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Formale Denkstörungen und Sprachstörungen bei Schizophrenien - Neue Erkenntnisse aus empirischen Untersuchungen?

Formal Thought and Speech Disorders in Schizophrenia - New Insights From New Empirical Studies?

The investigation of formal thought and speech disorders in schizophrenia is hampered by the missing differentiation of speech and thought. Empirical investigations paying attention to this differentiation do not argue for specific schizophrenie speech or thought disorders but for a c1inically relevant continuum of these disorders within the group of endogenous psychoses.

Einleitung

Schizophrene Spracheigentümlichkeiten und formal gestörte Sprachfunktionen Schizophrener nahmen bereits bei Entwicklung des Krankheitskonzeptes eine wichtige Rolle ein (Kraepelin 1899, Bleuler 1911). In der Folgezeit wurde versucht, das" Unverstehbare" oder "Andersartige" dieser Sprache mit Begriffen wie dissoziiertes Denken, Zerfahrenheit, Inkohärenz, Assoziationslockerung, Paralogik, Schizophasie, Vorbeireden einerseits, Maniriertheit, Bizarrerie oder Stelzensprache andererseits deskriptiv zu erfassen und auch zu differenzieren wie mit der auch heute noch gültigen Unterscheidung der Zerfahrenheit in Verschmelzung, Entgleisung, Auslassung und Faseln (c. Schneider 1930). Über diese deskriptive Ebene hinaus erhielten formale Denkstörungen und Sprachstörungen durch Konzepte wie das der Grundstörungen (Bleu/er 1911) oder das der Basisstörungen (Huber 1966) auch ätiologisches und diagnostisches Gewicht, da sich andere schizophrene Symptome daraus ableiten lassen sollten, sie in ihrem diagnostischen Wert den Symptomen I. Ranges von K. Schneider an die Seite gestellt wurden (Peters 1973) oder vorwiegend an Denkstörungen orientierte Achsensyndrome formuliert wurden (Berner 1977). Aus dieser den beschriebenen Störungen zugemessenen Bedeutung wird verständlich, daß bereits früh kontinuierlich bis heute verschiedenste, auch häufig divergierende Er-

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Zusammenfassung

Die Erforschung formaler Denk- und Sprachstörungen bei Schizophrenien wird durch die fehlende theoretische Differenzierung von Denken und Sprache behindert. Empirische Untersuchungen, die dies berücksichtigen, sprechen gegen die Existenz spezifisch schizophrener Störungen und für ein auch klinisch relevantes Kontinuum formaler Denk- und Sprachstörungen innerhalb der endogenen Psychosen.

klärungen für die Spracheigentümlichkeiten postuliert wurden, die je nach theoretischem Standpunkt von der bekannten Assoziationsstörung Bleu/ers bis zu modernen mathematisch formulierten Modelltheorien (Matthysse 1987) reichten. Zusammenstellungen formaler Denkstörungen oder Sprachstörungen bei Schizophrenien mit ihren unterschiedlichen Erklärungsansätzen finden sich in vielen Übersichtsarbeiten (z. B. Spoerri 1964, Berner und Naske 1973, Chapman und Chapman 1973, Schwartz 1978, Wykes 1980, Scharfetter 1986). Trotz der nach wie vor zentralen diagnostischen und konzeptuellen Bedeutung aufflilliger Sprachphänomene bei Schizophrenien (wie sie auch ihren Niederschlag im ICD-1O und DSM-III-R findet), konnten bisher auch neuere empirische Forschungen den frühen Konzeptionen keine sicheren neuen Erkenntnisse oder Erklärungen hinzufügen. Ursachen für diese Entwicklung und ob nach neueren Untersuchungen dann überhaupt der zentrale Stellenwert dieser Störungen als ein Charakteristikum der Schizophrenie noch gerechtfertigt ist, sollen in der vorliegenden Arbeit anhand von zwei zentralen Fragen erörtert werden: Wie ist das Verhältnis von Sprache und Denken in der Schizophrenie zu verstehen? In welcher Weise sind Sprachstörungen spezifisch für die Schizophrenie oder ihre Untergruppen? Wenn dabei formale Denkstörung und Sprachstörung in der Folge synonym gebraucht wird, ist dies begründet in der psychiatrisch-klinischen Tradition, wo meist

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D. Ebert Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. E. Lungershausen)

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keine klare begriffiiche Trennung vollzogen wird, obwohl sich zeigen wird, daß diese Gleichsetzungen erst einer Klärung bedürfen.

Die Beziehung von Sprache und Denken Denken und Sprechen oder Denken und Sprache sind nicht dasselbe, und "von welcher Art die vertretenen Auffassungen über Sprache und Denken auch sein mögen, ihnen allen gemeinsam ist die nicht zureichende theoretische Begründung, wenn nicht die völlige Unretlektiertheit auf die Grundlagen des behaupteten Zusammenhanges" (Seebaß 1981). Diese allgemeine Problematik gilt auch speziell für die Psychiatrie und ist ein Hauptgrund für die teilweise widersprüchliche Vielfalt von Beschreibungen und Erklärungen schizophrener Sprachphänomene und vor allem rur die anhaltende Kontroverse über den Status schizophrener Denk- und Sprachstörungen. Wie sehr die Diskussion auf diesem Gebiet durch implizite Voraussetzungen belastet ist, zeigt sich bereits daran, daß der im klinischen Alltag mit Sprachstörungen weitgehend synonym verwendete Begriff der formalen Denkstörung in der Forschung über Jahrzehnte vor allem zu einer Suche nach dem hinter der Sprache liegenden pathologischen Denkprozeß geführt hat und gerade durch diese Suche nach der einen den verschiedenen Sprachphänomenen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit des Denkens eine empirische Analyse derselben verhindert wurde. Da "diese Tendenz vieler Untersucher, eine prinzipielle Denkstörung als Grundlage aller schizophrener Denk- und Sprachstörungen zu suchen, gerade die adäquate Erforschung dieser Störungen verhindert hat" (Holzmann 1986), ist Voraussetzung der Untersuchung dieser Störungen eine Antwort auf die Frage, wie Denken und Sprache bei Schizophrenien zusammenhängen oder getrennt sind. Handelt es sich also um eine Sprachstörung im engeren Sinne, d. h. eine Störung von Sprachkompetenz, -performanz oder kommunikativer Kompetenz, die auf der Ebene von Sprachäußerungen und Sprachhandlungen analysierbar ist? Oder handelt es sieh um eine Denkstörung im engeren Sinne, wonach Sprachauffalligkciten Folge fehlerhaften Denkens, fehlerhafter kognitiver Prozesse oder gar verstehbarer, intendierter Ausdruck psychotischen Erlebens sind und Analysen auf dieser Ebene primär bei der Erklärung der Sprachphänomene sind? Zwar wird dieses Problem in jüngerer Zeit ausgiebig und kontrovers diskutiert (z. B. Chaika und Lambe 1985, 1986; Harrow et al. 1986; Harrod 1986), historisch gesehen ist diese Kontroverse aber nicht neu: In der deutschen Psychiatrie wurden schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die beiden Alternativen diskutiert in der Form, ob es sieh bei den SprachaufTälligkeiten um eine aphasische oder "Werkzeugstörung" oder um eine "Ganzheitsstörung" handelt und zugunsten der letzteren, also letztendlich der Denkstörung, entschieden (Berner und Naske 1973). Unter dem Einfluß der bisher nicht entscheidbaren Diskussion um das Problem der Abhängigkeit von "Denken und Sprache", die interdisziplinär in vielen Wissenschaftsbereichen geführt wird (für umfassende interdisziplinäre Darstellungen vgl. z. B. Seebaß 1981, Henle 19RO), stellen sich heute für die Psychiatrie die Argumente für die beiden Alternativen etwas anders dar: Zugunsten einer reinen Sprachstörung ist anzunehmen, daß nur diese ein dem U ntcrsucher direkt zugängliches Verhalten ist und nur hier sind Störungen oder Auflälligkeiten evident. Denken hingegen ist nichts Of·

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fensichtliches, auf Denken wird geschlossen von anderem Verhalten wie z. B. der Sprache. Es gibt also auch keinen Grund anzunehmen, daß die Evidenz pathologischer Sprache gleichbedeutend ist mit der Evidenz pathologischen Denkens. Dies gilt um so mehr, als eine genaue Begriffsbestimmung von "Denken" nach wie vor nicht geleistet werden kann (Cummin.l' 1983). Man vergegenwärtige sich diese Unmöglichkeit nur daran, daß so unterschiedliche Tätigkeiten wie Orientierung auf einem Stadtplan, Lösen eines Rätsels und Führen eines Gespräches alle "Denken" beinhalten sollen. Der Oberbegriff Denken müßte also auch für die psychiatrische Diskussion erst in einzelne Denkarten und kognitive Prozesse spezifiziert werden und für diese dann ein Zusammenhang mit den verschiedenen Ebenen der Sprachproduktion aufgezeigt werden. Für die Sprache nämlich ist durch die linguistische Unterteilung in die Ebenen der Phonologie und Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik eine differenzierte Beschreibung möglich. In all diesen vier Bereichen, darin liegt auch ein Hauptargument für eine primäre Sprachstörung, sind bereits pathologische Regelverletzungen oder Normabweichungen in der Sprache schizophrener Patienten empirisch nachgewiesen. Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung, daß nur Sprachinhalt, -bedeutung und -sinn betroffen sind (Harrow et al. 1986), sind auch elementare Sprachebenen betroffen in Form von morphologischen, phonologischen und syntaktischen Abweichungen (Flegel 1965, Chaika 1974, Morice und Ingram 1982, Morice und McNico/1986). Bekannt sind letztere jedem Kliniker, nur wurden diese mit Begriffen wie bizarre, manirierte Sprache, "Wortsalat" oder Neologismus bezeichnet, ohne daß die zugrunde liegenden morphologischen und syntaktischen Regelabweichungen expliziert wurden (Chaika und Lambe 1985). Einige Beispiele aus Sprachprotokollen der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen sollen diese rein linguistischen Ausführungen verdeutlichen: Beispiel I: "Ich hab mieh nicht mehr waschen getraut, weil ich Angst hatte. daß ieh durcht1iege:' Frage: "DurchOiege?" "Na ja, dann eben rausniege. " Beispiel 2: "Dann kommt Ich .... Blut .... Revolution .... weil es zentriert .... (lange Pause) .... Neger wissen esaueh." Beispiel 3: "Ein gesellschaftlicher RückOuß könnte auf meine Gefühlale einwirken, so daß ich jetzt auch publizistisch interentiere." Beispiel 4: Frage: "Was ist denn zentral für Sie in Ihrem Leben'!" Antwort "Da wirdja ein Turm mitten in der Stadt gebaut." Injedem dieser vier Beispielsätze ist auf jeweils einer anderen Analyseebene die Regelhaftigkeit normaler Sprachproduktion unterbrochen, wie sie mit dem Erwerb der Muttersprache unmittelbar ohne dazwischengeschaltete ReOexionsprozesse, gleichsam "bewußtlos", gegeben ist: Beispiel 1 betrifft die Semantik. wenn sieh einzelne Worte in ihrer Bedeutung ändern und idiosynkratisch verwendet werden. In Beispiel 2 ist die syntaktische Satzstruktur aufgelöst, in 3 die Morphologie einzelner Worte durch Einsetzung oder Austausch von Silben so verändert, daß die in der Klinik als Neologismus oder bizarr·manirierte Sprache bekannten Phänomene resultieren. In Beispiel 4 schließlich werden im Rahmen der Pragmatik formulierte Regeln mißachtet, wenn der aus der Kommunikationssituation zu verstehende Wortgebrauch nicht erkannt wird. Um einer ungerechtfertigten Schematisierung nieht Vorschub zu leisten, soll daraufhingewiesen werden. daß nur selten eine Sprachebene isoliert betroffen ist und natürlich Änderungen ver-

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schiedener Ebenen sich wechselseitig bedingen und nicht isoliert analysiert werden sollten. Angesichts solcher mit einer reinen Sprachanalyse nachgewiesenen Abweichungen von unbewußt angewandten Sprachregeln sollte so lange von einer primären Sprachstörung gesprochen werden, bis gezeigt werden kann, daß etwaige als ursächlich postulierte Denkstörungen oder kognitive Störungen für normale Sprachproduktion relevant sind. Für die häufig als Ursache von Sprachstörungen angenommene Assoziationsstörungen gelingt dies z. B. nicht, da gezeigt werden kann, daß normale Sprachproduktion nicht auf der Basis von Assoziationen geschieht (Chaika 1974). Nach all dem dürfte die Sprache zumindest insoweit als primär angesehen werden, daß eine Analyse dieser Sprache auf der Ebene der einzelnen Sprachphänomene unabdingbare Voraussetzung bei der Untersuchung sog. formaler Denk- und Sprachstörungen sein muß und auch der Analyse des Verhältnisses von Sprache und Denken vorausgehen muß. Ist damit aber bereits zugunsten einer primären Sprachstörung entschieden, also einer den Aphasien verwandten Störung der Prozesse und Strukturen, die unmittelbar an der Sprachproduktion beteiligt sind? Auch wenn nur die Sprache dem Beobachter direkt zugänglich ist und aus pathologischer Sprache nicht einfach auf pathologisches Denken geschlossen werden darf, so können Sprachabweichungen trotzdem sekundärer Ausdruck abnormer kognitiver Prozesse oder abnormer Denkstrukturen sein, während die eigentlich sprachliche Kompetenz, Gemeintes oder Gedachtes in Sprache umzusetzen, intakt ist. Gewichtige Gründe sprechen für diese Möglichkeit. Zuallererst ist es nur plausibel, daß Denkinhalte und Denkformen durch Sprache vermittelt und in ihr ausgedrückt werden und die Frage nach einem Zusammenhang zwischen beiden somit auch sinnvoll ist. Zum anderen wurden ja gerade bei Schizophrenien Denkstörungen nachgewiesen, die nicht an Sprache gebunden sind, häufig Zllsammengefaßt unter dem Oberbegriff der kognitiven Störungen und erfaßt mit weitgehend sprachfreien Tests (Übersichten z. B. bei I/urtlt'ich 1983. Nuechterlein 1986). Ein anderes Beispiel von Denkstörungen ohne Sprachstörungen, traditionell allerdings als inhaltliche Denkstörungen begriffen, sind jene jedem Kliniker bekannten paranoiden Syndrome mit systematisierten Wahnsystemen, deren Sprache formal keine Abweichungen erkennen läßt. Der Einfluß von Denkinhalten auf die Sprache ist zudem wahrscheinlich gemacht, indem gezeigt werden kann, daß bei schizophrenen Patienten die Zerfahrenheit dann zunimmt, wenn sie versuchen, abnorme Denkinhalte (Wahninhalte) darzustellen (Harroll' et al. 19~ß). Das zuletzt Gesagte erläutert Beispiel 5: ,,[ch seh Sie verstehen nicht, aber es gibt zwei Gruppen von Menschen, Mystiker und andere.... und in der letzten Nacht hab ich ein System entwickelt, meine Freunde zu erkennen." Syntaktisch geordnet und inhaltlich verständlich wie dieser Satz waren auch die vorangehendcn, insgcsamt vage gehaltenen Ausführungen dieses akut schizophren erkrankten Patienten. Erst bei dem nach mehrmaligen Nachfragen unternommenen Versuch, das System nähcr zu erklären. lockern sich Syntax und verstehbarer Zusam-

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menhang: "Es ist Zahlenmyslik .... gerade und ungerade ... Farben scheinen auch ganz anders .... Sie wissen, daß Ihre Augen blau sind, obwohl Ihr Name fünf Buchstaben hat?.... Aber die anderen wissen ja auch Bescheid, fahren mit 100 auf der Autobahn." Frage: "Sie wollten das System erklären" - "Verstehen Sie immer noch nicht?" Vorwiegend in solchen phänomenologisch orientierten Untersuchungen finden sich beim derzeitigen Forschungsstand Argumente für die Abhängigkeit schizophrener Sprache von abnormen gedanklichen Konstrukten. So existieren auch Selbstschilderungen genesener Patienten, nach denen sie sich in der akuten Krankheitsphase ihrer pathologischen Sprache bewußt waren, wenn sie gedanklich Intendiertes nicht ausdrücken konnten (Chapman 1966). Sie deuten nicht, wie vielleicht anzunehmen, auf einen Verlust der Fähigkeit, klar strukturierte Vorstellungen sprachlich zu formulieren, sondern auf die Schwierigkeit, diffuse Vorstellungen und Ahnungen, komplizierte, oft unlogische oder nicht sicher gewußte Zusammenhänge, wie sie so oft vor allem zu Beginn einer Wahnentwicklung anzutreffen sind, verbal zu formulieren. Im Normalpsychologischen wird dieses Problem z. B. auch in der manchmal unzusammenhängenden Sprache von Prüfungskandidaten ersichtlich, die versuchen, nur lükkenhaft gewußte Sachverhalte zu erklären. In diese Richtung weisen auch Beobachtungen, die zeigen, daß schizophrene Patienten eigene "zerfahrene" Texte (nicht die von anderen Patienten) während der Psychose häufig als verständlichen und manchmal sogar adäquaten Ausdruck ihrer Gedanken ansehen, nach Abklingen der Phase allerdings keinen oder nur einen anderen Sinn darin erkennen. Beispiel 6: Ein akut erkrankter schizophrener Patient wurde einen Tag nach einem Streitgespräch nach der dabei gefallenen Äußerung gefragt: "Die Unispreizerklärung ist intim und hat für interlegendare illifan nur sprächlichen Zugang!" Er antwortete, daß er nach wie vor dieser Meinung sei, befragt nach einzelnen Wortbedeutungen gab er z. B. zu "illifan" an, daß man das Wort nur richtig aussprechen müsse, dann werde klar, was er meine. 4 Wochen später nach Abklingen der Produktivsymptomatik antwortete der Patient auf die gleiche Frage, daß er derzeit keine Vorstellung habe, was er damit gemeint haben könnte. Dieses Phänomen, daß Schizophrene sieh ihrer Sprachstörungen nicht bewußt sind, wie es bei einer reinen primären Störung der Sprachperformanz ja genau umgekehrt zu erwarten wäre, wurde bereits mehrfach in der Literatur beschrieben (llarrow und Miller 1980). Die aufgeführten Argumente dürften ausreichen, um zu zeigen, daß schizophn:ne Sprachphänomene wahrscheinlich nicht unabhängig von Denkinhalten und Denkkonstrukten erklärt werden können, so daß die Antwort auf die eingangs gestellte Alternative nur als Komprorniß formuliert werden kann. Sicher gibt es Sprachauffälligkeiten bei Schizophrenien und nur diese sind dem Untersucher evident und primär zugänglich. Aus diesem Grunde muß Sprachanalyse und Definition der einzelnen Sprachphänomene immer primär sein, klinisch bei der Konstatierung sog. formaler Denkstörungen und wissenschaftsmethodologisch bei der Erklärung dieser Phänomene. Unabhängig von der bisher noch nicht gelungenen allgemeingültigen Explikation des Denkbegriffes sind aber abnorme Denkinhalte. -konzepte und -regeln

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Formale Denkstörungen und Sprachstörungen bei Schizophrenien

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59 (1991) zumindest wahrscheinlich eine notwendige Bedingung für diese Sprachstörungen. Die Aufklärung dieser Beziehung kann nicht von einer einzelnen Denkstörung zur Vielfalt der Sprachphänomene führen, sondern nur umgekehrt von der Vielfalt der Sprachphänomene zu möglicherweise ähnlich vielen beteiligten Denkprozessen. Diese theoretische Forderung ist in der empirischen Forschung bisher nicht eingelöst, d. h. die Aufklärung des tatsächlichen Verhältnisses von Sprache und Denken bei Schizophrenien unter den genannten methodischen Gesichtspunkten bedarf erst zukünftiger Untersuchung. Für die klinische Forschung und Praxis im Zusammenhang mit Denken und Sprache ist vorläufig also das Bewußtsein vom erkenntnistheoretischen und methodologisehen Primat der Sprache bedeutsam. Diese Forderung kann sich, ähnlich wie die prinzipielle Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken, ebenfalls auf eine lange Tradition in der deutschsprachigen Psychiatrie berufen. Einerseits sei erinnert an Versuche, den Zugang zu den Spracheigentümlichkeiten auf das Formale zu beschränken und Abweichungen nur mit linguistischen Mitteln nachzuweisen (Flegel 1965), andererseits wird im Rahmen der strukturalen Psychopathologie ausdrücklich auf die Sprache, genauer Texte, als hauptsächliches Arbeitsinstrument Bezug genommen (Peters 1983). Diese von schizophrenen Patienten gesprochenen oder geschriebenen Texte werden mit den Mitteln des Strukturalismus interpretiert, d. h. die Struktur der Sprache, die sich in der Beziehung der Zeichen untereinander und der Beziehung der Zeichen zu dem von ihnen Bezeichneten äußert, ist Grundlage von Interpretation, Verstehen und Sinn des Textes (ausführliche Darstellungen zu Theorie und Ergebnissen dieser Methode finden sich u. a. bei Peters 1973; Peters und Prelle 1974; Peters 1978, 1983). Ähnlich dem literarischen und philosophischen Strukturalismus handelt es sich bei der strukturalen Psychopathologie um ein interpretatives Verfahren, dem es vor allem um das Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen und Sinn geht, nicht um Deskription und Erfassung in statistisch auswertbaren Skalen. Bereits bei der Frage nach der Spezifität formaler Denk- und Sprachstörungen für die Schizophrenie wird sich zeigen, daß auch auf unterhalb der Sinninterpretation gelegenen, weniger komplexen Ebenen der Sprachanalyse die geforderte Trennung von Denken und Sprache praktische Konsequenzen hat.

Giht esfür die Schizophrenien oder ihre Unter!ormen spezifische Sprachstörungen? Ohne eine prinzipielle Klärung der obigen "Zusammenhangsfrage" von Denken und Sprache reicht es nicht aus, eine Denkstörung oder kognitive Störung als spezifisch für Schizophrenien zu postulieren und sie dann in den Sprachauffälligkeiten Schizophrener wiederzuentdecken. Dies führt leicht zu einer unbegründeten Bejahung der Spezifitätsfrage, wenn im Sinne eines Isomorphismus verschiedenste Sprachphänomene als gemeinsamer Ausdruck nur einer spezifischen Grundstörung (wie z. B. "Assoziationsstörung", "Entspannung des intentionalen Bogens" oder "Verlust von Gewohnheitshierarchien") interpretiert werden, obwohl morphologisch gleiche Sprachphänomene auch als Ausdruck anderer "dahinterstehender" Denkprozesse und damit anderer

D. Ehert Krankheitsbilder interpretiert werden können (man vergegenwärtige sich die Unterscheidung von ideenflüchtiger Verwirrtheit, Zerfahrenheit und Inkohärenz mit ihren traditionellen diagnostischen Implikationen, die bei phänomenologischer Gleichheit der Sprache nur aufgrund der theoretischen Hintergrundannahme von verschiedenen zugrunde liegenden Mechanismen geleistet zu werden vermag). Statt dessen müssen nach dem vorher Gesagten zur Klärung der Spezifitätsfrage nur die dem Kliniker evidenten Sprachabweichungen erfaßt und ihr Auftreten bei Gesunden, Schizophrenen oder anderen psychischen Erkrankungen verglichen werden. Diese im eigentlichen Sinne empirische, am Phänomen ansetzende Methode birgt die Schwierigkeit, daß die Sprachauffälligkeiten für den Kliniker intuitiv, für die Forschung in operationalisierten Skalen differenziert erfaßt werden müssen. Ein Beispiel erster Art ist das Präcox-Gefühl Rümkes (1958), in das Spracheigentümlichkeiten sicher eingehen (Peters ] 973). Auch psychopathologische Schätzskaien enthalten meist UnterskaIen für formale Denkstörungen oder Sprachstörungen (z. B. AMDP, PSE, Psychotic Inpatient Profile, Brief Psychiatrie Rating Scale oder zur Erfassung eher subjektiver Sprachauffälligkeiten das "Bonner Instrument zur Erfassung von Basissymptomen und Basisstadien"), jedoch sind darin die Sprachphänomene meist nur mit globalen klinischen, die Sprache nicht näher differenzierenden Oberbegriffen erfaßt und es wird nicht ersichtlich, aufgrund welcher Kriterien die Zuordnung z. B. zu "gehemmt, zerfahren, maniriert" erfolgt. Bei dem zur Diskussion stehenden Problem ist es deswegen sinnvoll, Untersuchungsskalen zu verwenden, die die Sprachstörungen nur anhand von Sprachmerkmalen quantitativ und qualitativ erfassen und definieren, ohne Rückschlüsse zu ziehen aus postulierten Denkstörungen oder diagnostischen Vorannahmen. Vor allem im angelsächsischen Raum wurde in den letzten Jahren zunehmend versucht, solche Skalen zu entwickeln. Häufige Verwendung im internationalen Schrifttum finden dabei vor allem die "Scale for the Assessment of Thought, Language, and Communication" (Andreasen 1978), die die Sprachstruktur anhand von freier Rede beurteilt sowie der "Thought disorder index" (Johnston und Holzmann 1979) oder "Index of positive thought disorder" (Harrow und Quinlan 1985), die beide strukturierte Bedingungen zur Sprachbeurteilung wählen (Rorschachtest, Sprichworterklären; "Object Sorting Test", Wechsler-Intelligenztest). Kritisch anzumerken bleibt, daß die Erfassung von Sprachabweichungen anhand von Tests, die in früheren Untersuchungen auch sprachunabhängige Störungen schizophrener Patienten gezeigt haben, erneut die Gefahr birgt. vorwiegend nicht an die gesprochene Sprache gebundene Abweichungen (Abstraktionsfahigkeit, Konzeptbildung, Logik usw.) zu erfassen und so die Spezifitätsfrage unbegründet zu bejahen. Wenn nun bestimmte Symptome, in diesem Falle Sprachauffälligkeiten, spezifisch fur Schizophrenien sein sollen, dann kann dies implizieren "immer bei Schizophrenien auftretend" (sei es zu jedem Zeitpunkt oder nur zu einer bestimmten Phase der Erkrankung) oder "nur bei Schizophrenien auftretend", nicht bei Gesunden und nicht bei an-

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deren psychischen Erkrankungen. Leider konnten die bisherigen empirischen Sprachuntersuchungen mit den obengenannten Verfahren die Erwartungen, mit den SprachautTälligkeiten ein solches Spezifikum gefunden zu haben, nicht bestätigen. Vielmehr fanden sich nicht nur bei den schon aufgrund des theoretischen Konzeptes als unspezifisch betrachteten, oft im Subjektiven verbleibenden und dem Untersucher nicht evidenten kognitiven Denkstörungen und Basisstörungen, die mit dem "Bonner Instrument zur Erfassung von Basissymptomen und Basisstadien" erfaßt werden können, ähnliche Störungen bei Zyklothymien (Gross 1986), sondern auch die in den letzten Jahren mit den drei obengenannten englischen Skalen objektivierbaren Sprachabweichungen waren nicht nur bei Schizophrenien, sondern ähnlich häufig bei Manien und in geringer Menge bei Depressiven und sogar Gesunden nachweisbar (Andreasen 1979, 1986; Holzmann et al. 1986; Marengo und Harrow 1985). Dieses Ergebnis, daß formale Denk- und Sprachstörungen als Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachphänomene nicht spezifisch für Schizophrenien sind, würde noch nicht gegen die Spezifitätshypothese sprechen, wenn weiter differenziert werden könnte und nur bestimmte, qualitativ unterschiedene Sprachabweichungen bei bestimmten Psychosen auftreten würden. Es gelang auch mit Hilfe von statistischen, insbesondere faktorenanalytischen Methoden für jede Psychosegruppe (Depression, Manie, Schizophrenie) einen aus mehreren Sprachphänomenen zusammengesetzten "Sprachfaktor" zu extrahieren und damit auch überzufällig häufig allein aufgrund der Sprachform eine richtige diagnostische Zuordnung zu den jeweiligen Psychosen zu treffen. Das für die statistische Auswertung verwendete Zahlenmaterial läßt aber nur den Schluß zu, daß es zwar für die Schizophrenie wegen der HäufIgkeit ihres Auftretens charakteristische Sprachformen gibt, diese aber nicht im strengen Wortsinn spezifisch sind, da sie genauso bei anderen psychischen Erkrankungen, wenn auch seltener, gefunden werden (Johnston und Holzmann 1979, Holzmann et al. 1986). Auch die empirische Sprachanalyse konnte also bisher das jedem Kliniker bekannte psychopathologische Phänomen der "unscharfen Ränder" zwischen den Psychosegruppen nicht lösen, das in diesem Falle besonders bei der Differenzierung der schizophrenen Sprache von der manischen deutlich wurde. Gerade letztere Patienten zeigten dem Untersucher unverständliche Sprache mit fehlenden Zusammenhängen sowohl auf Satzebene, als auch zwischen den Sätzen, Entgleisungen, veränderte Begriffsbedeutungen, unlogische Verknüpfungen, neben anderen Sprachmerkmalen, die im klinischen Sprachgebrauch als schizophrenietypische Zerfahrenheit imponieren. (Die deutschen Begriffe "ideenflüchtige Verwirrtheit" oder "verworrene Manie" tragen dieser mit der Zerfahrenheit oder Inkohärenz identischen Phänomenologie Rechnung. Erst durch die Annahme verschiedener, nicht an der Sprache selbst erkennbarer Entstehungsmechanismen konnte die Zerfahrenheit weiterhin als schizophreniespezifisch angesehen werden.) Genauso fanden sich bei Manien unzeitgemäße Wortverwendungen, überkomplizierte Satzkonstruktionen, Diskrepanzen zwischen Form und Inhalt, wie sie unter den vagen Oberbegriffen der Bizarrerie, Stelzensprache oder Verschrobenheit (Remer und Naske 1973) vorwie-

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gend bei chronischen Schizophrenien beschrieben sind (Andreasen und Grove 1986, Holzmann et al. 1986, Marengo und Harrow 1985). In der anderen Richtung stellt sich das Problem der "unscharfen Ränder" gegenüber gehemmt Depressiven, wenn vorwiegend sog. negative Sprachstörungen wie Sprachverarmung mit fehlenden Antworten, kurze Sätze oder unvollständig abgebrochene Sätze als Charakteristikum einer Gruppe schizophrener Patienten aus der empirischen Analyse extrahiert werden (Andreasen und Grove 1986). Diese Ergebnisse sprechen insgesamt gegen die Annahme, daß bestimmte Sprachmerkmale spezifisch im engen Sinne für Schizophrenien sind, zumindest gelingt es keiner empirischen Analyse, solche zu erfassen. Dies gewinnt klinische Bedeutung vor allem dadurch, daß demnach auch klinisch eine Schizophrenie bzw. schizoaffektive Psychose anstelle einer rein affektiven Erkrankung nicht allein aufgrund des Auftretens oder Hinzutretens sog. formaler Denkstörungen angenommen werden kann. Diese Schlußfolgerung wird auch durch die Tatsache unterstützt, daß erfahrenen Klinikern die traditionelle Unterscheidung von Ideenflucht als manisches und Zerfahrenheit als schizophrenes Sprachmerkmal anhand von Sprachprotokollen nicht gelingt, wenn aus diesen keine zusätzlichen Hinweise (Denkinhalte, Affekte, Antrieb) auf die Art der Erkrankung ersichtlich sind, wohl aber, wenn auch Affekt oder Denkinhalt aus den Protokollen hervorgehen. Beispiel 7: Auf die Frage, worüber sie z. Z. nachdenke, antwortete eine Patientin: "Bau .... Steine .... Hau rein .... drallfernisiss. Trotz der Probleme ist mein Befinden grenzlich an der Würgität, auch wenn ich bis jetzt nicht .... Pfeifton .... Gefahr im Verzuge .... " Die aus diesem Protokoll ersichtliche Sprachstruktur allein mit Auflösung der syntaktischen Struktur, Neologismen, Verlust des semantischen Zusammenhanges läßt den Kliniker nicht an eine Sprachstörung im Rahmen einer Manie denken. Erst zusätzliche Informationen im Protokoll, die sich nicht an der Sprachstruktur erkennen lassen, ermöglichten die Annahme einer manischen Ideenflucht (verworrene Manie) im traditionellen Sinn mit Auslassung von Zwischengliedern, Wort- und Buchstabenspielen, schnelle Assoziationen zu neuen Außeneindrücken. Im vorliegenden Falle waren solche Informationen: "Größenideen, Arbeiterführerin zu sein mit dem Kampfruf Bau .... Steine .... Hau rein." "Äußerungen werden euphorisch singend vorgebracht" oder "bei der Sequenz "Pfeifton .... Gefahr im Verzuge": Beginn von Handwerksarbeiten mit Pfeifgeräuschen". Auch am anderen Pol, dem depressiven, sind solche Zusatzinformationen notwendig, wie Beispiel 8 zeigt: Zufallig äußerten 2 Patienten unabhängig voneinander nach längeren Ausführungen über Probleme am Arbeitsplatz eine identische Satzsequenz: "Ist einfach unmöglich, heutzutage .... (lange Pause)." Beide gaben auf Nachfragen an, den Faden verloren zu haben. Die Sprachanalyse alleine versagt hier weitere Differenzierungen. Die Unterscheidung von schizophrenem Gedankenabreißen und depressiver Hemmung ist aber dann möglich, wenn man weiß, daß der eine Patient vorher flüssig, in übermäßig komplizierten Sätzen sprach und das Stocken als Entzug seiner Gedanken erlebte, der andere vorher langsam, in kurzen Sätzen mit langen Pausen über schuldhaftes Versagen am Arbeitsplatz sprach.

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Formale Denkstörungen undSprachstörungen bei Schizophrenien

D. Ehert

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59 (/991)

Diese Befunde sprechen auch gegen die Möglichkeit, daß nur die bisher verfügbaren Untersuchungsinstrumente die einzelnen Sprachmerkmale nicht ausreichend differenziert erfassen, das intuitive Sprachgefühl dies aber leisten kann. Vielmehr scheinen spezifisch schizophrene Spracheigentümlichkeiten, wenn vorhanden, ihre Qualität nur aus der Verbindung mit anderen Symptomen wie Affekt oder kommunikatives Verhalten und dem Kontext, in dem sie auftreten, zu gewinnen. Unter der Voraussetzung, daß die Mittel, mit denen die Sprachabweichungen erfaßt wurden, adäquat sind, wäre eine alternative Erklärung der dargestellten Befunde, daß zumindest für die formalen Denk- und Sprachstörungen die Hypothese eines Kontinuums endogener Psychosen anzunehmen ist. Dafür würde auch sprechen, daß schizoaffektive Psychosen eine Mischung aus den jeweils häufigsten bei affektiven und schizophrenen Psychosen gefundenen Sprach merkmalen zeigten (Andreasen und Grove 1986, Holzman et al. 1989, vgl. auch Angst 1989, die die Kontinuitätshypothese anhand von anderen Parametern unterstützen). Auch wenn der Nachweis streng schizophreniespezifischer Sprachmerkmale mit neueren empirischen Verfahren insgesamt somit nicht gelungen ist, so bestätigen trotzdem die damit ermittelten Formen und Häufigkeiten von Sprachstörungen den traditionell angenommenen Status von Sprachabweichungen als ein Kernsymptom der Schizophrenie (Häufigkeit von Sprachstörungen bei Schizophrenien 75 bis 80'% nach Marengo und Harro\\' 1985). Bei dieser somit nach wie vor zentralen Bedeutung bleibt es daher weiterhin Aufgabe, innerhalb der Gruppe der Schizophrenien an hand von Sprachmerkmalen mögliche Unterformen zu definieren, die diagnostische, prognostische oder therapeutische Konsequenzen haben. Bisher gelang in empirischen Untersuchungen mit operationalisierten Sprachskalen eine solche Differenzierung nicht, vielmehr konnte nur die Relevanz der globalen U nterteiJung in sprachgestörte und nichtsprachgestörte Patienten bestätigt werden, so wie sie bereits seit langem als Kriterium zur Ausgrenzung einer "Kernsehizophrenie" behauptet wurde. Danach ist die Untergruppe von Schizophrenien durch eine besonders ungünstige Prognose ausgezeichnet, die entweder während der Phase ausgeprägte formale Denkstörungen aufweist oder persistierende leichte über die Phase hinaus (Harrow und Marengo 1986; vgl. zur Abgrenzung dieser "Kernschizophrenie" mit schlechter Prognose auch Berner 1977, 1988). Weitere prognoserelevante Unterteilungen der Sprachstörungen, z. B. in sog. negative und positive Formen, konnten bisher nicht gesichert werden. Sie erweisen sich schon deshalb als schwierig, weil bislang bez. vieler Sprachphänomene nicht einmal eine einheitliche Auffassung darüber besteht, ob sie den positiven oder negativen Symptomen zugezählt werden sollen (z. B. wird die "Zerfahrenheit" von jeweils verschiedenen Untersuchungen sowohl zu den negativen als auch zu den positiven Sprachphänomenen gezählt und mit sehr unterschiedlicher sonstiger psychopathologischer Auffalligkeit in Verbindung gebracht: Berner et a1. 1988). Auch mit operationalisierten Untersuchungsinstrumenten wurden bez. anderer Faktoren bisher nur sehr global die bekannten klinischen Beobachtungen bestätigt, daß das quantitative Ausmaß der SprachaufmUigkeiten als Maß der Produktivität der Psychose dienen kann (also auch wenn Symptome I. Ranges

nicht eruierbar sind), und daß Neuroleptika nur diese ausgeprägten Formen beeinflussen, nicht die über die Phase hinausbestehenden leichteren formalen Denkstörungen (Holzman 1986). Somit bleibt vorerst abzuwarten, ob der theoretisch fruchtbare Ansatz empirisch operationalisierter Sprachuntersuchungen bei Schizophrenien auch zu über bisherige Kenntnisse hinausgehenden, klinisch relevanten Ergebnissen führen kann. Auch wenn der Nachweis einer schizophreniespezifischen Sprache nicht gelingen sollte, würde die Differenzierung von therapie- oder prognoserelevanten Untergruppen weitere Anstrengungen rechtfertigen.

Schlußfolgerungen Sog. formale Denkstörungen oder Sprachstörungen sind ein Kernsymptom der Schizophrenie. Diese theoretisch gut begründete These bestätigt sich auch in neueren empirischen Studien, die vorwiegend die Sprachäußerungen bei Schizophrenien zur Grundlage der Untersuchung machen. Nicht sicher bestätigt werden kann die Existenz einer spezifisch schizophrenen Sprache. Vielmehr bilden Sprachstörungen eher ein Kontinuum innerhalb der endogenen Psychosen, und der klinische Eindruck des "spezifisch Schizophrenen" entsteht erst aus dem Zusammenwirken mit anderen psychopathologischen Auffo:illigkeiten. Fehlende Fortschritte in der Erklärung oder im Verstehen dieser Störungen sind zum großen Teil zurückzuführen auf das ungeklärte Verhältnis von Sprache und Denken und die fehlende methodische Trennung dieser beiden Bereiche. Auch wenn solche U ntersuchungen, die versuchen, diese Trennung zu berücksichtigen, bisher keine neuen Erkenntnisse zu Therapie, Prognose und Ätiologie erbrachten, sollte diese Unterscheidung von Sprach- und Denkstörungen weiterhin Grundlage der wissenschaftlichen und der klinischen Auseinandersetzung mit diesen Störungen sein.

Literatur

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Dr. med. D. Ehert

Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage 6 - 10 8520 Erlangen

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Fortschr. Neurol. Psychiat. 59 (/991)

Formale Denkstörungen und Sprachstörungen hei Schizophrenien

[Formal thought disorders and speech disorders in schizophrenia--new findings from empirical studies?].

The investigation of formal thought and speech disorders in schizophrenia is hampered by the missing differentiation of speech and thought. Empirical ...
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