Übersicht

Genderspezifische Unterschiede des Lungenkarzinoms Gender Differences in Lung Cancer

Autor

K. Welcker

Institut

Klinik für Thoraxchirurgie, Kliniken Maria Hilf, Mönchengladbach, Deutschland

Schlüsselwörter " Überleben l " Thoraxchirurgie l " Prognosefaktor l " Lungenkarzinom l " Gender l

Zusammenfassung

Abstract

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!

Immer mehr Frauen erkranken an Lungenkrebs. Im Vergleich zu erkrankten Männern sind sie jünger und häufiger Nieraucher, auch finden sich bei ihnen häufiger Adenokarzinome. Ihre Prognose scheint nach chirurgischer Therapie im frühen Tumorstadium besser als bei Männern zu sein. Da bei Frauen häufiger für das Tumorwachstum maßgebliche Treibergene gefunden werden, die Angriffspunkte für zielgerichtete Medikamente sein können, ist ein größerer therapeutischer Erfolg durch zielgerichtete stratifizierte medikamentöse Behandlungen bei ihnen möglich. Ziel dieser Übersicht ist die Darstellung einiger genderspezifischer Unterschiede bei Diagnostik und Therapie von Lungenkrebs.

More and more women suffer from lung cancer. In comparison to the male patients they are younger and more likely never-smokers. Adenocarcinomas are more frequently in women than in men. Their long-time survival post curative resection in early stage non-small-cell lung cancer is better than in men. Women show frequently more molecular changes: more molecular targets are found. Therefore they might benefit more from target-oriented stratified medical treatments. This overview comments on the genderspecific differences in diagnostics, treatment and outcome of lung cancer.

Einleitung

Epidemiologie

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Jede 4. diagnostizierte Krebserkrankung weltweit ist ein Lungenkarzinom. Darüber hinaus ist es die häufigste zum Tode führende Krebsart. Während bei Männern Lungenkrebs die meisten krebsbedingten Todesfälle verursacht, steht das Lungenkarzinom bei Frauen weltweit noch an 3. Stelle der krebsbedingten Todesfälle. Allerdings steigt die Zahl der Neuerkrankungen bei Frauen seit 1990 kontinuierlich an [1]. Neuere Studien und molekulargenetisch gesteuerte Therapieansätze zeigen, dass Frauen vor allem im frühen Tumorstadium und beim histologischen Nachweis eines Adenokarzinoms eine signifikant höhere Überlebenswahrscheinlichkeit im Vergleich zu Männern haben. Das Herausarbeiten geschlechterspezifischer Unterschiede in Prävalenz, Diagnostik und Therapie ist somit gerade beim Lungenkrebs von immenser Bedeutung. Einen Einblick in den aktuellen Stand gendermedizinischer Besonderheiten soll diese Übersicht geben.

Weltweit

Key words " survival l " thoracic surgery l " prognostic factors l " lung cancer l " gender l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1396231 Online-publiziert 23.04.2015 Zentralbl Chir 2015; 140: 260–265 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0044‑409X Korrespondenzadresse Dr. med. Katrin Welcker FEBTS MBA Klinik für Thoraxchirurgie Kliniken Maria Hilf Sandradstraße 43 41061 Mönchengladbach Deutschland Tel.: 0 21 61/3 58 15 80 Fax: 0 21 61/3 58 15 82 [email protected]

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Lungenkrebs verursacht weltweit bei Männern die meisten krebsbedingten Todesfälle, bei Frauen steht er zur Zeit noch an 3. Stelle. Als Tumorerkrankung wird global der Lungenkrebs bei Männern an 1. Stelle und bei Frauen an 2. Stelle nach dem Mammakarzinom diagnostiziert [2]. Regionalgeografische Unterschiede zeigen eine höhere Inzidenz des Lungenkrebses in Ost- und Westeuropa sowie Nordamerika für Männer.

Europa Die Lungenkrebsmortalität und Inzidenz in Europa zeigt jedoch einen gegenläufigen geschlechterspezifischen Trend: Während Mortalität und Inzidenz für Männer kontinuierlich abnehmen, steigen diese für Frauen stetig an. Ursächlich hierfür ist der zunehmende Zigarettenkonsum jüngerer Frauen [3]. So ist Lungenkrebs in einigen europäischen Ländern wie Großbritannien und Polen bereits jetzt schon die häufigste Tumorneu-

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Deutschland Während in Deutschland bei Männern die Häufigkeit von Lungenkrebs seit etwa 1990 langsam zurückgeht, steigt sie bei Frauen im gleichen Zeitraum kontinuierlich auf 30 % an. Das Geschlechterverhältnis der Neuerkrankungen liegt jedoch immer noch bei 3 : 1 Männer zu Frauen. Dies entspricht einer absoluten Neuerkrankungszahl von 34 000 Männern und 13 000 Frauen im Jahr 2008. Die Inzidenz in Deutschland beträgt derzeit etwa 60 : 100 000 [1, 4]. Eine altersspezifische Analyse der Erkrankungsraten nach Geschlecht in Deutschland ergibt für denselben Zeitraum eine höhere Erkrankungsrate bei Frauen unter 44 Jahren im Vergleich zu gleichalten Männern [1].

Histologie Bei der histologischen Aufarbeitung der Malignome finden sich in 41% deutlich häufiger Adenokarzinome. Bei Männern wird nur in 34 % ein Adenokarzinom nachgewiesen. Diese Korrelation ist unabhängig von den Rauchgewohnheiten [6].

Genderspezifische Prognose bei Lungenkrebs !

Die 5-Jahres-Überlebensrate über alle Tumorstadien beträgt 10– 15 %. Im frühen Stadium IA liegt diese bei bis zu 60 % [7]. Registerstudien, epidemiologische Untersuchungen und klinische Studien zeigen für Frauen, unabhängig vom Tumorstadium und von Kofaktoren bereinigt, ein besseres Überleben: Bereits 2004 konnte Moore bei der retrospektiven Analyse an 7500 eingeschlossenen Lungenkrebspatienten für Frauen einen mit 12,4 zu 10,3 Monaten signifikanten Überlebensvorteil nachweisen [8]. In einer nationalen Registeranalyse an 20 561 Patienten mit Lungenkrebs konnte Radzikowska 2002 für Polen zeigen, dass Lungenkrebs bei Männern 6-mal häufiger auftrat als bei Frauen und Männer dabei ein 1,21-fach signifikant erhöhtes relatives Sterberisiko („relative risk of death“) hatten. Frauen waren zum Diagnosezeitpunkt des Lungenkrebses jünger, häufiger Nieraucherinnen oder Geringraucherinnen und entwickelten vermehrt Adenokarzinome [9]. In einer prospektiven Single-Center-Studie mit einem Follow-up von mindestens 5 Jahren konnte Cerfolio 2006 an 1085 Patienten aus Alabama (USA) nachweisen, dass auch hier Frauen ein signifikant besseres Überleben haben. Hier konnte dieser Effekt sowohl für das Stadium I (5-Jahres-Überleben 69 vs. 64%) als auch für fortgeschrittene Stadien (Stadium II 60 vs. 50 % und Stadium III 46 vs. 37 %) festgestellt werden. Auch hier überwogen bei Frauen Adenokarzinome im frühen Stadium, außerdem zeigten Frauen ein signifikant höheres Ansprechen auf neoadjuvante Chemotherapie [10]. In einer Metaanalyse konnten Nakamura et al. 2011 bei nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) ein signifikant längeres Überleben der Frauen nachweisen. Hierfür analysierten sie Daten von 86 800 Patienten (38% Frauen) aus 39 repräsentativen Publikationen und verglichen diese u. a. nach Tumorstadium, Histologie und Rauchgewohnheiten: Frauen zeigten hier jeweils ein signifikant längeres Überleben [11]. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine

epidemiologische Analyse von Nimako et al. an 423 Lungenkrebspatienten aus 2013. Neben dem Allgemeinzustand und dem Tumorstadium ist als signifikanter Prognosefaktor für ein längeres Überleben das weibliche Geschlecht festgestellt worden [12]. Auch Kligerman et al. konnten in einer Metaanalyse eine bessere 5-Jahres-Überlebensrate bei Frauen mit Adenokarzinom im frühen Stadium feststellen (67 vs. 59%) [6]. Das weibliche Geschlecht ist ein unabhängiger Prognosefaktor für ein längeres Überleben. Bei Frauen überwiegen Adenokarzinome im frühen Stadium.

Genderspezifisches Outcome nach chirurgischer Therapie !

Auch bei operierten Patientinnen zeigt sich in einer Reihe klinischer Studien eine signifikant höhere Überlebenswahrscheinlichkeit und verminderte Operationssterblichkeit im Vergleich zu männlichen Patienten. Alexiou et al. konnten bereits 2002 in einer „single-unit“-Analyse an 833 Patienten, die wegen eines Lungenkarzinoms anatomisch reseziert werden mussten, zeigen, dass Frauen vor allem im frühen Tumorstadium und bei histologischem Nachweis eines Adenokarzinoms eine signifikant höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Dies betraf sowohl die Operations- und Krankenhaussterblichkeit als auch die 5-JahresÜberlebensrate. Der Effekt scheint unabhängig vom klinischen Allgemeinzustand, der Histologie und dem Ausmaß der anatomischen Resektion nachweisbar zu sein [13]. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine Studie von Minami (2000) an 1242 Patienten, die bei NSCLC operiert wurden. Auch hier zeigten die weiblichen Patienten ein deutlich besseres Überleben [14]. In einer retrospektiven Single-Center-Studie an 4212 Patienten, die sich einer chirurgischen Resektion der Lunge unter kurativer Intention unterziehen mussten, konnten Warwick et al. 2013 feststellen, dass es einen signifikanten Überlebensvorteil für Frauen gibt, die an einem Adenokarzinom im frühen Stadium I reseziert wurden. Diese Tendenz bestand auch nach Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserwartung und Analyse des Raucherstatus. Im fortgeschrittenen Tumorstadium bzw. beim kleinzelligen Lungenkarzinom war dagegen kein genderspezifischer Prognoseunterschied nachweisbar [15]. Möglicherweise sind anatomische Resektionen beim Lungenkarzinom für Frauen weniger komplikationsreich: In einer prospektiven Studie an 221 Patienten, die bei Lungenkarzinom eine anatomische Segmentresektion erhielten, zeigte sich als unabhängiger signifikanter prognostischer Faktor für das Auftreten von postoperativen Komplikationen das männliche Geschlecht [16]. Im Gegensatz hierzu zeigen Frauen nach gefäßchirurgischen Eingriffen wie z. B. Karotisendarteriektomieoperationen ein schlechteres Outcome und ein höheres perioperatives Risiko [17]. In einer ersten Analyse der Follow-up-Daten des zertifizierten Lungenkrebszentrums Bremen zeigt sich ebenfalls ein signifikanter Überlebensvorteil für Frauen, die mit frühen Tumorstadien anatomisch operiert wurden. 2044 Primärfälle (1329 Männer und 715 Frauen) wurden seit 2009 prospektiv erfasst. 645 Patienten (430 Männer und 215 Frauen) davon wurden anatomisch reseziert. Signifikante Unterschiede in der Überlebensprognose zwischen den Geschlechtern finden sich nur bei den operierten Patienten mit einem deutlichen Vorteil für Frauen in einem frü" Abb. 1–4). Wobei nähere Analysen (z. B. Alhen Tumorstadium (l tersprofil der Patienten, Risikofaktoren, tumorbedingtes Versterben u. Ä.) noch ausstehen.

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erkrankung bei Frauen [4]. Für 2015 wird für die gesamte Europäische Union Lungenkrebs als häufigste Neuerkrankung bei Frauen statistisch prognostiziert [3]. Aktuell liegt die Inzidenz des Lungenkrebses bei 13,9 auf 100 000 Frauen in Europa, die Mortalitätsrate beträgt 37,2/100 000 Männer zu 14,6/100 000 Frauen [5].

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Abb. 1 Kaplan-Meier-Kurve nach Geschlecht.

Abb. 2 Kaplan-Meier-Kurve nach Geschlecht bei anatomischer Resektion.

Abb. 3 Kaplan-Meier-Kurve nach Geschlecht, anatomischen Resektionen im Stadium IA und IIB.

Abb. 4 Kaplan-Meier-Kurve nach Geschlecht, anatomischer Resektion im Stadium IIA und IIB.

Genderspezifisches Outcome nach Systemtherapie und Bestrahlung Auch in Therapiestudien bei fortgeschrittenen NSCLC wirkt sich das weibliche Geschlecht günstig auf die Prognose aus. So konnte für Frauen ein bis zu 3-monatiger Überlebensvorteil (11 vs. 8 Monate) in der Analyse von 13 Studien der Southwest Oncology Group (SWOG) festgestellt werden [18]. Die ECOG-Studie (ECOG: Eastern Cooperative Oncology Group) E1594, die 4 verschiedene Chemotherapieschemata beim fort-

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geschrittenem Lungenkarzinom vergleicht, zeigte bei der genderspezifischen Analyse ebenfalls einen bis zu 2-monatigen Überlebensvorteil (9,2 vs. 7,3 Monate) für Frauen [19]. Ebenso scheint das rezidivfreie Überleben bei Frauen, die eine Strahlentherapie zur Behandlung des Lungenkarzinoms erhielten, länger zu sein. McGovern et al. konnten bei der Analyse von 831 Patienten mit NSCLC im Stadium I bis III und einer Bestrahlung von mindestens 45 Gray eine rezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate von 31 % für Frauen vs. 20% bei Männern feststellen [20]. Die Me-

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taanalyse von 9 Studien der Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) konnte bei einer Patientenzahl von 1365 zeigen, dass im Vergleich zu Rasse und Familienstatus das Geschlecht der Prognosefaktor mit der höchsten Signifikanz für ein rezidivfreies Überleben nach Strahlentherapie bei NSCLC darstellt [21].

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Diagnosestellung ggf. fortgeschrittenem Tumorstadium – eine insgesamt bessere 5-Jahres-Überlebensrate [30].

Molekulargenetische genderspezifische Unterschiede !

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Inhalatives Rauchen Hauptursache für den Lungenkrebs ist das inhalative Zigarettenrauchen. Immer noch sind 85–90 % aller Lungenkarzinome auf das Rauchen zurückzuführen. Hier gibt es jedoch genderspezifische Unterschiede: „Nur“ 60% der Lungenkrebse bei Frauen sind durch Rauchen verursacht, wohingegen nahezu 90 % aller Lungentumorerkrankungen bei Männern auf das Rauchen zurückzuführen sind [22]. Für das Zigarettenrauchen besteht eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Risiko der Erkrankung an Lungenkrebs, den Packungsjahren und dem Lebensalter zu Beginn der Raucherkarriere [23]. In Deutschland unterscheiden sich die Rauchgewohnheiten zwischen Männern und Frauen immer noch. 31% aller Männer und 21% aller Frauen sind aktive Raucher, wobei der Zeitpunkt des Rauchbeginns bei Frauen mit 15,2 Jahren jünger ist im Vergleich zu Männern mit 15,6 Jahren. Frauen scheinen zudem ein etwa 3-fach erhöhtes zigarettenkonsumbedingtes Lungenkrebsrisiko zu haben als rauchende Männer [24]. Die Ursachen für diesen Empfindlichkeitsunterschied werden vor allem in einer verminderten DNA-Reparaturkapazität (DRC) bei Frauen und dem damit verbundenen erhöhten Risiko an zigarettenrauchverursachten Schädigungen des Lungengewebes vermutet [25]. Möglicherweise ist außerdem die erhöhte östrogenabhängige CYP1 A-Genexpression bei Raucherinnen eine Ursache für vermehrte DNA-Adduktorenspiegel, wodurch wiederum Karzinogene der Zigaretten schlechter eliminiert werden können [26]. Außerdem wird die Metabolisierung von 17βEstradiol in toxische Metabolite durch Zigarettenrauch gefördert, wodurch wiederum das Tumorwachstum stimuliert werden kann [25, 27]. Die Menopause scheint einen prognoseverbessernden Effekt bei Raucherinnen zu haben: In einer retrospektiven Analyse von 489 Patientinnen ließ sich feststellen, dass Frauen mit Hormontherapie früher an Lungenkrebs erkrankten und eine geringere Überlebensprognose hatten als Frauen, die keine Hormonersatztherapie postmenopausal erhielten [27].

Passivrauchen Da Passivrauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken gegenüber nicht exponierten Nichtrauchern verdoppelt, sind derzeit noch mehr Frauen als Männer (35 vs. 33 %) davon betroffen [28]. Nicht rauchende Ehefrauen eines Rauchers haben ein um 24 % erhöhtes Lungenkrebsrisiko im Vergleich zu nicht rauchenden Frauen ohne Passivrauchexposition [29].

Sehr mehreren Jahren wird intensiv nach molekularen Veränderungen im Tumorgewebe gesucht, die Ansatzpunkte für zielgerichtete medikamentöse Therapien sein können. Für das Tumorwachstum maßgebliche Überexprimierungen und Alterationen in Treibergenen zeigen deutliche genderspezifische Unterschiede:

EGFR-Exprimierung Der Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR) ist bei 10–15% aller Lungenkarzinome überexprimiert. Diese EGFR-Mutation wird auch als „Treibermutation“ für die Entwicklung des NSCLC angesehen. Der EGFR ist eine transmembranöse Rezeptortyrosinkinase, die extrazelluläre Wachstumssignale über Signalkaskaden in den Zellkern weiterleitet und dort entsprechende Gene aktiviert, die Proliferation, Angiogenese, Motilität und Zellüberleben regulieren. Zielgerichtete Therapien, welche die Rezeptortyrosinkinasen (TKI) am EGFR hemmen, ermöglichen ein längeres progressionsfreies Überleben der betroffenen Patienten. EGFR-Genmutationen finden sich häufig bei nicht rauchenden Frauen. Frauen mit EGFR-Mutation scheinen von einer EGFR‑TKI-Therapie, gemessen am progressionsfreien Überleben und Sterberisiko, mehr zu profitieren als Männer. Dieser Effekt lässt sich auch in neueren randomisierten Chemotherapiestudien nachweisen. So konnten Böker et al. bei einer retrospektiven Analyse des NSCLC im Stadium IV mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Erlotinib an 275 Patienten feststellen, dass vor allem Männer eine deutlich schlechtere Prognose hinsichtlich des Gesamtüberlebens haben. Nie rauchende Frauen mit dem Nachweis eines Adenokarzinoms scheinen von einer TKI-Therapie prognostisch am meisten zu profitieren [31].

K‑RAS-Punktmutation Auch K‑RAS-Punktmutationen, die eine primäre Resistenz gegen EGFR-Antagonisten verursachen, werden häufiger in Lungenkarzinomen rauchender Frauen im Vergleich zu männlichen Erkrankten nachgewiesen (26 vs. 17 %). Dieser geschlechterspezifische Unterschied ist auch nach Adjustierung der typischen lungenkrebsspezifischen Risikofaktoren signifikant. Das K‑RAS‑Gen wird bei 20–30 % aller Adenokarzinome der Lunge nachgewiesen. Zigarettenrauch scheint die K‑RAS-Mutationsrate zu steigern. Patienten mit nachgewiesener K‑RAS-Mutation haben eine schlechtere Überlebensprognose. Diese ist für das frühe Stadium I des Adenokarzinoms signifikant. Die durch K‑RAS-Mutation verursachte Resistenz gegen EGFR-Antagonisten hat therapeutische Konsequenzen, da somit das Spektrum der möglichen zielgerichteten medikamentösen Therapien eingeschränkt ist [32].

Nieraucher Unabhängig von der unterschiedlichen Exposition und Reaktion auf das aktive und passive Zigarettenrauchen scheint gerade in der Gruppe der Nieraucher ein genderspezifischer Unterschied zu bestehen [29]. So ist die Zahl der Lungenkrebserkrankten bei Nieraucherinnen ohne Rauchexposition im Vergleich zu Männern mit gleichen Bedingungen deutlich höher: Die Lungenkrebsrate bei Nichtrauchern beträgt 15% für Frauen und nur 6 % bei Männern. Diese Patientinnen sind häufig jünger, zeigen häufiger die Histologie eines Adenokarzinoms und haben – trotz bei

Tumorsuppressorgen p53 Das Tumorsuppressorgen p53 ist häufiger bei rauchenden Lungenkrebspatientinnen im Vergleich zu rauchenden männlichen Lungenkrebspatienten mutiert (36 vs. 27%). Die zigarettenrauchinduzierten Schäden (Rate der p53-Mutationen) scheinen bei Frauen größer zu sein, so findet man TP53-Genmuationen bei lungenkrebserkrankten Nieraucherinnen seltener als bei nierauchenden männlichen Patienten (13 vs. 31%) [33]. p53 reguliert als Transkriptionsfaktor nach DNA-Schädigung die Expression

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Risikofaktoren

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von Genen, die an der Kontrolle des Zellzyklus, der Apoptose-Induktion und der DNA-Reparatur beteiligt sind.

Tab. 1 Lungenkrebs bei Frauen. " "

EML4-ALK-Translokation

"

EML4-ALK-Translokationen finden sich bei 3 % aller Adenokarzinome der Lunge und ebenfalls häufiger bei Frauen. ALK-Inhibitoren können die Funktion des EML4-ALK-Proteins hemmen. Die gezielte spezifische Therapie mit dem ALK-Inhibitor Critozinib ist somit häufiger bei Frauen möglich [34].

" " " " " "

dritthäufigste Krebserkrankung mit Todesfolge Inzidenz: 13,9 : 100 000 in Europa kontinuierliche Zunahme der Neuerkrankungen häufig Adenokarzinome zum Zeitpunkt der Diagnose im Durchschnitt jünger als Männer häufig Nieraucherinnen längeres Überleben vor allem im frühen Tumorstadium häufiger Treibergenmutationen vermehrt stratifizierte Therapieansätze möglich

Hormonelle Besonderheiten Möglicherweise ist die Tumorwachstumsrate beim Lungenkrebs bei prämenopausalen Frauen durch Östrogen beeinflusst. Die Exprimierung des Östrogenrezeptors (ER) ist in Lungentumoren von Frauen häufiger zu finden. Eine Stimulation des Tumorwachstums durch Östrogen an den ER ist möglich. Die Menopause scheint auf das Tumorwachstum einen protektiven Effekt zu haben [25, 27]. Neben diesen chirurgisch-medikamentösen therapeutischen Aspekten finden sich auch im Bereich der Lebensqualität und generellen Krankheitsverarbeitung Hinweise auf geschlechterspezifische Unterschiede, die wiederum einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtprognose des Patienten haben können [35].

Fazit !

Perspektivisch werden mittelfristig zielgerichtete personalisierte medikamentöse und chirurgische Therapien genderspezifische Aspekte und Analysen zunehmend berücksichtigen müssen. Aus thoraxchirurgischer Sicht sollte die unterschiedliche Prognose auch bei der Entscheidung zur limitierten Resektion vermehrt berücksichtigt werden.

Interessenkonflikt: Nein Literatur

Diskussion !

Klinische Konsequenzen des genderspezifischen Unterschieds Grundlage der Diagnostik und Therapie bei Patienten mit Verdacht eines Lungenkarzinoms stellen die aktuellen interdisziplinären S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie dar. Neben modernsten bildgebenden und diagnostischen Verfahren wie FDG‑PET‑CT, Bronchoskopie und EBUS, Mediastinoskopie und VAMLA (videoassistierte mediastinale Lymphadenektomie) gewinnen modernere minimalinvasive, parenchymsparende operative Verfahren (thorakoskopische anatomische Resektionen) und neueste systemische Therapieansätze an Bedeutung. Genderspezifische Betrachtungen wurden bis dato weitgehend vernachlässigt. So findet sich in den aktuellen S3-Leitlinien kein Hinweis auf mögliche geschlechterspezifische Unterschiede in Diagnostik, Behandlung und Outcome [7]. Gleichwohl mehren sich, wie aufgezeigt, die Erkenntnisse, dass es geschlechterspezifische Unterschiede sowohl in Inzidenz, Prävalenz, Diagnostik " Tab. 1). und Therapie des Lungenkarzinoms gibt (l Der nachgewiesene Effekt, dass NSCLC-Patienten mit Mutation im EGFR‑Gen im fortgeschrittenen Stadium von einer Therapie mit TKI profitieren und dass eine deutlich erhöhte EGFR-Mutationsrate bei Frauen und Nierauchern mit dem histologischen Nachweis eines Adenokarzinoms festgestellt wird, führt zu einer gezielten Vortestung dieser Patientengruppe vor TKI-Therapie vs. konventioneller Chemotherapie. Da auch die Überlebensprognose nach chirurgischer Therapie für weibliche Patienten – zumindest im frühen Stadium – besser ist, sollte wenn möglich auch eine geschlechterspezifische Therapieentscheidung erfolgen. Ob adjuvante Therapieempfehlungen und Nachsorgepläne genderspezifisch modifiziert werden sollten, kann erst nach weiterführenden randomisierten klinischen Studien und Auswertung klinischer Krebsregister, wie sie von den zertifizierten Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft geführt werden, beurteilt werden.

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More and more women suffer from lung cancer. In comparison to the male patients they are younger and more likely never-smokers. Adenocarcinomas are mo...
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