Miscellanea Augenchirurgie im Sudan H. P. Graf Bern

Einleitung Zusammenfassung Der vorliegende Bericht schildert meine Er-

Em siebenwochiger Einsatz im Winter

fahrungen während eines siebenwochigen Einsatzes im

1988/89 im Sudan zeigte die augenarztlichen Probleme in diesem Drittweltland. Die katastrophale ärztliche Unterversorgung fuhrte zu einer Vielzahl von Endzustanden ophthalmologischer Erkrankungen. Von 990 untersuchten Patienten waren 80¾ em- oder doppelseitig er-

Winter 1988/89 in der Augenklinik Showak (Sudan). Showak ist em Marktflecken 600 km sUdOstlich Khartum an

blindet. Die drei hauptsch1ichsten Erblindungsursachen waren Katarakt, Trachom und Glaukom. Die wirksamste Behandlung bestand in der Operation. Eine einfache Untersuchungsmethode diente zur Erkennung der operablen Fhlle. Insgesamt wurden 330 Operationen

ausgefuhrt, darunter 63% Katarakte und 21¾ Entropien. In 9% wurde eine Trabekulektomie bei drohendem absoluten Glaukom durchgefuhrt. Wegen der man-

nigfaltigen technischen, personellen und lokalen Schwierigkeiten bewahrten sich komplizierte Opera-

tionsmethoden nicht. Ahnlich wie in der Kriegschirurgie mul3ten einfache und rasche Methoden angewandt werden. Der Einsatz erforderte eine Abkehr von perfektio-

nistischen westlichen Methoden und eine Umstellung auf die vorhandenen Moglichkeiten. Auf diese Weise wurde eine erfoigreiche Arbeit moglich. Ich glaube heute, daB em soicher, wohlvorbereiteter Einsatz jedem Ophthalmologen wichtige Erfahrungen bringen kann.

der athiopischen Grenze in unmittelbarer Nhe von erythraischen Fluchtlingslagern. In einem Gebiet von der GröBe der Schweiz ist die kleine Augenklinik die einzige Augenbehandlungsstelle. Sudan, das groBte Land Afrikas, ist in medizinischer Hinsicht unvorstelibar unterversorgt. Wir wurden von Augenleidenden formlich uberschwemmt. Die

Kranken strömten aus alien Richtungen oft hunderte von Kilometern zu uns, lagerten auf dem Spitalareal und warteten geduldig mit ihren Angehorigen tagelang auf Untersuchung und Behandlung. Der neue, mit Schweizer Spendengeldern (Aktion Lichtblick) erstelite Operationstrakt be-

steht aus klimatisiertem Operationssaal, Sterilisation, Warteraum und Ambulanz. Die benachbarte Abteilung

mit 30 Betten wird vom amerikanischen Laimbaspital zur Verfugung gestelit. Die Schweizer Augenklinik ist in das private amerikanische Feldspital integriert, weiches die 3 einheimischen Pfleger und die Verpflegung der Kranken steilt. Die Operationsschwester und der Augenarzt kamen aus der Schweiz und arbeiteten ehrenamtlich. Die Behandlung war für die Patienten unentgeltlich.

Eye Surgery in the Sudan A seven-week stay in the Sudan in the winter of 1988/89 revealed the ophthalmological problems of this Third World country. As a result of the catastrophic shortage of local doctors, many cases of eye disease have progressed to terminal stages. Of 990 patients examined, 80¾ were unilaterally or bilaterally blind. The three main causes of blindness were cataract, trachoma, and glaucoma. The most effective treatment for these conditions was surgery. Operable cases were identified by a simple examination method, and a total of 330 operations were performed, of which 63¾ were for cataract and 21% for trichiasis. Trabeculectomy was performed in 9% of the cases in order to prevent absolute glaucoma. Owing to the many technical, personnel, and specific local problems complicated surgical methods were inappropriate. As in war surgery, the methods applied had to be simple and fast. In order to achieve any success it was necessary to abandon perfectionist western methods and adapt to locally available facilities. In the author's view, a well-prepared assignment of this kind can be a useful experience for any ophthalmologist.

Diagnostik

Die Ausrustung befand sich auf einem für sudanesische Verhaltnisse hohen Stand. Zur Verfugung standen zwei Spaltlampen, Tonometer, Sehprufungseinrichtung und Augenspiegel. Als wichtigstes Gerat erwies sich jedoch die Taschenlampe. Wegen des ungeheuren Andranges und der Schwerfalligkeit der Untersuchten lieferte der Taschenlampentest die rascheste und brauchbarste In-

formation. Er genBgte für den Hauptzweck der Sprechstunde, der darin bestand, die operablen Fhlle auszulesen. Tabelle 1 zeigt em vereinfachtes Schema des Untersuchungsganges mit der Taschenlampe.

Für uns vollig ungewohnt und erschreckend war der hohe Anteil an schweren Augenleiden (Tab. 2). Wegen des Mangels an einheimischen Arzten kaTab.

1

Hornhaut Linse

Kim. Mbi. Augenheilk. 196 (1990) 438—441

1990 F. Enke Verlag Stuttgart

Operationstriage

Glaukom

/ trüb —' keine Therapie kiar — Linse

/ trOb — Kataraktoperation kiar — Glaukom

/ Lichtprojektion — TE keine Projektion — keine Therapie

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438

K/in. Mb!. Augenheilk. 196 (1990) 439

Augenchirurgie im Sudan Tab. 2 Diagnosen 463 101

155 10 113

62 40 7 22 3 990

47 % 10 % 16 %

1%

12 % 6,5%

4% 0,5% 2,5% 0,5%

Kataraktextraktion

Katarakt + OL Komb. Katarakt-Glaukom Trabekulektomie Optische Iridektomie Nachstardiszission Strabismus Pterygium Trichiasis Chalazion

185

58

11

3 2 9

6

29 5 2 1

13 67 1

100 %

330

1,6

0,7 0,3 4 21

0,3 100

% % % % % % % % % % %

men die Patienten in fortgeschrittenem Stadium und mit Tab. 4 Einsatz im Sudan Volibildern der Erkrankung zur Untersuchung. 80¾ der Kulturschock untersuchten Fälle waren wegen Katarakt, Glaukom oder 1 Phase: Versagen der gewohnten Methoden Hornhauttrubungen bereits erblindet. Die Besonderheiten der einzelnen Krankheitsgruppen waren folgende: 2. Phase: Umstellung Erlernen einfacher Methoden

I. Katarakt Eine beidseits mature Katarakt fand sich in

der Halfte der FäIle. Auffallend war auch der hohe Prozentsatz an Jugendlichen und Kindern. Als Pathogenese fur die gehuften Katarakte werden angegeben: Intensive UV-B-Strahlung, Unterernahrung, Exsikkose und Unfallgeschehen.

2. Glaukom

3. Phase:

Kriegsmedizin Anwendung einfacher Methoden Diagnose: Triage

Therapie: einfache ic. Extraktion optische lridektomie Entropiumoperation

diagnostiziert. Der miI3lichen hygienischen Verhaltnissen wegen ist es endemisch. Uns beschaftigten vor allem die fortgeschrittenen FaIle mit Entropien und Trichiasis.

Die Erkrankung war meist weit fortgeschritten, oft absolut. Die Bestatigung der Diagnose gab die randstandige Papillenexkavation, bei wenig ausgepragter Abblassung. Die Druckmessung erfolgte digital durch die getibten Pfleger. Die instrumentelle Tonometrie war wegen der fehienden Mitarbeit der Patienten meist unmoglich. Das Glaukom soil bei den Schwarzen haufiger vorkommen als bei uns (10% der 50jhrigen) und rascher verlaufen.

3. Hornhauttrubungen Das Bud der beidseits zentral oder vollstandig getrubten Hornhaut hot sich uns hufig. Es steilte den Endzustand iangdauernder und vielfaltiger Erkrankungen dar, oft kombiniert mit Perforation, Synechien und Katarakt. Als Ursache kam in Frage: Xerophthalmie, Masern, klimatische Keratopathie, Traumen, bakterielle, virale oder mykotische Infektionen und Trachom, meist wahrscheinlich kombiniert. Wir sahen auch schwerste floride

Therapie Die Operation war unter den vorliegenden Umstanden die einzige erfoigreiche Therapie. Eine längerdauernde medikamentose Behandlung wird von den Sudanesen nicht verstanden und auch nicht durchgefuhrt. Ihrer Erwartung vom therapeutischen Akt als Zauberei kommt die Operation am nachsten. Wie aus Tabelle 3 ersichtlich ist, war die Kataraktoperation mit 63% der haufigste Emgriff. Die operative Schwierigkeit bestand darin, mit einem einfachen Instrumentarium moglichst viele (pro Vormittag wurden his 12 Eingriffe durchgefuhrt), gute Resultate zu

erhalten. Bei den einzelnen Krankheitsgruppen ergaben sich folgende Besonderheiten:

1) Katarakt Es trat vermehrt Glaskörperdruck auf, da

Hornhautulcera, weiche sich auf den vorgeschadigten

die Patienten nur leicht sediert werden konnten (5 mg Valium p.o.), die Okulopression mit Gummiball unzureichend

Hornhäuten rasch entwickeln konnten.

war und die vom Pfleger durchgefuhrte Lokalanästhesie nicht immer eine optimale Wirkung entfaltete. Eine starke-

4. Trachom Unter den 210000 Konsultationen in Showak zwischen 1983 und 1988 wurde in 65¾ em Trachom

re Pramedikation war nicht moglich, da alle Patienten zu Fu13 zum 50 m entfernten Spital gehen mul3ten. Wenn das

Kryogert nicht funktionierte, mullte zum Sauger, zur Stancupinzette oder zur Schlinge gegriffen werden. Die e. c. Extraktion hatte wegen dem einfachen Instrumentari-

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Katarakt Glaukom HornhauttrUbungen Hornhautulcera Konjunctivitis Trachom Pterygium Chalazion Refraktionsanomalie Strabismus

Tab. 3 Operationen

H. P. Graf

440 Kiln. Mbi. Augenheilk. 196 (1990)

und Nachstarbehandlung andere und vermutlich groBere Schwierigkeiten ergeben. Vorteilhaft war, statt des Lidsperrers Lidnahte einzusetzen, weiche wahrend des ersten Tages das Auge des ohne Aufsicht gelassenen Patienten fest versch!ossen.

Eine Linsenimplantation wurde selten, in nur 5% der Staroperationen durchgefuhrt. Es wurden win-

kelgestUtzte Vorderkammerlinsen vom Typ Symfiex

(Pharmacia) und Mc Ghan (3M) rnit Hilfe eines Lensglide implantiert. Bei der Symfiex gelang es !eichter, den oberen Bilge! zu implantieren. Die Resultate waren gut. Die mdi-

kation wurde bei einseitiger Katarakt bei gebildeten, berufstatigen Patienten gestelit. Für die geringe Anzah! von Impantationen bestanden drei Grunde: 1. genugte für die bescheidenen Bedurfnisse der meisten Sudanesen eine Aphakie. Durch die einfache Extraktion einer maturen Katarakt wurde an sich schon eine lO-fache Visusverbesserung erreicht, was für die soziale Integration genUgte. 2. Der Mange! an IOL's. Die Firmen waren nicht bereit, uns IOL's zur Verfugung zu ste!!en. Em Kauf kam nicht in Frage. 3. Die Operation war komplizierter und zeitaufwendiger, das Risiko von postoperativ nicht erkannten Kornp!ikationen grol3er. Eine Versorgung rnit Starbrille war die sicherere Alternative. 2) Glaukom

teur sorgfaltig uberwacht werden bezuglich Sterilitat. Die Patienten waren ungewaschen, !agen in schrnutzigen Kleidern auf dern Tisch, die Krankensale waren sch!echt gereinigt, Latrinen wurden ungern benutzt, die Augenverbande

waren am nchsten Tag schwarz. Trotzdem entstanden keine Infektionen. 2. Einrichtungen

Der Netzstrom fiel fast taglich aus. Der Notstrom-Generator mul3te mühsam von Hand angekurbelt werden und wies starke Spannungsschwankungen auf. Gelegentlich muBte mit Taschen!ampe operiert werden. Der E!ektrokauter war defekt und konnte nicht repariert werden. Ersatz aus der Schweiz brauchte vier Wochen. GlUcklicherweise fand sich eine Gluhsonde als Notbeheif. Das Kryogerat hatte lecke Venti!e und konnte nur tei!weise repariert werden. Wegen des Gasverlustes brauchten wir mehr CO2 als vorgesehen. Der Nachschub aus Khartum dauerte gut drei Tage. Em Verg!eich mit anderen sudanesischen Augenkliniken zeigte, daB wir trotzdem die am besten eingerichtete K!inik waren. 3. BevOikerung

Das Bildungsniveau unserer Patienten war tief, viele waren Analphabeten. Es gab weiche, die noch nie auf einem Stuhi gesessen hatten. Entsprechend schwierig gesta!tete sich die Untersuchung. Die Visusprufung erfoig-

Die Behandlung war unbefriedigend. Wegen der ungenUgenden Mitarbeit und der fehienden Kon- te meist mit Fingerzahlen. Die Spaitlampenuntersuchung trollrnoglichkeit versagt die medikarnentose Therapie. Bei ste!!te an die Patienten hochste Anforderungen, Tonomeder starken Vernarbungstendenz bei Schwarzen war die trie war selten moglich. Die Erwartung bezuglich BehandTrabeku!ektomie wahrscheinlich auch nur von beschrank- !ungserfolg war naiv. Beeindruckend war die Geduld und ter Wirkung. Als u!tirna ratio wurde sie bei 9% der Fhl!e die Schicksalsergebenheit. durchgefuhrt. Schhthfolgerungen

3) Hornhauttrubungen Im Sudan ist alles anders. Auch die Medizin gehorcht anderen Gesetzen. Der Entwicklungshe!fer p!antationen durchgefuhrt werden. Bei zentra!en TrUbun- muD sich radikal umstellen und anpassen. Meine Umste!gen kam die optische Iridektomie in Frage. Technisch bot lung verlief in drei Phasen: der an sich einfache Eingriff nur bei flacher Vorderkammer und vorderen Synechien Probleme. Die Resultate Waren gut. Leider war nur em kleiner Teil geeignet für die I. Phase: Kuiturschock Operation. Im Sudan war fast nichts erha!t!ich und es funktionierte kaum etwas richtig. Es ist das rmste und 4) Trachom ruckstandigste Land, das ich je sah. Es schien mir unvorstellbar, gute Medizin zu betreiben. Angst und VerzweifDie Operation nach Trabut bei Trichiasis !ung ob dem unbeschreib!ichen Elend beschlichen mich. ste!!te em einfaches und wirksames Verfahren dar, we!ches Die erste Staroperation war em Mif3erfolg. unser Operationspfleger seibstandig ausfUhrte. Mit drei

Im Sudan konnen keine Hornhauttrans-

3-0 Seidennähten wurde nach Tarsusinzision eine Dauerektropionierung und darnit Beschwerdefreiheit erreicht.

2. Phase: Umsteilung

Besondere Probleme

Es erfolgte eine nuchterne Bestandsaufnahme. Viele meiner Vorstellungen muBten Bord gewor-

1. Sauberkeit

fen werden. Untersuchungs- und Operationsmethoden

wurden radikal vereinfacht. Ich erkannte, daB vielen nicht Es war äul3erst schwierig, eine Operations- zu helfen war und daB MiBerfolge in Kauf genommen wersaalhygiene einzuhalten. Der Pfleger mul3te vom Opera- den muilten, daB aber trotzdem vie! getan werden konnte.

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urn, dern ungenUgenden Licht, dern Mange! an Mikroskop

KIm. MbI. Augenheilk. 196 (1990) 441

A ugenchirurgie im Sudan

3. Phase: Drift weltmedizin, das heiBt den Verhältnissen angepal3te, einfache Methoden

Ich fand die Losung in den Prinzipien der

Kriegsmedizin: Triage und einfache Therapie. In der

Danksagung: Folgenden Firmen, die in gro!lzugiger Weise unseren Einsatz tragen halfen, mochte ich herzlich danken:

Alcon, Braun-SSC, Dispersa, 3M, Globopharma, Hoffmann-La Roche, Mundipharma, Novopharma, ferner

eine Staroperation noch 15 Minuten dauerte. Dadurch wurde das Ziel meines Einsatzes, moglichst viele zu entblinden, erreicht.

Literatur Entwicklungszusammenarbeit und Dritte Welt. Der Staatsburger, Nr. 1,

Em augenarztlicher Einsatz in der dritten Welt bedeutet Kampf der Erblindung. Die WHO rechnete 1987 mit 50 Mio. Erblindeten. Trachom und Katarakt sind die Hauptursachen. Die 20 Mio. an Katarkt Erblindeten haben die besten Heilungsaussichten. Beim Trachom mUBten

1989.

Ophthalmology in the Third World, Francis!. Proctor Foundation, Univ. of California School of Medicine at San Francisco, Syllabus — 1989. Ott F. eta!. Ophthalmo/ogical Diseases, 19!—202, in Medical Care of refu eces ed. by Sand!er R. H. und Jones Th. C., Oxford University Press, New York, 1987.

Dr. med. H. P. Graf

vorerst die entsprechenden hygienischen Voraussetzungen I zur Vermeidung der Ubertragung geschaffen werden. Da- Zeitglocken CH-30!1 Bern für scheinen die Bedingungen in Landern, wo Menschen Hungers sterben und die grundlegenden Strukturen fehien, gegenwärtig nicht gegeben. Beim Glaukom und den Hornhauttrubungen sind die Behandlungsaussichten ebenfalls schlecht.

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Sprechstunde am Nachmittag wahlte ich die operablen Fal- den Berner Optikern für ihre gro!3zugige ZurverfUgungstellung le aus und am Vormittag operierte ich soviel als moglich. von Starbrillen. Nach zwei Wochen hatte ich mich soweit umgestellt, daB

[Eye surgery in Sudan].

A seven-week stay in the Sudan in the winter of 1988/89 revealed the ophthalmological problems of this Third World country. As a result of the catastr...
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