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Fataler Verlauf einer juvenilen chronischen Arthritis H. J. Suschke', P. Meister 2 , H. Pitz/ 2

Ka uistik eines 20jährigen Mannes mit seropositiver juveniler Arthritis, der an den Folgen einer cerebralen Vasculitis verstarb. Autopti ch fand sich eine generalisierte Arteriitis, wovon vor allem Gehirn und Niere betroffen waren. Entzündliche Parameter waren in den letzten Monaten vor dem Tod nicht eruierbar, auch ließen sich weder eine Hypergammaglobulinämie noch eine Hypocomplementämie nachweisen. Die generali ierte Arteriitis prägte sich präfinal nur in einer Mononeuritis multiplex sowie einer Eosinophilie aus. Auch diese eher diskreten Symptome sollten an eine schwere Va culitis denken lassen, um eine entsprechende Therapie einzuleiten. A ca e of fatal juvenile chronic arthritis Ca e report of a young man suffering from eropositive juvenile arthritis who succumbed to the consequences of cerebral vasculitis. Postmortem generalised arteriitis was found affecting mainly brain and kidneys. There were no laboratory signs of an inflamatory process during the months before his death nor hypergammaglobinaemia or decrease of complement. The generalised arteriitis manifested itself solely as mononeurit i multiplex with eosinophilia. Thu even with discrete igns uch as these evere vasculitis ought to be con idered for appropriate treatment to be instituted.

Einleitung Zu den extraartikulären Manifestationen der chronischen Polyarthritis gehört die Immunkomplexbedingte Vasculitis. Sie wird im Kindes- und Jugendalter fast nur bei der Rheumafaktor-positiven Form sowie der system i chen juvenilen chronischen Arthritis gefunden und ist insgesamt selten (2). Befallen werden vor allem mittelgroße und kleine Gefäße, immunhistologisch kann TgG, IgM und C 3 nachgewiesen werden (8). Im folgenden wird über einen Patienten mit seropositiver juveniler Arthritis berichtet, der an den Folgen einer cerebralen Vasculitis verstarb.

Klirr. Pädiatr. 202 (1990) 365-367 © 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Abb. 1 Röntgenaufnahme der Kniegelenke des Patienten. Ausgeprägte Mineralsalzverminderung sowie totale Zerstör ung des Knorpels beidseits.

Fallbericht Der 1969 geborene Patient mußte im Kleinkindesalter wegen eines schweren Asthma bronchiale und wiederholter Pneumonien behandelt werden. Im Alter von 5 Jahren kam es zu einer progredienten Alopecie, mit 12 Jahren wurde die Diagnose einer seropositiven (lgM-Rheumafaktor positiv) juvenilen chronischen Arthritis UcA) gestellt. Das Kind wurde von einer auswärtigen Klinik betreut und auf Azathioprin, Methylprednisolon und Indometacin eingestellt. Mit 15 Jahren Weiterbetreuung in der Kinderpoliklinik München. Bei der Erstvorstellung war der Patient stark gehbehindert. Es bestand ein polyartikulärer Befall mit erheblichen Kniegelenkskontrakturen (Beugung/Streckung rechts 110/40/0, links 110/10/0). BKS 35, CRP 8,2 mg/dl. Unter Beibehaltung von Methylprednisolon und Indometacin wurde Azathioprin abgesetzt und Sulfasalazin angewandt. Darunter wurde eine 1jährige Remis ion erreicht. BKS 3, eRP negativ. Anläßlieh einer Arthroskopie kam es aufgrund der schweren Osteoporose (Abb. 1) zu einer Infraktion bei der Femura. Die Synovialis-Probebiop ie zeigte eine weitgehende Remission des entzündlichen Prozesses. 1986 kam e zum Auftreten eines neuen Schubes. Ein Behandlungsversuch mit Gamma-Interferon blieb ohne Erfolg. Im Oktober 1987 wurde Methotrexat eingesetzt. Im gleichen Monat kam es zur stationären Aufnahme wegen Brechreiz und Taubheitsgefühl der linken Wange und des linken Beines. Bei der Aufnahme war die Sprache verwaschen, leichte Zungendeviation nach links, sonst neurologisch o. B. Virologische und Liquor-Unter uchungen negativ. Keine pathologischen Befunde im cranialen CT, der Dopplersonographie der hirnversorgenden Arterien und im UKG. Im EEG fiel eine spärliche Alpha-Tätigkeit rechts auf. Unter Beibehaltung der Therapie erholte sich der Patient rasch und konnte bald entlassen werden. Im ovember 1987 erneute Einweisung wegen starker Kopfschmerzen und zu-

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Kinderpoliklinik der Universität I Städtisches Krankenhaus München Harlaching - Institut für Pathologie~

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H. J. Suschke et al.

Die Xenon-Radiographie zur Beurteilung der regionalen Hirndurchblutung ergab eine normale cerebrale Ruhedurchblutung und Reservekapazität. Unter der Annahme einer cerebralen Vaseulitis wurde kurzfristig die Kortikosteroiddosis erhöht. In der Folgezeit wurde zusätzlich zum Methotrexat Chloroquin verordnet, worunter sich die humoralen Entzündungsparameter normalisierten. Die Kortikosteroide wurden langsam bis auf eine Erhaltungsdosis von 4 bis 6 mg Prednison-Äquivalent/die ausgeschlichen. Der Patient klagte häufig über Kopfschmerzen und kurzfristige Parästhesien an verschiedenen Körperstellen. Wegen der desolaten Gelenksymptomatik wurde in einer orthopädischen Klinik eine supracondyläre Umstellungsosteotomie geplant. Am 2.5.89 klagte der Patient erneut über ein Taubheitsgefühl der linken Körperseite. Folgende Laborparameter wurden erhoben: BKS 15, CRP negativ, CK 61 U/l, GOT 16 U/I, GPT 13 U/l, Kreatinin 0,7 mg/dl, Harnstoff 30 mg/dl. IgA 42 mg/dl (vermindert), IgG 1480 mg/dl, IgM 117 mg/dl, C 3 75 mg/dl, C 4 57 mg/dl, CH so E/ml 90 (Normalwerte). Urin: Albumin negativ, 25 Erythrozyten/mm 3 , 7 Leukozyten/mm 3 , Hb +. Der Blutdruck betrug 125/85. Im Differentialblutbild fiel erstmals eine Eosinophilie von 54070 auf. Wegen dieses Befundes und der geplanten Operation wurde Methotrexat abgesetzt. Am 24. 5. 89 wurden nur noch 27CTjo Eosinophile gefunden. Der Patient fühlte sich relativ wohl. Am 25. 5. 89 führte ein generalisierter Krampfanfall zur Aufnahme in das nächstgelegene Krankenhaus, wo der Patient am 27. 5. 1989 unter dem Bild eines zentralen Regulationsversagens verstarb.

Pathologisch-anatomischer Befund

Polyarticuläre juvenile chronische Arthritis mit generalisierter Arteriitis: Fortgeschrittene Zerstörung zahlreicher Gelenke mit Fehlstellung, insbesondere der Knie- und Sprunggelenke beidseits, der Hüftgelenke beidseits, sowie der Fingergrundgelenke beider Hände mit ulnarer Deviation der Finger. Weitgehende Zerstörung der Gelenkflächen durch Oberflächen- und Markpannus mit Auflösung der Knorpelmatrix und Ersatz durch unterschiedlich vascularisiertes Granulations- bzw. arbengewebe. Im Bereich der Gelenkkapsel dichte Infiltrate von Lymphozyten und Plasmazellen, gelegentlich synoviale Riesenzellen. Proliferation der Synovialiszellen bis zur villösen Hyperplasie der Synvialmembran.

Generalisierte Arteriitis mittlerer und kleinerer muskulärer Arterien mit dem Bild einer Panarteriitis mit Infiltration sämtlicher Gefäßwandschichten durch Lymphozyten, Plasmazellen, sowie z. T. eosinophilen polymorphzelligen Granulozyten. Teilweise Zerstörung der Media und Elastica interna mit Fibroblastenproliferation, insbesondere in der äußeren Media und Adventitia. Zum Teil ausgeprägtes subendotheliales Ödem und Verbreiterung der Intima mit Lichtungseinengung bis zum Lichtver-

Abb. 2 Colon. Infiltration samtlicher Wandschichten mit Entzündungszellen HE + 10

schluß. Hier segmentale fibrinoide Nekrosen. Insgesamt das Bild von chronischen bis akuten vasculären Veränderungen. Cerebrale Vaseulitis: massiver Befall zahlreicher meningealer und encephaler Gefäße. Hier das Bild älterer und insbesondere akuter Gefäßveränderungen mit lntimaoedem und Lichtungsverschluß. Massives prämalatisches Oedem sämtlicher Hirnanteile (1500 g!) mit ausgeprägten Hirndruckzeichen (Abflachung der Sukus, Stauchung der Gyri, Druckfurchen an Uncus und den Kleinhirntonsillen). Intrarenale Vaseulitis: Befall insbesondere der interlobulären Arterien mit Glomerulosklerose und unterschiedlich faserdichter Vernarbung der nachgeschalteten Rindenabschnitte (vasculäre arbenmuster). Daneben Untergang von Gefäßen im Nierenmark und -beckenbereich. Weitgehende areaktive Nekrose fast sämtlicher Papillenspitzen mit unterschiedlicher fortgeschrittener Verkalkung. Vasculitis gastraler und mesenterialer Gefäße (Abb. 2).

Diskussion Der hier vorgestellte Patient zeigte in seiner Anamnese typische klinische Zeichen einer Vasculitis. Die von ihm beschriebenen wiederholt auftretenden Parästhesien, die verschiedene periphere Nerven betrafen, entsprachen einer Mononeuritis multiplex; die Ursache der zweimaligen stationären Einweisung mit Verwirrtheitszuständen und teilweisen Bewußtseinsverlusten war offenbar jeweils eine cerebrale Vaseulitis. Trotz intensiver Diagnostik unter Ausnutzung nahezu aller modernen bildgebenden Verfahren konnte die Bestätigung der Verdachtsdiagnose Vasculitis aber nicht erbracht werden. Wenige Tage vor dem Exitus wurden bei dem Patienten letztmalig Blutuntersuchungen durchgeführt. Es fand sich keine humorale Entzündungsaktivität (BKS 15, CRP neg.). Bei normalem Blutdruck betrug das Kreatinin 0,7 mg/dl, der Harnstoff 30 mg/dl. Lediglich im Urin fiel eine mäßige Erythrozyturie auf. Auch alle übrigen Laboruntersuchungen (u. a.

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nehmender Desorientierung. Der Patient war bei der Aufnahme nicht ansprechbar, Schmerzreaktionen konnten kaum ausgelöst werden. Kein Fieber, keine motorischen Ausfälle, Liquor und virologische Untersuchungen unauffällig. Keine pathologischen Befunde im cranialen CT mit Kontrastmittel und der Kernspintomographie. Augenärztliche Untersuchung o. B.

Fataler Verlauf einer juvenilen chronischen Arthritis

Bei dem geschilderten Fall wurde die Diagnose einer cerebralen Vasculitis schon 1987 vermutet und die Dosis der Kortikosteroide kurzfirstig erhöht. Im Anschluß an den zweiten Krankenhausaufenthalt 1987 besserte sich der klinische Zustand des Patienten, nachdem er zusätzlich zum Methotrexat Chloroquin erhielt. Wegen der ausgeprägten Osteoporose und der geplanten Umstellungsosteotomie wurden Kortikosteroide nur noch in geringen Dosen verabreicht (4-6 mg Prednison-Äquivalent). Diese Maßnahme schien vertretbar, nachdem sich unter der Kombinationstherapie mit Methotrexat und Chloroquin die humoralen Entzündungsparameter normalisierten. Die kurz vor dem Tod des Patienten beobachtete Eosinophilie hätte an eine Vasculitis denken lassen müssen, wurde aber als mögliche Arzneimittel-Allergie verkannt. Wäre jetzt die Eosinophilie trotz fehlender Entzündungszeichen als Vasculitis-Hinweis gedeutet worden, hätte man den Patienten mit einiger Wahrscheinlichkeit retten können. So

berichtete Moore kürzlich über 5 Patienten mit cerebraler Vasculitis, die erfolgreich mit hochdosierten Kortikosteroiden und Cyclophosphamid behandelt wurden (9). Als Lehre aus diesem tragischen Fall ist zu ziehen, daß trotz fehlender Entzündungsparameter auch diskrete Zeichen einer Vasculitis wie Eosinophilie und Mononeuritis multiplex den Einsatz hochdosierter Kortikosteroide und Zytostatika indizieren.

Literatur Bywa/ers, e. G. L.: The natural history of vascular lcsions in rheumatoid arthritis. J. Chronic Dis. 16 (1963) 905-914 2 Bywalers, E. G. L.: Juvenile chronische Polyarthritis (Stillsche Krankheit) In: Schön, R., Böni, A., Miehlke, K. (Hrsg.) Klinik der rheumatischen Erkrankungen Springer Berlin-Hcidelberg-New York (1970) .1 Cobb, S., F. Anderson, W. Bauer: Lcngth of li fe and cause of death in rheumatoid arthritis. N. Eng!. J. Med. 249 (1953) 553-556 , Du/hie, J. J. R., P. E. Brown, L. M. True/ove, F. lJ. Baragor, A. J. Laurie: Course and prognosis in rheumatoid arthritis: A furt her report Ann. Rheum. Dis. 23 (1964) 193-204 5 Ferguson, R. H., C. H. S/oeumb: Peripheral neuropathy in rheumatoid arthritis. Bull. Rheum. Dis. 11 (1961) 251-254 (, Har/, F. D., J. R. Go/ding, D. H. Mackenzie: Neuropathy in rheumatoid disease. Ann. Rheum. Dis. 16 (1957) 471-480 7 Ku/ka, J. P.: The vascular lesions associated with rheumatoid arthritis. Bull. Rheum. Dis. 10 (1959) 201-202 , Lie, J. T.: Classification and immunodiagnosis of vasculitis: A new solution or Promises unfulfilled? J. Rheumato!. 15 (1988) 728-732 9 Moore, P. M.: Diagnosis and mangment of isolated angiitis of the central nervous system. Neurology 39 (1989) 167-173 10 Pallis, C. A., J. T. Scol!: Peripheral neuropathy in rheumatoid arthritis. Br. med. J. 1 (1965) 1141-1147 11 Seal!, D. G. J., P. A. Bacon, C. R. Trihe: The clinical spectrum and prognosis of systems rheumatoid vaseulitis (RV) (abstract) Ann. Rheum. Dis. 39 (1980) 596 12 Seal!, D. G. J., P. A. Bacon, C. R. Tribe: Systemic rheumatoid vasculitis: A clinical and laboratory study of 50 cases. Medicine 60 (1981) 288-297 13 Voller/sen, R. S., D. L. Conn, lJ. J. Ballard, D. M. l/sirup, R. E. Kazmar, J. C. Silverfie/d: Rheumatoid vasculitis: Survival and associated risk faktors. Medicine 65 (1986) 365-375 I

Prof. Dr. med. H. J. Susehke Kinderpoliklinik der Universität München Pettenkoferstr. 8a 8000 München 2

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Immunglobuline C J , C 4 , CH,o) waren mit Ausnahme der Eosinophilie von 540/0 unauffällig. Verblüffend sind die Differenzen zwischen den normalen Nieren-Chemie- Werten und dem histologischen Befund. Nur aufgrund der mäßigen Erythrozyturie auf eine schwere renale Vasculitis zu schließen, erscheint unmöglich. Die massive Eosinophilie wurde fehlgedeutet. Es wurde eher an eine ArzneimittelAllergie als an eine Vasculitis gedacht, zumal sich keine humoralen Entzündungszeichen nachweisen ließen, Komplementfraktionen und Immunglobuline im Normbereich waren und der Patient sich relativ wohl fühlte. Wiederholt wird in der Literatur über das Vorkommen von Vasculitis bei Patienten mit seropositiver Arthritis berichtet (I, 3, 4, 5, 6, 7, 10, 11, 12). Vor allem sind es Patienten, die hohe Rheuma-Faktor-Titer aufweisen. Im Waaler-Rose-Test wurde bei dem hier demonstrierten Jugendlichen zu Zeiten hoher Krankheitsaktivität 1660 IE gefunden, kurz vor seinem Tod 128 IE. In einer Übersichtsarbeit von Vollertsen et aI. (13) wurden 52 Patienten mit rheumatischer Vasculitis untersucht. Bei fast allen war der Rheuma-Faktor positiv, 80% zeigten positive humorale Entzündungsparameter und die Hälfte der Patienten wies eine Hypokomplemtämie auf. Ebenso häufig wurde eine Hypergammaglobulinämie diagnostiziert.

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[Fatal course of juvenile chronic arthritis].

Case report of a young man suffering from seropositive juvenile arthritis who succumbed to the consequences of cerebral vasculitis. Postmortem general...
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