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Arch. Gyn/ik. 221, 187-196 (1976)

G ikologie 9 J. F. Bergmann-Verlag1976

Untersuchungen zum plazentaren Reifezustand bei Zwillingsschwangerschaften und seiner funktionellen Bedeutung H. G. Bender, Ch. Werner und G. H6rner Universit~itsfrauenklinik D/isseldorf (Direktor: Prof. Dr. med. L. Beck) Moorenstr. 5, D-4000 D/isseldorf, Bundesrepublik Deutschland

Functional Aspects of Placental Maturation in Twin-Pregnancies Summary. Multiple pregnancy placentas are especially efficient for examining the influence of placental maturity on fetal growth; extraplacental factors can be considered the same, and difference concerning the state of the child can be correlated with the conditions of the placental function. In 46 twin-couples placentas have been examined. In 21 cases placental parts varied in maturity. Children whose placentas had reached a better stage of maturity, were better in weight, length and Apgar score. Only in 3 cases with ripe placenta Apgar score was low (all cases were second-born children). In 25 twin-couples placentas of equal maturity were found, and the children showed insignificant differences. Differences concerning the Apgar score, could be caused by extraplacental etiological factors. 68 placental parts were correlated to the gestational age; a precocious placenta maturity was found in 31 cases, and a mature placenta in 26 cases. The importance of precocious placental maturity and its influence on the development and condition of the child post partum are being thoroughly discussed.

Zusammenfassung. Zur Untersuchung des Einflusses der plazentaren Reife auf das fetale Wachstum eignen sich Mehrlingsplazenten in besonderer Weise, da man hier die extraplazentaren Faktoren f/it beide Kinder in etwa gleichsetzen kann und Untcrschiede im Kindszustand weitgehend den plazentaren Funktionsbedingungen zuzuschreiben sind. Untersucht wurden Plazenten von 46 Zwillingspaaren, deren histologische Pr/iparate von 1968-1974 an der UniversitfitsFrauenklinik D/isseldorf gesammelt wurden. Bei 21 Zwillingspaaren fanden sich unterschiedlich ausgereifte Plazentaanteile. Die Kinder, die der reiferen Plazenta zugeordnet waren, zeigten im Vergleich mit dem anderen Zwillingskind im Durchschnitt bessere Werte bei Gewicht, L/inge und Apgar. Nut in 3 Ffillen wiesen die Kinder der reiferen Plazenta einen schlechteren Apgar-Wert auf. Hierbei handelte es sich jeweils um das zweitgeborene Kind. Bei 25 Zwillingspaaren fanden sich gleichreife Plazenten. In diesen F/illen wiesen auch die Fr/ichte nur geringe Unterschiede auf; Differenzen im Apgar-score muf3ten extraplazentare Ursachen zugeschrieben werden. Bemerkenswert ist, daf3 von 86 unter-

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H.G. Bender et al. suchten Plazentaanteilen, bei denen eine Zuordnung zur Schwangerschaftsdauer m6glich war, 3 lmal eine Maturitas praecox placentae und 26mal eine reife Plazenta gefunden wurde, d. h. in 68% war ein Plazentaanteil ausgereift. Von den insgesamt 28 friihgeborenen Zwillingspaaren zeigte 24real mindestens einer der beiden Plazenten eine Maturitas praecox. Nur bei 4 Friihgeborenen fehlte die vorzeitige Ausreifung eines Plazentaanteiles. Die Bedeutung der h~ufig nachgewiesenen vorzeitigen Ausreifung der Plazenta auf die Entwicklung und den Kindszustand post partum sowie auf die h/iufig gefundene Fr/ihgeburtlichkeit wird diskutiert.

Einleitung Die intrauterine Entwicklung des Feten resultiert einerseits aus den plazentaren Austauschbedingungen, andererseits aus den extraplazentaren Faktoren auf der maternen und fetalen Seite. Zur Untersuchung des Einflusses der Plazenta auf das fetale Wachstum und - unter Einschr/inkungen auch f/Jr die Versorgung sub partu eignen sich Mehrlingsplazenten in besonderer Weise, da man hier die extraplazentaren Faktoren f~r beide Kinder in etwa gleichsetzen kann und Unterschiede im Kindszustand weitgehend den plazentaren Funktionsbedingungen zuzuschreiben sind (Bender u. Brandt, 1974). Zwillinge zeigen h/iufig Unterschiede in ihrer intrauterinen Entwicklung und ihrem Befinden nach der Geburt. Von Winckel (1904) stellte fest, dab die mittlere Gewichtsdifferenz yon Zwillingen 200-300 g betr/igt und in 4% der F/ille auf 900-1800 g steigt. Auch die Tatsache, dab eineiige Zwillinge oft sehr grol3e Entwicklungsdifferenzen zeigen, spricht gleichfalls ffir einen starken Einfiul3 der intraplazentaren Austauschverh/iltnisse auf die intrauterine Fruchtentwicklung. Die plazentare Diffusionsleistung ist um so besser, je ausgereifter die Plazenta ist (Bender, 1974). Der histologisch erkennbare Differenzierungsgrad m/il3te also eine Beziehung zum Kindszustand aufweisen, d. h. bei ungleicher Reife der beiden Anteile an einer Zwillingsplazenta mfil3te der reiferen Plazenta auch ein besserer Kindszustand entsprechen, bzw. bei gleicher Ausreifung die Kinder weniger Unterschiede zeigen. Eine bekannte Tatsache stellt die hohe FriJhgeburtenfrequenz bei Zwillingsschwangerschaften dar, Solth (1958) weist darauf hin, dab Zwillinge sich bei vergleichbarer Tragzeit im allgemeinen schneller entwickeln als Einlinge. In der verk/irzten Tragzeit bei vorverlagerter intrauteriner Ausreifung sieht er eines der wesentlichen Merkmale der Zwillingsschwangerschaft. Bisher gibt es keine Aussagen zu der Frage, ob die plazentare Ausreifung mit der beschleunigten fetalen Entwicklung parallel lfiuft, d. h. zum verfrfihten Entbindungstermin h/iufig vorzeitig ausgereifte Plazenten gefunden werden. Gleichzeitig ergibt sich damit die Frage, ob der vorzeitige Geburtsbeginn evtl. auf einem vorzeitigen Ausreifen der Plazenta beruht und damit die frfihzeitigere Ausreifung neben intrauterinem Raummangel und anderen Faktoren nicht auch eine der Ursachen der geh/iuft vorkommenden Friihgeburten sein k6nnte. Material und Methodik Es wurden die Plazenten von 46 Zwillingspaaren ausgewertet, die in den Jahren 1968--1974 in der Universit/its-FrauenklinikDfisseldorfgeboren wurden und bei denen eine Zuordnung der Plazenten zu

Plazentarer Reifezustand bei Zwillingsschwangerschaften

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dem zugeh6rigen Kind mSglich war. Zu jeder Plazenta standen durchschnittlich sechs repr/isentative histologische Schnitte in F~irbungen mit H~imalaun-Eosin und Trichrom nach Masson-Goldner zur Verffigung. Die histologischen Schnitte waren von Gewebsentnahmen aus frischen Ptazenten nach Formaldehyd-Fixierung und Paraffineinbettung hergestellt worden. Bei den meisten Plazenten, die keine makroskopisch sichtbare Gewebsgrenze zwischen den beiden Anteilen aufwiesen, haben wir versucht, durch Milchinjektion funktionell bedeutsamere Gef/iSanastomosen nachzuweisen. Der Schwangerschafts- und Geburtsverlauf, sowie die klinischen Daten unmittelbar post partum, wurden den Krankenbl~ittern der Universitfits-Frauenklinik Dfisseldorf entnommen. Angaben fiber die Plazenten stammen aus den Plazenta-Begleitb6gen, die an der Klinik routinemfil3ig benutzt werden. Die Grundlage der histologischen Plazenta-Diagnostik bilden die yon V. Becker (1962) zusammengesteltten Reifekriterien. Als Mal3 ffir das kindliche Befinden gelten die Apgar-Werte, ffir die kindliche Entwicktung die Gr613e und das Gewicht.

Ergebnisse

Histologie der Plazenten in Beziehung zur Kindsentwicklung

a) Ungleich reife Zwillingsplazenten. Bei 21 Zwillingspaaren ergaben sich unterschiedlich ausgereifte Plazentaanteile. Die Kinder, die der reiferen Plazenta zugeordnet waren, zeigten im Vergleich mit dem anderen Zwiltingskind im Durchschnitt bessere Werte bei Gewicht, Lfinge und Apgar (Abb. 1-3). Als bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Zwillingskindern haben wir eine Differenz in der L/inge von fiber 2 cm, im Gewicht von mehr als 150 g, sowie in den Apgar-Werten einen Unterschied von mehr als zwei in der Summe aller drei Apgar-Werte bezeichnet. Gewichtsdifferenzen von mehr als 150 g fanden sich bei 18 Zwillingsgeschwistern. Davon hatten 13 Kinder mit der reiferen Plazenta auch das h6here Gewicht, bei 3 Pfirchen fand sich trotz des Reifeunterschiedes ein gleiches Gewicht und 5 Kinder waren mehr als 150 g leichter als ihre Geschwister mit den unreifen Plazenten (Abb. 1). Beim Betrachten der L/ingendifferenzen (Abb. 2) zeigte sich, dab mit der reiferen Plazenta 9 Kinder um mehr als 2 cm gr68er, 10 gleich grog und 2 Kinder, trotz der ~ML DER

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Abb. 1. Beziehung zwischen

Plazentabefund und Kindsgewicht. Schwarze S/iule: Koinzidenz von h6herem Kindsgewicht und reiferer Plazenta. Schraffierte Sfiule: Gleiches Kindsgewicht bei unterschiedlich ausgereiften Plazenten. WeiSe Sfiule: Geringeres Kindsgewicht trotz reiferer Plazenta

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H. G. Bender et al.

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Abb. 2. L/ingenrelation der Kinder mit der reiferen Plazenta zum anderen Zwillingskind. Schwarze SS.ule: Koinzidenz von reiferer Plazenta mit gr613erer K6rperl~inge. Schraffierte S/iule: Gleiche Kindsl~inge bei unterschiedlich ausgereiften Plazenten. Weil3e S/iule: Geringere Kindsl~inge trotz reiferer Plazenta

GRC~SSEREAPGAR-WERTEBEI REIFERERPLAZENTA GLEICHE " " " " KLEINERE " " " "

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Abb. 3. Vergleich der Apgar-Werte der Zwillingskinder mit der reiferen Plazents mit den Werten des anderen Zwillingskindes

ihnen zugeordneten unreiferen Plazenta, gr6ger als das andere Zwillingskind waren. Bei den Apgar-Werten fand sich bei 14 der Kinder mit der reiferen Plazenta eine bessere Anpassung, bei einem Zwillingspaar gleiches Verhalten und bei 3 Kindern mit der reiferen Plazenta ein schlechteres Adaptationsverhalten. Dabei waren alle 3 Kinder, die schlechtere Anpassungsverh/iltnisse zeigten, Zweitgeborene. Von 3 Paaren fehlten die Angaben fiber die Apgar-Werte.

b) Gleich reife Zwillingsplazenten. Bei 25 Zwillingspaaren ergaben sich gleich reife Plazenten. Dabei zeigten die beiden Kinder 13mal gleiches und 15real ungleiches Gewicht (Abb. 4). In der L~inge stimmten 17 fiberein, 6 zeigten Differenzen fiber 2 cm (Abb. 5). Bei den Apgar-Werten zeigten 11 Paare gleiches, 11 andere Paare ungleiches Verhalten (Abb. 6). Bei den 11 ungleichen Paaren zeigte 9mal der zweite Zwilling den schlechteren Wert. In Einzelf/illen fehlten einzelne Angaben, so dab nicht immer alle 46 der Zwillingspaare in die Aufstellung aufgenommen werden konnten.

Plazentarer Reifezustand bei Zwillingsschwangerschaften ZAML DERp IGLE!CHES GEWICHT ZWiLLt[iGSPAAP,E~

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Abb. 4

Abb. 5

4. GewichtsvergleichzwischenZwiltingskindernmit gleich reifer Plazenta Abb. 5. Relationder K6rperl/ingeyonZwillingskindernmitgleichreiferPlazenta

Abb.

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6. Vergleichder Apgar-Wertevon Zwillingskindern mit gleich reifer Plazenta Abb.

Hiswlogie der Plazenten in Beziehung zur Schwangerschaftsdauer Bei der Bestimmung der Reifegrade der Zwillingsplazenten zeigte sich, dat3 die Maturitas praecox placentae sehr h~iufig zu finden ist (Abb. 7). tinter 86 Plazenten, bei denen eine Zuordnung zur Schwangerschaftswoche m6glich war, fanden sich insgesaint 31 Plazentaanteile (37%) mit einer Maturitas praecox. Weitere 26 Plazenten (31%), die denselben histologischen Befund zeigten, sind jedoch als reif Zu bezeichhen, da sie der 38.-40. Schwangerschaftswoche zugeordnet waren, also keine extrem vorverlagerte oder/ibermfil3ige Ausreifung aufwiesen. Die Maturitas praecox trat in der 35. Schwangerschaftswoche 12mal und in der 36. Schwangerschaftswoche 13real auf. Dabei zeigte bei 17 ungleich reifen PlazentaPaaren eine der beiden Plazenten eine Maturitas praecox. Vorzeitige Ausreifung beider Ptazenten war bei 7 Paaren zu finden. Es ist also bei insgesamt 24 Paaren mindestens bei einer der beiden Plazenten eine Maturitas praecox feststellbar. Nur bei 4 von 28 frfihgeborenen Zwillingspaaren 1/iBt sich eine Maturitas praecox placentae nicht wenigstens in einem der beiden Plazentaanteile feststellen.

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H. G, Bender et al,

Schwangerschaftswoche 2 0

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Maturitas pr~cox

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10

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2

2

Abb. 7. Reifegrade der Ptazenten (nach Becker) in Beziehung zur Schwangerschaftsdauer

Diskussion

Der Vergleich von Zwillingskindern mit ungleich reifen Plazenten best~itigt die Annahme, dab mit dem besseren Ausreifungsgrad der Plazenta auch ein besseres Befinden des Kindes verbunden ist. Am deutlichsten ist dies beim Vergleich der ApgarWerte zu erkennen. Hier zeigten die Kinder mit der reiferen Plazenta fiberwiegend eine bessere Anpassung an die Umweltbedingungen. Die hier gefundenen schlechteren Werte waren allen zweitgeborenen Kindern zuzuordnen. Der schlechtere ApgarWert der Zweitgeborenen ist damit zu erkl~iren, dab nach der Geburt des ersten Zwillings die uteroplazentare Perfusion f/ir die Versorgung des zweiten Zwillings infolge des pl6tzlich absinkenden intrauterinen Druckes und der Uteruskontraktion mit Abscheren der Plazenta yon ihrem Nidationsbett abf/illt. Damit wird die Versorgung des zweiten Zwillings akut vermindert. Dies hat Clementson (1956) anhand yon Untersuchungen des Sauerstoffgehaltes von Nabelschnurblut gezeigt. Er kam zu dem Ergebnis, dab das Blut des ersten Kindes sauerstoffreicher ist als das des zweiten Zwillings. Auch Camilleri (1963) sieht f/ir den zweiten Feten ein gr6f3eres Anoxie-Risiko. Camilleri (1963) hat weiterhin in einer Zusammenfassung mehrerer Publikationen festgestellt, dab der erste Zwilling in 27,4% eine regelwidrige Lage zeigt, dagegen der zweite Zwilling in 43,5%. Auch durch die damit verbundene schwierigere Entwicklung des zweiten Zwillings kann der postpartale Zustand dieses Kindes ungfinstig beeinfluBt werden (Langer, 1972). Bei reiferen Plazenten scheint auch das Gewicht des entsprechenden Kindes gr613er zu sein. Die Ursache der Gewichtsdifferenz ist darin zu suchen, dab die Versorgungsbedingungen ffir die Frucht bei reiferer Plazenta giinstiger sind. Jedoch k6nnen sich auch andere plazentare Faktoren ats die histologisch erkennbare Differenzierung nachteilig auf die Ern/ihrungsbedingungen auswirken und die durch st/irkere Ausreifung verbesserte Versorgung fiberlagern. Dies kann verursacht werden beispielsweise durch ungfinstige Plazentanidation, ausgedehnte Infarkte, Chorangiome oder Nabelschnurkomplikationen. Als Beispiel mag hierzu ein Zwillingspaar - Abbildung 8 - aus unserer Untersuchungsreihe dienen. Das Kind mit tier reiferen Plazenta, n~imlich einer Maturitas praecox, wog nur 1950 g, wohingegen das andere Kind ein Geburtsgewicht von 3100 aufwies. Die Untersuchung der Plazenta des leichteren Kindes ergab Mikroinfarkte und ein sog. Chorangiom. Auf einem Grol3teil der Zotten fanden sich Fibrinablagerungen, die zu einem Ausfall der betroffenen Bezirke fiir die Austauschfunktion f/ihrten.

Plazentarer Reifezustand bei Zwillingsschwangerschaften

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Abb. 8. Zwillingspaar mit erheblicher Gewichtsdifferenz (1950-3100 g). Die Plazenta des linken Kindes zeigt eine Maturitas praecox placentae, Mikroinfarkte und ein Chorangiom. Die Plazenta des rechten Kindes ist entsprechend dem Gestationsalter entwickelt

Die Betrachtung der L/ingendifferenzen ergibt keine deutlichen Unterschiede zwischen den beiden Kindern eines Zwillingsp~irchens. Auch Waidl (1964) weist darauf hin, dal3 Zwillinge in der Regel keine grof3en L/ingenunterschiede aufweisen. Die Tatsache ergibt sich natfirlich auch durch die vergleichsweise geringen Unterschiede in der Kindsl/inge am Entbindungstermin. Sind die Plazenten gleich weit ausgereift, so scheinen auch die Frfichte weniger Unterschiede zu zeigen. Wenn Differenzen zu erkennen sind, so liegt das meist an extraplazentaren Faktoren. So sind die ungleichen Apgar-Werte weitgehend dadurch verursacht, dal3 der schlechtere Wert dem zweitgeborenen Zwilling und damit dem komplizierteren Entwicklungsmechanismus zuzuschreiben ist. Differenzen in L/inge und Gewicht k6nnen auf unterschiedlichen genetischen Anlagen beruhen, wenn es sich um zweieiige Zwillinge handelt. Aber auch bei monozygoten Zwillingen kann nach Untersuchungen Gruenwalds (1961) ein Unterschied im Geburtsgewicht vorliegen und mug dann vorwiegend plazentaren Membranverh/iltnissen zugeschrieben werden, insbesondere in den F/illen, wo es sich um Zwillinge mit einer monochorealen Plazenta handelt. Gruenwald zeigte, dab Zwillinge mit einer monochorealen Plazenta gr613ere Unterschiede im Geburtsgewicht haben als dichoreale. Eine m6gliche Erkl/irung daffir ist das auch von Benirschke (1973) beschriebene Transfusionssyndrom. Nach seiner Ansicht haben monochoreale Plazenten immer Gef/il3anastomosen innerhalb des fetalen Kreislaufes, was natiirlich zu einer unterschiedlichen Versorgung der beiden Frfichte f/ihren kann. Bei den monochorealen Plazenten unserer Serie konnten wir durch die oben beschriebene Injektion von Milch funktionell bedeutsame Anastomosen ausschliel3en. Allerdings haben wir aussagekr/iftige quantitative Untersuchungen unter diesem Gesichtspunkt an unserem Material nicht vorgenommen.

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H.G. Bender et al.

Gedda u. Peggi (1960) zeigten bei monoplazentaren Zwillingen, dab Gewichtsdifferenzen infolge Anastomosen in der Plazenta auftreten k6nnen. Ist n/imlich die Anastomose ungleich ausgebildet, so kann der flow in der einen Richtung iiberwiegen und die Blutversorgung der beiden Zwillinge ungleich sein. Man spricht in diesere Zusammenhang auch von einer Asymmetrie des plazentaren Kreislaufes. Der schlechter versorgte Zwilling bleibt in seiner Entwicklung zur/ick und zeigt bei der Geburt ein L/ingen- und ein Gewichts-Defizit gegenfiber dem anderen Zwilling. DaB bei Zwillingsschwangerschaften Fr/ihgeburten geh/iuft vorkommen, wurde schon in mehreren Untersuchungen festgestellt. Brown u. Dickson (1963) fanden ein 8real h/iufigeres Auftreten von Frfihgeburten bei Zwillingsschwangerschaften. Ferguson (1964) errechnete ein entsprechendes Verh/iltnis von 47% bei Zwillingen und 6,8% bei Einlingen und auch Scholtes Untersuchungen (1973) zeigten dasselbe: N/imlich 56% bei Zwillingen gegeniiber 7% bei Einlingen, wobei hier als Kriterium der Frfihgeburt ein Geburtsgewicht unter 2500 g mal3gebend war. Nach Hosemann (1952) wird als Frfihgeburt eine Entbindung vor dem 266. Tag post menstruationem bezeichnet. F/Jr Zwillingsschwangerschaften geben Aaron u. Halperin (1953) eine durchschnittliche Tragzeit yon 36-37 Wochen an. Sie sehen wie Solth (1958) in der verk/irzten Schwangerschaftsdauer das hervorstechende Merkmal der Zwilingsschwangerschaft. Setzt man n/imlich die Histologie der Plazenten in Beziehung zur Schwangerschaftsdauer, so sieht man ein geh/iuftes Auftreten der Maturitas praecox bei Zwillingsplazenten, wohingegen bei Einlingsschwangerschaften die Maturitas praecox selten ist. V. Becker (1969) land unter 3000 Plazenten von Einlingsschwangerschaften nur in 0,2% eine vorzeitige Ausreifung. Bei unseren Zwillingsplazenten zeigten 37% diesen Befund. Da sich die Maturitas praecox placentae geh/iuft in der 35. und 36. Schwangerschaftswoche zeigte, scheint eben dieser Befund also eine gewisse Beziehung zum vorzeitigen Beginn einer Geburt zu haben, zumal bei den frfihgeborenen Zwillingen nur noch 4 Paare ohne eine Maturitas praecox nicht wenigstens eines Plazentaanteiles gefunden wurden. Auch Imholz et al. (1963) fanden bei Plazenten von Fr/ihgeborenen teilweise Ver/inderungen wie bei ausgetragenen Kindern, also eine Maturitas praecox placentae, ferner auch dissoziierte Reifungsst6rungen, insbesondere solche, die mit einer iiberstiirzten Reifung der Zottenperipherie einhergehen. Natfirlich spielen bei der vorzeitigen Geburt yon Zwillingen auch noch andere Faktoren eine Rolle. So ffihrt die Uberffillung des Brutraumes zu einer (Jberdehnung der Uterusmuskulatur und gelegentlich zu vorzeitiger Wehent~itigkeit. Infolge dieses intrauterinen Platzmangels kann es auch zum vorzeitigen Tiefertreten des vorangehenden Teiles und vorzeitiger Muttermunder6ffnung kommen. Auch dem geh/iuften Vorkommen eines Hydramnions -- nach Brown u. Dickson (1963) bei Zwillingen 25real h/iufiger als bei Einlingen -- k6nnte evtl. eine Bedeutung zukommen. Die schnellere Ausreifung der Zwillingsplazenten entspricht insgesamt auch den Untersuchungen Solths (1958), der eine raschere Entwicklung yon Zwillingskindern nachweisen konnte. Diese vorverlagerte Ausreifung der Kinder scheint im Zusammenhang zu stehen mit einer schnelleren Reifung der zugeh6rigen Plazenten. Ein giinstigerer Reifezustand der Plazenten verbessert die Versorgungsbedingungen f/Jr die Feten, andererseits erfordert deren vorverlagerte Ausreifung auch eine vorverlagerte Optimierung der plazentaren Austauschbedingungen.

Plazentarer Reifezustand bei Zwillingsschwangerschaften

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Die Bedeutung der Maturitas praecox placentae ffir die intrauterine Versorgung des Feten wurde k/irzlich yon uns (Werner u. Bender, 1974), aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt beleuchtet: Wir sehen in der vorverlagerten Ausreifung der Plazenta eine plazentare Kompensationsreaktion auf prim/Jr vorhandene oder sekund~ir auftretende M/ingel in den Austauschbedingungen, etwa bei prim~ir zu kleiher Organgr6f3e oder sich sekund/ir entwickelnden gr613eren Ver6dungsbezirken. Das zu geringe funktionstfichtige Gewebe wird vorzeitig zur vollen Hergabe seiner Diffusionsm6glichkeiten gebracht. Durch die vorzeitige Mobilisierung der optimalen Diffusionskapazit/it wird der sonst drohende intrauterine Fruchttod verhindert oder zumindest hinausgez6gert - oft bis zur Lebensf/ihigkeit des Feten. Nach der vorzeitigen Aussch6pfung aller Reservekapazit~iten infolge zu kleinen Organvolumens und entsprechend limitierter Austauschfl/iche kann die Placenta einem weiter zunehmenden fetalen Bedarf bis zum berechneten Geburtstermin nicht mehr nachkommen. Die relative Placenta-Insuffizienz, in der wir den Stimulus fiir die vorzeitige Placentaausreifung sahen, geht damit in eine absolute fiber und kann Ursache des intrauterinen Fruchttodes werden. Eine vorzeitige Entbindung dieser Kinder mug unter dem Gesichtspunkt angestrebt werden, dab die ,,geburtsnotwendige Plazenta" (V. Becker, 1969) dem Kind bei ansteigendem Bedarf keine ausreichende intrauterine Versorgung mehr garantiert und das Risiko der Frfihgeburt als geringer eingesch/itzt werden muB als die Gefahren der plazentaren Insuffizienz. Die bei Zwillingsgravidit/iten hfiufig routinem/i/3ig vorgenommene Tokolyse-Behandlung sollte daher nur dann durchgefiihrt werden, wenn eine ausreichende Uberwachung der Feten gew/ihrleistet ist, Oestriol und HPL-Bestimmungen sind f/ir die fetale Zustandsdiagnostik bei Zwillingsgravidit~iten wenig aussagekr~iftig. Wir sehen in einer h~iufigeren Kontrolte des Wachstums der Fetch durch Ultraschalluntersuchungen und der CTG-Registrierung die zur Zeit zuverl/issigsten Uberwachungsmethoden.

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Eingegangen am 23. Februar 1976

[Functional aspects of placental maturation in twin-pregnancies (author's transl)].

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