Panorama

Interview

Von der Genomforschung zu Public Health 63. Wissenschaftlicher Kongress BVÖGD/BZÖG, 25. – 27.4.2013 in Berlin Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident des World Health Summit und Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Charité hielt im April 2013 zum 63. Wissenschaftlichen Kongress der BVÖGD und des BZÖG den Festvortrag mit dem Thema „Von der Genomforschung zu Public Health: Auf den Spuren von Rudolf Virchow“.

Herr Professor Ganten, worum

? ging es in Ihrem Vortrag?

Die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung steigen seit Jahren kontinuierlich und das weltweit. Die Forschung macht große Fortschritte. Die Menschen leiden trotzdem vermehrt an Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Hypertonie. Ich stelle die Frage, wie es zu diesen Problemen kommt und was wir in der Gesundheitsversorgung tun können und müssen.

In Ihrem Vortragstitel fällt der

? Begriff „Genomforschung“, Ihr Forschungsfeld ist die evolutionäre Medizin – was ist der Zusammenhang? Die Baupläne des Lebens, die DNA und RNA, sind entwicklungsgeschichtlich gesehen 3,5 Milliarden Jahre alt. Einzeller und mehrzellige Organismen gibt es seit über 1 Milliarde Jahren. Die Entwicklung des Menschen fand erheblich später statt, aber die Grundprinzipien der biologischen Information in der DNA und RNA und die Funktion der Zellen bleibt immer die gleiche. Unsere Biologie ist ein lebendes Archiv der Evolution – wir funktionieren mit den alten Patenten in einer modernen Welt. Die Genomforschung erlaubt uns dieses jetzt ganz präzise zu untersuchen. Das neue Feld der evolutionäre Medizin betrachtet die Zusammenhänge zwischen unseren alten Genen und unserem modernen Leben.

leben und Reproduktion. Unsere Biologie ist auf das harte Leben des Jägers und Sammlers eingerichtet. In dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von Jahrzehnten und Jahrhunderten hat sich der Mensch jetzt eine Umwelt geschaffen , die sich radikal von der Umwelt unterscheidet, an den sein Jäger- und Sammlerkörper gewöhnt ist. Das Tempo der Veränderung ist so hoch, dass sich unsere Biologie nicht schnell genug daran anpassen kann – die Evolution ist schlicht zu langsam.

? Was sind die Folgen davon? Durch gesellschaftliche Veränderungen bewegt sich der Mensch deutlich weniger als früher. Das Nahrungsangebot übersteigt in vielen Regionen den Bedarf. In der Kluft zwischen Biologie und Zivilisation liegt eine Ursache für die Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Hypertonie, metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen; auch psychische Probleme können entstehen.

Was sollten wir tun, um die gesundheitlichen Folgen unseres veränderten Lebensstils zu mildern?

?

Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung ist ein „Medikament“ für fast alles. Vor allem in der Prävention der Zivilisationskrankheiten haben Ernährung und Bewegung einen hohen Stellenwert. Allerdings sind die Ausgaben für die primäre Prävention in den letzten Jahren langsamer gestiegen als die anderen Ausgaben in der Gesundheitsversorgung. Weniger als 2 Milliarden Menschen werden überhaupt nach wissenschaftlichen Standards behandelt. Über 5 Milliarden Menschen werden schlecht oder überhaupt nicht behandelt.

weit. Wir müssen die Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung in die Hand nehmen. Es gilt, die Integration von Forschung, Klinik und Public Health zu verbessern. Ziel muss die Erleichterung der Translationsschritte sein: zuerst von der Grundlagenforschung zur Anwendung dieser Forschung in der Klinik und dann zu Verbesserung der Gesundheit in der Bevölkerung.

Bei internationaler Zusammenar-

? beit und Austausch fallen die

Stichworte „M8 Alliance“ und „World Health Summit“. Worum geht es hier? Ausgehend von der politischen G8 Gruppe wurde 2009 die M8 Alliance als Zusammenschluss akademischer Institutionen verschiedener Länder gegründet mit dem Ziel der Verbesserung der Gesundheit weltweit. Sie arbeitet mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft zusammen, um wissenschaftsbasierte Lösungen für die Gesundheitsprobleme weltweit zu entwickeln. Der World Health Summit ist die jährliche Konferenz der M8 Alliance, 2013 findet sie zum fünften Mal in Berlin statt. Es treffen sich dort Forscher, Ärzte, Repräsentanten aus Politik, Industrie, NGOs (Non-Govermental Organisations) und Gesundheitswesen, um die dringlichsten Probleme der Medizin und Gesundheitsversorgung der nächsten Jahre zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Was ist das Fazit Ihres Festvor-

? trags?

Gesundheit ist mehr als Medizin. Das muß in der Medizin von morgen berücksichtigt werden. Die Evolution erklärt, warum unsere Körper so sind, wie sie sind, und warum unsere derzeitigen modernen Gesundheitssysteme nicht unserer Biologie entsprechen. Wir verstehen besser, weshalb wir krank werden. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die Prävention. Wir können unsere alten biologischen Patente nicht ändern, aber wir können und sollten die Entwicklung der Medizin zu einer Gesundheitswissenschaft gestalten – zusammen im Dialog miteinander.

Wie lässt sich eine gute medizini-

?

Wie erklären unsere genetischen Baupläne aktuelle Probleme?

Früher waren eine effektive Nahrungsverwertung, gute Wasser- und Salzretention ein evolutionärer Vorteil bezüglich Über-

Gesundheitswesen 2013; 75

? sche Versorgung für die Bevölkerung weltweit erreichen?

Die Politik ist gefordert – wir brauchen neue Strukturen für Prävention, Diagnose und Therapie – in Deutschland und welt-

Professor Ganten, vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Dörte Jensen, Stuttgart.

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