Editorial

613

Von der Therapie zur Prävention

J. Klosterkötter

Prof. Dr. med. J. Klosterkötter

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/10.1055/ s-0033-1355991 Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 613 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Joachim Klosterkötter Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität zu Köln Kerpener Str. 62 50924 Köln joachim.klosterkoetter@ uk-koeln.de

„Von der Therapie zur Prävention“, so lautet die diesjährige Leitthematik des DGPPN-Kongresses. Damit wendet sich diese Großveranstaltung erstmals einer ganz zentralen Programmatik zu, die heute überall in der modernen Medizin eine große Rolle spielt. Es soll nicht mehr allein um Diagnoseverbesserung, Ursachenaufklärung und Bereitstellung kausaler Therapien für bereits bestehende Erkrankungen gehen. Man will vielmehr auch das Risiko für die Entwicklung solcher Erkrankungen frühzeitig erkennen, individuell richtig einschätzen und mithilfe dieser Risikoidentifikation ihren Ausbruch vorhersagen können. Wenn dies mit ausreichender Sicherheit gelingt, entsteht die Möglichkeit, geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln und durch ihren Einsatz den Krankheitsausbruch zu verhindern. Gerade die großen Volkserkrankungen sind es, die man mit dieser prädiktiven und präventiven Medizin wirksamer bekämpfen will als bisher. Dazu gehören auch und heute immer mehr schwere psychische Erkrankungen wie Depression, Sucht, Demenz oder Schizophrenie. Als das Medizinische Institut in Washington im Auftrag des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika erstmals damit begann, systematische Empfehlungen für die primäre Prävention psychischer Erkrankungen auszuarbeiten, wurden dabei 3 Ansätze zur Absenkung der Neuerkrankungsraten voneinander unterschieden [1]. Der universale Ansatz bezieht sich auf die Bevölkerung insgesamt und kann etwa in Schulprogrammen zur Verhinderung von aggressiven Verhaltensstörungen, Suchtentwicklungen oder Essstörungen bestehen. Der selektive Ansatz richtet sich an Personen oder Bevölkerungsgruppen, die gleichfalls seelisch noch ganz gesund, aber aufgrund von persönlichen, etwa genetischen, und/oder umweltbedingten Risikofaktoren wie bspw. Migrationshintergründen anfällig für die Entwicklung psychischer Erkrankungen sind. Der indizierte Ansatz schließlich wird aktiv Rat- und Hilfesuchenden angeboten, wenn auch schon Risikosymptome wie ein „abgeschwächtes Psychosesyndrom“ oder eine „milde kognitive Störung“ vorliegen und man den baldigen Übergang in eine Schizophrenie oder eine Alzheimer-Demenz verhindern will. Für alle 3 Präventionsansätze gibt es international bereits eine Vielzahl von Empfehlungen, Programmen und Umsetzungsstrategien, die in Deutschland aber erst überschaubar gemacht, miteinander vernetzt und in enger Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugend- sowie Erwachsenenpsychiatrie aktiv mitgestaltet werden müssen. Auch die universale Beeinflussung von Lebensstilen und Le-

benswelten setzt ja, wenn sie gezielt psychische Erkrankungen verhindern soll, schon ein entsprechendes medizinisches Fachwissen voraus. Das gilt natürlich erst recht für die Durchführung prädiktiver Gesundheitsuntersuchungen zur individuellen Risikoabschätzung und die Erarbeitung sowie Anwendung präventiver Maßnahmenkataloge mit den nötigen Wirksamkeitsprüfungen und evidenzbasierten Weiterentwicklungen. Gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Bemühungen um ein deutsches Präventionsgesetz kommt es darauf an, der Gesundheitspolitik konkrete Handlungsschritte für die Umsetzung psychiatrischer Primärprävention in die Versorgungspraxis vorzugeben, einschließlich der hierfür geeigneten Organisationsformen und Finanzierungsmodelle. Vor diesem Hintergrund haben die „Fortschritte“ in ihr aktuelles November-Heft eine groß angelegte Übersichtsarbeit zur psychischen Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit aufgenommen. Teil 1 [2] befasst sich mit der Häufigkeit psychischer Störungen, dem Ersterkrankungsalter, den Belastungsfaktoren, der Störungspersistenz, der Inanspruchnahme von Diensten und mit den misslichen Konsequenzen der Behandlungsverzögerung. Teil 2 [3] beschreibt die sich daraus ergebende Krankheitslast, deckt hierfür verantwortliche Defizite des deutschen Versorgungssystems auf und stellt dem die Effektivität und Effizienz der „Early Intervention Services“ anderer Länder gegenüber. Insgesamt bekommen Sie, lieber Leser, einen breiten Einblick in die Gründe vermittelt, die heute für den Übergang „von der Therapie zur Prävention“ sprechen, und werden sich nach einer, wie ich hoffe, interessanten Lektüre sicherlich rasch Ihre eigene Meinung zu dieser anspruchsvollen Programmatik bilden.

Literatur 01 Mrazek PJ, Haggerty RJ. Reducing risks for mental disorders: Frontiers for preventive intervention research. Washington: National Academy Press; 1994 02 Lambert M, Bock T, Naber D et al. Die psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Teil 1: Häufigkeit, Ersterkrankungsalter, Belastungsfaktoren, Störungspersistenz, ServiceInanspruchnahme und Behandlungsverzögerung mit Konsequenzen. Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 614 – 627 03 Karow A, Bock T, Naber D et al. Die psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Teil 2: Krankheitslast, Defizite des deutschen Versorgungssystems, Effektivität und Effizienz von „Early Intervention Services“. Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 628 – 638

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