Originalien Unfallchirurg 2014 DOI 10.1007/s00113-014-2629-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

F. Debus1 · C. Mand1 · M. Geraedts2 · C.A. Kühne1 · M. Frink1 · H. Siebert3 · S. Ruchholtz1 1 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen

und Marburg, Standort Marburg 2 Fakultät für Gesundheit, Institut für Gesundheitssystemforschung, Universität Witten/Herdecke 3 Chirurgische Klinik II, Diakonie-Krankenhaus, Schwäbisch Hall

Erwartungen an das TraumaNetzwerk DGU® Welche Ziele wurden erreicht? Was kann verbessert werden? Hintergrund Seit der Einführung des TraumaNetzwerks DGU® (TNW-DGU) und dem ersten zertifizierten Netzwerk im Jahr 2009 ist mittlerweile einige Zeit vergangen [9, 13]. In den letzten Jahren zeigte sich eine rasante Entwicklung des gesamten Projekts, welche im internationalen Vergleich ihresgleichen sucht. Bisher ist es keinem anderen Land gelungen, eine vergleichbare strukturierte Versorgung Schwerverletzter zu organisieren und diese nunmehr fast bundesweit zu etablieren [10, 14]. Betrachtet man die aktuellen Zahlen des TNW-DGU, zeigt sich, dass mittlerweile eine fast flächendeckende Zertifizierung erreicht wurde. Aktuell sind insgesamt 46 TraumaNetzwerke zertifiziert. In diesen Netzwerken organisieren sich 581 zertifizierte Traumazentren [4]. Mit dieser Anzahl an zertifizierten Kliniken und Netzwerken wurde dementsprechend eine Zertifizierung von über 90% der Traumapatienten versorgenden Zentren in der Bundesrepublik erreicht. Nachdem somit die ersten Ziele im TraumaNetzwerk DGU® erreicht wurden, konzentriert sich die Arbeit nun auf weitere organisatorische Aufgaben, wie beispielsweise die Herausgabe der neuen Version des Weißbuches im vergangenen Jahr oder die jetzt anstehenden Reauditierungen und Rezertifizierungen.

Dementsprechend ist in der aktuellen Entwicklung nun ein guter Zeitpunkt gekommen, um eine Übersicht über das Erreichte und die Zufriedenheit der teilnehmenden Kliniken zu gewinnen. Trotz der beeindruckenden Entwicklung des TNW-DGU besteht aktuell nur wenig Klarheit darüber, zu welchen Veränderungen die Etablierung des Netzwerks geführt hat und inwiefern sich Kooperation und Kommunikation im unfallchirurgischen Alltag wirklich verbessert haben. Bereits im Jahr 2009 beschäftigten sich Hildebrand et al. [8] mit den Erwartungen und Wünschen, welche teilnehmende Kliniken an das TNW-DGU richten. Die vorliegende Arbeit erfasst nun erstmalig die bundesweite Stimmung und Zufriedenheit einer Vielzahl bereits zertifizierter Kliniken und kann aufzeigen, welche positiven Einflüsse die Etablierung des TraumaNetzwerks DGU® hat und welche Punkte in der Zukunft verbessert werden müssen. Ein besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, ob die Erwartungen, welche vor der Teilnahme an das Netzwerk gestellt wurden, erfüllt sind.

Material und Methoden Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und des Arbeitskreises zur Umsetzung Weißbuch/ TraumaNetzwerk (AKUT) wurde unter Mitarbeit des Instituts für Gesundheits-

systemforschung der Universität Witten/ Herdecke ein Onlinefragebogen mit insgesamt 36 Fragen entwickelt. Die Fragen berücksichtigen neben den Basisdaten insbesondere die Zufriedenheit mit der Umsetzung und Etablierung des TraumaNetzwerks DGU® in der alltäglichen Versorgung sowie die Erhebung der ursprünglichen Erwartungen und der tatsächlich empfundenen Veränderungen. Im Anschluss wurde der Link zu dem Fragebogen über die im TNW-DGU registrierten E-Mail-Adressen an die Ansprechpartner aller verzeichneten Kliniken geschickt. Der Fragebogen konnte direkt auf der Homepage der DGU ausgefüllt werden, sodass eine Onlineverarbeitung der Daten erfolgen konnte. Alternativ konnte der Fragebogen auch ausgedruckt und anschließend per Post oder Fax an die AKUT-Geschäftsstelle geschickt werden, um dort erfasst zu werden. Das erste Anschreiben der Kliniken erfolgte am 12.09.2013. Nach einer Wartezeit von einem Monat erfolgte am 12.10.2013 ein zweites Anschreiben an alle Kliniken, welche bis dato nicht geantwortet hatten. Die von den Kliniken erhobenen Daten wurden deskriptiv-statistisch mithilfe von Microsoft-Excel analysiert.

Der Unfallchirurg 2014 

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Originalien Gründe zur Teilnahme und Erwartungen an das TNW-DGU Tatsächliche Verbesserung durch die Teilnahme am TNW-DGU

Verbesserung der Außendarstellung

19.6% 13.2%

Fort- und Weiterbildung

29.8%

25.2% 32.5% 29.5%

Fachspezifische Kommunikation

44.8% 46.6%

Vereinfachung der Verlegung Verbesserung der Zusammenarbeit

49.4%

Verbesserung der Versorgung Schwerverletzter

auf keinen Fall

0.0%

eher nicht

1.2%

möglicherweise

4.9%

72.4%

ja

93.8%

gesunken

gleich geblieben

Abb. 2 9 Antwort auf die Frage „Planen Sie auch in Zukunft, weiterhin am TNW-DGU teilzunehmen?“

gestiegen

3.4% Anzahl aller traumatologischen Patienten

66.3% 30.4%

6.4% Anzahl der schwerverletzten Patienten mit ISS ш16

68.4% 25.2%

Abb. 3 8 Entwicklung der Patientenzahl seit der Teilnahme am TNW-DGU. ISS Injury Severity Score

Ergebnisse Basisdaten Der Fragebogen wurde insgesamt an 884 Kliniken verschickt. Bei 326 vollstän-

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Der Unfallchirurg 2014

68.1%

dig auswertbaren Antworten wurde eine Rücklaufquote von 36,9% erzielt. Die 884 angeschriebenen Kliniken sind jedoch nicht alle aktiv im TraumaNetzwerk beteiligt. Bezieht man die 326 Antworten auf die aktuell 675 aktiven Kliniken (Au-

85.0%

Abb. 1 9 Graphische Darstellung der Gründe zur Teilnahme und Erwartungen an das TNW-DGU im Vergleich zu den tatsächlich empfundenen Verbesserungen

dit durchgeführt oder geplant), wurde sogar eine Rücklaufquote von 48,3% erzielt. 45,4% (n=148) der Antworten stammten von lokalen Traumazentren (LTZ), 37,4% (n=122) aus regionalen Traumazentren (RTZ) und 17,2% (n=56) aus überregionalen Traumazentren (ÜTZ). Die Fragebögen wurden mit 47,2% (n=154) in der Mehrzahl vom Chefarzt der jeweiligen Klinik ausgefüllt. Zu 24,5% (n=80) beantworteten der zuständige Oberarzt bzw. zu 27,0% (n=88) ein anderer Verantwortlicher für das TNW-DGU den Fragebogen. Zum Zeitpunkt der Befragung waren die antwortenden Kliniken durchschnittlich seit 3,9 Jahren im TraumaNetzwerk DGU®. Lediglich 5,8% (n=19) der Antworten stammten aus Kliniken, welche zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht auditiert waren, jedoch in Vorbereitung auf das Audit Erfahrungen im Zertifizierungsprozess gesammelt haben. Mit 64,1% (n=209) war die Mehrzahl der Kliniken bereits zertifiziert.

Zufriedenheit und Erwartungen der teilnehmenden Kliniken Auf die grundsätzliche Frage „Hat sich die Teilnahme am TNW-DGU für Ihre Klinik gelohnt?“ antworteten 61,3% (n=200) mit „Ja, auf jeden Fall“, 28,2% (n=92) entschieden sich für die Antwort „Teils, teils“ und 5,8% (n=19) gaben an, dass sich die Teilnahme nicht gelohnt habe. Die Zufriedenheit bzgl. der Teilnahme wurde durchschnittlich mit der Schulnote 2,3 bewertet.

Zusammenfassung · Abstract Die antwortenden Kliniken hatten verschiedene Gründe zur Teilnahme am TNW-DGU. Als 3 wichtigste Gründe wurden „Verbesserung der Versorgung Schwerverletzter“ (85,0%, n=277), „Verbesserung der Zusammenarbeit durch das Netzwerk“ (68,1%, n=222) und die „Vereinfachung der Verlegung Schwerverletzter durch ein Netzwerk“ (44,8%, n=146) genannt. Von den Top 3 der erfüllten Erwartungen an die Teilnahme empfanden 72,4% (n=236) eine tatsächliche Verbesserung der Versorgung Schwerverletzter. Zu 49,4% (n=161) wurde eine Verbesserung in der Zusammenarbeit und zu 46,6% (n=152) eine Vereinfachung der Verlegung beobachtet. Weitere Erwartungen und Verbesserungen können . Abb. 1 entnommen werden. Die Kliniken wurden zudem gefragt, welche Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Hier war mit 47,2% (n=142) die Antwort „Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst“, die am häufigsten genannte. Es wurde von 42,9% (n=129) keine „Verbesserung der Außendarstellung der eigenen Klinik“ empfunden. Die größten Schwierigkeiten, welche die Kliniken im Rahmen der Teilnahme am TNW-DGU lösen mussten, waren finanzieller Natur. So wurden auf die Frage „Welche Schwierigkeiten entstanden während des Prozesses der Auditierung?“ am häufigsten die Kosten für die AdvancedTrauma-Life-Support(ATLS)-Schulung der Mitarbeiter (54,0%, n=170) und die generellen Kosten der Teilnahme (38,1%, n=120) genannt. Allerdings entstanden im Prozess auch durch die Erfüllung organisatorischer Voraussetzungen Probleme (42,9%, n=135). Jedoch gab mit 93,9% (n=306) die deutliche Mehrheit der befragten Kliniken an, auch in Zukunft weiterhin am TNW-DGU teilzunehmen (. Abb. 2).

Veränderungen durch die Teilnahme Wie . Abb. 3 zu entnehmen ist, hat sich in der Mehrzahl der Kliniken die Anzahl der behandelten Patienten nicht verändert. Allerdings gaben 25,2% (n=82) an, seit der Teilnahme mehr Schwerverletzte bzw. 30,4% (n=99) insgesamt mehr verletzte Patienten zu behandeln. 6,4%

Unfallchirurg 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00113-014-2629-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 F. Debus · C. Mand · M. Geraedts · C.A. Kühne · M. Frink · H. Siebert · S. Ruchholtz

Erwartungen an das TraumaNetzwerk DGU®. Welche Ziele wurden erreicht? Was kann verbessert werden? Zusammenfassung Einleitung.  Nach der Etablierung der ersten TraumaNetzwerke im Jahr 2009 ist mittlerweile eine fast flächendeckende Zertifizierung gelungen. Trotz der beeindruckenden Anzahl von 46 zertifizierten Netzwerken ist nur wenig über die tatsächlich erzielten Verbesserungen und die Zufriedenheit bekannt. Ziel der Arbeit.  Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, erstmals einen repräsentativen Überblick über die Erwartungen und das tatsächlich Erreichte zu geben. Material und Methode.  Es wurde eine Onlineumfrage mit insgesamt 36 Fragen unter 884 teilnehmenden Kliniken durchgeführt. Der Fragebogen konnte online ausgefüllt werden oder auch per Post oder Fax an die AKUT-Geschäftsstelle geschickt werden. Die deskriptiv-statistische Auswertung erfolgte mit Microsoft Excel. Ergebnisse.  Mit 326 Antworten wurde eine Rücklaufquote von 48,9% aller aktiven Kliniken erzielt. Die Kliniken waren zu 64,1% (209) zertifiziert und nahmen im Durchschnitt seit 3,9 Jahren am Projekt teil. Die durchschnittliche Note für die Zufriedenheit betrug 2,3.

Eine Verbesserung bei der Versorgung von Schwerverletzten empfanden 72,4% (236) und 46,6% (152) eine Vereinfachung der Verlegung. Bei 47,2% (142) war für die Kliniken keine Verbesserung in der Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst festzustellen. Eine Steigerung bei der Anzahl an schwerverletzten Patienten seit der Teilnahme am TNWDGU sahen 25,2% (82); 93,9% (306) aller Kliniken wollen auch in Zukunft am Projekt teilnehmen. Diskussion.  Es konnte gezeigt werden, dass wichtige Ziele, wie beispielsweise die Vereinfachung der Verlegung oder die generelle Verbesserung der Zusammenarbeit, erreicht wurden. Insgesamt herrscht unter den teilnehmenden Kliniken eine große Zufriedenheit. Es wurden jedoch auch Punkte aufgezeigt, welche durch weitere intensive Arbeit verbessert werden müssen. Schlüsselwörter Verlegung · Schwerverletztenversorgung · Kooperation · Qualitätssicherung · Traumazentrum

Expectations from the TraumaNetwork DGU®. Which goals have been achieved? What can be improved? Abstract Introduction.  Following the establishment of the first trauma networks in 2009 an almost nationwide certification could be achieved. Despite the impressive number of 46 certified networks, little is known about the actual improvements and the satisfaction of the participating hospitals. Objectives.  This article aims to give a first representative overview of the expectations and actual achievements. Material and methods.  An online survey with a total of 36 questions was conducted in 884 hospitals. The questionnaire could be filled out online, sent by post or fax to the AKUT- Office. Descriptive statistical analyses were performed with Microsoft Excel. Results.  With 326 responses, a response rate of 48.9% of all active hospitals was achieved. Of the participating hospitals 64.1% (209) were certified and had taken part in the project for an average of 3.9 years. The average score for satisfaction was 2.3, 72.4% (236) felt that there was a need for improvement

in the care of severely injured patients and 46.6% (152) in the transfer of patients. In 47.2% (142) no improvement in cooperation with the ambulance service could be determined, 25.2% (82) documented an increase in the number of severely injured patients since participating in the trauma network (TNW-DGU) and 93.9% (306) of all hospitals wanted to participate in the trauma network in the future. Discussion.  It could be shown that important goals, such as simplification of patient transfer or general improvement in cooperation have been achieved. Overall there was a high level of satisfaction among the participating hospitals; however, the survey has identified some points which need to be improved by further intensive work. Keywords Patient transfer · Care of multiple injured patients · Cooperation · Quality management · Trauma center

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Originalien nein

War auf Basis der Kriterien die Einstufung Ihrer Klink nachvollziehbar?

nur zum Teil

ja, vollständig

2.3% 16.3% 79.8%

3.7% Ist der Prozess der Einstufung nachvollziehbar?

36.5% 59.2%

Sind die Kriterien zur Einstufung für Sie nachvollziehbar?

(n=21) bzw. 3,4% (n=11) der Kliniken stellten einen Rückgang der Patientenzahl fest. Mit 84,3% (n=277) gab die Mehrheit der Kliniken an, die Strukturen des TNW-DGU regelmäßig oder gelegentlich auch zur interklinischen Konsultation bzw. zum Transfer nicht schwerverletzter Patienten zu nutzen. Das Traumahandy wurde nach Angaben der Kliniken zu 59,2% (n=193) regelmäßig benutzt, 13,8% (n=45) nutzten das Traumahandy jedoch nicht. 32,2% (n=105) der Kliniken waren sich sicher, dass die Dokumentation der Patienten im TraumaRegister DGU® (TRDGU) die Behandlungsqualität der Patienten verbesserte. Eine teilweise Verbesserung sahen 48,7% (n=159), wohingegen 14,7% (n=48) der antwortenden Kliniken keine Verbesserung der Behandlungsqualität feststellen konnten. Die Kliniken wurden zudem gefragt, ob die Informationen aus dem Onlinebereich des TR-DGU bereits zu Veränderungen von Abläufen, Strukturen oder des Personalbestands geführt haben. Auf diese Frage konnten 20,6% (n=67) mit „Ja, sicher“ und 52,2% (n=170) mit „Ja, zum Teil“ antworten. In 25,5% (n=83) der Kliniken fanden bisher keine Veränderungen statt.

Organisation und Information Von allen antwortenden Kliniken waren insgesamt 35,9% (n=117) sehr zufrieden mit der Information über die aktuellen Entwicklungen im Projekt TNW-DGU. Mit 55,5% (n=181) der Kliniken war die Mehrheit jedoch nur zum Teil zufrieden. 3,4% (n=11) der Kliniken waren unzufrieden. Welche Quellen von den Kli-

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Der Unfallchirurg 2014

0.9% 39.3% 59.2%

niken zur Erlangung von Informationen genutzt wurden, kann . Tab. 1 entnommen werden. Abschließend wurden die Kliniken gefragt, ob sie die Kriterien zur Einstufung in die Versorgungsstufen LTZ, RTZ und ÜTZ nachvollziehen können. Die Kriterien waren für 59,2% (n=193) vollständig und für 39,3% (n=128) teilweise nachvollziehbar. Ähnlich verteilte sich die Nachvollziehbarkeit des gesamten Auditierungsprozesses. Aufgrund dieser Kriterien konnten dann 79,8% (n=260) der Kliniken die Einstufung ihrer eigenen Klinik vollständig nachvollziehen. Nur für 2,2% (n=7) der Kliniken war ihre eigene Einstufung nicht nachvollziehbar (. Abb. 4).

Diskussion Basisdaten Bei Betrachtung der Basisdaten zeigen sich solide und belastbare Umfrageergebnisse. Mit einer Rücklaufquote von 48,9% bezogen auf die aktiven Kliniken im TNW-DGU ist ein gutes Ergebnis erreicht worden. Eine besondere Wertigkeit in Bezug auf die Fragestellung zu den Erfahrungen im TraumaNetzwerk ist durch die mehrjährige Zugehörigkeit der antwortenden Kliniken erreicht worden. Nach durchschnittlich 3,9 Jahren im Projekt TNW-DGU ist davon auszugehen, dass ausreichend Erfahrungen gesammelt wurden, um die Entwicklungen gut einschätzen zu können. Wie bei jeder Umfrage dieser Art bleibt zu diskutieren, ob nicht nur die engagierten Kliniken geantwortet haben und dies somit die Ergebnis-

Abb. 4 9 Nachvollziehbarkeit der Kriterien und des Prozesses der Einstufung in die verschiedenen Versorgungsstufen lokale Traumazentren (LTZ), regionale (RTZ) und überregionale Traumazentren (ÜTZ)

se verfälschen könnte. Betrachtet man die Antworten, kommen auch kritische Anmerkungen und Hinweise auf nicht erreichte Ziele zutage, sodass sich ein solches Phänomen aus Sicht der Autoren nicht beobachten lässt. Zudem spiegelt die Verteilung der Antworten bezogen auf die einzelnen Versorgungsstufen (LTZ 45,4%, RTZ 37,4% und ÜTZ 17,2%) die tatsächliche Verteilung der zertifizierten Kliniken im TNW-DGU wider (LTZ 47,1%, RTZ 37,4% und ÜTZ 15,4%).

Zufriedenheit und Erwartungen der teilnehmenden Kliniken Betrachtet man die Ergebnisse, zeigt sich, dass nicht in allen Kliniken eine Vielzahl an Erwartungen erfüllt werden konnte. Insgesamt empfinden die Kliniken jedoch viele Verbesserungen durch die Einführung des TNW-DGU. Wie bereits erwähnt, beschäftigten sich Hildebrand et al. [8] noch vor der Einführung ihres Netzwerks mit den Erwartungen der Kliniken. Die damals führenden Punkte waren schnelle Übernahme und Weiterverlegung, Kommunikation, Fortbildung und Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst. Auch in unserer Umfrage waren dies die meistgenannten Punkte. Als besonders positiv ist zu werten, dass 72,4% der Kliniken finden, es sei zu einer Verbesserung der Versorgung von Schwerverletzten gekommen. Inwiefern sich der subjektive Eindruck der Verantwortlichen auch auf das Outcome der Patienten niederschlägt, bleibt in kommenden Untersuchungen nachzuweisen. Bisher konnte jedoch gezeigt werden, dass nach der Ein-

Tab. 1  Häufigkeit der Nutzung der zur Verfügung stehenden Informationsquellen Antwort Häufig Gelegentlich Gar nicht Keine Angaben

Webseite des TNW-DGU (%) 19,3 77,6 2,5 0,6

Online-Deutschlandkarte (%) 3,4 64,1 31,6 0,9

führung des TNW-DGU die tatsächliche Letalität der Patienten in allen Versorgungsstufen unter der erwarteten (RISCScore) liegt [5]. Die generelle Hoffnung, dass sich die Zusammenarbeit verbessert, hatten zu Beginn 68,1% aller Kliniken. Dieser Eindruck entstand im Verlauf jedoch nur bei 49,4%. Da die Zusammenarbeit und der Netzwerkgedanke im TNW-DGU ganz oben stehen, besteht hier sicherlich noch Verbesserungspotenzial. Betrachtet man die Ergebnisse jedoch genauer, zeigt sich, dass insbesondere die Verbesserung der Verlegung als sehr positiv empfunden wird. Diesen Eindruck bestätigen mehr Kliniken als erwartet, sodass ein weiteres wichtiges Ziel des TNW-DGU als erreicht eingestuft werden kann. Der größte positive Unterschied zwischen ursprünglicher Erwartung und tatsächlich erreichtem Ziel zeigt sich in der Fort- und Weiterbildung. Sind hier lediglich 13,2% mit der Erwartung der Verbesserung gestartet, so empfindet aktuell über ein Viertel der Kliniken eine Verbesserung in Fort- und Weiterbildung durch das Netzwerk. Im Durchschnitt finden schon während des Zertifizierungsprozesses 7 Fortbildungsveranstaltungen mit einer Teilnehmeranzahl von jeweils 60 Personen statt [3]. Somit ist das Thema gemeinsame Fort- und Weiterbildung ebenfalls als großer Erfolg des TNWDGU zu werten. Neben den Fortbildungsveranstaltungen spielen auch die Qualitätszirkel, deren positiver Nutzen schon länger bekannt ist, eine zentrale Rolle in der Verbesserung der gemeinsamen Kommunikation [7, 15]. Auch wenn in der lokalen Presse zumeist über die Einführung der TraumaNetzwerke berichtet wird, ist die Verbesserung der Außendarstellung nicht im erwarteten Umfang eingetreten. Dies wäre ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, der durch die einzelnen Netzwerksprecher verbessert werden könnte. Wie

Homepage der DGU (%) 24,5 72,7 2,2 0,6

Online-Bericht des TR-DGU (%) 23,0 64,4 10,1 2,5

bereits erwähnt, findet im Rahmen des Netzwerkes eine ausreichende Anzahl an Veranstaltungen statt, sodass hier ein besonderes Augenmerk auf die Außendarstellung und die Einbindung lokaler Medien gelegt werden muss. Die Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst ist ein Dauerbrenner auf Veranstaltungen, wie regionalen Qualitätszirkeln oder den jährlichen Kongressen. Auch die vorliegende Studie zeigt, dass fast die Hälfte aller Kliniken bisher keine Besserung in der Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten empfinden, was somit einen zentralen Ansatzpunkt für zukünftige Verbesserungen darstellt. Von Seiten der AKUT-Geschäftsstelle wurde in der Vergangenheit schon versucht, dieses Problem anzugehen. So wurden Artikel über das TNW-DGU in Zeitschriften des Rettungsdienstes veröffentlicht oder es wurden den Rettungsdienstschulen Material über das Projekt zur Verfügung gestellt [2]. Offensichtlich besteht hier jedoch noch immer ein Bedarf, die Zusammenarbeit zu verbessern, sodass die Verantwortlichen der einzelnen Netzwerke ihre Anstrengungen verstärken müssen, die Rettungsdienste in die Fortbildungen und Qualitätszirkel zu integrieren. Insbesondere die Qualitätszirkel stellen eine optimale Plattform zur Erarbeitung neuer Strukturen und zur Verbesserung der Zusammenarbeit dar. Die größten Probleme, welche die Kliniken bewältigen mussten, waren finanzieller Natur. Insbesondere die Kosten für die ATLS-Schulung werden von den Verantwortlichen als Problem empfunden. Das Weißbuch fordert eine Quote von 50% an ATLS-geschulten Mitarbeitern, welche an der Schockraumversorgung teilnehmen [6]. Gerade für kleinere Kliniken, welche zudem einen häufigen Wechsel an Assistenzärzten verkraften müssen, scheint dies ein Problem darzustellen. Neben vielen Studien zum Thema ATLS unterstreicht

nicht zuletzt eine Metaanalyse von Mohammad et al. [12] aus dem Jahr 2014 die Bedeutung von ATLS bei der Versorgung von Schwerverletzten [1]. Daher sollte nicht an der Forderung des Weißbuches gerüttelt werden. Die geforderte Qualität der klinischen Versorgung darf nicht zugunsten niedrigerer Zertifizierungskosten aufgegeben werden.

Veränderungen durch die Teilnahme Eine Übersicht über die Änderungen der Ausstattungen nach der Einführung des TNW-DGU wurde in der Vergangenheit von Mand et al. [11] gegeben. Hier wurde dargestellt, dass das TNW-DGU für deutliche Veränderungen im Alltag der Kliniken verantwortlich ist. Die vorliegende Arbeit konnte zeigen, dass insbesondere durch die Informationen aus dem TraumaRegister DGU® Konsequenzen gezogen werden, welche wiederum zu weiteren Veränderungen führen. Aus Sicht der Autoren ist die Frage nach der Anzahl der Patienten eines der zentralen Ergebnisse der Umfrage. 25,2% aller Kliniken stellten im Rahmen der Teilnahme am TraumaNetzwerk DGU® einen Anstieg der Anzahl an Schwerverletzten in ihrer Klinik fest. Interessanterweise wurde sogar von 30,4% ein Anstieg der Gesamtanzahl an traumatologischen Patienten verzeichnet. Inwiefern sich dieser Eindruck der Verantwortlichen objektivieren lässt, bleibt zu überprüfen. Sollte sich jedoch bestätigen, dass die Anzahl der Patienten wirklich ansteigt, so wäre dies ein großer Erfolg für das TraumaNetzwerk. Die Gründe für den Anstieg der Patientenzahl sind vielfältig. So wären eine gesteigerte Zuweisung durch die Rettungsdienste in zertifizierte Traumazentren oder die Zuverlegungen aus anderen Kliniken zu diskutieren. Insgesamt zeigt sich, dass mit der Teilnahme am TraumaNetzwerk und mit der Zertifizierung als Traumazentrum eine Kompetenz für die Behandlung traumatologischer Patienten vermittelt wird, welche über die Behandlung von Schwerverletzten hinausgeht. Insbesondere ist zu beachten, dass eine Großzahl der Antworten aus lokalen Traumazentren stammt, sodass der stets befürchtete Verlust von Patienten in Der Unfallchirurg 2014 

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Originalien den lokalen Traumazentren erstmalig widerlegt werden kann.

Organisation und Information Interessanterweise hat sich in der Umfrage gezeigt, dass mehr als die Hälfte der teilnehmenden Kliniken mit der Information über aktuelle Entwicklungen im TNWDGU nur z. T. zufrieden sind. Aufgrund der gegebenen Antworten muss überlegt werden, ob regelmäßige Informationsveranstaltungen angeboten werden sollten oder ob eine Vermittlung aktueller Informationen über einen Onlinenewsletter eine Option für Verbesserungen darstellen kann.

Fazit für die Praxis Die vorliegende Arbeit verschafft einen repräsentativen Überblick über die Zufriedenheit und die Erfahrungen im TraumaNetzwerk DGU®. Wenn auch noch nicht alle Ziele erreicht wurden, wird das Projekt überwiegend positiv bewertet. Zentrale Vorhaben, wie die Verbesserung der Verlegung von Schwerverletzten und der Fort- und Weiterbildung, konnten im Rahmen der Zusammenarbeit erreicht werden. Sowohl die Anzahl an schwerverletzten Patienten wie auch die Gesamtzahl an traumatologischen Patienten scheinen sich durch die Teilnahme am TNW-DGU zu erhöhen. In der Zukunft gilt es, das TraumaNetzwerk DGU® durch intensive Arbeit in den Qualitätszirkeln der einzelnen Netzwerke weiter zu verbessern. Insbesondere die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten muss hier in den Vordergrund gestellt werden, um die optimale Versorgung der Schwerverletzten gewährleisten zu können.

Korrespondenzadresse Dr. F. Debus Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg Baldingerstraße, 35043 Marburg [email protected]

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Danksagung.  Die Autoren danken Frau Catrin Dankowski von der AKUT-Geschäftsstelle für die organisatorische Unterstützung bei der Durchführung dieser Studie.

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  S. Ruchholtz weist auf folgende Beziehung hin: er ist Sprecher von AKUT (Arbeitskreis zur Umsetzung Weißbuch/TraumaNetzwerk.   F. Debus weist auf folgende Beziehung hin: er ist   Leiter der AKUT-Geschäftsstelle. C.A. Kühne, C. Mand, M. Geraedts, M. Frink, H. Siebert geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Abu-Zidan FM, Mohammad A, Jamal A et al (2013) Factors affecting success rate of Advanced Trauma Life Support (ATLS) courses. World J Surg (Epub ahead of print)   2. Debus F, Mand C, Kühne C et al (2011) Das Projekt TraumaNetzwerk DGU – Die aktuelle Entwicklung. Rettungsdienst 10:25–31   3. Debus F (2012) Das TraumaNetzwerk DGU – Analyse der flächendeckenden interklinischen Versorgung. www.http://archiv.ub.uni-marburg.de/ diss/z2012/0841/pdf/dfd.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014   4. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. http:// www.dgu-traumanetzwerk.de. Zugegriffen: 14. Feb. 2014   5. Deutsche Gesllschaft für Unfallchirurgie. http:// www.traumaregister.de/images/stories/downloads/jahresberichte/TR-DGU-Jahresbericht_2013. pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014   6. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. http:// www.dguonline.de/fileadmin/published_content/5.Qualitaet_und_Sicherheit/PDF/20_07_ 2012_Weissbuch_Schwerverletztenversorgung_ Auflage2.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014   7. Ernstberger A, Koller M, Nerlich M (2011) Qualitätszirkel im TraumaNetzwerkD der DGU. EIn Instrument zur kontinuierlichen Verbesserung der Schwerverletztenversorgung. Unfallchirurg 114:172–181   8. Hildebrand F, Lill H, Partenheimer A et al (2009) Anforderungen an TraumaNetzwerke in Niedersachsen. Unfallchirurg 112:211–216   9. Kuhne CA, Mand C, Sturm J et al (2009) Das TraumaNetzwerkD DGU 2009. Unfallchirurg 112:878–884 10. Lefering R, Ruchholtz S (2012) Trauma registries in Europe. Eur J Trauma Emerg Surg 38:1–2 11. Mand C, Muller T, Ruchholtz S et al (2012) Organisatorische, personelle und strukturelle Veränderungen durch die Teilnahme am TraumaNetzerkD DGU. Eine erste Bestandsaufnahme. Unfallchirurg 115:417–426 12. Mohammad A, Branicki F, Abu-Zidan FM (2014) Educational and clinical impact of Advanced Trauma Life Support (ATLS) courses: a systematic review. World J Surg 38:322–329 13. Ruchholtz S, Kuhne CA, Siebert H et al (2007) Das TraumaNetzwerk der Deutschen Gesllschaft für Unfallchirurgie. Zur Einrichtung, Organisation und Qualitätssicherung eines regionalen TraumaNetzwerkes der DGU. Unfallchirurg 110:373–379

14. Ruchholtz S, Lefering R, Debus F et al (2013) TraumaNetzwerk DGU und TraumaRegister DGU. Erfolge durch Kooperation und Dokumentation. Chirurg 84:730–738 15. Ruchholtz S, Waydhas C, Aufmkolk M et al (2001) Interdisziplinäres Management in der Behandlung schwerverletzter Patienten. Valdierung eines QMSystems für den diagnostischen und therapeutischen Ablauf der frühklinischen Versorgung. Unfallchirurg 104:927–937

[Expectations from the TraumaNetwork DGU®: Which goals have been achieved? What can be improved?].

Following the establishment of the first trauma networks in 2009 an almost nationwide certification could be achieved. Despite the impressive number o...
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