnis, dass diese eine intensive Betreuung leisten und beispielsweise in der terminalen Phase für Palliativpatienten „rund um die Uhr“ erreichbar sind [11]. Publikationen aus der Allgemeinmedizin

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Publikationen aus anderen Disziplinen

Abb. 3 Forschungsarbeiten zur hausärztlichen Palliativversorgung.

Empfinden ihrer erkrankten Angehörigen am besten erfassen. Pflegende Angehörige sind somit eine wichtige Zielgruppe für die Beurteilung der Versorgungsqualität. Zwei Studien beziehen sich allerdings explizit auf Unterstützungsmöglichkeiten sowie die Zufriedenheit und Lebensqualität von pflegenden Angehörigen selbst.

Die hausärztliche Palliativversorgung als Forschungsgegenstand ▼ Auf die explizit hausärztliche Betreuung im Rahmen der ambulanten Palliativversorgung beziehen sich insgesamt 16 der 52 eingeschlossenen Publikationen. Aus Instituten und Abteilungen für Allgemeinmedizin stammen 10 Publikationen, während 6 Publikationen zur hausärztlichen Palliativversorgung von Autoren aus Instituten verschiedener anderer medizinischer Fachgebiete verfasst wurden (q Abb. 3). Auch (Haus-)Ärzte waren in 12 Studien Zielgruppe von Forschungsarbeiten und wurden somit selbst zum Forschungsgegenstand. Hausärzte sind an der Qualität der eigenen Versorgungsleistungen interessiert – deshalb beziehen sich nicht nur Befragungen von Patienten und Angehörigen auf die Qualität der hausärztlichen Betreuung. Insbesondere Forschungen zu Zusatzqualifikationen mit Akzeptanz- und Wirkungsmessungen sowie die Entwicklung und Evaluation einer hausärztlichen Leitlinie zielen ganz konkret auf eine Qualitätssteigerung der hausärztlichen Palliativmedizin. Aus diesem Grund wird ein Fokus in der inhaltlichen Diskussion der eingeschlossenen Studien neben den klassischen Strukturfragen sowie der empfundenen Versorgungsqualität durch Patienten und Angehörige auf Maßnahmen zur Qualitätssteigerung der hausärztlichen Palliativversorgung gelegt.

kurzgefasst Neben Patienten und Angehörigen wird der Hausarzt in Studien zur ambulanten Palliativversorgung auch selbst zur Zielgruppe von Forschungsarbeiten.

Ambulante Versorgungsstrukturen Die Versorgungssituation hausärztlich betreuter Palliativpatienten wurde in 2 Studien explizit untersucht. In Bezug auf die hausärztliche Konsultationsdichte gaben Hausärzte eine Zunahme der Betreuungsfrequenz am Lebensende an, obwohl letztendlich mehr Patienten in Krankenhäusern und Pflegeeinrich-

Die Charakteristika hausärztlicher Patienten unterschieden sich von spezialisiert betreuten Patienten hinsichtlich der Grunderkrankungen und Symptome [5, 11]. Häufiger von Hausärzten betreut werden Patienten mit nicht-malignen, chronischen Erkrankungen oder multimorbide und Demenzpatienten. Entsprechend wird der Hausarzt als Ansprechpartner insbesondere für diejenigen Patienten charakterisiert, die einer palliativmedizinischen Betreuung bedürfen, jedoch keinen spezialisierten Versorgungsbedarf aufweisen [12]. Hausärzte sehen sich jedoch einer Studie zufolge mit großer Mehrheit auch für die Versorgung von Krebspatienten zuständig [14]. Als wichtigstes Versorgungselement wurde von Hausärzten die Schmerztherapie genannt. Verbesserungsbedarfe werden von Hausärzten insbesondere bei der psychosozialen und seelsorgerischen Betreuung gesehen [11, 14]. Aus Sicht befragter Allgemeinmediziner könnte die ambulante Palliativversorgung von einer Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit mit anderen beteiligten Berufsgruppen sowie einer Definition von Zuständigkeiten und Kooperationsbeziehungen profitieren [11, 13]. Hausärzte sind Studien zufolge für interdisziplinäre Kooperationen aufgeschlossen, wie Zusammenarbeiten mit ambulanten Palliativpflegeteams, palliativärztlichen Konsiliardiensten oder eine punktuelle Mitbetreuung durch Palliativmediziner [11]. Dass eine übergreifende Koordination und Organisation der Palliativbetreuung die Zusammenarbeit von Palliative Care Teams mit Haus- und Fachärzten verbessern kann, wurde durch eine Befragung von Palliativnetzen herausgearbeitet. Hier wurde allerdings auch deutlich, dass sich die Strukturqualität – als Voraussetzung für fachübergreifende Kooperationen – in städtischen und ländlichen Gebieten sehr unterschiedlich darstellt. Eine hausärztliche Beteiligung in spezialisierten Versorgungsstrukturen wie der SAPV oder Palliativnetzen ist in den eingeschlossenen Studien, die institutionalisierte Kooperationspartnerschaften untersuchen (z. B. in Modellprojekten zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung), jedoch nicht häufig erwähnt. Da bisher erst wenige Studien zur SAPV abgeschlossen und publiziert wurden, konnten lediglich zwei Studien identifiziert werden, die explizit auf die SAPV gerichtet sind, obwohl spezialisierte Palliativteams in den eingeschlossenen Studien deutlich häufiger beteiligt sind. Zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung sowie innerhalb der verschiedenen SAPV-Musterverträge konnten im Rahmen von Befragungen von Ärzten und Pflegediensten zur Versorgungssituation große Unterschiede festgestellt werden [5, 9], was vermutlich auch der unterschiedlichen Begriffsverwendung Rechnung trägt.

kurzgefasst Die hausärztliche Betreuung konzentriert sich auf Patientengruppen mit chronischen, nicht-malignen Erkrankungen ohne spezialisierten Betreuungsbedarf. Interprofessionelle Versorgungskonzepte sind derzeit noch selten, in den nächsten Jahren sind jedoch neue Erkenntnisse aus den laufenden Forschungen zur SAPV zu erwarten.

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Für eine ganzheitliche Versorgung ideal wird die häufig langjährige Beziehung zwischen Patienten und ihren Hausärzten betrachtet [12]. Dass den kommunikativen und psycho-sozialen Versorgungselementen in der Palliativversorgung ein hoher Stellenwert zukommt, ist unbestritten. Die Versorgungsqualität wird anhand der Einschätzungen und Meinungen von Palliativpatienten selbst oder von Angehörigen erfasst (per Fragebogen oder anhand von Interviews). Angehörige wurden deutlich häufiger als Sprachrohr der Patienten befragt, da diese aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsstadiums selbst keinen Fragebogen ausfüllen können. Entsprechend wurde Fragen zur Qualität der Patientenversorgung überwiegend anhand der Beurteilung durch Angehörige [1, 4] nachgegangen. Eine qualitative Studie zeigt eine große Zufriedenheit mit der hausärztlichen Betreuung (nicht explizit AAPV), sowohl hinsichtlich der Erreichbarkeit als auch mit der emotionalen Begleitung der Hausärzte [1]. Eine andere Studie mit Blick auf die Versorgung vor Einführung der SAPV kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Qualität der hausärztlichen Betreuung aus Sicht der Angehörigen weniger gut bewertet wird als die Betreuung durch ambulante Pflegedienste, insbesondere hinsichtlich der verfügbaren Zeit und der psychosozialen Versorgung [4]. Die Zusammenarbeit zwischen ambulanten Pflegediensten und Hausärzten wird in einer Befragung leitender Mitarbeiter von Pflegediensten geringfügig weniger gut beurteilt als die Zusammenarbeit mit Hospizen und Hospizdiensten. Als verbesserungswürdig im Gesamtkontext der Versorgung wurden auch hier insbesondere die psychosozialen Versorgungselemente beurteilt. In der spezialisierten Palliativversorgung vor Einführung der SAPV konnte anhand einer Studie eine große Zufriedenheit pflegender Angehöriger mit der Versorgungsqualität festgestellt werden [10]. Die für die befragten Angehörigen wichtigsten Elemente, die in der Versorgung erfüllt wurden, waren „Menschlichkeit, die zur Verfügung gestellte Zeit und die ständige Erreichbarkeit“. Diese Punkte unterstreichen die bereits angesprochene Relevanz psychosozialer Versorgungselemente für Patienten und deren Angehörige. In Studien, die Angehörige selbst als Zielgruppe in den Mittelpunkt der Untersuchung stellen, wurden die Belastungen und Unterstützungsbedarfe pflegender Angehöriger untersucht. Die Erkenntnisse wurden beispielsweise in ein hausärztliches Unterstützungsangebot für pflegende Angehörige übersetzt [6]. Eine Studie widmet sich (sogar explizit über den Versorgungszeitraum der Patienten hinweg) der Untersuchung der postmortalen Trauerverarbeitung von Angehörigen. Empfohlen wird eine Anschlussversorgung von hinterbliebenen Angehörigen mit spezialisierten ambulanten Hilfsangeboten, um das Risiko pathologischer Trauerreaktionen zu vermindern [16].

Palliativmedizinische Qualifikationen Obwohl lediglich zwei Arbeiten palliativmedizinische Qualifikationen für Hausärzte explizit in den Mittelpunkt der Betrachtung stellten [3, 15], werden diese deutlich häufiger – insbesondere in Forschungsarbeiten, die aus der Allgemeinmedizin stammen – thematisiert, so dass anzunehmen ist, dass palliativmedizinische Qualifikationen für Hausärzte derzeit einen bedeutenden Stellenwert einnehmen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme von Qualifikationsmaßnahmen wurden eine hohe Motivation und großes Engagement der Ärzteschaft beobachtet [11, 13, 14]. Die Entwicklung einer Leitlinie zur Palliativversorgung in hausärztlichen Qualitätszirkeln in Hessen zeugt ebenfalls von einem großen Interesse an einer Verbesserung der Versorgung. Die Leitlinie stieß bei den befragten Anwendern auf große Akzeptanz – den Empfehlungen der Leitlinie wurde eine hohe Praxisrelevanz zugeschrieben [13]. Allerdings wurden die fachlichen Empfehlungen als relevanter bewertet als die Empfehlungen zur Gesprächsführung mit Patienten und Angehörigen. In einem Vergleich der Übereinstimmung von Arzt-Patientensicht nach einer Fortbildung kamen die Autoren jedoch zu dem Ergebnis, dass die Einschätzungen von Ärzten, die einen Fortbildungskurs absolviert hatten, sich in höherem Maße von denen der Patienten unterschieden, so dass Ängste von Patienten von Hausärzten weniger wahrgenommen wurden [8]. In Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Patienten konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang mit der Teilnahme des behandelnden Hausarztes an einer palliativmedizinischen Fortbildung nachgewiesen werden [7]. Auch hinsichtlich des Kenntnisstandes von Hausärzten konnte einer palliativmedizinischen Fortbildungsreihe kein Effekt nachgewiesen werden [15]. Gleichwohl konstatierte die Mehrheit der Teilnehmer eine Vertiefung ihrer Kenntnisse sowie einen Zugewinn an Sicherheit durch die Fortbildungsreihe [15]. Zur Verbesserung der palliativmedizinischen Kompetenzen werden weiterhin Fortbildungsmaßnahmen zur Vertiefung des Wissens, zur Identifizierung von Wissenslücken und zur Anregung [7] sowie ein praxisorientiertes Lernen der an der ambulanten Versorgung beteiligten Berufsgruppen (niedergelassene Ärzte, Pflegedienste) sowie von Experten bzw. Palliative Care Teams vor Ort empfohlen. Darüber hinaus werden eine stärkere Berücksichtigung palliativmedizinischer Inhalte in den medizinischen Ausbildungscurricula [5] sowie die Entwicklung von palliativmedizinischen Leitlinien für Hausärzte angeregt [11].

kurzgefasst Hausärzte sind an der Qualitätsentwicklung der hausärztlichen Palliativversorgung interessiert und für Fortbildungen aufgeschlossen. Für den Nutzen palliativmedizinischer Zusatzqualifikation konnte bisher kein Nachweis erbracht werden.

kurzgefasst

Fazit ▼

Die Versorgungsqualität der ambulanten Palliativbetreuung wird überwiegend über die Einschätzungen von Angehörigen erfasst. Defizite werden am häufigsten in der psychosozialen Versorgung von Palliativpatienten identifiziert.

Die Forschungslandschaft auf dem Gebiet der ambulanten Palliativmedizin ist gekennzeichnet von einer hohen hausärztlichen Beteiligung. Dieses Ergebnis zeigt, dass Hausärzte als wichtige Akteure der ambulanten Palliativversorgung verstanden werden können. Aufgrund der intensiven Einbindung von Angehörigen

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Versorgungs- und Lebensqualität

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in die Versorgung – einerseits als Bezugspersonen von Patienten und andererseits auch als von Belastungssituationen Betroffene – sind Hausärzte auch wichtige Ansprechpartner für Angehörige, so dass sich die Dyade der Arzt-Patient-Beziehung in der Palliativversorgung zu einer Triade aus Arzt, Patient und Angehörigen erweitern lässt. Die ambulante Palliativversorgung von älteren und multimorbiden Patienten durch Hausärzte ist in der Literatur angesichts des zu erwartenden zunehmenden Stellenwertes bislang eher unterrepräsentiert. Es gibt derzeit kaum Studien zur Institutionalisierung von fachübergreifenden Zusammenarbeiten zwischen Hausärzten und Palliativmedizinern. Allerdings wird die Bedeutung von Spezialisierungen und Zusatzqualifikationen in der hausärztlichen Palliativversorgung und -forschung häufig thematisiert. So finden sich derzeit deutlich mehr Studien, die palliativmedizinische Zusatzqualifikation für (Haus-)Ärzte thematisieren, als dass fachübergreifende Kooperationsstrukturen entwickelt, getestet oder gelebt werden. Qualifizierungsmaßnahmen zur Verbesserung der Qualität der hausärztlichen Palliativversorgung stoßen auf eine hohe Fortbildungsbereitschaft bei Hausärzten, jedoch zeigten sich in Evaluationen noch keine signifikanten Verbesserungen. Um die Anschlussfähigkeit der Fortbildungsmaßnahmen an die Versorgung zu verbessern, empfehlen vorliegende Studien, mit spezialisierten Teams zusammenzuarbeiten, wodurch sich zugleich Zugangschancen für die Entwicklung interprofessioneller Kooperationspartnerschaften und Netzwerke zwischen Hausärzten und Palliativmedizinern im Rahmen der ambulanten Palliativversorgung eröffnen könnten.

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Die ambulante Palliativversorgung ist nach wie vor ein wichtiges Wirkungs- und Forschungsfeld von Hausärzten. Auch Selbsteinschätzungen zufolge sehen sich Hausärzte für die Versorgung von Palliativpatienten zuständig. 3Von großer Relevanz für die ambulante Versorgung von Palliativpatienten ist die Verbesserung der psycho-sozialen Betreuung. 3Wenngleich bisher nicht an der Tagesordnung, werden jedoch aufgrund der Veränderung der ambulanten Versorgungsstrukturen kooperative, interprofessionelle Zusammenarbeiten, aber auch die Definition und Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen zwischen Hausärzten, Fachärzten und (Fach-)PflegerInnen in Zukunft immer wichtiger. 3Für die Weiterentwicklung der palliativmedizinischen Kenntnisse und Fertigkeiten von Hausärzten erweisen sich Fortbildungsmaßnahmen als relevante Ansätze, die jedoch mit praktischen Erfahrungen im Rahmen von fachübergreifenden Zusammenarbeiten unterfüttert werden sollten.

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Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

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[General practitioners in palliative care in Germany: a systematic review].

To investigate the role of general practitioners among the increasing specialization in outpatient palliative care, meaningful research topics, develo...
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