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DDR-Gastroenterologie 1975–1990 und Wiedervereinigung

Autor

R. Nilius

Institut

Halle (Saale)

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

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In diesem Beitrag wird die DDR-Gastroenterologie der Periode 1975 – 1990 aus der Sicht eines ostdeutschen Zeitzeugen beschrieben. Für die Entwicklung dieses Fachgebiets in der DDR hat die „Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR (GfG)“, eine bedeutsame Rolle in der Pflege einer wissenschaftlichen Gastroenterologie im Lande gespielt. Sie förderte den Aufbau gastroenterologischer Zentren, kümmerte sich um eine praxisorientierte ärztliche Weiterbildung und war konzeptionell an der staatlichen Anerkennung des Faches als medizinische Subdisziplin beteiligt. Neben Gastroenterologenkongressen im 2-Jahres-Turnus wurden zahlreiche weitere Tagungen und spezielle Symposien durchgeführt. Temporäre Arbeitsgruppen erarbeiteten fachliche und berufsrechtliche Empfehlungen. Obwohl die Gesellschaft Mitglied in internationalen Organisationen war (OMGE, ASNEMGE, ESGE), konnten internationale Beziehungen nur begrenzt aufgenommen werden. So war auch eine nähere Kontaktpflege mit bundesdeutschen Kollegen und mit der „Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)“ aus politischen und ökonomischen Gründen behindert. Mit der politischen Wende 1989/1990 schien auch die Vereinigung der deutschen Gastroenterologie greifbar nahe. Auf einem Treffen in Halle/Saale (22.3.1990) einigten sich Repräsentanten der DGVS und der GfG auf Modalitäten des Zusammenschlusses der Gesellschaften. Nach der 45. Tagung der DGVS (3.– 6.10.1990, Essen) traten mehr als 600 ostdeutsche Ärzte unter kulanten Bedingungen der DGVS bei, die GfG wurde am 24.11.1990 aufgelöst, denn sie hatte ihre historische „Brückenfunktion“ für die ostdeutsche Gastroenterologie redlich erfüllt.

This short overview sketches the state of Gastroenterology in the GDR (1975 – 1990) from the point of view of an East-German contemporary witness. The “Society for Gastroenterology/ GDR” (GfG) has played a decisive role for the development of the Gastroenterology in the GDR. The society promoted medical education and constitutions of gastroenterological centers, fostered gastroenterological research and controlled the standards for the recognition of Gastroenterology as a state-accepted medical sub-discipline. An extensive program of scientific and educative events included two-annual meetings of scientific congresses, the “BerkaTalks”, endoscopic workshops” and featured special symposia such as for Hepatology, Pancreatology and gastro-intestinal Microbiology. Temporary working groups developed technical and professional legal advice. Although the GfG was a full member of the respective international organizations (OMGE, ASNEMGE, ESGE), it was almost impossible building up reliable international contacts in a mutual interest. Especially, contacts with colleagues representing the “German Society of Digestion and Metabolic Diseases” (DGVS) were impeded. With the political changes of 1989/1990, an association of the two German Societies for Gastroenterology seemed within reach. At a meeting in Halle (Saale) (March, 22nd, 1990), representatives of DGVS and GfG quickly agreed on modalities to merge the two societies. After the 45th meeting of the DGVS (October 3rd–6th, Essen) more than 600 GDR physicians could join the BRD society under accommodating conditions. The GfG had fulfilled its historical function as a “bridge” during the division of Germany with dignity and was suspended (November, 24nd,1990).

● Chronik ● Gastroenterologie in der DDR ● Wiedervereinigung " "

Key words

● chronic ● gastroenterology in the GDR ● german reunification " " "

eingereicht 1.2.2014 akzeptiert 9.4.2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1366472 Z Gastroenterol 2014; 52: 573–592 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0044-2771 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. habil. Rüdiger Nilius Holbeinstr. 1 06118 Halle (Saale) [email protected]

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Gastroenterology in the Former GDR (1975–1990) and the Changes after German Reunification

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Vorbemerkung !

In den 100 Jahren des Bestehens der „Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten waren ostdeutsche Gastroenterologen 25 Jahre lang, von 1965 bis 1990 ausgeschlossen, der Teilung Deutschlands geschuldet. Deshalb war es zwingend, für das Gebiet der DDR eine eigene Fachgesellschaft zu gründen, die „Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR“ (GS), um eine fachliche wie auch gesellschaftliche Vertretung der Viszeralmedizin zu gewährleisten. Der Autor dieses Beitrags war in leitenden Positionen in der Hochschulmedizin sowie in verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften der DDR tätig und war einigermaßen überrascht, dass er als Vertreter der „alten DDR-Medizin“ eingeladen wurde, auf der 68. Tagung der DGVS (Nürnberg, 11.–14.9.2013) über die „DDR-Gastroenterologie“ zu referieren und nun diesen Artikel zu verfassen. Nach anfänglich zögerlicher Bedenklichkeit, aber auch Ermunterung durch jetzige Repräsentanten der DGVS, Freunde und Kollegen, hat er sich diesen Aufgaben gestellt. Aus einem Akteur ist in den Jahren ein Zeitzeuge geworden, der sich bemüht, aus der Sicht eines ostdeutschen Fachvertreters das selbst erlebte Geschehen um die „DDR-Gastroenterologie“ mit der gebotenen Objektivität zu beschreiben und mit Dokumenten aus eigenem Bestand zu unterlegen. Dabei möge auch erkennbar werden, dass eine medizinische Fachgesellschaft im Gesundheitswesen des „real existierenden Sozialismus“ stets im eingeengten Freiraum zwischen fachlich Notwendigem und ideologischen Zwängen agieren musste.

Abb. 1

Strukturen und Stellung Medizinischer Fachgesellschaften in der DDR !

In den 70er-Jahren hatte sich in der DDR ein hierarchisches System von Medizinischen Fachgesellschaften fest etabliert, das man in eine periphere Handlungs- und eine zentrale Kontroll" Abb. 1). Die Handlungsebene umebene untergliedern kann (● fasste 70 medizinische Fachgesellschaften und 162 dazugehörende regionale Gesellschaften [1]. Die Kontrollebene bestand aus 6 übergeordneten „Dachgesellschaften“, die mit Präsidien und Generalsekretären ausgerüstet waren, einem „Koordinierungsrat“ und einem „Generalsekretariat der Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR“ (GS/MfG-DDR). Ganz oben wachte die „Abteilung für Wissenschaft und Kultur des Zentralkomitees der SED“, das Büro Kurt Hager. Die „Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR“ (GfG) als Glied der „Gesellschaft für Klinische Medizin der DDR“ war im Gegensatz zur bundesdeutschen „Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten“ (DGVS) speziell auf die Viszeralmedizin ausgerichtet. Für Stoffwechselerkrankungen war die „Gesellschaft für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten der DDR“ zuständig, für Belange der Ernährungswissenschaften hatte sich eine „Gesellschaft für Ernährung der DDR“ gegründet, die sich als Vertretung der Hygiene verstand und daher der „Gesellschaft für die Gesamte Hygiene der DDR“ unterstand. Dachgesellschaften hatten anleitende Funktionen, die in sogenannten „Orientierungen“ oder „Hinweisen“ zusammengestellt wurden, die jedoch verbindliche Anweisungen für die zugeordneten Fachgesellschaften waren. Im Zusammenspiel mit dem GS/MfG-DDR fungierten sie darüber hinaus auch als Aufsichtsgremien. Beispielsweise gab es eine Orientie-

Organisationstruktur medizinischer Gesellschaften in der DDR.

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rung zum Inhalt von Statuten einer Gesellschaft [2], die auf einer Verordnung über die Gründung und Tätigkeiten von Verei" Abb. 2). nigungen in der DDR vom November 1975 basierte (● In rein fachlichen Belangen konnten die Gremien einer Fachgesellschaft (Vorstand, Mitgliederversammlung) weitgehend selbstständig entscheiden, wie bei der inhaltlichen Gestaltung von wissenschaftlichen Veranstaltungen, bei der Mitwirkung in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung, bei der Unterstützung der Wissenschaftsentwicklung im jeweiligen Fachgebiet und bei der Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften der DDR. Die Bildung von Sektionen, Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgruppen und Kommissionen gehörten ebenfalls zum Kompetenzbereich des Vorstands einer Gesellschaft. Gründungen von Regionalgesellschaften sowie von interdisziplinären Arbeitsgruppen erforderten dagegen die Bestätigung durch die zuständigen Dachgesellschaften. Die Zusammenarbeit mit staatlichen und gesellschaftlichen Gremien zwecks fachlicher Beratung und die Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Fragen waren Pflichtaufgaben, letzteres wurde meist nur „rituell“ befolgt. Abschlüsse von Wirtschaftsverträgen waren nicht vorgesehen. Wenn es um Kooperationen mit ausländischen Fachgesellschaften und die durchaus erwünschten Mitgliedschaften in internationalen Fachgremien ging, bestand Vorschlags- und Beratungsrecht, Entscheidungen trafen jedoch übergeordnete Stellen. Ausschlaggebend für Genehmigungen war immer die „Gewährleistung einer gleichberechtigten Mitgliedschaft“. Die Berechtigung zur Mitgliedschaft in medizinischen Gesellschaften hatten nur Ärzte sowie medizinisches Fachpersonal als außerordentliche Mitglieder. Korporative Mitgliedschaften waren nicht vorgesehen, auch die Ernennung von Ehrenmitgliedern war genehmigungspflichtig. Jede Gesellschaft musste eine Geschäfts- und Wahlordnung erarbeiten, zunächst in scheinbarer Eigenregie. Aber jedes Protokoll über Wahlen, Vorstandssitzungen oder sonstige Entscheidungen mussten spätestens nach 4 Wochen nicht nur allen Vorstandsmitgliedern, sondern auch dem Generalsekretär der zuständigen Dachgesellschaft und dem Direktor des GS/MfG-DDR zugeleitet werden. Erarbeitete Statuten, auch spätere Modifikationen wa-

ren vor Inkrafttreten über die Präsidien der Dachgesellschaften dem Gesundheitsminister zur Genehmigung vorzulegen. Zudem waren Beauftragte des Präsidiums von Dachgesellschaften zu Vorstandssitzungen der Fachgesellschaften offiziell einzuladen. Mit diesen mehrstufigen Regulativen konnten politischideologische Einflussnahmen in Abstimmung mit dem Hochschul- und Fachschulministerium und anderen Institutionen des Partei- und Staatsapparates über die Tätigkeit medizinischer Fachgesellschaften „abgesichert“ werden. Entscheidungsbefugnisse zu Personalfragen, die über ein begründetes Vorschlags- und Beratungsrecht hinausgingen, hatten die Vorstände der Fachgesellschaften nicht. Das belegt eine „Konzeption zur Qualifizierung der Kaderarbeit in den medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR“ des Koordinierungsrates, die " Abb. 3). In nur für den Dienstgebrauch zur Verfügung stand (● diesem Schriftstück finden sich „Festlegungen zu Verfahrensweisen zur rechtzeitigen Herbeiführung von Kaderentscheidungen“ wie diese [3]: ▶ Bestätigung der Kadervorschläge für die Wahlen von Vorständen der Fachgesellschaften und unmittelbar zugeordneten Regionalgesellschaften und deren Revisionskommissionen mindestens 4 Monate vor dem Termin der Wahl durch die Präsidien der Fachgesellschaften. ▶ Verfahrensweisen über die Einsetzung von Leitungen für Sektionen, Arbeitsgemeinschaften und Arbeitsgruppen der Fachgesellschaften müssen deren Vorstände mit dem Präsidium der Dachgesellschaften 3 Monate vor dem Termin der Wahl abstimmen. ▶ Vorgenommene Kaderbestätigungen durch die Fachgesellschaften sind schriftlich den Präsidien der zuständigen Fachgesellschaften mitzuteilen. ▶ Es ist eine Kaderreserve von mindestens 25 % zum Bestand der jeweiligen Leitung zu bilden, die auf Leitungsfunktionen langfristig vorzubereiten ist. ▶ Auswahl und Vorbereitung von Kadern für Chefredaktionen und Redaktionskollegien von medizinischen Fachzeitschriften ist langfristig zu planen und zwischen Fach- und Dachgesellschaften sowie Verlagen abzustimmen.

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Abb. 2 Anweisung zum Inhalt von Statuten medizinischer Fachgesellschaften in der DDR (Ausschnitt).

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Abb. 3

Konzeption zur Qualifizierung der Kaderarbeit in medizinischen Gesellschaften der DDR (Ausschnitt).

▶ Gezielte Auswahl und langfristige Vorbereitung

von Kadern zur Wahrnehmung internationaler Verpflichtungen (z. B. in internationalen Gesellschaften), die eine effektive Vertretung der politischen Interessen der DDR und deren medizinischer Wissenschaft und Praxis gewährleisten. Die dazu erforderlichen Kaderentscheidungen bedürfen der vorherigen Zustimmung durch die zuständigen staatlichen Organe.

Diese Beispiele belegen einen Ideologisierungsprozess, die sich „sozialistische Kaderpolitik“ nannte. Nach der „III. Hochschulreform in der DDR“ von 1969 verschärfte sich diese Ideologisierung in den 70er-Jahren weiter, traf allerdings nicht mehr so sehr die bereits vor dieser Hochschulreform eingesetzten bzw. berufenen „Leitungskräfte“, sondern in allen Konsequenzen fast ausschließlich die „Kaderreserve“, also den akademischen Nachwuchs. Eine

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Verfügung von 1977 machte die marxistisch-leninistischen Weiterbildung von Ärzten zur Pflicht (man nannte das „Rotlichtbestrahlung“), für Promotionen A und B (Habilitation) waren fortan vertiefte marxistisch-leninistische Kenntnisse schriftlich oder " Abb. 4). Die ideologische Maximündlich nachzuweisen [4, 5] (● me dieser Kaderpolitik hieß „Kommunistische Erziehung“ und wurde als „Einheit von hoher fachlicher Bildung und politisch ideologischer Erziehung“ definiert [6]. Das GS/MfG-DDR hatte im System der Medizinischen Gesellschaften weitere Schlüsselaufgaben. Alle Planungen einer Fachgesellschaft für Veranstaltungen einschließlich von Finanzierungsfragen, personelle Vorstellungen über ausländische Gastreferenten, Teilnahmen an Fachkongressen im Ausland, Mitgliedschaften in internationalen Gesellschaften sowie ein umfängliches Berichtserstattungswesen mussten dieser Behörde zur Bestätigung bzw. Entscheidung vorgelegt werden. Entscheidungswege waren mehrstufig: Unterbreitung eines Planvorschlags seitens des Vorstands einer Fachgesellschaft, danach Rückübermittlung eines meist eingegrenzten „Kontingents“, auf der Basis dieses Kontingents erneute Einreichung einer Detailplanung zur endgültigen Genehmigung " Abb. 5 zeigt beispielhaft die Überoder Ablehnung des Antrags. ● mittlungsform eines „Kontingents“ an die GfG sowie einen anschließenden, abgestimmten „Antrag mit Aufgabenstellung“. Letzterer durfte dann auch zu bestätigende Teilnehmernamen enthalten. Finanzfragen standen weniger im Vordergrund, solange es sich nicht um konvertierbare Währungen handelte. Es entstan-

den die Termini SW (sozialistisches Währungsgebiet) und NSW (nicht sozialistisches Währungsgebiet). Beziehungen zu Fachkollegen aus sozialistischen Ländern (besonders CSSR, Ungarn, Polen) gestalteten sich daher relativ großzügig, unterstützt durch Freundschaftsverträge zwischen Hochschulen dieser Länder. Für die westliche Welt galten das Geld und die politische Großwetterlage. Es war beispielweise oft leichter, Referenten aus neutralen Staaten (z. B. Österreich, Schweiz, Skandinavien) als aus NATO-Ländern einladen zu dürfen. Beziehungen zu westdeutschen Kollegen und Fachgesellschaften konnten erst in den 80er-Jahren ausgebaut werden. Für genehmigte Auslandsreisen berief der Gesundheitsminister eine „DDR-Delegation“ und bestimmte einen „Delegationsleiter“, deren Pflichten in „Hinweisen“ des GS/MfG-DDR festgeschrieben waren [7]. Delegationen stimmten nicht immer mit den Vorschlägen einer Fachgesellschaft überein. Der eingesetzte Delegationsleiter war für die Abfassung einer Aufgabenstellung und später eines Abschlussberichts über den besuchten Kongress ver" Abb. 6). Diese Abschlussberichte hatten aus eiantwortlich (● nem politischen Teil, der in 4-facher Ausfertigung innerhalb von 10 Tagen eingereicht werden musste, und einem Fachbericht zu bestehen, der erst innerhalb von 6 Wochen in 3-facher Ausfertigung vorzulegen war. Für die Abfassung des politischen Teils mit seinen brisant erscheinenden Vorgaben bedurfte es einiger Übung, um zulässige, semikonkrete Formulierungen der „Lingua socialistica“ zu finden. Beispielsweise so: „Politische Gespräche

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Abb. 4 Promotionsordnung der DDR und Anweisung zur ideologischen Weiterbildung für Ärzte und Zahnärzte (Ausschnitte).

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Abb. 5 Beispiel für eine Reiseplanung der GfG – oben: Kontingentzuweisung, unten: „genehmigte“ Planung. MfGe/MHF: Einrichtung des Gesundheitsbzw. Hochschulmisiteriums

mit Fachkollegen, die in der Regel Probleme der Friedens- und Abrüstungspolitik, der sozialen Sicherheit und gesundheits- sowie wissenschaftspolitische Aspekte in der DDR umfassten, waren von Sachlichkeit getragen. Besonders hervorzuheben war die sehr gastfreundliche Behandlung der DDR-Delegation seitens der Kongressleitung. Diskriminierende Äußerungen gegen die DDR und besondere Vorkommnisse politischer Art hat es nicht gegeben“ [8]. Spitzeldienste sind medizinischen Kongressdelegationen kaum zu unterstellen. Wenn in einem politischen Bericht ausnahmsweise Kollegen genannt wurden, die sich „interessiert an Informationen über das DDR-Gesundheits- und Hochschulwesen“ gezeigt hatten, war es leichter, für diese eine Einreiseerlaubnis in die DDR für Kongressteilnahmen oder Studienreisen zu erlangen. Ein derartig „taktisches“ Vorgehen war auch für die Zustimmung der Obrigkeit hinsichtlich der Ernennung von Ehrenmitgliedern in einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft unabdingbar. Die personelle Variation von „Westreisenden“ hielt sich in Grenzen, was zurecht mit Kritik und Unwillen registriert wurde. Man muss aber wissen, dass eine Reiseerlaubnis in westliche Länder die Einstufung als „Reisekader“ voraussetzte. Anträge durften nur arbeitgebende Institutionen wie Universitäten oder Kranken-

häuser stellen. Eine Fachgesellschaft durfte Vorschläge unterbreiten, die manchmal sogar für Kollegen erfolgreich waren, die von ihren Arbeitgebern nicht als besonders förderungswürdig eingestuft wurden. Entscheidungen fielen erst nach langwierigen Überprüfungen durch betriebliche, regionale und ministerielle Instanzen der „Partei- und Staatsführung“, wobei immer die Bewertung des „Republikflucht-Risikos“ mitentscheidend war. Einem bestätigten Reisekader, der nicht nur politisches Wohlverhalten, sondern in der Regel auch eine nachweisbare Fachkompetenz, aber nicht unbedingt eine SED-Mitgliedschaft nachweisen musste, wurde ein Reisepass ausgestellt. Dieser wurde aber meist nicht ausgehändigt, sondern in „Direktoraten für Internationale Beziehungen“ (Reisestellen) der Universitäten oder anderer Institutionen deponiert. Nur im Falle einer genehmigten Reise in ein westliches Land wurde der Pass mit dem entscheidenden Visum für „eine“ Ausreise aus der DDR im Berliner GS/MfG-DDR ausgehändigt, nicht ohne vorherige politische Belehrung. Ein Reisekaderstatus konnte bei mangelndem Wohlverhalten jederzeit widerrufen werden.

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Abb. 6 Dienstanweisung (Ausschnitt): „Hinweise zur Vorbereitung und Auswertung des Besuchs von medizinisch-wissenschaftlichen Veranstaltungen im Ausland“ (Ministerium für Gesundheitswesen der DDR).

Die Gastroenterologie in der DDR und Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR !

In diesem Umfeld mit all seinen Besonderheiten, ideologischen Zwängen und ökonomischen Grenzen agierte die DDR-Gastroenterologie als „Subspezialdisziplin“ der Inneren Medizin, Pädiatrie, Chirurgie und Radiologie. Nach den Protagonisten in Rostock, Berlin, Magdeburg und Leipzig entstanden flächendeckend weitere gastroenterologische Abteilungen an Hochschulkliniken und Bezirkskrankenhäusern, die zu Zentren der viszeralmedizinischen Versorgung und in der Regel auch Forschung wurden " Abb. 7). Darüber hinaus rekrutierten sich aus diesen Einrich(● tungen „Beratende Gastroenterologen der Bezirksärzte“, die mit dieser Position einen, wenn auch begrenzten, gesundheitspolitischen Einfluss ausüben konnten. 1974 wurde die Gastroenterologie als „Subspezialrichtung“ der Inneren Medizin anerkannt. Ein ab 1976 gültiges Weiterbildungs-Curriculum, von der GfG nach längerer Diskussion erarbeitet, sah als Voraussetzung für die staatliche Anerkennung als „Subspezialist/in für Gastroenterologie“ eine insgesamt 2-jährige Tätigkeit in einer gastroenterolo-

gischen Einrichtung vor (18 Monate stationär, 3 Monate Fachambulanz, 3 Monate spezielle Röntgendiagnostik). Danach war ein Prüfungskolloquium vor einer Fachkommission zu bestehen. Es war nicht ganz einfach, für ein angemessenes fachliches Niveau zu sorgen. Der Ärztemangel der frühen 60er-Jahre war zwar dank einer bedarfsorientierten Ausbildung von Medizinstudenten behoben, dafür fehlte es vielfach an mittlerem medizinischen Fachpersonal, das vergleichsweise schlecht entlohnt wurde. Apparative Ausstattungen und die Verfügbarkeit internationaler Fachliteratur waren aus ökonomischen und ideologischen Gründen mancherorts unzureichend. Essenzielle Gerätschaften (Endoskope, Sonografiegeräte, CT) und dazu gehöriges Verbrauchmaterial mussten importiert werden und waren daher bei Gerätekommissionen regional zu beantragen und über ein schwerfälliges, zentralistisch-bürokratisches Procedere zu beschaffen. Fachgesellschaften durften allenfalls Empfehlungen aussprechen oder Beziehungen spielen lassen. Einfallsreichtum und Improvisationstalent waren gefragt, und so konnte Einiges in Werkstätten selbst hergestellt werden (wie Sonden, Führungsdrähte, Katheter, Papillotome). Direkte Kontakte mit Herstellerfirmen waren unerwünscht bis ver-

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Abb. 7 Gastroenterologische Zentren in der DDR UK-Universitätsklinikum; KMA-Klinikum Medizinische Akademie; BKH – Bezirkskrankenhaus.

boten, fanden aber dennoch statt (z. B. Leipziger Messe, Kongresse). Daraus entwickelte sich das „ökonomische Prinzip der „Hosentaschenimporte“ für Kleinteile. Medikamente waren in „Kategorien A–D“ klassifiziert. Präparate der Kategorien A und B waren solche aus DDR-Produktion oder stammten aus dem SW. Sie konnten von jedem approbierten Arzt verordnet werden. In der Medikamentenkategorie C waren Importpräparate aufgelistet, die nur von Ärzten ausgewählter Einrichtungen (überwiegend Hochschulkliniken) mit Gegenzeichnung durch den Klinikdirektor rezeptiert werden durften. D-Medikamente waren teure, innovative Importpräparate, die lediglich für sehr begründete Einzelfälle über die „Regierungsapotheke“ in Berlin, „Hauptstadt der DDR“, beschafft werden konnten. Einsatzwille und Kreativität der Handelnden entschärften derartige Restriktionen durch „kleine Dienstwege“, wie Weitergabe von Rezepten bzw. Medikamenten oder die Weiterbetreuung von Patienten in Zentren. So fremd es heute auch klingen mag, die Mangelverwaltung hatte auch positive Seiten: Spezialdisziplinen konzentrierten sich in Kliniken mit ausreichenden Kapazitäten, es wurden dort allgemein zugängliche Spezialambulanzen (Dispensaires) eingerichtet, fachliche Kompetenzen von Ärzten und Personal wuchsen, Indikationen für diagnostische oder therapeutische Eingriffe mussten sehr präzise und rational gestellt werden. Man praktizierte in etwa das, was heute als Allokation, Priorisierung, indikationsgerechte Rationierung diskutiert wird. Die GfG hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten stets um Verbesserungen für ihr Fachgebiet bemüht. Als Beispiele sollen oft wiederholte Anträge genannt werden, die eine bessere Ausstattung mit Endoskopen oder die staatliche Anerkennung von Endosko-

pieschwestern als besser entlohnte Fachschwestern forderten " Abb. 8, 9) gestatten einen [8]. Ausschnitte aus diesen Anträgen (● Einblick in die seinerzeitige Problematik. Trotz der hier skizzierten Erschwernisse erreichte die DDR-Gastroenterologie einen angemessenen, wenn auch nicht optimalen Leistungsstand und hat für eine relativ stabile viszeralmedizinische Patientenversorgung im Lande gesorgt [9, 10]. Nach 1975 vollzog sich im Vorstand der Gesellschaft für Gastro" Abb. 10), die nachrückenenterologie ein Generationswechsel (● de Generation bemühte sich, Bewährtes fortzuführen, aber auch neue Akzente zu setzen. Mitgliedschaften in internationalen Fachgesellschaften waren oder wurden erreicht: 1970 OMGE (WGO), 1972 ASNEMGE, 1985 ESGE, 1988 Vertretung im „Education Committee“ der OMGE (R. Rogos, Leipzig). Die fachspezifische Gliederung wurde durch Aktualisierung und Neugründung von Sektionen bzw. Arbeitsgruppen dem gegebenen Wissensstand " Tab. 1). Ab 1977 stand mittlerem medizinischem angepasst (● Fachpersonal die außerordentliche Mitgliedschaft in der Gesellschaft offen. Das tradierte Fachjournal der Gesellschaft („Deutsche Zeitschrift für Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten“, Ambrosius Barth Verlag Leipzig) wurde mit Unterstützung des Verlags im Jahre 1988 in das „Gastroenterologische Journal“ umgewidmet und als aktuelle viszeralmedizinische Zeitschrift bis 1991 fortgeführt. Chefredakteur wurde K-U. Schentke, Redaktionssekretär H-U Lehmann (beide Dresden), dem Redaktionskollegium gehörten an: R. Arendt (Rostock), H. Bosseckert (Jena), Christa Fiehring (Halle/S.), K-H. Herzog (Dresden), D. Lohmann (Leipzig), R. Nilius (Halle/S.), R. Rogos (Leipzig), F. Sielaff (Berlin), B. Wohlgemuth (Leipzig), G. Wolff (Berlin) [1, 8 – 10].

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Tab. 1 Gliederung der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR (1975 – 1990). Sektion „Gastroenterologie Endoskopie“ (1969) und Sonografie (ab 1987) Vorsitz: H. Bosseckert Sektion „Hepatologie“ (1989) Vorsitz: H. Porst Arbeitsgemeinschaft „Medizinische Fachschulkader“ (1980) Vorsitz: R. Arendt, ab 1985 K-H. Kratzsch Arbeitsgruppe „Gastroenterologische Onkologie“ (1988) Vorsitz: G. Nowak Temporäre Arbeitsgruppen zur Bearbeitung fachlicher Empfehlungen (Diagnostik, Therapie, studentische Ausbildung, ärztliche Weiterbildung, Geräteversorgung, Berufsrecht)

Die GfG war inzwischen auf über 700 Mitglieder angewachsen und erwies sich auch im 2. Jahrzehnt ihres Bestehens als fachlich kompetente und ungemein aktive ärztliche Gemeinschaft, die mit großem Ernst ihre Aufgaben für die Weiterentwicklung der Gastroenterologie und Hepatologie, für die ärztlichen Fort- und Weiterbildung und für die Unterstützung der Belange des mittleren medizinischen Personals zu erfüllen suchte. Das Angebot an Fachkongressen, Fortbildungsveranstaltungen und speziellen Symposien konnte von 1975 – 1990 weiter ausgebaut und fachlich qualifiziert werden, zumal erreicht wurde, mehr als vorher Gastreferenten aus „Ost und West“ einladen zu können. Dabei

kam es auch zu immer häufigeren Begegnungen mit bundesdeutschen Fachkollegen, die sich außerordentlich konstruktiv und kollegial entwickelten. Es war damals eine Genugtuung, dass Bemühungen erfolgreich wurden, Ludwig Demling (1988) und Meinhard Classen (1989) als erste (und einzige) Ehrenmitglieder der GfG aus einem westlichen Land berufen zu dürfen. Regelmäßig aller 2 Jahre fanden an wechselnden Orten „Gastroenterologen-Kongresse“ statt, die als Treffpunkt aller am Fachge" Tab. 2). Verhandelt biet Interessierten hohen Zuspruch fanden (● wurden aktuelle und relevante Themen auf wissenschaftlich angemessenem Niveau, aber auch praxisnaher Form. Die Tradition der „Berkaer Gespräche“ als die Fortbildungstagung der Gesellschaft blieb lebendig. Sie wurden 1962 von H. Taeschner (Bad Berka) als Veranstaltung des „Volksheilbades Bad Berka“ im Weimarer Land in Auftrage der (damals noch) „Deutschen Akademie für Ärztliche Fortbildung Berlin“ begründet und fanden seitdem jeweils Anfang Januar (wenn der Patientenbetrieb ruhte) in den Jahren zwischen den Gastroenterologenkongressen statt. Ab 1968 unterstützte die GfG die Programmgestaltung, ab 1970 (5. Berkaer Gespräch) wurde die Reihe im Auftrage der Fachgesellschaft organisiert, ab 1974 wurden an K. Predel, K. Wenzel und J. Entling (alle Bad Berka) organisatorische Aufgaben übertragen, mit dem „9. Berkaer Gespräch“ 1978 übernahm Predel in der Nachfolge von Taeschner die Gesamtleitung. Die Gestaltung wissenschaftlicher Programme oblag speziell ausgewählten Arbeitsgruppen der GfG. Hierbei hatten sich u. a. besonders H. Petzold

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Abb. 8 Antrag zur besseren Ausstattung mit Endoskopen (1986).

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Abb. 9 Antrag zur Anerkennung von EndoskopieFachschwestern.

Tab. 2 Kongresse der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR 1975 – 1990. 6. Kongress: Rostock, 8. – 11. Oktober 1975 Leitung: W. Teichmann (Rostock), Organisation: K. Diwok (Rostock) Themen: Immunologie, portale Hypertonie, Dickdarmkrankheiten 7. Kongress: Schwerin, 21. – 23. September 1977 Leitung: W. Teichmann (Rostock), Organisation: D. Ehrke (Schwerin) Themen: Gesundheitspolitik und Begutachtung in der Gastroenterologie, Gallenwegserkrankungen, Geschwülste der Verdauungsorgane, aktuelle Fragen in der Gastroenterologie 8. Kongress: Dresden, 21. – 23. April 1980 Leitung: H. Berndt (Neubrandenburg), Organisation: K-U. Schentke (Dresden) Themen: Dringliche Gastroenterologie, entzündliche Pankreaserkrankungen, Nuklearmedizin in der Gastroenterologie 9. Kongress: Berlin, 27. – 29. April 1982 Leitung: H. Berndt (Neubrandenburg), Organisation: G. Wolff (Berlin) Themen: Cholostase, Malabsorption 10. Kongress: Gera, 24. – 26. April 1984 Leitung: H. Berndt (Berlin), Organisation: H. Schramm (Gera) Themen: Magen-Darm-Ulkus, Physiotherapie und Begutachtung 11. Kongress: Halle (Saale), 28. – 30. Oktober 1986 Leitung: K-U. Schentke (Dresden), Organisation: R. Nilius (Halle/S.) Themen: Bildgebende Verfahren, Dickdarmkrebs 12. Kongress: Dresden, 27. – 29. April 1988 Leitung: K-U. Schentke (Dresden), Organisation: H. Porst (Dresden) Themen: Leber-, Gallenwegs- und Dünndarmerkrankungen

(Leipzig), H. Albert (Halle/S.) und H. Bosseckert (Jena) verdient gemacht. Diese von der Weimarer Klassik angehauchten „Berkaer Gespräche“ (insgesamt 15 bis 1990) waren ob ihrer kollegialen, " Abb. 11). nahezu familiären Atmosphäre unglaublich beliebt (● Man wohnte im klinischen Sanatorium, Klinikpersonal unterstützte das Servicepersonal, es gab nützliche kollegiale Begegnungen, besonders auf stets gelungenen Gesellschaftsabenden und am Rande hochkarätiger Konzerte, an die man sich bestens erinnern kann (z. B. Auftritte des Dresdner Kreuzchors, des Thomanerchors Leipzig und von Musikern des Weimarer Nationaltheaters und der Musikhochschule „Franz Liszt“ Weimar). Im Hintergrund waren natürlich etliche nicht fachliche Dinge zu regeln, und dazu berichtete K. Predel, der jeder Tagung ein Motto voranstellte, auf dem 20. Berkaer Gespräch 2002 über diese Begebenheit: Es kam ein Parteifunktionär und fragte etwas misstrauisch, was dieser Spruch hieße: Praesens imperfectum, futurum " Abb. 11, re unten). Nach Übersetzung („Die Geperfectus id est (● genwart ist noch nicht ganz gut, aber die Zukunft wird besser“) berichtete der Funktionär seinen Vorgesetzten, dass für die Ärztetagung in Bad Berka ein sozialistisches Zitat sogar ins Lateinische übersetzt worden sei. Eine gültige Konzeption erlaubte es, die „Berkaer Gespräche“ bis 2004 unter der Leitung von K-Predel, H. Bosseckert und R. Nilius fortzusetzen. Es hat also insgesamt 21 Veranstaltungen dieser Art über den Zeitraum von 42 Jahren gegeben [8 – 10]. Durch K. A. Koelsch (Magdeburg) wurden 1962 „Arbeitstagungen der Sektion Endoskopie“ begründet, die dann nach 1974 zunächst von G. Lisewski (Berlin) und dann von H. Bosseckert (Jena) in der

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Tab. 3 Arbeitstagungen der Sektion für Gastroenterologische Endoskopie und Sonografie (1975 – 1990) (von K. A. Koelsch 1967 in Magdeburg begründet).

Tab. 4

Bilaterale Symposien „Fortschritte der Gastroenterologie“.

Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR Tschechoslowakische Gesellschaft für Gastroenterologie

Gernrode/Quedlinburg, 23. – 25. September 1976, Leitung: G. Lisewski (Berlin)

Tschechoslowakische Gesellschaft für Hepatologie

Schwerin, 5. – 7. April 1979 Leitung: G. Lisewski (Berlin) Frankfurt/Oder, 7. – 9. April 1981 Leitung: G. Lisewski (Berlin) Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), 19. – 21. April 1985 Leitung G. Lisewski (Berlin), K-H. Kratzsch (Karl-Marx-Stadt) Oberwiesenthal, 4. – 6. Dezember 1985 Leitung: G. Lisewski (Berlin), R. Arendt (Rostock) Bad Schmiedefeld, 3. – 5. Dezember 1987 Leitung: H. Bosseckert (Jena) Finsterbergen, 11. – 13. Dezember 1989 Leitung: H. Bosseckert

" Tab. 3). Diese Tradition des Gründers weitergeführt wurden (● Tagungen fanden entsprechend der raschen, innovativen Entwicklung der gastroenterologischen Endoskopie wachsenden Zuspruch, die Zahl der Subspezialisten für Gastroenterologie hatte sich bis 1982 auf mehr als 100 erhöht. Die Kompetenz der Endo-

Karlovy Vary

Bad Berka

26. – 28. April 1973 K. Bures, P. Fric, H. Petzold, C. Tauchnitz

9. – 11. Januar 1975 T. Taeschner, H. Petzold, P. Fric, R. Rogos, J. Kotrlik

21. – 23. April 1977 K. Bures, P. Fric, L. Vala, R. Brixi, H. Bosseckert

4. – 6. Januar 1979 K. Predel, H. Petzold, Marketa Jablonska

6. – 8. Mai 1981 keine Unterlagen verfügbar

6. – 8. Januar 1983 H. Albert, K. Predel, J. Stepàn

Mai 1986 keine Unterlagen verfügbar

5. – 7. Januar 1989 R. Nilius, J. Kotrlik

skopiker im Lande erreichte ein ordentliches Niveau, soweit die zugeteilten Endoskope reichten. Im Jahre 1973 wurde die Idee verwirklicht, gemeinsame Arbeitstagungen von Gastroenterologen aus der DDR und der CSSR " Tab. 4). Es folgten abwechselnd in Karlsbad durchzuführen (●

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Abb. 10 Vorsitzende der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR 1973 – 1990.

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Abb. 11 Programmblatt 11. Berkaer Gespräch. Fotos: K. Predel; Medizinisches Personal als Servicekräfte.

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und Bad Berka weitere 7 bilaterale Symposien, sie führten zu einer engeren Zusammenarbeit mit Fachkollegen aus dem Nachbarland und blieben besonders mit den Namen H. Petzold (Leipzig), H. Bosseckert (Jena), H. Albert (Halle/S.), K. Predel (Bad Berka) von deutscher sowie Marketa Jablonska, P. Fric, J. Kotrlik (alle Prag) von tschechoslowakischer Seite verknüpft [9, 10]. Der rasante medizinische Wissenszuwachs in dieser Zeit machte die Gastroenterologie zu einem komplexen, sich weiter differenzierenden Fachgebiet interdisziplinären Charakters. Und es wurde immer offenkundiger, dass man in einem eingemauerten Wissenschaftsraum an fachliche Grenzen stieß. Referenten waren immer dieselben, Innovationen waren selten aus erster Hand zu erfahren, moderne Literatur stand nicht im erforderlichen Ausmaß zur Verfügung, internationale Kongresse waren für die Mehrheit der DDR-Ärzte unerreichbar. Deshalb entstand die Idee, spezielle Symposien zu organisieren, um eine größere Zahl an re-

nommierten Wissenschaftlern aus dem Ausland quasi per Kontingenterweiterung einladen zu können, auch unter Nutzung " Tab. 5). Die Reihen solder Möglichkeiten von Universitäten (● cher Symposien starteten 1977 mit dem Symposium „Mikrobielle Mikroflora des Menschen“ in Greifswald (Hannelore Bernhardt, M. Knoke) und einem „Colloquium hepatologicum“ in Halle/S. (R. J. Haschen, R. Nilius). Diese Konzepte fanden erfreuliche Resonanz, sodass weitere Veranstaltungen dieser Art für Pankreasund Ösophaguserkrankungen folgten. Die 8 hepatologischen Kolloquien von 1977 – 1992 beförderten die Prosperität der DDR-Hepatologie und führten1989 zur Gründung einer „Sektion Hepatologie“ der GfG (Leitung: H. Porst, Dresden). Sie konnten bis 2007 fortgesetzt werden. Trotz knapper Papierkontingente gelang es, die Beiträge einiger Symposien in Buchform oder in wissenschaftlichen Zeitschriften verschiedener Universitäten zu pu" Abb. 12). Tatsächlich gelang es über die genannten blizieren (●

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Mikrobielle Mikroflora des Menschen 1977, 1979, 1981 Greifswald, 1987 Stralsund (Hannelore Bernhardt. M. Knoke), 1990 Rostock (Hannelore Bernhardt, M. Knoke)

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Tab. 5 Spezielle gastroenterologische und hepatologische Symposien.

Colloquium Hepatologicum 1977 Halle (R. J. Haschen, R. Nilius), 1978 Greifswald (R. Nilius), 1980 Jena (D.Jorke), 1982 Potsdam (F. Renger), 1984 Dresden (K-U. Schentke), 1986, 1990 Halle (R. Nilius) 1992 Halle (R. Nilius, unter Schirmherrschaft der Mitteldeutschen Gesellschaft für Gastroenterologie) weitere 6 Kolloquien 1994 – 2007 in Bad Kissingen, Bad Berka, Bad Düben (R. Nilius, K-J. Paquet, B. Zipprich) Colloquium Pancreatologicum 1981 Kühlungsborn (W. Teichmann, H. Klinkmann), 1983 Rostock-Warnemünde (R. Arendt), 1985 Kühlungsborn (R. Arendt, W. Dummler), 1988 Rostock-Warnemünde (R. Arendt, R. Reding, W. Dummler, H-P. Putzke) Colloquium Oesaphologicum 1985 Sebnitz (F. Pflücke), 1988 Dresden (G. Lauschke)

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Abb. 12 Veröffentlichungen hepatologischer Kolloquien (Auswahl).

Symposien, eine größere Anzahl international führender Fachvertreter als Referenten zu gewinnen und für Nichtreisekader so-

wie für den ärztlichen Nachwuchs erlebbar zu machen. Beispielweise verzeichnete das „6. Colloquium hepatologicum“ in Halle

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Abb. 13 Second Announcement, VI. Colloquium hepatologicum.

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(Saale) 1986 insgesamt 32 Gastreferenten (BRD-9, Österreich, Großbritannien, Schweden-6, sozialistische Länder-17), eine für " Abb. 13). An dieser DDR-Verhältnisse ungewöhnlich hohe Zahl (● Stelle darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass angesichts der devisenarmen DDR die genannten Aktivitäten nicht ohne die Unterstützung durch viele (oft im Verborgenen handelnde) Sponsoren möglich gewesen wären. Stellvertretend sei hier des beharrlichen und umsichtigen Wirkens von Dr. H. Falk (Freiburg i. Br.) dankbar gedacht, aber auch der Kollegen, die die Reise in den Osten nicht gescheut hatten.

Gastroenterologische Forschung in der DDR !

Trotz Gründung einer „Hauptforschungsrichtung (HFR) Gastroenterologie“ blieb die gastroenterologische/hepatologische Forschung in der DDR unterfinanziert und konnte bis auf wenige Ausnahmen nicht mit dem westlichen Forschungsniveau Schritt halten. Projekte mussten sich mehr nach verfügbaren Methoden als nach wirklichen wissenschaftlichen Fragestellungen ausrich-

ten. Eine Verbesserung erhoffte man sich für den Planungszeitraum 1986 – 1990, als unter Leitung von R. Arendt (Rostock), unterstützt von einem wissenschaftlichen Beirat, ein Programm erarbeitet wurde, das sich auf folgende Aufgaben konzentrierte " Abb. 14): (● 1. Autodigestive entzündliche Pankreaserkrankungen (mit 8 Unterthemen), Koordinatoren: H-P. Putzke, R. Arendt (Rostock) 2. Ätiologie und Pathogenese chronischer Lebererkrankungen (mit 6 Unterthemen), Koordinator: R. Nilius (Halle/S.) 3. Funktionelle Störungen des Magen-Darm-Trakts (mit 3 Unterthemen) Koordinator: R. Rogos (Leipzig) Insgesamt waren 31 Kliniken und Institute, 48 inländische und 27 internationale Kooperationspartner beteiligt. Das Projekt hatte zwar eine ausreichende Personalausstattung, krankte jedoch immer noch an zu knapp bemessenen themengebundenen Grundmitteln und Devisen [8]. 1990 musste das Programm eingestellt werden, aber immerhin findet man heute in Datenbanken mehr als 300 Publikationen aus diesem Forschungsverband.

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Abb. 14 Forschungsmittel für die „Hauptforschungsrichtung Gastroenterologie“ 1986 – 1990.

Wiedervereinigung der Deutschen Gastroenterologie !

Als 1989 die politische Wende in der DDR begann, eröffnete sich für alle unerwartet auch die Chance zu einem Zusammenrücken der beiden deutschen Gastroenterologengesellschaften. Erste Sondierungsgespräche über ein gemeinsames Vorgehen wurden am Rande der 44. Tagung der DGVS im September 1989 in Mainz geführt, ohne zunächst an eine wirkliche Wiedervereinigung zu denken. Auf einer Mitgliederversammlung anlässlich der Endoskopietagung in Finsterbergen am 12. Dezember 1989 wurde das weitere Procedere diskutiert [8], die Versammlung unterstützte den Vorstand der GfG in der Absicht, direkte Gespräche " Abb. 15). Ein im mit dem Präsidium der DGVS aufzunehmen (● Namen des Vorstands der GfG an den Präsidenten der DGVS des Jahres 1989 (K-H. Meyer zum Büschenfelde, Mainz) gerichtetes Schreiben brachte die Hoffnung der ostdeutschen Seite „…..nach einer engeren Einbindung in den deutschsprachigen Kultur- und Wissenschaftsraum, an dem wir in den letzten Jahrzehnten nur als Zaungäste teilhaben konnten….. “ zum Ausdruck (R. Nilius an K-H. Meyer zum Büschenfelde, 14. Dezember 1989) [8, 10]. Eine Woche

später verwies M. Manns (Mainz) als DGVS-Sekretär 1989 auf die Zuständigkeit des für 1990 gewählten Präsidiums der DGVS " Abb. 16) [8]. In den folgenden politisch ereignisreichen Mona(● ten wurde der 1988 gewählte Vorstand der GfG jedoch mit schriftlichen Vorwürfen auch anonymer Art konfrontiert, dass ihm eine demokratische Legitimation fehle. Um die Meinung aller Mitglieder der GfG zu erfahren, wurde daher am 14.3.1990 eine repräsentative Mitgliederbefragung initiiert. Gleichzeitig sollten Vorstellungen über die Notwendigkeit sofortiger Neuwahlen des Vorstands, über personelle Vorschläge, über die Vereinigung mit der DGVS und über die Gründung von ostdeutschen " Abb. 18). Die ErgebRegionalgesellschaften erkundet werden (● nisse dieser Umfrage legitimierten den Vorstand der GfG zur Fortsetzung seiner Arbeit (über 90 % Zustimmung) und bestätigten ziemlich eindeutig den Meinungstrend der Mitgliederversammlung in Finsterbergen. Auch für einen Anschluss der GfG-Mitglieder an die DGVS sowie den Aufbau von Regionalgesellschaften plädierte eine überwältigende Mehrheit. Der Vorstand folgte dem Vorschlag, S. Liebe (Rostock) zu kooptieren [8].

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Abb. 15 Mitgliederversammlung Finsterbergen 1989 - Protokollauschnitt (Sektion für Gastroenterologische Endoskopie und Sonografie).

Inzwischen war bekannt geworden, dass auch das Präsidium der DGVS an offiziellen Gesprächen interessiert war, um die Zusammenführung beider Gesellschaften unter dem Dach der DGVS als der angestammten deutschen Gastroenterologengesellschaft vorzubereiten. Deshalb lud der amtierende Vorstand der GfG " Tab. 6) für den 22.3.1990 zu einem Treffen nach Halle (Saale) (● ein, an dem seitens der DGVS H. Goebell (Essen, Präsident), W. F. Caspary, (Frankfurt/Main, Schriftführer) sowie B. Kommerell (Heidelberg, Präsident 1991) teilnahmen. Die Beratungen zeichneten sich durch eine äußerst kollegiale, konstruktive Atmosphäre aus, die Gespräche „…verliefen unerwartet unkompliziert“ (H. Goebell) [11] und dürften allen Beteiligten in bester Erinnerung sein. Nach einem ersten Gedankenaustausch und einer Bestandsaufnahme der gegebenen Situation in den Gesellschaften wurden zügig und einvernehmlich diese konkreten Vereinbarun" Abb. 17, 18): gen getroffen (● ▶ Bildung einer Kommission zur weiteren Kontaktpflege ▶ Kooption von 2 Mitgliedern der DDR-Gesellschaft in den Beirat der DGVS ▶ Beitritt von DDR-Gastroenterologen in die DGVS zu äußerst kulanten Übergangsbedingungen und finanzielle Unterstützung für den Besuch der 45. Tagung der DGVS-Tagung in Essen (Bildung eines Solidaritätsfonds) ▶ Finanzierung von Studienaufenthalten jüngerer ostdeutscher Ärzte in der BRD (Katsch-Stipendium) ▶ Kostenlose Lieferung der „Zeitschrift für Gastroenterologie“ für 1990 (mit Unterstützung des Demeter-Verlags) Nachdem der Beirat der DGVS diese Vereinbarungen „…..mit Beifall und Zustimmung aufgenommen….“ und das weitere Vorgehen be-

Tab. 6 Vorstand der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR 1988 – 1990. Vorsitzender

Stellvertretender Vorsitzender

R. Nilius (Halle/S.)

K-U. Schentke (Dresden)

Sekretär

Schatzmeister

H. Albert (Halle/S.)

B. Wohlgemut (Leipzig)

Weitere Mitglieder R. Arendt (Rostock) H. Berndt (Berlin) H. Bosseckert (Jena) – Leiter der „Sektion Endoskopie und Sonografie H-J. Gütz (Berlin Buch) K-H. Kratzsch (Karl-Marx-Stadt/Chemnitz) – Leiter der AG „Medizinische Fachschulkader“ W. Kröger (Rostock) W. Nowak (Erfurt) – Leiter der AG „Gastroenterologische Onkologie“ H. Porst (Dresden) – Leiter der Sektion „Hepatologie“ K. Predel (Bad Berka) R. Rogos (Leipzig) H. Schramm (Gera) G. Wolff (Berlin). S. Liebe (Rostock) – 1990 kooptiert

" Abb. 17), wurde in einem Rundschreiben „An alle grüßt hatte (● Mitglieder der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR“ vom 6.6.1990 über die Ergebnisse der Mitgliederbefragung vom März 1990 und über die Verhandlungsergebnisse mit dem Präsidium " Abb. 18) [8]. der DGVS informiert (● Nach den „Halleschen Vereinbarungen“, die man wohl heute als eine Grundlage für die Vereinigung der deutschen Viszeralmedizin

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bewerten kann, tagte der amtierende Vorstand der GfG noch zwei Mal (1.6.1990, 12.9.1990), um personelle Entscheidungen zu treffen, die sich aus den genannten Vereinbarungen mit dem Präsidium der DGVS ergaben, und die Auflösung der Gesellschaft vorzubereiten. Folgende Ehrungen und Auszeichnungen, die bereits im Januar 1989 beschlossen worden waren, konnten im Jahresverlauf realisiert werden: ▶ Ehrenmitgliedschaften: M Classen (München), Marketa Jablonska (Prag), J. Feher (Budapest); ▶ Martin-Gülzow-Preis: Christa Fiehring (Halle/S.); ▶ Ismar-Boas-Medaille: H.Bosseckert (Jena), R. Arendt (Rostock), H. Oetcke (Bad Münder). Ein 13. Gastroenterologenkongress der GfG, der vom 28.– 31.1.1991 in Halle stattfinden sollte, wurde abgesagt. Als Leiter einer Liquidierungskommission wurde B. Wohlgemuth (Leipzig) beauftragt, der die Modalitäten für die Auflösung der GfG in der ihm eigenen besonnenen Zuverlässigkeit regelte. So mussten Mitgliedschaften in internationalen Gesellschaften gekündigt und abschließende finanzielle Regelungen getroffen werden. Der vorher noch aufgestockte Martin-Gülzow-Preis und die Ismar-Boas-Medaille wurden von der DGVS übernommen und werden heute in modifi-

zierter Form weiter verliehen. Fragen zu den insgesamt 29 Ehrenmitgliedern der GfG konnten wohl damals nicht geklärt werden. Schlussendlich wurde die GfG unter der Anwesenheit von 19 Mitgliedern fast unbemerkt am 24.11.1990 formell aufgelöst [8, 10]. Nach 25 Jahren der politisch erzwungenen Trennung war Ihre „Brückenfunktion“ für die Bewahrung einer organisierten Gastroenterologie in Ostdeutschland entbehrlich geworden. Die 45. Tagung der DGVS (3.–6.10.1990) begann am „Tag der Deutschen Einheit“ und ist mit Recht als Ausgangspunkt der wiedervereinigten deutschen Gastroenterologie in die Chroniken eingegangen. Sie verzeichnete mehr als 300 Teilnehmer aus Ostdeutschland, dank der großzügigen finanziellen Unterstützung durch ihre westdeutschen Fachkollegen. In seiner Eröffnungsansprache ging der Kongresspräsident H. Goebell sehr ausführlich auf die unkompliziert verlaufenen Verhandlungen zwischen DGVS und GfG ein [11] und distanzierte sich dabei auch von Vorwürfen seitens einiger Mitglieder der DGVS, die eine zu großzügige Einbeziehung von Vertretern der alten DDRMedizin kritisierten [10, 12]. Ungeachtet solcher Diskussionen verlief der nach 25 Jahren wieder gesamtdeutsche Kongress in erwartungsvoller, freudiger Aufbruchsstimmung [10]. Die fach-

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Abb. 16 Schreiben M. Manns an R. Nilius (bestätigt Kontaktaufnahme von DGVS und GfG).

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Abb. 17

Schreiben H.Goebell an R. Nilius (bestätigt Vereinbarungen zwischen DGVS und GfG).

liche Gemeinsamkeit war erreicht, die politische, oft kontrovers geführte Diskussion über die DDR-Zeit hält bis heute an. In den Wochen um den Essener Kongress traten mehr als 600 Gastroenterologen aus nun „Neuen Bundesländern“ der DGVS gemäß den angebotenen Übergangsbedingungen bei. Das Katsch-Stipendien, persönliche Aktivitäten und Initiativen des „Verbandes leitender Krankenhausärzte“ ermöglichten 62 jüngeren Kollegen Hospitationen in westdeutschen Kliniken (sog. Orientierungsbesuche). Tatsächlich erhielten 1990 alle ehemaligen Mitglieder der GfG die „Zeitschrift für Gastroenterologie“ vom Demeter-Verlag kostenlos überreicht. Beiträge aus letzten Veranstaltungen der DDR-Gastroenterologie, bspw. des VII. Colloquium hepatologicum, wurden nun in diesem Organ der DGVS veröffentlicht [13]. Das „Gastroenterologische Journal“ (Ambrosius-Barth-Verlag Leipzig) wurde 1991 eingestellt. Auf regionaler Ebene fanden die Norddeutsche und die Berlin-Brandenburgische Gesellschaft für Gastroenterologie ostdeutschen Zuwachs. Für die Bundesländer Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gründete sich am 20.4.1991 die „Mitteldeutsche Gesellschaft für Gastroenterologie“ mit H. Bosseckert (Jena) als ersten Vorsitzenden und Vorstandsmitgliedern auch aus dem ehemaligen Vorstand der GfG [10]. Die Belange der gesamtdeutschen Gastroenterologie waren somit vorzüglich geordnet.

Schlussbemerkung !

Trotz der deutschen Zweistaatlichkeit gab es bis 1961 gesamtdeutsche medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften. Nach der

Gründung der „Gesellschaft für Klinische Medizin der DDR“ (5.5.1962) mussten jedoch in der DDR ansässige Ärzte ihre Mitgliedschaften in den nun als „westdeutsch“ deklarierten Fachgesellschaften aufkündigen. Damit wurde es nicht zuletzt aus fachlichen Gründen unabdingbar, auch eine Fachvertretung für das Gebiet der Verdauungskrankheiten zu gründen, zunächst als Arbeitsgemeinschaft (19.5.1965), dann als „Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR“ (3.10.1967). Diese Gesellschaft hatte zuletzt ca. 900 ordentliche und außerordentliche Mitglieder und verzeichnet in ihrer Chronik von 12 Wahlperioden im 2-Jahresturnus insgesamt 7 Vorsitzende und 12 Vorstände, die jeweils nach DDR-Recht gewählt wurden [9, 10]. Diese Fachgesellschaft hat über 25 Jahre hinweg die Traditionen der mittel- und ostdeutschen Gastroenterologie bewahrt und mit ihrer stets sachorientierten Arbeit mit für die Entwicklung einer leistungsfähigen Gastroenterologie in der DDR gesorgt, und das unter nicht ganz einfachen Bedingungen. Darüber hinaus wurde natürlich auch das Einbringen spezifischer Fachkompetenz in gesundheits- und hochschulpoltische Angelegenheiten im Lande als immanente Aufgabe angesehen. Man sollte rückschauend ebenso die Leistungen aller in der Viszeralmedizin Tätigen mit Respekt würdigen, die unter den gegebenen Bedingungen in der DDR für eine angemessene, wenn auch nicht optimale Patientenbetreuung gesorgt haben. Kontakte zur DGVS sowie Begegnungen mit Vertretern der bundesdeutschen Gastroenterologie sind in den 25 Jahren der Trennung im Rahmen des Möglichen weiter gepflegt worden und konnten in den 80er-Jahren wieder deutlich ausgeweitet werden. An vielschichtige Unterstützungen durch bundesdeutsche Gremien und Kollegen sei an dieser Stelle dankbar erinnert. Auf der Basis eines gegenseitigen Verständnisses

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Abb. 18

Rundschreiben an die Mitglieder der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR.

Danksagung

und Vertrauens konnte schließlich 1990 die Reintegration der DDR-Gastroenterologie in die DGVS vollzogen werden. Die seinerzeit Handelnden haben mit gutem Gewissen ein Stück deutscher Gastroenterologie in das angestammte „gemeinsame Haus DGVS“ zurückgebracht.

Der Autor ist Herrn Dr. Kurt Predel für Informationen und die " Abb. 10, 11) über die Bad Berkaer Überlassung von Unterlagen (● Gespräche zu besonderem Dank verpflichtet.

Benutzte Abkürzungen

Literatur

ASNEMGE:

01 Verzeichnis der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR/hrsg. Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR vom 31.3.1989 02 Veröffentlichungen des Koordinierungsrates der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR. 9: 1989: 138 – 148 03 Konzeption zur Qualifizierung der Kaderarbeit in den medizinischwissenschaftlichen Gesellschaften der DDR/hrsg. Koordinierungsrat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR – Nur für den Dienstgebrauch 30.6.1984 04 Anweisung über die marxistisch-leninistische Weiterbildung der Ärzte und Zahnärzte in der Weiterbildung zum Facharzt/Fachzahnarzt und der Doktoranden der medizinischen Wissenschaft, Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen Nr. 11, 1977 05 Promotionsordnungen A und B. Gesetzblatt der DDR Teil II Nr. 14 06 Referat des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen der DDR, Prof. Hans-Joachim Böhme, Der Beitrag der Universitäten und Hochschulen zum gesellschaftlichen Fortschritt und zur Stärkung der Leistungskraft unseres Landes in den achtziger Jahren, V. Hochschulkonferenz der DDR, Berlin 4.–5. September 1980/hrsg. Zentralstelle für Lehr- und Organisationsmittel des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen Zwickau 1980

DGVS: ESGE: GfG: GS/MfG-DDR:

NSW: OMGE:

SW:

Association des Societes Nationales Europeenaes et Mediterrameennes du Gastroenterologie (Association of National European and Mediterranean Societies or Gastroenetrology) Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten European Section of the World Association for Gastroenterological Endoscopy Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR Nichtsozialistisches Währungsgebiet Organisation Mondiale du Gastroenterologie (ab 2006 WGO-World Gastroenterology Organization) Sozialistisches Währungsgebiet

!

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Übersicht

Übersicht

07 Hinweise zur Vorbereitung und Auswertung des Besuches von Medizinisch-Wissenschaftlichen Veranstaltungen im Ausland/hrsg. Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften beim Ministerium für Gesundheitswesen der DDR (741) Ag 101-82-3106 08 Nilius R. Persönliches Archiv 09 Teichmann W, Wolff G. Zum 25 jährigen Bestehen der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR. Gastroenterol J 1990; 50: 157 – 162 10 Schoenemann J. Chronik der Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR. Medizin aktuell 2004; 1: 3 – 35

11 Goebell H. Eröffnungsansprache zur 45. Tagung, Deutsche Gesellschaft für Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten. Classen M, Goebell H. Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) mit Sektion Endoskopie/hrsg. Balingen: Demeter-Verl. im Spitta Verl. Bd. 2, 1971; 1997: S231 – S235 12 Mörl M, Schoenemann J, Theuer D. Westkongresse – Waschanlagen für belastete DDR-Mediziner? Fortschr Med 1990; 108: 18 13 Advances in Therapy of Hepato-Biliary Diseases, VII. Colloquium hepatologicum Halle/S. 16. – 18. Oktober 1990. Z Gastroenterol 1990; Bd XXIX (Suppl 2): 3 – 172

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[Gastroenterology in the former GDR (1975-1990) and the changes after German reunification].

This short overview sketches the state of Gastroenterology in the GDR (1975 - 1990) from the point of view of an East-German contemporary witness. The...
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