Arch. Oto Rhino-Laryng. 212, 219-229 (1976)

Archives of Oto-Rhino-Laryngology ~:~by Springer-Verlag1976

Die Produktion von Endo- und Perilymphe und die Durchl[issigkeit der Innenohrmembranen K.-H. Vosteen Universit/its Hals-Nasen-Ohrenklinik, Theodor-Stern-Kai 7 D-6000 Frankfurt am Main

Formation of the Inner Ear Lymphs. Permeability of Inner Ear Membranes Summary. 1. The endolymphatic system is morphologically a close system. The inner surface of the wall is tightly lined with an epithelium of ectodermal origin. The perilymphatic spaces are enlarged intercellular spaces which are built from the embryonic mesenchyme. 2. The perilymph ist an ultrafiltrate of plasma. There is probably a flow from the cerebrospinal fluid which is constantly renewed. The diffusion in the perilymph is dependent on the concentration and the size of the molecules. The endolymph is mainly a perilymph-filtrate. The "secretory" epithelia (e.g. stria vascularis cells and other tissues) of the endolymphatic system perform an important role to sustain the potassium and sodium concentrations. The ionic concentrations regulate the water movement also the volume Of the endolymphatic spaces. They are maintained by anoxy-sensitive pumps. 3. The DC potential within the endolymphatic spaces represents the move ment of certain electrical charge through membranes. By applying various inhibitors it is possible to distinguish the pumping mechanisms, and to observe the continuous changes of potassium and sodium concentrations with Na + specific electrodes and K + specific electrodes. There are probably three interdependent sources of driving-forces: a. A positively electrogenic K+-pump which is anoxia-sen'sitive and can be inhibited by Ethacrynic acid. This mechanism is more active in stria cells and less so in utricle and saccule. b. A negatively electrogenic Na+-K + exchange-pump in all parts of the endolymphatic spaces is inhibited by Ouabain or anoxia.

220

K.-H. Vosteen c. The passive diffusion of potassium-ions from endolymph to perilymph results an electro-negative effect. Key words" Perilymph-Endolymph Relations -- Ionic Movement - Sources of Driving Forces - Model for Meni+re's Disease.

Seit wir wissen, dab dem Morbus Meni&re ein Hydrops der Endolymphr/iume zu Grunde liegt und seitdem wir auch einige Beweise daffir haben, dab die Meni~reAttacken durch Ruptur der Endolymphmembranen und damit durch Vermischung von Endo- und Perilymphe ausgel6st werden, steht am Anfang jeder Er6rterung fiber die kausale Pathogenese des Morbus Meni~re eine Diskussion fiber die Physiologie von Endo- und Perilymphe. Eine solche Diskussion kann sich auf folgende vier Fragen beschr/inken: 1. Befinden sich Endolymphe und Perilymphe in offenen oder geschlossenen Rfiumen? 2. Woher kommt die Flfissigkeit in diesen R/iumen und welche Beziehungen bestehen zwischen Endo- und Perilymphe? 3. Welche Bedeutung haben die Konzentrationsgradienten der Elektrolyte in diesen beiden Flfissigkeiten und wodurch werden sie bewirkt? 4. Worauf mfissen wir uns konzentrieren, um die Volumenver/inderungen des Endolymphschlauches (Hydrops) in Zukunft besser erkl/iren zu k6nnen? I. Der Endolymphschlauch entwickelt sich aus einer ektodermalen EinstfilPUng und Abschnfirung, deren oberer Teil im Laufe der weiteren Entwicklung das Labyrinth ausbildet und deren unterer Teil sich, vom Sacculus ausgehend, zum Ductus cochlearis differenziert. Pars superior und Pars inferior bleiben durch kleine Verbindungskan/ile miteinander in Verbindung. Morphologisch handelt es sich hier um einen nach allen Seiten abgeschlossenen und von unterschiedlichem Epithel ausgekleideten, mit Flfissigkeit angeffillten Raum, bei dem die Elektronenmikroskopie zeigt, dab alle Epithelzellen fest durch Zonulae occludentes miteinander verbunden sind, so dal3 an keiner Stelle eine freie Kommunikation zwischen dem Lumen und der Umgebung dieses Schlauches m6glich ist [6, 7]. Im Gegensatz dazu entstehen die spfiteren Perilymphriiume durch Schrumpfung des embryonalen Mesenchyms, welches urspriinglich fiberall fest den Endolymphschlauch umgibt. Die Interzellularriiume dieses Mesenchyms erweitern sich ungleichm/il3ig und zeichnen so die sp/iteren Perilymphskalen vor. Nur an einzelnen Stellen bleibt dichteres Mesenchymgewebe - wie z. B. am Ligamentum spirale oder im perilymphatischen Netzwerk der Bogeng/inge -- liegen. Aber auch hier sind die Interzellularspalten fiberall offen zu den gr613eren Perilymphr/iumen. Die Perilymphr/iume sind also im Ganzen nichts anderes als ein Teil des allgemeinen mesenchymalen Interzellularraumes. Eine besonders breite Offnung besteht fiber den Aqufid. cochleae zum Liquorraum. Mit geeigneten Indikatoren 1/iBt sich aber auch nachweisen, dab die Perilymphr/iume mit den/ibrigen Lymphspalten der Umgebung wie z. B. den Perivascularspalten im Knochen des Labyrinths oder den Lymphspalten in der Mittelohrschleimhaut kommunizieren [2, 3]. II. Wenn die Perilymphr/iume also nur Interzellularspalten sind, dann ist Perilymphe auch nichts anderes als Interzellularflfissigkeit. Wegen der breiten {)ffnung zum Liquorraum ist immer wieder die Frage aufgetaucht, ob Perilymphe eigentlich

Produktion yon Endo- und Perilymphe

221

Abb. 1, Meerschweinchencochlea 35. Embryonaltag. Scala tympani und Scala vestibuli sind grSf3tenteils noch mit Mesenchym ausgef/illt

Liquor sei, oder ob es sich bei der Perilymphe lediglich um ein Blutfiltrat handele. Uber diese Frage gibt es eine Unmenge yon Literatur, wobei die Resultate jeweils durch die angewandte Technik beeinfluf3t wurden, ganz gleich, ob Farbstoffe oder andere Indikatoren in den Perilymphraum injiziert wurden, um dann im Liquorraum wiedergefunden zu werden, oder ob das Umgekehrte der Fall war. Es ist selbstverst/indlich, daf3 je nach Art des verwandten Indikators, je nach seiner Konzentration, danach, ob er membranpermeabel ist oder nicht, und danach, wie sich jeweils die Druckverh/iltnisse darbieten, auch die Resultate unterschiedlich ausfallen miissen 115, 161. Ich m6chte deshalb aus der Vielzahl von Experimenten nur eines aus der letzten Zeit wegen seiner besonders origijaellen Methodik herausgreifen: Frau Orsulakowa tl 21 injizierte Indikatoren verschiedener Teilchengr6f3e, wie radioaktiv markiertes Wasser. markiertes Manitol und markiertes Inulin intraperitoneal, in den Liquorraum und in die

222

K.-H. Vosteen

Scala tympani. Dabei ergab sich, dab Inulin (Molekulargr613eetwa 15 •) intraperitoneal gespritzt nur sehr langsam und etwa gleichzeitig den Liquorraum und den Perilymphraum erreicht. Der Konzentrationsanstieg im Endolymphraum war erst sehr viel sp~iter mel3bar. In den Liquor injiziert kam es sehr schnell zu einem Ubertritt auch in den Perilymphraum, sehr viel sp~iter, aber ebenfalls deutlich mel3bar, dann in den Endolymphraum, eine Aktivit~it im Serum war kaum erkennbar. In die Scala tympani injiziert gelangte das Inulin langsam in die Endolymphe aber nicht in den Liquor und nut wenig in das Blutserum. Daraus lfit3tsich entnehmen, dab zunfichst wegen der Teilchengr6/3e die Passage generell erschwert ist. Am schnellsten ging sie vom Liquor in die Perilymphe vor sich. Der umgekehrte Weg war offenbar nicht m6glich, die Membranschranken vonder Perilymphe zum Endolymphraum wurden zwar verlangsamt abet doch eindeutig /iberwunden. Radioaktiv markiertes Wasser intraperitoneal gespritzt erreichte sehr schnell hohe Konzentrationen im Liquor und fast ebenso rasch hohe Konzentrationen in der Perilymphe, mit gewisser Verz6gerung dann auch in der Endotymphe. In den Liquorraum injiziert kam es sehr schnell zum Konzentrationsanstieg in der Perilymphe, etwas langsamer im Blutserum und mit deutlicher Verz6gerung, aber offenbar abh/ingig vom Zeitverlauf der Perilymphspiegel auch in der Endolymphe. Von der Scala tympani erreichte das radiomarkierte Wasser den Liquorraum nicht rascher als das Blutserum, w/ihrend der Ub-ertritt in die Endolymphe wiederum schnell vonstatten ging. Schon aus diesem Experiment lassen sich eine Reihe von Schlul3folgerungen ziehen: 1. W a s s e r permeiert rasch und ohne Riicksicht auf Gewebeschranken. Die Fliissigkeit in der E n d o l y m p h e ist ganz offensichtlich /iberwiegend ein Filtrat aus der Perilymphe. 2. Es gibt keine ,,Quelle" von E n d o l y m p h - und Perilymphraum, sondern die Teilchengr613e und die K o n z e n t r a t i o n regeln die Ffillung dieser beiden R/iume, zur H a u p t s a c h e durch passiven T r a n s p o r t per Diffusion. 3. Den gleichen Prinzipien unterliegt auch der Abflul3 beider F1/issigkeiten. 4. D a n e b e n besteht ganz offensichtlich eine hydrostatische Str6mung vom L i q u o r r a u m zum Perilymphraum. III. W e n n ein so rascher Obertritt von Wasser, unbehindert durch Zellmembranen, yon der Perilymphe zur E n d o l y m p h e (und zur/ick) m6glich ist, dann wird diese Bewegung andererseits aber auch gesteuert von den osmotischen Druckverh~iltnissen. Der osmotische D r u c k ist hier fast ausschliel31ich von der A n z a h l der gel6sten Elektrolytmolekfile in beiden F1/issigkeiten und damit yon den unterschiedlichen Elektrolytkonzentrationen abhfingig. Wichtig f/jr Volumenschwankungen des Endol y m p h r a u m e s sind also die Konzentrationsgradienten der Elektrolyte. D a r a u s ergeben sich wieder zwei F r a g e n : 1. Wie werden diese K o n z e n t r a t i o n s g r a d i e n t e n aufrecht erhalten? 2. W o r a n lassen sich die Kr~ifte, die zur Aufrechterhaltung n6tig sind, erkennen? 1968 hat D o h l m a n n [5] gezeigt, dal3 bei der T a u b e der freipr~iparierte Bogengang auch dann seine Elektrolytkonzentration beh~ilt, wenn er nach beiden Seiten abgeschnfirt wird und damit v o m sekretorischen Epithel des Planum semilunatum getrennt ist. Voraussetzung ist nur die weiter funktionierende Durchblutung. N a c h 9A b k l e m m e n der zuf/ihrenden Gef/il3e k o m m t es dann zur Diffusion und damit rasch zum Ausgleich der vorher unterschiedlichen Elektrolytkonzentrationen in Peri- und Endolymphe, erkennbar am Abfall des Kaliumgehaltes. N a c h vorhergehendem A u s t a u s c h der E n d o l y m p h e gegen Ringerl/Ssung und danach folgender A b k l e m m u n g des Bogengangsschlauches bei erhaltener Durchblutung wird der Kaliumspiegel schnell wieder aufgebaut.

Produktion von Endo- und Perilymphe

223

Dieser Versuch zeigte zum ersten Mal, dab auch ohne die Mitwirkung spezieller sekretorischer Epithelien das einfache kubische Epithel des Bogengangsschlauches in der Lage ist, einen aktiven, d. h. sauerstoffabh~ingigen Elektrolyttransport gegen den Konzentrationsgradienten zu bewirken. Analog hierzu haben 1969 Mendelsohn und Konishi [10] das Verhalten yon Kalium und Natrium im Ductus cochlearis unter Anoxie untersucht und gleichzeitig d~is endolymphatische Potential gemessen. Nach Verschlul3 der Labyrintharterie f/illt der Kaliumspiegel in der Endolymphe langsam ab und der Natriumspiegel steigt langsam an. Das endolymphatische Potential dagegen f/illt unmittelbar nach Anoxie sofort von vorher plus 80 mV auf minus 20 mV ab. Erst wenn unter der Anoxie infolge der passiven Diffusion der Elektrolyte schliel31ich der Konzentrationsausgleich erreicht war, war das Potential langsam auf 0 mV wieder angestiegen. Die Autoren schlossen aus ihren Versuchen, dab am positiven endolymphatischen Potential die Leistung der aktiven Ionenpumpen unmittelbar zu messen ist und dab nach Ausfall dieses Potentials infolge Anoxie die dann resultierende passive Natrium-Kalium-Diffusion durch die W/inde des Ductus cochlearis hindurch den Abfall des Potentials auf minus 20 mV bewirkt. Erst nach Konzentrationsausgleich wurde das Aufh6ren der Diffusion dutch den Ausgleich des Potentials angezeigt. Das Dc-Potential der Endolymphrfiume ist also der Anzeiger f/fir die Bewegung von elektrischen Ladungen durch die Epithelw~inde.

Abb. 2, Ubergang von Prominentia-spiralis-Epithel zu Stria-Epithel: Starke Erweiterung der Extrazellularr/iume der Stria: geschlossene Oberfl/iche der Stria. 20 rain nach Gabe von 45 mg/kg Ethacrynsfiure (Abfall des DC-Potentials' und der K+-Konzentration)

224

K.-H. Vosteen

Abb. 3. OberflS.chenansicht der normalen Striazelle des Meerschweinchens (dichter Microvillibesatz, polygonaler Zellumril3).Vergr. 10 200 x

Der Utriculus hat ein Dc-Potential von ungefiihr 0 mV, Sellick [13] hat am Utriculus festgestellt, dab hier nach Anoxie das Potential schnell yon 0 mV auf minus 20 mV abffillt, w/ihrend das Natrium per Diffusion in der Endolymphe wesentlich langsamer ansteigt. Der Potentialausgleich von 0 mV karln also bedeuten, daf3 - wie bei Mendelsohn und Konishi - nach Anoxie ein Elektrolytausgleich auf beiden Seiten der Membran infolge der Diffusion erreicht ist, Er kann aber auch bedeuten, daB, wie etwa am Utriculus die gegenlfiufigen Elektrolytstr6me sich auch gegenseitig entsprechen. Lange Zeit war man der Meinung, dal3 es sich bei diesen aktiven Pumpen vorwiegend urn die yon anderen Epithelstreifen her bekannten Natrium-Katium-Austauschpumpen, welche sich mit Ouabain blockieren lassen, handeln mfisse [8, 9]. In der letzten Zeit erheben sich aber Zweifel, ob nicht aueh andere Mechanismen noch mit im Spiel sind. 1973 hat Bosher [4] beim Meerschweinchen nach intraperitonealer Injektion von Ethacryns~iure zugleich das endolymphatische Potential im Ductus c0ehlearis ge-

Produktion yon Endo- und Perilymphe

225

Abb. 4. Oberfl/ichenansicht 20 rain nach Applikation von 45 mg/kg Ethacryns/iure. Die Zellen zeigen einen fast kompletten Verlust der Microvilli und sind ballonf6rmig ins Lumen der Scala media vorge wOlbt, Vergr. 5400 •

messen und den Kaliumspiegel in der Endolymphe verfolgt. Bei seinen Versuchstieren hat Bosher dann elektronenmikroskopisch die Stria vascularis untersucht und land hier erhebliche Sch/iden in den Epithelzellen, vor allem den Intermedi/irzellen und ganz besonders deutliche Erweiterungen der dazwischen liegenden Interzellularspalten. Die Ethacryns/iure muf3te also diese starke Wasserretention in der Stria, wahrscheinlich durch Ver/inderung der Elektrolytspiegel, bewirkt haben. In der Tat fand sich, dal3 nach Ethacryns/iure-Injektion das endolymphatische Potential schnell auf minus 40 mV abgesunken war, w/ihrend der Kaliumspiegel sehr viel langsamer auf etwa 120 meq/1 abgefallen war. Aus diesern Versuch liel3 sich also schliel3en, dab Ethacryns/iure in der Lage ist, eine elektropositive Pumpe zu blockieren und damit das endolymphatische Potential noch unter das negative anoxische Potential herabzudrficken. Der Angriffspunkt der Ethacryns~iure im Ductus cochlearis scheint vorwiegend die Stria vascularis zu sein. Etwas sp/iter haben Sellick und Johnstone [14] in einer Reihe yon Versuchen herausgefunden, dab nach Perfusion der Perilymphe mit Ethacryns/iure auch das Utriculuspotential auf minus 40 mV abffillt. Bei diesen Experimenten fand sich abet auch, dal3 das negative Potential yon minus 40 mV im Utriculus (wie im Ductus cochlearis) bei Anoxie auf minus 20 mV wieder angehoben wird.

226

K.H. Vosteen

Dies kann nur bedeuten, dal3 die minus 40 mV nicht allein durch den Ausfalf der elektropositiven und ethacryns/iuresensitiven Kaliumpumpe bedingt sind, sondern zus~itzlich durch eine weitere ethacryns/iureunabh/ingige aber anoxiesensitive elektronegative Pumpe, und erst nach Ausfall beider Pumpen durch Anoxie wird das reine Diffusionspotential yon minus 20 mV erreicht. Es land sich aber auch, daf3 der gleiche Effekt wie bei Anoxie auch durch Ouabain erreicht werden kann. Diese zweite elektronegative Pumpe mug also identisch sein mit der sauerstoffabh/ingigen Natrium-Kalium-Austauschpumpe, die yon vielen Membranen her bekannt ist. Aus diesen Experimenten k6nnen wir also schliegen, dal3 es vermutlich mindestens drei voneinander gegenseitig abh/ingige Kr/ifte gibt, die f/ir die Elektrolytbewegungen durch die W/inde des Endolymphschlauches hindurch verantwortlich sind: 1. Eine elektropositive Kaliumpumpe, die mit Ethacryns/iure blockiert wird. Das hohe endolymphatische Potential im Ductus cochlearis :spricht daffir, dab diese Pumpe am st/irksten in der Stria vascularis aktiv ist. 2. Eine elektronegative Natrium-Kalium-Austauschpumpe; sie l/il3t sich mit Ouabain blockieren. 3. Eine elektronegative passive Kaliumdiffusion zur Perilymphe bei gleichzeitiger Natriumdiffusion zur Endolymphe, die immer dann das Dc-Potential negativ macht, wenn bei Anoxie die anderen beiden aktiven Pumpen ausfallen. IV. 1. Vor 45 Jahren haben japanische Aut0ren [11] herausgefunden, dab nach Atoxylvergiftung zun/ichst der Ductus cochlearis ffir kurze Zeit aufquillt, um sp/iter -- gleichlaufend mit einer Atrophie der Stria vascularis - zu kollabieren. K/irzlich hat Wers/ill [1] diese alten Experimente wieder aufgegriffen und elektronenmikroskopisch gesehen, dab unter Atoxyl besonders die Marginalzellen der Stria vascularis zerst6rt werden. Es kommt aber nicht zu der extremen Ausweitung der Interzellularspalten wie bei Ethacryns/iure. Der Angriffspunkt des Atoxyls in der Stria scheint also anders lokalisiert zu sein. ES w/ire von Interesse, jetzt nach Atoxyl die Ver/inderungen des endolymphatischen Potentials und gleichzeitig die Ver/inderungen der Elektrolyte im Ductus cochlearis kennenzulernen, well sich daraus u. U. neue Rfickschlfisse auf die Lokalisation spezieller Pumpmechanismen und somit auch auf den Mechanismus der Wasserfiillung 'des Ductus cochlearis gewinnen lief3en. 2. Durch die Experimente yon Schuknecht und Kimura wissen wir, dab nach Obliteration des Saccus endolymphaticus die fibrigen End01ymphr/iume ektasieren. Eine einfache Zunahme des hydrostatischen Drucks wiirde diesen langsam entstehenden Vorgang nicht erkl/iren, weil ja das Wasser leicht iiberall entweichen k6nnte. Es mug also bei Ausfall des Sacculus zu einer Ver/inderung des osmotischen Gleichgewichts kommen. Denkbar w/ire z. B., dab yon den geschilderten drei Kr/iften im Saccusepithel die passive Diffusion fiberwiegt und dab deren Ausfall nach Obliteration des Saccus nicht dutch die Funktion der fibrigen Endolymphw/inde aufgewogen werden kann. Untersuchungen fiber die Physiologie des Saccusepithels in diesem Zusammenhang und auch fiber Ver/inderungen des endolymphatischen Potentials und der Elektrolytkonzentrationen im Ductus cochlearis nach Zerst6rung des Saccus sind sicherlich nfitzlich.

Produktion yon Endo und Perilymphe

227

Literatur 1. Anniko, M., Wers~ill, J.: Damage to the stria vascularis in the guinea pig by acute atoxyl intoxication. Acta oto-laryng. 80, 1 6 7 - i 7 9 (1975) 2. Arnold, W., Ilberg, C. v.: Verbindungswege zwischen Liquor und Perilymphraum. Archiv HNO 198. 247--261 (1971) 3. Arnold, W., Ritter, R., Nitze, H. R., Wagner, W.: Morphologische und kinetische Studien zum Lymphabfluf3 des Liquor cerebrospinalis. Archly HNO 202, 389-394 (i972) 4. Bosher, S. K., Smith, C., Warren, R. L.: The effects of ethacrynic acid upon the cochlear endolymph and stria vascularis. Acta oto-laryng. 75, 184-191 (1973) 5. Dohlmann, G., Radomski, M. W.: The ion selective function of the epithelium of the membranous canal walls. Acta oto-laryng. 66, 409-416 (1968) 6. Ilberg, C. v.: Elektronenmikroskopische Untersuchung fiber Diffusion und Resorption von Thoriumdioxyd an der Meerschweinchenschnecke. Archly HNO 190, 415, 426 (1968) 7. Ilberg, C. v., Vosteen, K.-H.: Permeability of the inner ear membranes. Acta oto-laryng. 67, 165-170 (1969) 8. Kuippers, W., Bonting, S.: Studies on (Na+-K -) activated ATPase. Localisation and properties of ATPase in the inner ear of the guinea pig. Biochim. biophys. Acta 173, 477-485 (1969) 9. Kuippers. W.. Bonting, S.: The cochlear potentials. Pflfigers Archiv 320, 348-358, 359 372 (1970) 10. Mendelsohn, M., Konishi, T.: The effect of local anoxia on the cation content of the endolymph. Ann. Otol. 78, 64-75 (1969) I 1. Miyamato, T.: Experimentelle Untersuchungcn fiber die Sch/idigung des Geh6rs durch die Giftwirkung der Arzneimittel. Die Wirkung des Atoxyls auf das Geh6rorgan. Arbeiten aus der Medizinischen Universit/it Okayama 2 (3), Okayama, Japan 1931 12. Orsulakowa, A.: Experimentelle Untersuchungen fiber die passiven Austauschvorg/inge zwischen Liquor cerebrospinalis, Blut und Innenohrflfissigkeiten. Inauguraldissertation der Universit/it Dfisseldorf, Naturwissenschaftliche Fakult/it 1975 13. Sellick, P. M., Johnstone, J. R., Johnstone, B. M.: The electrophysiology of the utricle. Pflfigers Archly 336, 21 27 (i972) 14. Sellick, P. M., Johnstone, B. M.: Differential effects of ouabain and ethacrynic acid on the labyrinthine potentials. Pflfigers Archiv 352, 339-350 (1974) I5. Vosteen. K.-H.: Neue Aspekte zur Biologie und Pathologie des Innenohres. Archly HNO 178, 1-104 (1961) I6. Vosteen, K.-H.: Passive and active transport in the inner ear. Archiv HNO 195, 226-245 (1970)

Diskussionsbemerkungen J. Wersiill (Stockholm): I admire the excellent survey which Vosteen has done on this very, very difficult and complicated subject. As it has been mentioned, we have been working in our laboratory with the old substances atoxyl and lately we have combined ethacrynic acid (EA) and atoxyl because some preliminary experiments indicated that the toxic effect of atoxyl might be changed by EA. When we continued these experiments it turned out that we could follow two phases in hearing deterioration in the guinea pigs when the EA was given at the same time as atoxyl. The t]rst phase was a rather rapid shifting deterioration of hearing which recovered. When we studied the morphology of the EA phase with a reversible swelling of the stria vascularis which returns to normal - and examined morphologically the second stage (atoxyl stage) we found the longer lasting and finally destructing phase of the atoxyl, so that atoxyl has, as Vosteen pointed out, a different point of attack than the EA. There is also one other difference, and that is that normally very small changes are found in the dark cells in the utricle and on the sides of the crista ampullaris under the influence of EA. But atoxyl gives a selective destruction of the dark cells in the utricle and on the sides of the crista ampullaris. In the same way as it destroys the marginal cells of the stria vascularis there is a similar function of these cells, but at least the effect of atoxyl (of the arsenic compound) is very similar and I think it is the first time when it has been

228

K.H. Vosteen

shown that the dark cells of the stria can be selectively destroyed. EA has a specific point of attack which is different from atoxyl. Atoxyl affects both the stria vascularis and the dark cells of the utricle and the crista. Unfortunately atoxyl also has other effects. We have not yet been able to destroy completely the stria or the dark cells without effects on the sensory cells (which seems to be direct). We can not yet separate completely the effects on the secretory epithelia and on their sensory cells. But we think that in their atoxyl-effect, the effect on the stria and on the dark ceils comes before the direct effect of the atexyl on the sensory cells. G. F. Dohlman (Giiddviksholm). Ich m6chte die Interpretation yon Herrn Vosteen voll unterstfitzen. Die Wasserverschiebungen in Endo- und Perilymphe mfissen Folge osmotischer Druck/inderungen sein, hervorgerufen durch Elektrolytkonzentrationsver~inderungen, eventuell sogar dutch Zelldetritus. V0r einigen Jahren injizierte ich in den Endolymphschlauch des Bogenganges der Taube ein kleines Tr6pchen O1 und ver~inderte mittels hypotoner oder hypertoner Perilymphe den osmotischen Druck. Man sieht dann sofort, wie der Oltropfen im Endolymphschlauch zu wandern beginnt und man hat den Eindruck, dab dies ein perfekter Osmometer ist. Wenn man aber den Saccus endolymphaticus abklemmt oder zerst/Srt, so werden tote Zellen im Endolymphraum angesammelt, wodurch sich auch der osmotische Druck in der Endolymphe ver/indern k6nnte. E. A. Schnleder (Solingen): Besteht Ihrer Meinung nach ein Fltissigkeitsstrom vom Liquor zum Perilymphraum? K.-H. Vosteen (Frankfurt a. M.): Ich mul3 das aus den zahlreich vorliegenden Untersuchungen entnehmen.

E. A. Sehnleder (SoUngen): Beentjes hat gezeigt, daf3 beim Meerschweinchen kein Druckgradient zwischen Liquorraum und Perilymphraum besteht; also kann auch keine FRissigkeitsstr6mung existieren.

J. Wersiill (Stockholm): Herr Vosteen hat demonstriert, dab am Anfang des Atoxyleffektes eine Schwellung des Endolymphraumes steht und sp/iter ein vollst/~ndiger Kollaps erfolgt. K6nnen Sie das erkl/~ren, ohne dal3 man einen Strom in die eine oder andere Richtung annehmen miif3te? F/it reich ist klar, dab eine Fliissigkeitsverschiebung innerhalb der Lymphr/iume des Innenohres existieren mug, das zeigen doch gerade die Atoxylversuche und die Experimente mit Ethacryns/iure. Der kollabierte Endolymphraum muf3 doch wohl dutch nachstrgmende F1/issigkeit ersetzt werden k/Snnen[ W. Arnold (Frankfurt a. M.). Die Frage einer konstanten Liquorstr6mung in Richtung Perilymphe ist von untergeordneter Bedeutung. Auch setzt eine Fliissigkeitsverschiebung yon einem Extrazellularraum (Subarachnoidalraum) in den anderen (Perilymphraum) keinen Druckgradienten voraus! Insofern m6gen die Ergebnisse von Beentjes stimmen. Ausschlaggebend fiir FRissigkeitsverschiebungen in Extrazeltul/irr/iumen -- und das haben wir doch aus den Untersuchungen von Dohlmann, Bosher, Kimura, Shellick und Johnstone gelernt -- sind unterschiedliche Ionen - oder Eiweif3konzentrationen, so dab je nach Konzentration dieser Stoffe Wasser in die eine oder an&re Richtung verschoben werden kann. Gesteuert wird dieser Vorgang im Liqaorraum durch sekretorische oder resorptive Organe (Plexus chorioidus, Gef/if3organe an den Ventrikelw/inden) im Extrazellularraum des Labyrinthes dutch dort bekannte Gef~if3komplexe (Plexus cochlearis, Geffif3e des mesenehym.alen Gewebes des Ligamentum spirale, indirekt auch fiber die Stria vascularis). Ausschlaggebend ffir die Richtung der Flfissigkeitsver schiebung ist also nut die im Augenblick jeweils vorhandene regionale osmotisch wirksame Kraft, z. B. unterschiedliche Elektrolyt- oder Eiweil3konzentrationen. H. Stupp (Diisseldor0: Auch andere Organe, wie beispielsweise die Nieren und der D6nndarm bew/iltigen die grol3en Volumenverschiebungen nach den passiven Prinzipien der Filtration und Diffusion. Diesen sind als regulierender Faktor aktive Transportvorg/inge wie die Na+-K + Purnpe iibergeordnet. W/ihrend der passive Vorgang schnell und energiesparend verl/iuft, ist der aktive Transport eher st6rungsanf/illig. K.-H. Vosteen (Frankfurt a. M.), SehluBwort: Immer dann, wenn es sich um Elektrolyte handelt, ist die osmotische Druckverschiebung abh~ingig yon der Anzahl der gel6sten dissoziierten Elektrolytmolek(ile

Produktion von Endo- und Perilymphe

229

im Wasser. Daher sind wir im Labyrinth so besonders interessiert an den Elektrolyten und an ihren Bewegungen; das ist auch der Grund, warum die Experimente mit EA und Atoxyl so aufschluf3reich sind. Wenn morphologisch nach EA die Interzellularspalten und Perivaskularr~iume bei nach wie vor geschlossener epithelialer Oberfl~che breit werden, so heif3t das, da/3 hier Wasser zuriickgehalten wird, was beispielsweise dutch eine Ansammlung yon Elektrolyten um die Gef~f3e bewirkt sein kann. Diese k6nnen nicht mehr durch die gesch/idigten Marginalzellen in die Endolymphe hineingepumpt werden. Nach Atoxyl kommt es nicht zu dieser Wasseransammlung in der Stria vascularis; ganz im Gegenteil: hier werden offensichtlich in der ersten Phase vermehrt Elektrolyte in die Endolymphe abgegeben, woraus die Aufquellung des Ductus cochlearis resultiert. In der zweiten Phase kollabiert aber der Ductus cochlearis. Wit werden/iberpr/ifen miissen, wie es sich mit den Elektrolytspiegeln in Endo- und Perilymphraum nach vorheriger Gabe von Atoxyl verh/ilt und diese Ergebnisse dann den entsprechen den morphologischen Ver/inderungen gegeniiberstellen. Wenn nun die gleiche Aufquellung des Ductus cochlearis nach Unterbindung des Saccus endolymphaticus auftritt, dann kann es sein, dab zu viel Zelldetritus im Endolymphraum zur/ickgehalten wird~ welcher osmotisch wirksam werden k6nnte. Diese grof3molekularen Stoffe stellen aber rein rechnerisch eine wesentlich geringere osmotisch wirksame Potenz dar, als sie bereits durch eine relativ geringe Verfinderung der Elektrolytkonzentration hervorgerufen werden kann. Wir m~issen uns bem/ihen herauszufinden, ob und in welchem Verh/iltnis am Epithel des Saccus endolymphaticus drei Mechanismen vorhanden sin& a) aktive, ethacrynsfiureabh/ingige Pumpe; b) elektronegative Natrium Kalium-Aus tauschpumpe: c) Diffusion. Es kann sein, daf3 hier die Diffusion weit/iberwiegt, mehr als in der Reif3nerschen Membran oder im Bereich der Utriculuswand; das w/ire eine plausible Erkl~rung fiir die Aufquellung des Endolymphschlauches nach Unterbindung des Saccus.

[Formation of the inner ear lymphs. Permeability of inner ear membranes (author's transl)].

Arch. Oto Rhino-Laryng. 212, 219-229 (1976) Archives of Oto-Rhino-Laryngology ~:~by Springer-Verlag1976 Die Produktion von Endo- und Perilymphe und...
2MB Sizes 0 Downloads 0 Views