Berufspolitisches Forum Unfallchirurg 2014 · 117:557–559 DOI 10.1007/s00113-014-2581-8 Online publiziert: 6. Juni 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

R. Hoffmann, Frankfurt

T. Histing1 · M. Burkhardt2 · M. Rollmann1 · M.D. Menger3 · T. Pohlemann1 1 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universität des Saarlandes, Homburg/Saar 2 Evangelisches Stadtkrankenhaus Saarbrücken 3 Institut für Klinisch-Experimentelle Chirurgie, Universität des Saarlandes, Homburg/Saar

Funktionsoberarzt Pseudotitel oder sinnvolle Position?

Hintergrund Die meisten Kliniken in Deutschland ha­ ben eine klare, hierarchische ärztliche Teamstruktur. Das Team besteht aus dem Klinikdirektor, dem leitenden Oberarzt, Oberärzten, die entsprechende Schwer­ punkte vertreten sowie Fachärzten und Weiterbildungsassistenten. Diese hierar­ chische Struktur spiegelt sich auch in den vier Entgeltgruppen der Tarifverträge wi­ der. In den vom Marburger Bund abge­ schlossenen Tarifverträgen wird dem­ nach zwischen dem „Arzt“ mit der Ent­ geltgruppe 1, dem „Facharzt“ mit der Ent­ geltgruppe 2, dem „Oberarzt“ mit der Ent­ geltgruppe 3 und dem „leitenden Ober­ arzt“ mit der höchsten Entgeltgruppe 4 unterschieden. Chefärzte sind von dem oben genannten Eingruppierungen der Tarifverträge ausgenommen [1]. Entschei­ dend ist, dass durch diese Strukturierung die Positionen und damit auch die Tätig­ keiten und Aufgaben klar definiert sind.

Funktionsoberarzt Seit Jahrzehnten wird in vielen Kliniken die zusätzliche Position des Funktions­ oberarztes ausgewiesen. Interessant ist da­ bei, dass diese Position bis heute weder in der hierarchischen Teamstruktur noch in den Tarifverträgen abgebildet ist. Bei einer Internetrecherche der Homepages der 36 unfallchirurgischen Universitätskliniken zeigt sich, dass die Hälfte der Kliniken unter der Spalte „unser Team“ Mitarbei­ ter in der Position eines Funktionsober­

arztes aufführen. Durchschnittlich wur­ den bei den 18 Kliniken 1,8 Mitarbeiter als Funktionsoberärzte ausgewiesen. Unklar bleibt jedoch, wie die Position eines Funktionsoberarztes und insbeson­ dere sein Tätigkeitsprofil definiert sind. Eine Recherche im Internet hierzu bleibt ohne Erfolg. In kollegialen Gesprächen finden sich unterschiedliche Ansichten. Die einen verstehen darunter einen Fach­ arzt, der selbstverantwortlich arbeitet und an die Tätigkeit eines Oberarztes heran­ geführt wird. Diese Formulierung impli­ ziert, dass der Facharzt noch nicht alle Tätigkeiten eines Oberarztes übernimmt, die Position auf einen bestimmten Zeit­ raum begrenzt ist und eine Oberarztstelle in Aussicht gestellt wird. Andere vertreten die Meinung, dass ein Funktionsoberarzt gänzlich die Tätigkeiten eines Oberarztes ausübt, ohne eine entsprechende Plan­ stelle zu besetzen und ohne eine entspre­ chende Vergütung zu erhalten. Bei die­ ser Interpretation wird deutlich, dass eine Diskrepanz zwischen Tätigkeit und Ver­ gütung besteht. Sicherlich muss diskutiert werden, wel­ che Eigenschaften einen Arzt zum Ober­ arzt machen. Aus tarifrechtlicher Sicht ist dies durchaus relevant, da die Entgelt­ gruppe 3 für Oberärzte eine deutlich hö­ here Vergütung im Vergleich zur Entgelt­ gruppe 2 für Fachärzte ausweist. So wur­ den z. B. von der Berliner Charité im Rah­ men von Tarifverhandlungen verschiede­ ne Eigenschaften genauer definiert, die von einem Oberarzt erfüllt sein müssen [2]. Neben grundsätzlichen Vorausset­

zungen, wie Facharztanerkennung und soziale Kompetenz, wurden verschiedene Hauptkriterien definiert, die die wesentli­ chen Tätigkeiten eines Oberarztes wider­ spiegeln. Diese Hauptkriterien beinhalten i) die fachliche Aufsicht über Assistenzund v. a. Fachärzte, ii) die Bereichsverant­ wortung (z. B. die Verantwortlichkeit für eine Station), iii) die herausgehobene kli­ nische Kompetenz (z. B. die Supervision von Fachärzten bei schwierigen operati­ ven Eingriffen) und iv) die wissenschaft­ liche Qualifikation. Im Falle, dass nicht al­ le Hauptkriterien erfüllt werden, müssen sog. Hilfskriterien wie Organisationsver­ antwortung, Ausbildungsfunktion oder Hintergrunddienst erfüllt sein.

Karriere Die Interpretation, dass ein Funktions­ oberarzt ein Facharzt ist, der eigenver­ antwortlich arbeitet und an die Tätigkei­ ten eines Oberarztes herangeführt wird, ist durchaus positiv zu sehen und eröff­ net dem Facharzt einen weiteren Schritt auf der „Karriereleiter“. Die neuen Auf­ gaben, der vergrößerte Verantwortungs­ bereich und das entgegengebrachte Ver­ trauen wirken in der Regel motivierend. Die Verantwortung von Entscheidungen trägt zur weiteren Entwicklung der Eigen­ ständigkeit und Persönlichkeit bei. Von Vorteil ist, wenn dem Funktionsoberarzt noch eine gewisse Unterstützung von er­ fahrenen Oberarztkollegen zugestanden wird (z. B. bei komplexen oder technisch schwierigen Operationen). Der Unfallchirurg 6 · 2014 

| 557

Zusammenfassung · Abstract

Diskrepanz zwischen Tätigkeit und Vergütung Die Interpretation, ein Funktionsober­ arzt sei ein Facharzt, der die Funktionen eines Oberarztes ausübt, ohne eine ent­ sprechende Planstelle zu besetzen und oh­ ne eine entsprechende Vergütung zu be­ ziehen, ist kritisch zu hinterfragen. Die­ se Problematik ist dadurch bedingt, dass die Verwaltung der Klinik keine zusätzli­ che Oberarztstelle zur Verfügung stellen kann, obwohl aus der Sicht des Klinikdi­ rektors der jeweilige Mitarbeiter durch­ aus für die Tätigkeiten eines Oberarztes geeignet ist, da er bereits die Funktionen eines Oberarztes wahrnimmt. Die Ober­ arztstelle kann dann erst besetzt werden, wenn ein anderer Oberarzt die Klinik verlässt. Andererseits könnte die Position des Funktionsoberarztes auch dazu ge­ nutzt werden, eine Verbesserung der Posi­ tion zu suggerieren, um damit einen Mit­ arbeiter „zu halten“. Diese „Hinhaltetak­ tik“ kann dann als eine Art Personalpoli­ tik interpretiert werden und reduziert na­ türlich die Kosten für das Klinikum.

Oberarzt oder Assistent? Der entscheidende Nachteil, der sich aus der Position des Funktionsoberarztes er­ geben kann, ist der Einsatz nach Bedarf. Dies bedeutet, dass der Funktionsober­ arzt in Abhängigkeit der Personalsitua­ tion entweder die Tätigkeiten eines Ober­ arztes oder die des Assistenten oder gar beide übernimmt. Der Wechsel zwischen beiden Positionen führt letztendlich zu einer zunehmenden Frustration, wenn z. B. der Funktionsoberarzt an einem Tag eigenverantwortlich im Oberarztdienst ein Polytrauma versorgt und im Gegen­ satz dazu an einem anderen Tag im As­ sistentendienst zur Blutabnahme auf Sta­ tion gerufen wird. Durch den wechseln­ den Einsatz als Assistent oder als Ober­ arzt mit teilweise völlig unterschiedlichen Aufgabenfeldern „sitzt“ der Funktions­ oberarzt quasi zwischen den Stühlen und entwickelt keine eigene Identität und Zu­ gehörigkeit. Ein weiterer Punkt ist die feh­ lende Akzeptanz von Seiten der Assisten­ ten oder Oberärzten. So wird der Funk­ tionsoberarzt v. a. von den Oberärzten in

558 | 

Der Unfallchirurg 6 · 2014

Unfallchirurg 2014 · 117:557–559  DOI 10.1007/s00113-014-2581-8 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 T. Histing · M. Burkhardt · M. Rollmann · M.D. Menger · T. Pohlemann

Funktionsoberarzt. Pseudotitel oder sinnvolle Position? Zusammenfassung Die Position des Funktionsoberarztes in vielen Kliniken ist fest etabliert. Unklar bleibt jedoch, wie die Position eines Funktionsoberarztes definiert ist. Einerseits wird interpretiert, dass die Position der eines Facharztes entspricht, der selbstverantwortlich arbeitet und an die Tätigkeiten eines Oberarztes herangeführt wird. Andere verstehen unter einem Funktionsoberarzt einen Facharzt, der gänzlich die Tätigkeiten eines Oberarztes ausübt, jedoch keine entsprechende Planstelle besetzt und keine entsprechende Vergütung erhält. Ein kritischer Nachteil, der sich häufig aus der Position des Funktionsoberarztes ergibt, ist der Einsatz nach Bedarf. Dies bedeutet, dass in Abhängigkeit der Personalsituation der Funktionsoberarzt entweder die Tätigkeiten eines Oberarztes oder die eines As-

sistenten oder gar beide übernimmt. Der Wechsel zwischen beiden Positionen, die damit einhergehende Doppelbelastung sowie die fehlende Identität und Akzeptanz führen letztendlich zu einer Unzufriedenheit. Unter der Voraussetzung, dass der Funktionsoberarzt tatsächlich die Tätigkeiten eines Oberarztes übernimmt, aber trotzdem von erfahrenen Kollegen unterstützt wird, ist die Position durchaus sinnvoll. Wichtig ist, dass die Position des Funktionsoberarztes als Übergangsphase gesehen wird und der Zeitraum im Vorfeld festgelegt ist. Schlüsselwörter Funktionsoberarzt · Oberarzt · Karriere · Ärztliche Teamstruktur · Planstelle

Funktionsoberarzt. Pseudo-title or meaningful position? Abstract The position of the Funktionsoberarzt (“functioning senior physician”) is to date not specified. Nevertheless, in the majority of hospitals the position exists, although the function and responsibilities are not clearly defined. Frequently, it is thought that the position represents a consultant who works independently, but who is still supported by experienced colleagues to achieve the full qualification for a senior physician. In contrast, others indicate that the position represents a consultant who works as a senior physician with all responsibilities, but without an established post and without the corresponding reimbursement. A critical disadvantage of the position is that frequently the duties of both a resident and

dieser noch untergeordneten Position ge­ gebenenfalls nicht akzeptiert. Obwohl Oberarzt sein sicherlich nicht nur bedeutet, dass man hauptsächlich operativ tätig ist, ergeben sich für den Funktionsoberarzt Nachteile bezüglich der Operationsplanung. Dies ist v. a. da­ durch bedingt, dass durch die Wahrneh­ mung von „Assistententätigkeiten“ (z. B. der Notarztdienst) die Planung der Ope­ rationen schwieriger zu gestalten ist. Im Gegensatz dazu haben die meisten Ober­ ärzte feste Ambulanz- und OP-Tage und vertreten entsprechend mit Spezialsprech­ stunden oder im OP ihre Schwerpunkte.

senior physician must be managed. Rotation between the two functions results in a higher workload, and the lack of identity and acceptance may lead to frustration. Therefore, we feel that the position is only meaningful if the Funktionsoberarzt works exclusively as a senior physician who is supported for complex surgeries and decisions by more experienced colleagues. In addition, the position should only be temporary and the time period for the position should be defined in advance. Keywords Functioning senior physician · Career · Doctoral team structure · Job description

Zudem ist es mit Sicherheit so, dass man im Oberarztdienst als Entscheidungsträ­ ger deutlich mehr operiert als im Assis­ tentendienst. Ein weiterer Nachteil ist eine gewisse Doppelbelastung. Letztendlich wir von einem Funktionsoberarzt erwartet, dass er als Oberarzt organisatorische oder ad­ ministrative Aufgaben übernimmt. Ande­ rerseits muss natürlich auch die Stations­ arbeit (z. B. Entlassungsbriefe schreiben) erledigt werden.

Fachnachrichten

Lösungsvorschlag

Korrespondenzadresse

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Position des Funktionsoberarztes aus unserer Sicht als sinnvoll zu betrachten ist, wenn der Funktionsoberarzt tatsäch­ lich die Tätigkeiten eines Oberarztes über­ nimmt, da durch die gleichzeitige Wahr­ nehmung von Oberarzt- und Assistenz­ arzttätigkeiten eine zunehmende Unzu­ friedenheit des Mitarbeiters zu erwar­ ten ist. Nichtsdestotrotz sollte dem Funk­ tionsoberarzt bei komplexen Behand­ lung und technisch schwierigen Opera­ tionen eine Unterstützung von erfahre­ nen Oberarztkollegen zugestanden wer­ den. Um dies zu realisieren ist eine klare Absprache zwischen dem Funktionsober­ arzt und dem Klinikdirektor notwendig. Im Rahmen dessen sollten die Aufgaben und neuen Verantwortungsbereiche, wie z. B. die Betreuung einer Station als Ober­ arzt oder die Verantwortlichkeit für einen Funktionsbereich, definiert werden. Entscheidend ist, dass von einer Über­ gangsphase gesprochen wird, so dass der Zeitraum, z. B. 6–12 Monate in Abhängig­ keit der Personalsituation, der Funktions­ oberarzttätigkeit festgelegt werden soll­ te. Somit ist eine „Win-win-Situation“ ge­ schaffen, da der Klinikdirektor einen mo­ tivierten Mitarbeiter gewinnt, der eigen­ verantwortlich arbeitet und der Funk­ tionsoberarzt eine Verbesserung seiner bisherigen Tätigkeit erreicht und eine Oberarztstelle bereits zugesprochen wird. Unter diesen Voraussetzungen ist somit auch die geringere Vergütung gerechtfer­ tigt.

PD Dr. T. Histing Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie,   Universität des Saarlandes Kirrberger Straße, 66421 Homburg/Saar [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  T. Histing, M. Burkhardt, M. Rollmann, M.D. Menger und T. Pohlemann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur 1. Wellhöner A (2010) Tarifliche Entgeltgruppen: Wenn ein Oberarzt kein Oberarzt ist. Dtsch Ärzteblatt 107(7):A-301/B-265/C-261 2. Fritsche L (2007) Oberarzt-Einstufung: Kriterien erstmals klar geregelt. Dtsch Ärztebl 104(17):A1127/B-1007/C-959

Start AltersTraumaZentrum DGU® Im Hinblick auf die Verdopplung bis Verdreifachung von Altersbrüchen in den kommenden 20 Jahren hat die DGU das Zertifizierungsverfahren AltersTraumaZentrum DGU® entwickelt. Um eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgen und Geriatern sicherzustellen, haben Unfallchirurgen der AG Alterstraumatologie der DGU zusammen mit Geriatern aus den geriatrisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften einen Kriterienkatalog erarbeitet. Dieser liegt dem Zertifizierungsverfahren zum AltersTraumaZentrum DGU® zugrunde. Für die Teilnahme am Zertifizierungsverfahren müssen die Kliniken die im Kriterienkatalog definierten Vorgaben erfüllen. Zudem verpflichten sich die Kliniken zur Teilnahme am AltersTraumaRegister DGU®, das als Instrument zum klinikinternen Qualitätsmanagement und zum Benchmarking mit anderen Kliniken dient. Ziel der Unfallchirurgen ist es, die Frakturversorgung unter Berücksichtigung abgestimmter altersspezifischer Behandlungsprozesse zu optimieren und ältere Menschen besser bei der Genesung zu unterstützen. Ab sofort können sich bundesweit Klinken für das Zertifizierungsverfahren zum AltersTraumaZentrum DGU® anmelden: www. alterstraumazentrum-dgu.de. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) e.V.

Fazit für die Praxis Unter der Voraussetzung, dass der Funktionsoberarzt tatsächlich die Tätigkeiten eines Oberarztes übernimmt, aber trotzdem von erfahrenen Oberarztkollegen bei der Behandlung von komplexen Fällen und Operationen unterstützt wird, ist die Position u. E. durchaus sinnvoll. Voraussetzung ist eine klare Absprache zwischen Klinikdirektor und Funktionsoberarzt, die die Definition der Tätigkeiten sowie den Zeitraum der Funktionsoberarzttätigkeit beinhalten sollte.

Der Unfallchirurg 6 · 2014 

| 559

[Funktionsoberarzt. Pseudo-title or meaningful position?].

The position of the Funktionsoberarzt ("functioning senior physician") is to date not specified. Nevertheless, in the majority of hospitals the positi...
203KB Sizes 3 Downloads 8 Views