Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik

Lappenplastiken bei Weichteildefekten nach endoprothetischem Kniegelenkersatz* Flap Coverage of Soft Tissue Defects after Total Knee Arthroplasty

Autoren

P. Schwabe 1, I. Melcher 1, C. Perka 1, B. Krapohl 2, S. Maerdian 1, K. D. Schaser 1

Institute

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Schlüsselwörter " Weichteildefekt l " Knieendoprothetik l " Lappenplastik l " Infektion l Key words " soft tissue defect l " total knee arthroplasty l " flap coverage l " infection l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1350903 Z Orthop Unfall 2013; 151: 488–496 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1864‑6697 Korrespondenzadresse Dr. Philipp Schwabe Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie Charité - Universitätsmedizin Berlin Augustenburger Platz 1 13353 Berlin [email protected]

Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin Abteilung für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Berlin

Zusammenfassung

Abstract

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Aufgrund des geringen periartikulären Weichteilmantels und des hohen Risikos einer begleitenden Weichteil- bzw. Protheseninfektion stellen Weichteildefekte im Bereich der kniegelenksnahen Region nach endoprothetischem Kniegelenksersatz immer ein relevantes chirurgisches Problem dar und verlangen ein suffizientes Komplikationsmanagement. Neben der Berücksichtigung von patientenspezifischen, intra- und postoperativen Risikofaktoren muss den Deckungskonzepten für die einzelnen Defektstadien häufig ein dezidiertes Infektionsmanagement vorangehen, das bei fortgeschrittenen Defekten den Ausbau der Prothese mit sekundär geplantem Wiederaufbau beinhalten kann. Es werden insgesamt 4 Stadien unterschieden (Typ A–D), welchen als Unterscheidungskriterien die allgemeine Weichteildeckung, die Exposition bzw. Nekrose des Streckapparats, der Erhalt oder die Eröffnung der Gelenkkapsel und/oder die begleitende septische Lockerung des freiliegenden Implantats zugrunde liegen. Das Konzept der plastischen Deckung folgt einem stadiengerechten Algorithmus und führt über einen sekundären Wundverschluss oder eine Spalthauttransplantation bei einfachen Defekten, über fasziokutane Verschiebelappen bei mittleren Defekten, bis hin zu gestielten oder freien Muskellappenplastiken bei tiefgreifenden Defektsituationen mit begleitender intrakapsulärer Ausbreitung. Maßgeblich entscheidend für eine erfolgreiche Therapie ist, neben einer soliden Infektbekämpfung, das frühe Erkennen und die korrekte Analyse der Defektcharakteristika, die sorgfältige Vorbereitung des Wundbetts mit seriellen Débridements und die saubere Durchführung der Lappendeckung durch rechtzeitige/frühe Konsultation plastisch-chirurgischer Expertise.

Due to the marginal periarticular soft tissue envelope and the high risk of concomitant soft tissue or periprosthetic infection with the presence of exposed metal or bone, soft tissue defects after total knee arthroplasty are always a relevant surgical problem. Specific patient-related, intra- and postoperative risk factors have been identified and need to be considered during the course of treatment. Often a profound management of underlying infection must accompany the staged defect treatment which could require a prosthesis explantation with secondary revision in the case of a deep infection and involvement of the prosthesis. Four stages of soft tissue defects have been introduced (types A–D) and criteria for differentiation are the overall soft tissue coverage, the exposure, respectively, necrosis of the extensor mechanism, preservation or involvement of the joint capsule and/or an accompanying septic loosening of the prosthesis. The concept of plastic coverage follows a stage-adapted algorithm and includes secondary wound healing and mesh coverage for superficial defects, fasciocutaneous flaps for moderate defects and pedicled or free muscle flaps for deep defect situations with extension into the joint capsule. Crucial factors for a successful therapy include the early identification and precise analysis of defect characteristics, the careful preparation of the wound bed with serial debridements and the diligent flap coverage with early consultation of plastic-surgical expertise.

Schwabe P et al. Lappenplastiken bei Weichteildefekten …

Z Orthop Unfall 2013; 151: 488–496

* Nach einem Vortrag vom Sektionstag der Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik DKOU 2012.

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Einleitung !

Komplexe Wunden und Weichteildefekte am Kniegelenk nach Operationen oder Trauma stellen aufgrund des geringen periartikulären Weichteilmantels, der unmittelbar subkutan liegenden knöchernen Strukturen (Femurkondylen, Tibiaplateau, Patella) und Sehnen (Quadrizeps-/Patellarsehne, Pes anserinus), aber auch der unmittelbaren Nähe zur Gelenkkapsel bzw. Synovialmembran ein ernsthaftes klinisches Problem dar [1–4]. Einliegende Prothesen und Implantate steigern aufgrund postoperativer Weichteilirritationen/-komplikationen und großer Oberflächen mit potenzieller mikrobieller Besiedlung einschließlich Biofilmbildung enorm das Risiko einer septischen Arthritis und sekundären Prothesen-/Weichgewebsinfektion mit Infektnekrosen des kutanen bzw. subkutanen Weichteilmantels, großer Sehnenanteile des Streckapparats und schließlich septischer Lockerung des Implantats. Häufig sind dann infolge ausgedehnter Weichteildefekte und sekundärer Infektionen ein Prothesen-/Implantatausbau mit temporärer Spacer-Interposition und sekundärer revisionsendoprothetischer Wiederaufbau oder gar eine Arthrodese erforderlich. So werden in der Literatur bis zu 20% Wundheilungsstörungen nach Knie-TEP-Implantationen beschrieben, davon handelt es sich bei 2–5 % um ausgedehnte Weichteildefekte. In seltensten Fällen kann eine nicht mehr beherrschbare Infektsituation mit ausgereizten lokalen und freien plastischen Deckungsoptionen zur Amputation und einem Verlust der Extremität führen [3]. Hinsichtlich der Behandlungsprotokolle komplizierter Weichteildefekte und ‑infekte nach Knie-TEP-Implantationen besteht derzeit eine klinisch kontroverse Auffassung und uneinheitliche Daten- bzw. Studienlage. Während manche Autoren bei freiliegenden Prothesen eine umgehende Explantation aller Prothesenkomponenten mit radikalem chirurgischem Débridement und nachfolgender Muskellappendeckung fordern, wird in anderen Studien eine erfolgreiche Infektsanierung und Weichteildeckung bei liegender Prothese durch radikales Débridement und nachfolgende frühe Lappendeckung beschrieben. Ähnlich konträre Therapiealgorithmen bestehen hinsichtlich des Managements infizierter Knie-TEP mit einerseits erfolgreichen Behandlungsergebnissen durch einzeitigen Wechsel und andererseits beschriebenen Infektrezidiven von über 34% nach einzeitiger (single-stage) Knie-TEP-Reimplantation [1–6]. Generell werden in den meisten Studien Erhaltungsraten der Prothese bei bestehendem periartikulärem Weichteildefekt/-infekt von 72–83 % mit einem Extremitätenerhalt von über 97 % angegeben. Einheitlich wird in allen diesen Untersuchungen neben einem initialen radikalen Débridement eine frühe lokale oder freie Muskellappendeckung als Schlüssel zum erfolgreichen Erhalt der Prothese und Wiedererlangung einer akzeptablen Kniegelenksfunktion angegeben [1–6].

Risikofaktoren !

Die prädisponierenden Faktoren für die Ausbildung von Wundkomplikationen bei Knie-TEP-Implantationen im Sinne von Wundheilungsstörungen bis hin zu sekundären Weichteildefekten und ‑infektionen können grundsätzlich in 3 Subgruppen unterteilt werden [7]. Als patientenassoziierte Risikofaktoren werden vorangegangene offen-chirurgische Interventionen am Kniegelenk, fortgeschrittenes Alter, Übergewicht, klinisch manifeste oder bislang nicht er-

kannte Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder/und rheumatoide Arthritis erachtet [3, 7]. Als Sekundärkomplikation kommt es beim Diabetes zu einer protrahierten Wundheilung aufgrund einer reduzierten Kollagensynthese und damit verbunden einer geringeren Dehnungsfestigkeit der Haut im Wundgebiet. Ebenfalls wird eine verminderte Kapillareinsprossung in das Wundgebiet diskutiert [8, 9]. Kortikosteroide und immunsuppressive Medikamente können über die Hemmung der Prostazyklinsynthese, die Hemmung der Leukozyteninteraktion und über eine verminderte Fibroblastenproliferation und konsekutiv verminderter Kollagensynthese zu Wundkomplikationen führen [10– 12]. Faktoren, die auf vaskulärer Ebene die Wundheilung negativ beeinflussen, beinhalten die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und das Rauchen, wobei hier die vasokonstringierende Wirkung des Nikotins im Vordergrund steht [13, 14]. Intraoperative Risikofaktoren umfassen das schlechte Weichteilhandling, das Verwenden von großvolumigen Prothesensystemen (z. B. Tumorprothesen) und die operative Zugangswahl [2, 7, 11]. Die arterielle Blutversorgung der ventralen Hautanteile des Kniegelenks hängt von einem Netzwerk aus A. femoralis superficialis, A. poplitea und A. tibialis anterior ab. Aus diesen Gefäßen entsteht eine zirkumpatellare Anastomose, aus der die Perforatorarterien, insbesondere medialseitig des Knies, ein mehrschichtiges Netzwerk bilden, sodass der weit größere Anteil der arteriellen Versorgung des Knies von medial stammt [15]. Hieraus ergibt sich, dass mediale Schnittführungen mit Bildung von lateral basierten Weichteillappen eine höhere Rate an Wundheilungsstörungen zur Folge haben [11], während laterale Inzisionen theoretisch die hauptsächlich mediale Perfusion intakt lassen [12]. Zu postoperativen Risikofaktoren gehören zu eng gewickelte Verbände und postoperative Hämatombildungen [7]. Im Rahmen der postoperativen Nachbehandlung mittels Motorschienenbehandlung (continuous passive motion) nach Knie-TEP-Implantation kann eine Flexion im Kniegelenk über 40 Grad, insbesondere in den ersten 3 postoperativen Tagen, über eine Reduktion des Sauerstoffpartialdrucks zu Wundrandnekrosen führen [16].

Stadieneinteilung der Weichteildefekte !

Nach Hierner et al. [4] werden bezüglich der postoperativen Wundheilungsstörungen bzw. Weichteildefekte 4 unterschiedliche Stadien (Typ A–D) angegeben. Unterscheidungskriterien für die einzelnen Defektstadien sind die allgemeine Weichteildeckung, die Exposition bzw. Nekrose des Streckapparats, der Erhalt oder die Eröffnung der Gelenkkapsel und/oder die begleitende septische Lockerung des freiliegenden Implantats. Typ A: Hier handelt es sich um rein oberflächlich gelegene Wunddehiszenzen oder um Wundheilungsstörungen im Sinne von Epithelolysen. Tiefere Wundschichten sind nicht betroffen, die Gelenkkapsel ist geschlossen und es finden sich keine Fistelgänge. Typ B: Dieser Typ ist charakterisiert durch tiefgreifende Defekte, bei denen die Patellarsehne exponiert, jedoch vital ist. Die Gelenkkapsel ist vollständig erhalten, sodass die Defektsituation auf den extrakapsulären Raum beschränkt ist. Typ C: Neben einem tiefgreifenden Defekt, bei welchem zusätzlich eine Störung des Streckapparats durch eine freiliegende und zumindest partiell nekrotische Patellarsehne vorliegt, ist bei diesem Typ die Gelenkkapsel beteiligt und gegebenenfalls destruiert. Weiterhin ist bei Typ-C-Defekten das Implantatmaterial zumindest anteilig exponiert.

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Typ D: Diese Defekte entsprechen grundsätzlich den Typ-C-Defekten, und es liegt zusätzlich eine septische Lockerung des Implantatmaterials vor.

Rekonstruktive Optionen für Wunden im Kniebereich nach TEP-Implantationen

Typ-B-Defekte !

Bei rein extrakapsulären Defekten mit weichteilgedeckter Prothese haben sich für die oberflächlichen Defekte fasziokutane Lappendeckungen bewährt. Bei freiliegender Patellarsehne und tiefergreifenden Defekten sind Muskellappenplastiken vorzuziehen.

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Grundvoraussetzung für einen wie auch immer gearteten Verschluss der Weichteile ist ein erfolgreiches Débridement, welches die Exzision allen infizierten und nekrotischen Gewebes und Eradikation eines Infekts zum Ziel hat. Wann immer möglich, sollte dies durch serielle mikrobiologische Abstrichserien in einem antibiotikafreien Therapieintervall belegt werden. Nicht selten sind hierzu wiederholte, serielle Redébridements mit ausgedehnten Spülungen (unter Anwendung antiseptischer Lösungen, z. B. Polyhexanid) im Abstand von 2–3 Tagen erforderlich. Die rekonstruktiven Optionen zum erfolgreichen Weichteilverschluss starten mit einer sekundären Wundheilung kleiner, oberflächlicher Defekte und können über einen direkten Wundverschluss durch sekundäre Naht oder die Spalthautdeckung gut granulierter Wundanteile auch über eine lokale fasziokutane oder muskuläre Lappendeckung bis hin zum freien, mikrochirurgischen, myokutanen Gewebetransfer gehen [1–6]. Stadienabhängige Wundcharakteristika für die Durchführung der einzelnen Stufen dieser „rekonstruktiven Leiter“ beinhalten neben dem Infektionsstatus, der Weichteildeckung des Implantatmaterials, einer eventuellen Gelenkbeteiligung, dem Vorliegen einer Sehnennekrose aber vor allem die Qualität (Perfusion) des umliegenden Gewebes und die Lokalisation und Tiefe des Defekts. Da neben der alleinigen Weichteildeckung insbesondere in der Situation nach Knieprothesenimplantation auch die funktionelle Komponente nicht außer Acht gelassen werden kann, ist stadienabhängig im Rahmen der Rekonstruktion bei der Wahl der chirurgischen Maßnahme nicht immer ein stufenweises Ansteigen auf der „rekonstruktiven Leiter“ sinnvoll. Vielmehr erfordert die zugrunde liegende Situation häufig eine von Vorstufen unabhängige und damit direkte Wahl der jeweiligen Rekonstruktionsoption, die von Gottlieb und Krieger im Sinne der metaphorischen Weiterentwicklung der „rekonstruktiven Leiter“ als Begriff des „rekonstruktiven Fahrstuhls“ eingeführt wurde [17].

Typ-A-Defekte !

Kleine, oberflächliche Defekte, Epithelolysen und Wunddehiszenzen mit einer Größe < 2 cm können nach Ausschluss eines tiefen Infekts prinzipiell durch sekundäre Wundheilung zur Ausheilung gebracht werden.

Zur Behandlung von Typ-B-Defekten eignen sich fasziokutane Lappendeckungskonzepte [1], welche eine gute Rekonturierung des Defekts mit akzeptablem kosmetischem Ergebnis erlauben (Resurfacing). Entgegen den Muskellappentransfers verbessern diese aber die lokale Blutversorgung nur wenig, hinterlassen dafür nur geringe funktionelle Defizite im Entnahmegebiet [18, 19]. Vorteilhaft ist, dass fehlgeschlagene fasziokutane Lappenplastiken kein Hindernis für die Durchführung späterer lokaler Muskellappentransfers darstellen. Anatomische Grundlage für die Blutversorgung fasziokutaner Lappenplastiken bildet ein direkt oberhalb der tiefen Faszie gelegener arterieller Gefäßplexus, welcher von regionalen muskulokutanen und fasziokutanen Perforatorgefäßen gespeist wird. Um die Perforansäste nicht zu schädigen, erfordert die fasziokutane Lappenplastik eine sehr sorgfältige und schichtenorientierte Präparation. Es müssen eventuelle Traumata und stattgehabte Operationen in der Vorgeschichte im Entnahmegebiet berücksichtigt werden, da durch Narbenbildung oder die zerstörte lokale Durchblutung zusätzlich wichtige vaskuläre Verbindungen zwischen Haut und Faszie gestört sein können und somit die Perfusion des Lappens gegebenenfalls in Gefahr gebracht werden kann. Angewendet werden meist lokale Verschiebelappenplastiken, welche gefäßorientiert als „axial pattern flap“ oder als flächenorientierte Lappen mit einem vorgegebenen Längen-/Breitenverhältnis von mindestens 2 : 1 („randompattern flap“) zum Einsatz kommen. Als „axial pattern flap“ kommt zum Beispiel der distal gestielte ALT-Lappen (Anterolateral Thigh Flap) zur Anwendung [20–22]. Die Versorgung läuft über Perforatoräste aus dem absteigenden Ast (R. descendens) der A. circumflexa femoris lateralis, welche retrograd über die A. superior lateralis genus und/oder die A. profunda femoris [22] gespeist wird. Weiterhin ist für diesen Lappen die Möglichkeit der Patellarsehnenrekonstruktion durch Mitnahme und Transposition der Fascia lata beschrieben [22]. Die fasziokutane Lappenplastik hat sich im Kniebereich bei oben genannten Typ-B-Defekten grundlegend etabliert und bietet eine solide Möglichkeit, oberflächliche Defekte auszufüllen, wird aber bei tiefen Defekten, bei breitflächig freiliegender Patellarsehne und/oder Infektsituation gegenüber der lokalen Muskellappen" Abb. 1) als nachrangig angesehen [6, 23]. plastik (s. u.) (l

Typ-C- und ‑D-Defekte

Meshgraft-(Spalthaut-)Deckung Defekte mit Ausdehnungen > 2 cm erfordern nach gründlichem Débridement entweder eine sekundäre Naht oder aber plastische Deckung durch Meshgraft-(Spalthaut-)Deckung. Letztere hat bei gut granuliertem Wundgrund eine exzellente Einheilungstendenz. Die Wundbettbeschaffenheit ist hierbei prognostisch entscheidend. Eine Präkonditionierung desselben kann durch intermittierende Vakuumtherapie erreicht werden. Die in der Literatur beschriebene Kontrakturneigung des Weichteilmantels hat sich nach unseren Erfahrungen nicht bestätigt.

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Fasziokutane Lappentransfers

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Beiden Defektstadien ist die intrakapsuläre Ausdehnung mit freiliegender Prothese und zumeist einer Sehnennekrose des Streckapparats (Patellarsehne/Quadrizepssehne) gemeinsam. Bei TypD-Defekten liegt zusätzlich eine manifeste septische Lockerung der Prothese vor, und eine Explantation aller Prothesenkomponenten ist obligatorisch durchzuführen. Bei den oben genannten Defektcharakteristika stellt sich zunächst immer die Frage, inwieweit ein alleiniges Débridement im Verbund mit antibiotischer Therapie suffiziente Aussichten bieten kann, die fast immer auch vorliegende Infektsituation dauerhaft zu beherrschen. Hier

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Abb. 1 a bis c 76 Jahre, weiblich, 3 Wochen nach Knie-TEP-Implantation (auswärtiges KH). a Radiologische und b Klinische Situation eines ausgedehnten und tiefgreifenden Typ-B-Defekts mit weichteilgedeckter Prothese sowie partiell freiliegender, jedoch vitaler und funktionell intakter Patellarsehne. c Aufgrund Wundgrundqualität wiederholtes Redébridement, Vakuumtherapie und sekundär plastische Deckung mit medial gestieltem Gastrocnemiuslappentransfer mit simultaner Spalthautdeckung (5 Tage postoperativ).

Abb. 2 a bis d 48 Jahre, männlich, proximale Tibiaresektion bei Synovialsarkom. a Intraoperativer Situs nach En-bloc-Resektion mit Präparat und postoperativer Röntgenkontrolle; im Verlauf Ausbildung eines Infekts. b Konsekutives Infektionsmanagement mit Prothesenausbau, seriellen Débridements, Vakuumtherapie, Zement-Spacer-Implantation, Transfixation; nach

spielen patientenspezifische Faktoren wie Komorbiditäten (PAVK, Immunsuppression, Diabetes mellitus etc.) und auch lokale Faktoren (Lokalisation, Größe und Tiefe des Weichteildefekts, Dauer der Infektion, Erregerspektrum, vorbestehende Fistel etc.) eine Rolle beim Therapieentscheid pro oder kontra Prothesenerhalt. Unseren Erfahrungen zufolge eignen sich multiresistente Keimspektren, ausgedehnte Weichteildefektsituationen und segmentale Sehnennekrosen sowie lang vorbestehende Wundfisteln (Spätinfekte) nicht zu einem Erhalt der Prothese. Hier sollte die Zwischenstufe über Prothesenexplantation, radikales und seriel-

Wundgrundkonditionierung freier Latissimuslappentransfer mit Spalthautdeckung, postoperative Röntgenkontrolle. c Präoperative Kennzeichnung der Landmarken, Verschluss des Hebeareals. d Radiologisches und klinisches Resultat nach Prothesenwiederaufbau (6 Monate postoperativ).

les Redébridement, temporäre Arthrodese mit Zement-Spacer (unter Beimengung resistenzgerechter Antibiotika), gefolgt von einer Rekonstruktion des Weichteilmantels durch einen lokalen oder freien Muskellappentransfer erfolgen. Ein sekundärer endoprothetischer Wiederaufbau (mit ggf. silberbeschichteten Implantaten) kann nach erfolgreicher Lappeneinheilung und unter vorsichtiger Lappenanhebung im Intervall und repetitiver Diagnostik der Infektfreiheit (Punktion nach 2-wöchigem, antibioti" Abb. 2). Eine simultakafreiem Fenster) durchgeführt werden (l ne (single-stage) Deckung des Weichteildefekts durch lokale oder

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Abb. 3 a bis c 32 Jahre, männlich, proximale Tibiaresektion bei fibroblastischem Osteosarkom. a Diagnosesicherung mit radiologischer Diagnostik (Röntgen, MRT) und Inzisionsbiopsie. b Geplante Schnittführung mit spindelförmiger Exzision des Biopsiezugangs. Situs nach Resektion und Rekon-

freie Muskellappenplastik und eventuell sogar Reimplantation eines Revisionsendoprothesensystems halten wir für nicht sinnvoll und zu riskant. Abgesehen von der hierfür (v. a. bei freiem Lappentransfer) erforderlichen sehr langen Operationszeit mit damit wiederum erhöhtem Komplikationsrisiko, ist rein chirurgisch-technisch die Entnahme eines lokalen Lappens, aber vor allem auch die mikrovaskuläre Gefäßpräparation und die mikrochirurgische Anlage der Anastomosen für freie Lappen bei liegender Prothese erschwert. Ferner ist ein erneuter Infektausschluss nach Lappendeckung mit der Option auf nochmalige Spülung etc. bei liegender Prothese nicht mehr erfolgversprechend. Für Typ-C- und ‑Typ-D-Defekte werden meistens muskuläre Lappendeckungskonzepte in Betracht gezogen, da hier neben dem vergleichsweise größeren Füllvolumen der Lappen eine Bereitstellung immunkompetenter Zellen und systemisch verabreichter Antibiotika über die eigene Blutversorgung des Muskels gewährleistet wird [4, 10]. Vogt et al. zeigten, dass das Wundsekret von gut vaskularisierten (sowohl gestielten als auch freien) Muskellappenplastiken signifikante Mengen von Wachstumsfaktoren (z. B. TGF-β, IGF-1, VEGF, PDGF‑AB usw.) beinhaltet, die bekanntermaßen für die Gewebeheilung essenziell sind. Allerdings war dies kein alleiniger Vorteil der Muskellappen, sondern traf auch für die Gruppe der fasziokutanen Lappenplastiken zu [24]. Sowohl die lokalen als auch die freien Muskellappenplastiken haben eine geringe Entnahmemorbidität und hinterlassen vergleichsweise wenig funktionelle Defizite [25–28].

Lokale Muskellappentransfers In Abhängigkeit von der Defektgröße, ‑tiefe und ‑lokalisation kommen für die kniegelenksnahe Region als lokale Lappen folgende Transfers in Betracht: " M.-gastrocnemius-Lappen (zumeist medial, aber auch lateral oder bilateral gestielt)

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struktion mit proximalem Tibiaersatz (MUTARS®, Fa. Implantcast®, Buxtehude). Tibia-/Fibularesektat inklusive Biopsiezugang. c Hebung des medialen Gastrocnemiuslappens und Defektdeckung der Prothese mit anschließender Spalthautdeckung; postoperative Röntgenkontrolle.

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M.-soleus-Lappen (vollständig oder als Hemisoleuslappen, proximal gestielt) " M.-vastus-lateralis-Lappen (distal gestielt) " M.-sartorius-Lappen (distal gestielt) Der Gastrocnemiuslappen ist das „Arbeitstier“ für die Kniegelenksregion und stellt die sicherste, vom Gewebetransfervolumen die größte und von der Entnahmemorbidität die am wenigsten relevante Lappendeckungsoption dar [2, 5, 26, 29]. Aufgrund der proximal der Kniegelenksebene in den medialen und lateralen Kopf des Gastrocnemiusmuskels einstrahlenden Gefäßpedikel (A. suralis medialis/lateralis) ist eine unkomplizierte Präparation am Unterschenkel möglich, und der Lappen gilt als enorm sicher. Lappenthrombosen in diesem Bereich sind Raritäten. Die Entnahme kann medial, lateral oder auch bilateral kombiniert als reiner Muskellappen ohne Hautinsel erfolgen. Der mediale Anteil ist der voluminösere, leichter zu präparierende und " Abb. 3). vom Aktionsradius effizientere Lappen (l Bei weit anterolateral gelegenen Defekten kann dieser aber allein zur kompletten Deckung nicht ausreichen. Durch die Lösung der proximalen Insertion an der dorsalen Femurkondylenregion (aufgrund der Eintrittsregion der Gefäßpedikel ist hier Vorsicht geboten) kann der Aktionsradius v. a. des medialen Kopfes enorm vergrößert werden und eine Defektdeckung fast im Bereich der gesamten Kniegelenksregion erreicht werden. Durch Stichelung des Sehnenspiegels auf der dem M. soleus zugewandten Seite kann der Lappen zusätzlich an Breite gewinnen. Bei sehr ausgedehnten Defekten muss gegebenenfalls zusätzlich auf den late" Abb. 4). ralen Gastrocnemiuskopf zurückgegriffen werden (l Nach der Präparation muss dieser um die Fibula und den dahinter liegenden N. peronaeus communis herumgeführt werden. Die nötigen präparativen Schritte, bzw. das Manöver selbst, bergen die Gefahr einer postoperativen, wenn auch meist passageren, Peronäusläsion, die in der Literatur mit bis zu 4,5 % angegeben ist [29]. Diese Tatsache und das generell geringe Volumen des la-

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Abb. 4 a bis e 72 Jahre, weiblich, exulzeriertes Osteosarkom, Z. n. Kniegelenksarthrodese bei chronischer Osteomyelitis 1945, Z. n. auswärtiger intraläsionaler Resektion. a Klinischer Situs vor Resektion mit Röntgen- und MRTBildgebung sowie Histologie (Osteosarkom). b En-bloc-Resektion proximale Tibia, Zementplombenaugmentation, Transfixation, temporäre Weichteil-

teralen Gastrocnemiuskopfs bedingt ein kleineres Deckungspotenzial und einen geringeren Aktionsradius des lateralen Lappens. Sein Einsatzgebiet sind laterale und anterolaterale Defekte im Bereich des Kniegelenks bzw. der proximalen Tibia. Ein leichte Erweiterung des Aktionsradius kann durch das Untertunneln des distalen Anteils des M. biceps femoris erreicht werden. Die funktionellen Defizite nach Gastrocnemiuslappenentnahme sind überschaubar und zumeist durch das Verbleiben des anderen Muskelbauchs oder, selbst bei bilateralem Transfer, durch den verbleibenden M. soleus gering [25, 26]. Die Absetzung distal am Übergang zur Achillessehne sollte sorgfältig erfolgen, um eine zusätzliche Schwächung der anderen Ansätze zu vermeiden. Ein großer Vorteil ist, dass ein Teil der Sehne als Streifen im Verbund mit dem Muskellappen entnommen werden und dann nach proximalem Transfer und günstiger Positionierung des Lappens im Defekt zur Rekonstruktion/Augmentation des Streckapparats (Patellarsehnenansatzes) verwendet werden kann [30]. Die abschließende Deckung erfolgt zumeist mit einer Meshgraft-(Spalt" Abb. 1–5). haut-)Deckung (l Die anderen, oben angegebenen lokalen Deckungsoptionen und Lappentechniken sind Ausnahmeindikationen vorbehalten, da sie kein vergleichbares Deckungsvolumen, einen viel geringeren Aktionsradius und eine höhere Komplikationsrate mit zudem erhöhter Entnahmemorbidität aufweisen. Gescheiterte Gastrocnemiuslappentransfers oder aber tiefe, ausgedehnte Defekte, welche selbst eine Deckung mit bilateralem Gastrocnemiuslappen nicht erlauben, sind die Domäne der freien Muskellappentransfers.

Freie Muskellappentransfers Insgesamt bestehen die gleichen Vorteile hinsichtlich Perfusionseigenschaften, Gefäßinduktion und Sekretabsorption wie bei den lokalen Muskellappen [4, 24]. Das Füllvolumen ist allerdings deutlich größer und es können z. B. mit dem Latissimuslappen Defekte bis zu einer Größe von 20x40 cm versorgt werden [31]. Die chirurgische Technik ist aufwendig und erfordert eine plas-

deckung (Vakuumtherapie). c Femurum-Kipp-Plastik, vaskularisierter Fibulatransfer, Rearthrodese mit Doppelplattenosteosynthese (LCP), Strut Grafts, allogene Spongiosa. d Defektdeckung mit bilateralem Gastrocnemiuslappentransfer und Deckung mit Spalthaut; postoperative Röntgenkontrolle. e Klinisches und radiologisches Ergebnis nach 4 Monaten.

tisch-chirurgische Expertise. Eine ähnlich dominante Rolle und Bedeutung wie beim Gastrocnemiuslappen unter den lokalen Lappendeckungstechniken kommt dem Latissimuslappen unter den freien Lappen zu. Nur selten kommen freie Gracilis-, Skapular-, Paraskapular- oder Rectus-abdominis-Lappen zum Einsatz. Der Latissimuslappen gilt als äußerst zuverlässig [32] und kann aufgrund seiner Größe eine 360°-Deckung des Kniegelenks ermöglichen (sog. „wrap around flap“). Er kann als isolierter Muskellappen oder aber mit Hautinsel als myokutaner Lappen ver" Abb. 5). Der Vorteil letzterer Verwendung wendet werden (l liegt in der zusätzlichen Schutzwirkung der vollschichtigen Haut der Rückenpartie im Bereich der mechanisch beanspruchten Kniegelenksregion. Weiterhin ist die Hautinsel in der frühen postoperativen Phase der beste Monitor für die Lappenperfusion. Der Gefäßpedikel (A. und V. thoracodorsalis) zeigt bez. der Anatomie nur selten Varianten und ist daher als sehr sicher einzustufen. Er erlaubt mit einer mittleren Länge von ca. 8–12 cm einen arteriovenösen Anschluss entweder End-zu-Seit direkt oder End-zu-End an Abgänge im P1–P3-Segment. Als Vorbereitung führen wir eine konventionelle Angiografie zur Identifikation des Anschlussgefäßes durch. Diese sollte nach Möglichkeit mit einem Vorlauf von mindestens 2 Tagen erfolgen, um bei der Gefäßdarstellung und Anastomosierung nicht auf ggf. postinterventionell spastische Gefäße zu treffen. Die Entnahmemorbidität beim freien Latissimuslappentransfer wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite werden keine signifikanten Einschränkungen bez. der Funktion, Kraft und Bewegungsfreiheit angegeben [27, 28, 33], welches letztlich und insbesondere im Langzeitverlauf auf die Kompensation durch die restliche Schultergürtelmuskulatur zurückzuführen ist. Andere Studien hingegen präsentieren gegenteilige Ergebnisse mit einer signifikanten Reduktion von Kraft und Ausdauer [34, 35] der ipsilateralen Schulter. Unabhängig von den objektiv erfassten funktionellen Parametern sind jedoch in ihrer subjektiven Wahrnehmung ca. 50% der Patienten im Rahmen ih-

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Abb. 5 a bis d 59 Jahre, Z. n. 2-maligem Knie-TEP-Wechsel und persistierendem Re-Infekt mit Ausbau, Zement-Spacer, Fixateur-Anlage und anteriorem Weichteildefekt (a) und b klinisches und radiologisches Bild. c Entnahme

rer Alltagsaktivität mindestens leichtgradig beeinträchtigt [34, 36]. Weiterhin nachteilig muss die nicht unerhebliche Seromhäufigkeit im Hebeareal angeführt werden. In der Literatur schwanken die Angaben je nach Technik der Lappenhebung zwischen 20 und 72 % [36, 37]. Nach unserer Erfahrung kann durch die konsequente Anwendung von mehrreihigen Adaptationsnahtreihen, protrahiert verbleibenden Wunddrainagen und die postoperative Kompression des Hebeareals mit brustkorbumgreifenden Bandagen die Serombildung deutlich reduziert werden. Zur Vermeidung von Lappenstauungen, ‑ischämien und irreversiblen Thrombosen, welche zu den Hauptursachen postoperativer Komplikationen zählen, sollte eine gute Lage der Anastomose sichergestellt werden. Zum Beispiel wurde in einer retrospektiven Untersuchung eine Revisionsrate von 6 % bei insgesamt 1193 durchgeführten freien Lappenplastiken (4,3 % bei 117 freien Lappenplastiken an den Extremitäten) angegeben, wobei mit 53 % die mikrovaskuläre Thrombose den häufigsten Revisionsgrund ausmachte. Eine andere Studie berichtet über Thrombosierungsraten von 5,1 % bei insgesamt 990 freien Lappenplastiken (4,5 % bei 44 freien Lappenplastiken an den Extremitäten) [38, 39]. Eine

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des M. latissimus dorsi mit Hautspindel zum freien, myokutanen Lappentransfer. d Klinisches Ergebnis nach Spalthautdeckung unmittelbar und 14 Tage postoperativ.

Kompression durch Prothesenkomponenten, Muskelbäuche, Sehnenansätze in Streckung oder maximaler Beugung wie auch ein Kinking des Gefäßpedikels sollte unbedingt vermieden werden. Die Kompression durch ein postoperatives Hämatom, welches als zweithäufigster Revisionsgrund (bis 30%) angegeben wird [38], muss durch eine ausreichende Drainage des Lappenbetts vermieden werden. Jeder freie Lappentransfer erfordert in der ersten postoperativen Phase ein aufwendiges Lappenmonitoring mit zunächst stündlichen Kontrollen innerhalb der ersten 24 h und folgend 2- bis 4-stündlichen Kontrollen bis zum 4.–5. postoperativen Tag, um Komplikationen zügig zu erkennen und das kritische Zeitfenster der Interventions-/Revisionsmöglichkeit einzuhalten [38, 39]. Bezüglich einer adjuvanten Thromboseprophylaxe gibt es derzeit keine evidenzbasierten Daten und das Thema bietet reichlich Kontroversen, sodass keine allgemein gültige Empfehlung gegeben werden kann. Laut einer Umfrage in der American Society of Reconstructive Microsurgery z. B. kam bei 96 % der befragten Chirurgen eine überwiegend postoperative medikamentöse antithrombotische Therapie zur Reduktion des Thromboserisikos zum Einsatz, wobei dies in den meisten Fällen auf der Grundlage

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Abb. 6 Algorithmus zur plastischen Weichteildefektdeckung am Kniegelenk (modifiziert nach Hierner [4].

eigener oder übermittelter Erfahrungen und insgesamt ohne einheitliche Struktur erfolgte [40]. In der Literatur wird im Rahmen der klinische Anwendung sowohl die solitäre Anwendung von Heparinen [41, 42] oder Acetylsalicylsäure [42] als auch die kombinierte Gabe beschrieben [43], wobei eine Vergleichbarkeit der Studien aufgrund der unterschiedlichen Parameter und Studiendesigns nicht gegeben ist. Im Rahmen unseres Managements besteht die Antikoagulation bei freier Lappenplastik aus einer intraoperativen Heparin-Bolusgabe von 2500I.E. vor Freigabe der Anastomose und direkt postoperativ aus gewichtsadaptiertem, niedermolekularem Heparin in halbtherapeutischer Dosierung für 5 Tage. Hiernach wird die Dosierung auf das prophylaktische Maß reduziert und bis zum Erreichen der Vollbelastung beibehalten. Bezüglich eines optimalen perioperativen Hämoglobinwerts gibt es ebenfalls keine evidenzbasierten Daten. Zur Unterstützung einer regelrechten sowohl intra- als auch postoperativen Gewebeoxygenierung wird angegeben, den Hämoglobinwert über 10 g/dl zu halten [44]. Hierner et al. wenden nach freiem Latissimus-dorsi-Transfer nach Knie-TEP eine Kompressionstherapie an, welche ab der aufrechten Mobilisation der Patienten bis 12 Monate postoperativ durchgeführt wird, um ein Anschwellen zu verhindern und das ästhetische Resultat zu verbessern [4].

Fazit !

Weichteildefekte und Infektnekrosen der kniegelenksnahen Region nach Knie-TEP-Implantationen haben bei der zunehmenden Anzahl von TEP-Implantationen und vor allem revisionschirurgischer Eingriffe eine steigende Inzidenz. Entscheidend für ein erfolgreiches Management sind das frühe Erkennen der Komplikation und die frühe Konsultation plastisch-chirurgischer Expertise. Der „rekonstruktive Fahrstuhl“ der kniegelenksnahen Region reicht von der direkten Sekundärnaht über Spalthautdeckungen bis hin zum lokalen und freien Lappentransfer und das chirurgische Management folgt einem stadiengerechten Algorithmus " Abb. 6). Der plastischen Deckung muss eine Infektsanierung (l vorausgehen. Die Erlangung infektfreier Weichteile und die Konditionierung des Wundbetts/-grunds erfordert zumeist radikale und serielle Redébridements. Bei Defekten mit freiliegender Prothese und Sehnennekrosen (Defekte vom Typ C und D) muss in Abhängigkeit des zugrundeliegenden Erregerspektrums und der Resistenzen, der Defektgröße/-lokalisation/-tiefe und patientenspezifischer Faktoren immer individuell entschieden werden, inwieweit ein Erhalt der Prothese und ein aggressives Débridement allein zum Therapieerfolg führen kann. Multiresistente Keimsituationen, lange bestehende Infekte mit chronischen Fisteln

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Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik

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sowie septische Lockerungen sind Indikationen zur Prothesenexplantation, Weichteilkonditionierung und ggf. sekundärem Wiederaufbau. Entscheidend für den Therapieerfolg sind die exakte Analyse der Defektcharakteristika, die Verfügbarkeit und saubere Durchführung lokaler/freier Lappendeckungsoptionen und die Ausbehandlung eines zugrunde liegenden Infekts. Interessenkonflikt: Nein

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[Flap coverage of soft tissue defects after total knee arthroplasty].

Due to the marginal periarticular soft tissue envelope and the high risk of concomitant soft tissue or periprosthetic infection with the presence of e...
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