Evolution und Alter von Bakterien H.E. Mfiller Staatl. Medizinaluntersuchungsamt Braunschweig The age of bacteria can be estimated according to their morphological and biochemical properties as well as their ecological habitat and pathogenicity. It can be suggested that spirochetes evolved from mycoplasma-like cells before the evolution of eukaryotes and of bacteria with a true cell wall. Salmonellae living in the bowels of reptiles seem to be as old as their host animals, whereas E. coli and other lactose-utilizing bacteria did not evolve before Mammalia.

Einleitung Alle Versuche, die Ordnungskriterien der Evolution h6herer Organismen in der Bakteriologie anzuwenden, besitzen einen wesentlich st/irker spekulativen Charakter. Davon zeugen besonders die ersten Auflagen yon Bergeys Manual of Determinative Bacteriology, in denen die Klasse der Schizomyzeten nach dem Vorbild aus Botanik und Zoologie noch in Ordnungen, Familien, Gattungen, Arten und St~imme eingeteilt war. Doch das Einteilungsschema finderte sich von der ersten, 1923 erschienenen Auflage bis zur siebten, 1957 herausgekommenen st~indig. So betrachtete man zun/ichst die Kokken als die primitivsten Zellformen und stellte sie deshalb den St~ibchenbakterien voran. Sp~iter glaubte man in den autotrophen Keimen die bakteriellen Urformen zu erkennen und faBte sie als Ordnung I mit dem programmatisch klingenden Begriff Pseudomonadales zusammen. Doch unter dem Gewicht der in den vergangenen zwanzig Jahren zusammengetragenen Befunde liel3 sich das alte, hierarchische Ordnungsschema nicht mehr aufrecht erhalten, und deshalb erschien 1974 die achte Auflage des ffir die gesamte Bakteriologie grundlegenden Werkes erstmals in rein deskriptiver Form [8]. Damit wurde der Weg frei ffir eine vertiefte Diskussion um die Evolution der Mikroorganismen. Zwei grol3e Komplexe mit Tatsachenmaterial aus verschiedenen Disziplinen stehen sich ffir die Deutung und Interpretation yon Alter und Evolution der Prokaryonten teilweise schroff und unvermittelt gegenfiber. Auf der einen Seite weisen Theorien fiber die Evolution des Lebens aufeinen sehr frfihen Beginn hin. Die lJberlegungen yon Haldane, Oparin und Urey, die biochemischen Experimente yon Miller, spgter von Fox, Harada, Krampitz, Ponnamperuma u.a. [10, 22, 33], die palfiontologischen Funde yon Barghoorn, Pflug u.a. 224

[2, 31, 32, 35, 38] und schliel31ich die theoretischen Ans~itze ffir eine Selbstorganisation des Lebens durch yon Bertalanffy, Eigen und Kuhn [14, 24] machen ffir frfihe Lebensformen ein Alter von 4,0-3,5.109 Jahren wahrscheinlich. Aber andererseits lassen viele Ergebnisse aus medizinischer Mikrobiologie und Bakteriengenetik an sehr junge Arten denken, die raschen Ver/inderungen unterliegen und jede chronologische Einordnung unm6glich machen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, zwischen diesen kontr/iren Standpunkten durch Einbeziehung yon Befunden zu vermitteln, die aus der Bakterienphysiologie und -6kologie stammen.

Geologisch-pali~'ontologische Befunde und daraus ableitbare SchluJ3folgerungen In den vergangenen zehn Jahren entdeckten Barghoorn, Pflug u.a. [2, 31, 32, 35, 38] Mikrofossilien in den pr~ikambrischen Schildregionen der Erde, deren Alter mit etwa 3,2.109 Jahren angesetzt wird. In der ,,Fig-Tree-Serie" im Swaziland-System, Sfidafrika, fand man sogenannte Kugel-Typ-Formen mit viel )khnlichkeit zu heutigen Mikroorganismen. Aus dem 12C/13C_Verhgltni s und aus dem relativ hohen Gehalt an Isoprenoid-Verbindungen wie Pristan und Phytan schlol3 man auf die F~ihigkeit zur Photosynthese und datierte diese Strukturen zunfichst auf 2,7.109 Jahre, neuere Altersbestimmungen kommen sogar auf 2,9.109 Jahre [5]. Dal3 die Photosynthese vor ca. 3-109 Jahren noch in einer reduzierenden Uratmosphfire entwickelt wurde und erst vor etwa 1,4.109 Jahren freier Sauerstoffin der Atmosph/ire erschien, deckt sich u.a. gut mit dem geologischen Befund fiber den Oxidationsgrad verschiedener eisenhaltiger Sedimente. So schfitzt man die F%O4-haltigen, sogenannNaturwissenschaften 63, 224-230 (1976)

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ten gebfinderten Eisenablagerungen auf ein Alter von 2,8-1,8-109 Jahre, wohingegen in Sedimenten, die jtinger als 1,4.109 Jahre sind, das Eisen v611ig oxidiert als Fe203 vorliegt. I n der Nonsuch-Formation in Michigan liel3en sich dann bereits Pilzreste nachweisen, ihr Alter wird auf 109 Jahre gesch~itzt [33]. M6glicherweise waren aber die ersten Metazoen auch schon etwas fr/iher entstanden, denn im Gebiet des McArthur-Flusses in Nor& australien fanden sich im Amelia-Dolomit, dessen Alter auf 1,8-1,5-109 Jahre gesch~itzt wird, Reste eines mehrzelligen Organismus mit erkennbarer Zelldifferenzierung [11]. Zwar geht aus diesen Funden nicht schl~ssig hervor, ob es sich um heterotrophe Metazoen gehandelt hat, denn nur bei Tieren kann der Besitz yon Mitochondrien als sicher angenommen werden, doch lassen Oberlegungen zur Entstehung der Arten im Zusammenhang mit der Cropping-Theorie yon Stanley [36] die Existenz heterotropher Metazoen schon sehr frfih ansetzen. Das Minimalalter ftir solche Lebewesen dfirfte das Jung-Prfikambrium sein, denn die blumenblatt~hnlichen Petalonameen der EdiacraFauna vor 6,8.108 Jahren waren mit Sicherheit schon echte Tiere. Der O2-Gehalt der Atmosph/ire dfirfte beim Erscheinen der ersten Metazoen vor ca. 109 Jahren sicher noch sehr niedrig gewesen sein. Biologisch ist ffir das Auftreten obligat aerober Organismen das Pasteur-Niveau des O2-Gehaltes entscheidend. Zwar erlauben die heutigen Atmungsketten bereits bei einer O2-Konzentration von 0,2% in der Atmosph/ire eine Umschaltung von G~irung auf Atmung. Vermutlich war aber die frfihe Atmungskette noch nicht so leistungst~ahigwie die jetzigen Systeme, so dab wohl etwas mehr Sauerstoff n6tig war, doch gibt der Minimalwert yon 0,2% zumindest die Gr6Benordnung richtig wieder. Im Kambrium erreichte die Sauerstoff-Konzentration dann einige Prozent, die Sch~tzungen variieren zwischen 2 und 10% [22, 37], und im Devon dfirfte sich der Ozonschild der Stratosph/ire bereits zu einem so wirksamen Schutz vor der energiereichen H6henstrahlung entwickelt haben, dab die Eroberung des Festlandes durch Pflanzen und Tiere m6glich wurde. Schliel31ich erreichte der O2-Gehalt der Atmosphfire zwischen Trias und Jura einen Wert yon 16 Gew.-%, denn in dieser Zeit entwickelten die ersten S/iugetiere die Homoeothermie, die sogenannte Warmbltitigkeit, die einen erh6hten Stoffwechsel bedingt und nur durch einen O2-Gehalt v o n > 16 Gew.-% gedeckt werden kann [37]. Parallel mit dem Anstieg des Sauerstoffes bis zu unserem heutigen Niveau von 23,2 Gew.% bzw. 2t Vol.-% sank der CO2-Gehalt der Atmosph~ire aufheute 0,03 % ab. Daraus lassen sich verschiedene Schlfisse ziehen: a) Die ersten heterotrophen Anaerobier mfissen eine wenig effiziente Energiegewinnung besessen haben, denn bei der anaeroben Glykolyse konnte zunfichst nur die Substratstufenphosphorylierung ausgenfitzt werden [15], wie das noch heute bei strikten Anaerobiern der Fall ist. Sie verwerteten Glucose nur fermentativ und besaBen keine Hfim2Katalase, Oxidase, OxyNaturwissenschaften 63, 224-230 (1976)

genase oder fihnliche Enzyme [12]. In dieser ersten Phase der Entwicklung verbrauchten diese frfihen Systeme sowohl die vorhandenen als auch die noch immer abiogen entstehenden organischen Verbindungen ihrer Umgebung. Das mfigte bereits vor mehr als 3.109 Jahren zur Ersch6pfung der Ressourcen und damit zu einer Energie- und Nahrungskrise geffihrt haben, die zur Entwicklung neuer Stoffwechselwege zwang. b) Der groge Fortschritt fiber Stickland-Reaktion und Substratstufenphosphorylierung hinaus bestand zun/ichst in der Entwicklung der Elektronentransportphosphorylierung, also der Verknfipfung der Phosphorylierung mit einem Elektronentransportsystem [15], wobei nun die elektrochemische Potentialdifferenz yon zwei Redoxpartnern im elektronenaufnehmenden Teil des Energiestoffwechsels zur Ausbildung energiereicher Phosphatbindungen ausgeniitzt werden konnte. Das war der Beginn der Atmungskette. Wghrend noch bei der Substratstufenphosphorylierung kein Wasserstoff frei werden konnte und alle Redoxprozesse intramolekular ausgeglichen sein mugten, was eine starke Einschrfinkung m6glicher Stoffwechselwege bewirkte, konnte dutch Einbeziehung yon Redoxsystemen zunfichst einmal das Spektrum metabolisierbarer Substrate wesentlich erweitert werden. Gleichzeitig vergr613erte sich durch Aufnahme neuer Elektronentransportsysteme das Redoxpotential der Atmungskette und damit die Effizienz der Substratverwertung [12]. c) Die nach ansteigenden Potentialen geordneten Redox-Systeme und ihre Substrate [12] markieren damit gleichzeitig die Reihenfolge in der Evolution der Atmungskette und der sie besitzenden Organismen. NAD und/ihnliche Coenzyme standen aufgrund ihres negatiyen Redoxpotentials am Anfang, die Cytochrome am Ende dieser Entwicklung. Damit wird auch klar, dab die Photosynthese nicht die Ursache, sondern die notwendige Folge der Evolution der Atmungskette war. Nicht weil photoautotrophe Organismen Sauerstoff produzierten, entwickelte sich die Atmungskette und erwies sich als Selektionsvorteil, sondern u.mgekehrt stand die sich sukzessiv verlfingernde Atmungskette am Beginn dieser Entwicklung. Deshalb fibte auch nicht der pl6tzlich in der Atmosph/ire erscheinende Sauerstoff den entscheidenden Evolutionsdruck aus, sondern die Verbesserung der Energiebilanz aufgrund der Elektronentransportphosphorylierung, die bereits unter anaeroben Bedingungen ftir ihre Besitzer vorteilhaft war. d) Demnach mfissen die ersten heterotrophen Aerobier nach den Cyanophyten und noch vor den ersten heterotrophen Eukaryonten, also Protozoen und Metazoen, entstanden sein, denn die plausible SymbioseTheorie vonder Entstehung der Eukaryontenzelle, die von Margulis erstmals formuliert [27] und inzwischen durch viele Argumente gestfitzt wurde [22, 34], nimmt an, dab aus kleinen, aeroben Prokaryonten die Mitochondrien, aus Schraubenbakterien die GeiBeln und aus Blaualgen die Chloroplasten wurden.

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Man mul3 also folgern, dag strikt aerobe Bakterien eine Vorbedingung fiir die Evolution der Eukaryonten, speziell der heterotrophen Metazoen darstellten; sie miissen also schon im Proterozoikum vor mehr als 109 Jahren erschienen sein. e) W~ihrend der ZusammenschluB yon Einzellern zu einem mehrzelligen Lebewesen prim/Jr aus Griinden eines sparsamen Stoffwechsels erfolgte und Metazoen zun/ichst nur allein deshalb einen Selektionsvorteil besagen, weil sich die Relation aus Masse und Oberfl/iche verbesserte, kam bei heterotrophen Metazoen bald ein zweiter Selektionsvorteil hinzu. Die Oberschreitung einer kritischen Gr6Be erlaubte es nfimlich dem Vielzeller, nicht mehr mit den Einzellern um die gleiche Nahrung zu konkurrieren, sondern diese Einzeller selbst zu fressen. - Es ist evident, dab sich spezieU ffir Tiere, insbesondere fiir Raubtiere, der Evolutionsvorteil von Gr6ge und Differenzierung bereits sehr frfih auswirken konnte. Die yon Stanley vorgetragene Cropping-Theorie, die das Entstehen neuer Arten mit dem ersten Auftreten yon Raubtieren erkl~rt [36], wird somit best/itigt. f) Auf die Existenz yon heterotrophen Metazoen, also von Raubtieren, im sp~iten Pr/ikambrium weist auch die Entwicklung yon Kalkpanzern hin, die sich deshalb biopositiv auswirken konnte. Sie gaben schlieglich dem ganzen Kambrium sein Gepr~ge. h) Da andererseits der Schalenaufbau nur mit zus/itzlichem Energieaufwand m6glich war [37], mug man auch daraus auf einen entsprechenden O2-Gehalt der Atmosph/ire schlieBen. Ahnliche Bedingungen, wie sie im Palfiozoikum mit groger Wahrscheinlichkeit geherrscht haben, stellt man noch heute im mikrobiologischen Labor mit Hilfe des ,,Kerzentopfes" her und bietet damit der groBen Gruppe mikroaerophiler Bakterien die atmosph/irisch optimalen Wachstumsm6glichkeiten. Zwar sind die strikt aeroben Bakterien schon sicher vor 2 - 1 9109 Jahren entstanden, doch der Selektionsvorteil der aeroben Atmung diirfte w/ihrend des ganzen Pal~iozoikums allein den eukaryotischen Tieren zugute gekommen sein. Erst das weitere Ansteigen des 02Gehaltes auf Werte > 16%, etwa signalisiert durch das Auftreten der homoeothermen S/iugetiere, mag sich nun auch fiir die strikten Aerobier in der AuBenwelt biopositiv ausgewirkt haben. Umgekehrt wurde die Erdatmosph/ire ffir die Mikroaerophilen aus dem gleichen Grund immer unwirtlicher. Sie m6gen sp/itestens um diese Zeit neue Lebensrfiume bezogen haben, wo sie die ffir sie gfinstigen Milieubedingungen vorfanden, wie etwa im Darm der Wirbeltiere.

Befunde aus Bakterienmorphologie und -physiologie Weitere Kriterien zur zeitlichen Einordnung von Prokaryonten ergeben sich aus ihrer Morphologie, wenngleich diese Aussagen nur durch indirekte Beweise gestfitzt werden. - Die v o n d e r Morphologie her einfachsten Prokaryonten sind wohl die Mykoplasmen. Sie besitzen eine primitive Zellwand, die sich selbst 226

unter abiogenerr Laborbedingungen organisieren kann. Derartige unbewegliche, strikt anaerobe Formen mit mykoplasmaghnlicher Zellwand dfirften am Anfang der Evolution gestanden haben. Die Beweglichkeit wurde sicher erst als Folge des beginnenden Substrat- und Nahrungsmangels entwickelt und k6nnte zeitlich parallel zur Evolution der Atmungskette gesehen werden. Umgekehrt geht ja die Beweglichkeit oft beim Ubergang zu rein parasitfirer Lebensweise mit ihrem hohen N~ihrstoffangebot auch wieder verloren, wie die Beispiele Bacillus cereus~Bacillus anthracis, Escherichia/Shigella und viele andere pathogene Keime (Aetinobacillus, Bordetella, Brucella, Car-

diobacterium, Francisella, Haemophilus, Neisseria, Pasteurella, Yersinia pestis) zeigen. Als primitivste Form der Lokomotion diirfte die noch bei heutigen Mykoplasmen zu beobachtende am6boide Fortbewegung angesehen werden. Aus derart beweglichen Mykoplasmen m6gen sich dann die Schraubenbakterien entwickelt haben, wie insbesondere Spiroplasma deutlich macht. Zwar 15.gt sich die Existenz der Spirochaeten ffir das Proterozoikum vor mehr als 103 Jahren nicht direkt beweisen, doch die Symbiose-Theorie yon Margulis /fiber die Entstehung der Eukaryonten [27, 34] setzt notwendigerweise auch die Existenz yon Spirochaeten bereits ftir diese Urzeit voraus. Aus unbeweglich gebliebenen mykoplasmafihnlichen Eobionten diirften sich die Vorl/iufer der heutigen Bakterien entwickelt haben, die wohl damals eine vergleichsweise einfache Zellwand aus Mukopeptid im Sinne eines Murein-Sacculus aufbauten. Es k6nnte sich dabei nicht nur um einen osmotischen Schutz, sondern auch um einen Schutz vor r/iuberischen Spirochaeten gehandelt haben. Man mug sich n/imlich mit Margulis vorstellen, dab zwischen Spirochaeten und unbeweglichen, grogen Mykoplasmen zun/ichst eine Raubtier-Beute-Beziehung bestand, wobei sich die r~uberischen Spirochaeten wahrscheinlich in ihre Beutezellen einbohrten und sie auffragen. Daraus entwikkelte sich langsam eine Symbiose, und schlieBlich k6nnte daraus als h6here Einheit die begeiBelte Eukaryontenzelle entstanden sein. Mit einiger Berechtigung kann man deshalb das erste Auftreten yon beweglichen Schraubenbakterien und unbeweglichen Bakterien mit der festen Zellwand eines Murein-Sacculus in kausalem und zeitlichem Zusammenhang sehen. Die Differenzierung der beiden Formen wiederum war eng mit der Evolution der Eukaryontenzelle korreliert, denn Eukaryonten konnten nur aus mykoplasma~ihnlichen Prokaryonten ohne rigide Zellwand entstanden sein. Die Frage der Entwicklung bakterieller St~bchen- und Kugelformen ist ebenfalls mit Beweglichkeit und Stoffumsatz verknfipft. Unbewegliche Kugelbakterien ben6tigen die h6chste Nahrungskonzentration, weil sie auf ihre Masse bezogen die geringste Oberfl/iche besitzen. Eine sinkende Substratkonzentration konnte nun vom ursprfinglichen Kugelbakterium auf zweierlei Art beantwortet worden sein :a) Durch Vergr6gerung der

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Oberfl~iche bei gleicher Masse; aus der Kugel wird ein Stfibchen oder auch eine unbewegliche Schraube, also ein Spirillum oder Vibrio. b) Durch Beweglichkeit, die bei starrer Zellwand zun/ichst nur durch den Erwerb einer GeiBel m6glich wird. Die Beweglichkeit gleitender Bakterien der Ordnungen Myxobacterales und Cytophagales reprfisentiert eine h6here Organisationsform, die deshalb nicht in Betracht kommt, weil sie wohl jingeren Datums ist. Die Herkunft der BakteriengeiBel ist unklar. Denkbar ist zwar hier ebenfalls die Symbiose mit einem Schraubenbakterium. Man k6nnte sich etwa vorstellen, dab bei geil3elhaltigen Bakterien nur dieser eine Symbioseschritt erfolgt ist, aber nicht mehr die Aufnahme mitochondrialer Prokaryonten, die dann erst die heterotrophe Eukaryontenzelle komplettierten. Abet aufgrund unseres heutigen Kenntnisstandes 1/il3t sich auch die selbstindige Entwicklung dieser Bewegungsorganelle bei Bakterien keineswegs ausschlieBen. Die Annahme erscheint jedenfalls plausibel, dab die ersten begeiBelten Prokaryonten nut eine einzige GeiBel besaBen. Zwangsl/iufig entwickelten sich aus solchen beweglichen, zun/ichst noch kugelrunden Bakterien im Sinn der Str6mungstechnik liingliche Formen und schlieBlich die polar begeiBelten Stibchen. Akzeptiert man den zeitlichen Zusammenhang einerseits zwischen der Entstehung yon Eukaryonten und dem Auftreten der ersten Metazoen vor ca. 10 9 Jahren und andererseits der Entwickiung des ffir grampositive und gramnegative Keime gemeinsamen Murein-Sacculus, so 1/iBt sich schluBfolgern, daB diese erste bakterielle Zellwand ebenfalls vor etwa 109 Jahren entstand und die weitergehende, heutige Differenzierung in grampositive und gramnegative Bakterien erst sp~iter erfolgt sein mug. Aus der gr6Beren Resistenz gegen Trockenheit bei grampositiven Keimen und der Empfindlichkeit gramnegativer Bakterien gegen Austrocknung 1/iBt sich schliegen, dab die Eroberung des Festlandes im Gotlandium und Devon auch fttr die Differenzierung der Bakterienzellwand entscheidend wurde. Grampositive Bakterien sind deshalb wohl erst nach der Besiedlung des Landes entstanden. Da andererseits die/iltesten gramnegativen Enterobakteriazeen wie Proteus oder Salmonella schon im Pal/iozoikum vor 2,5. l0 s Jahren existiert haben dtirften, mfiBte die Differenzierung nach dem Gramverhalten bereits vorher erfolgt sein. Sie liBt sich demnach eingrenzen auf die Zeit von 4,5 bis 3-10 8 Jahre. Zusammenfassend ergibt sich aus allen bisher vorgetragenen Befunden und Hypothesen ein sehr hohes Alter der Bakterien, das vielen Mikrobiologen unwahrscheinlich und unglaubwfirdig hoch erscheint, zumal manche Ergebnisse aus medizinischer Mikrobiologie und Bakteriengenetik an sehr junge Formen denken lassen. Genetische Befunde und fflberlegungen

Die unterschiedliche Konstruktion des genetischen Apparates bei Pro- und Eukaryonten ist Ausdruck Naturwissenschaften 63, 224-230 (1976)

zweier vSllig verschiedener Selektionsprinzipien, die beide zum gleichen Ziel ffihren: der Erhaltung der Art. Die Evolution der eukaryotischen Metazoen verlief nach dem Selektionsprinzip eines kontinuierlich5konomischen Metabolismus, die der Prokaryonten dagegen nach dem Selektionsprinzip eines m6glichst raschen Stoffwechsels. Das ffihrte bei den Eukaryonten zur Entwicklung immer differenzierterer Organismen, die die biologische Kontinuitfit ihrer Art bei relativ kleiner Individuenzahl durch stets komplizierter werdende Mechanismen absicherten, etwa dutch Feindabwehr, Brutpflege, Vorratshaltung, soziales Verhalten und Wissenstradition. Und diesem auf Differenzierung und Kontinuit~it angelegten Prinzip der Eukaryonten entspricht deshalb ein vom Zytoplasma getrennter Zellkern und der bei h6heren Organismen steigende Genbestand und Informationsgehalt. Jede einzelne Spezies besitzt ihren eigenen, separaten Genpool, der zwar durch Sexualitfit, Mutation, Translokation [23] und m6glicherweise noch weitere Mechanismen adaptiv modifiziert werden kann, der aber stets die Kontinuit/it des Genmaterials voraussetzt. Das Dilemma der Eukaryonten besteht deshalb darin, die M6glichkeit zu immer weiterer Differenzierung nicht nur mit dem Tod ihrer Einzelindividuen, sondern auch mit der potentiellen Gefahr des Aussterbens der ganzen Spezies erkauft zu haben. Im Gegensatz dazu ist das Bakteriengenom ,,often" und ,,geschichtslos". Es liegt frei im Zytoplasma, und das Haeckelsche Prinzip liBt sich auf Prokaryonten nicht anwenden. Gleichzeitig gibt es bei Bakterien die verschiedensten MSglichkeiten der Genfibertragung, wie Transformation, Transduktion oder Plasmid-vermittelte Konjugation [18]. Sie k6nnen den Genbestand einer Bakterienpopulation kurzfristig in erstaunlichem Mal3e variieren; selbst ein Gen-Transfer zwischen so verschiedenen Prokaryonten wie E. eoli und Myxobakterien ist mSglich [21]. Dabei wird der Genbestand ausschlieBlich durch die 6kologische Nische diktiert, in der die entsprechende Spezies lebt. lnsbesondere die Ergebnisse der numerischen Taxonomie machten deutlich, dab das Eigenschaftsspektrum einer Bakterienart eine wesentlich h6here Streubreite aufweist als bei Eukaryonten [19]. So modifizierten Bakterien unter dem Selektionsdruck des Hospitalmilieus ihren Genbestand innerhalb weniger Jahre, was speziell die Verbreitung der infektiSsen Vielfachresistenz bei gramnegativen Enterobakteriazeen oder der Penicillinase bei S. aureus bewies [18]. Doch unter normalen, 5kologischen Bedingungen besitzen derartige Varianten wegen ihrer zusfitzlich zu replizierenden Gene und damit ihrer verlfingerten Generationszeit Selektionsnachteile, die sie rasch verschwinden lassen, sobald die ursprfinglichen Verh/iltnisse wieder hergestellt sind. Denn die auf einen mSglichst raschen Stoffwechsel bin selektionierten Prokaryonten entwickelten immer kirzere Generationszeiten. Sie dfirften mit etwa 20 Minuten bei den Enterobakterien wohl eine untere Grenze erreicht haben. Konsequenzen dieses maximierten Stoffumsatzes sind a)maximale Individuenzahlen, die das fJberle-

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ben durch ihre grol3e Zahl garantieren, b) minimale Zellgr6Be, die mit etwa 0,2 pm bei den Mykoplasmen oder Rickettsien wohl nicht mehr zu unterbieten ist, und c) ein minimierter Genbestand. Zusammenfassend 1/il3t sich der pointierte SchluB ziehen, dab alle Prokaryonten einen gemeinsamen Genpool besitzen, der fiber die verschiedenen Genfibertragungsmechanismen und wohl auch nach bestimmten, bisher noch unbekannten Auswahlkriterien, die sich in den diskreten Chargaff-Quotienten dokumentieren, f'ttr alle prokaryotischen Zellen mehr oder weniger weit horizontal zug/inglich ist. Deshalb sind Bakterien theoretisch in der Lage, jede sich neu er6ffnende 6kologische Nische durch einen daffir optimalen und gleichzeitig minimalen Genbestand in kfirzester Frist zu komplementieren.

ort und die 6kologische Nische insbesondere der medizinisch und veteriniir-medizinisch wichtigen Arten weisen folgende Punkte bin: a) Regelm/il3igkeit oder Hfiufigkeit des Vorkommens bei einem bestimmten Wirt, b) Korrelation biochemischer Eigenschaften einer Spezies mit physiologischen Gegebenheiten des Wirtes und c) geringe oder v611ig fehlende Pathogenit~it einer Spezies gegenfiber dem Wirt lassen sich nach Burnet [9] als Beweis fiir eine gute Adaptation und damit ffir eine lange Bekanntschaft ansehen. Zwar sind fiber 6kologische Nischen und normalen Standort yon Bakterien oft nur ungenaue Angaben m6glich, doch in einigen F~illen kann das Vorhandensein oder Fehlen charakteristischer Stoffwechselprodukte bei Pflanzen und Tieren als Kriterium ffir das Maximalalter yon Bakterien Bedeutung haben.

Befunde der medizinischen Mikrobiologie

Korrelationen zwischen Okologie und Physiologie yon Bakterien und ihrem Alter

In der medizinischen Mikrobiologie gibt es viele Befunde, die f(ir ein sehr geringes Alter yon Infektionserregern sprechen. So weig man, dab T. pallidum, der Erreger der Lues, und T. carateum, der Erreger der Pinta, erst nach der indianischen Besiedlung Amerikas vor 104 Jahren entstanden sein k6nnen [30], dab Lepra wahrscheinlich erst seit dem 6, Jahrhundert n. Chr. [7] oder Cholera nur wenige hundert Jahre existiert haben [4, 9]. Aufgrund theoretischer Uberlegungen nahm deshalb Lwoff 1944 an, dab parasitfire Organismen Verlustmutanten sind [26]. In der Folgezeit wurde die Hypothese yon der Retroevolution durch verschiedene Autoren weiter ausgearbeitet, insbesondere yon Horowitz [17] und Lewis [25], und auch durch Experimente untermauert [39, 41], die allerdings zu Zweifeln Anlal3 gaben [16]. In diesem Zusammenhang gewinnen die epidemiologischen Kriterien ,,homogen-heterogen" und ,,homonom-heteronom" [6] eine zus/itzliche, neue Bedeutung, denn Infektionserreger mit homogen-homonomer Infektkette, z.B. Cholera, Diphtherie, Geschlechtskrankheiten, Lepra, Paratyphus oder Typhus, und ebenso Erreger mit heterogen-homonomer Infektkette, z.B. Malaria, die ausschlieBlich den Menschen und kein anderes Wirbeltier betreffen, k6nnen zwar nicht/ilter sein als der Mensch selbst. Aber das gilt nicht ffir Erreger mit homogen-heteronomer und heterogen-heteronomer Infektkette, die ihren normalen Standort und ihre 6kologische Nische auf phylogenetisch ~lteren Tierarten haben. Damit ergibt sich ein neuer Zugang zu der Frage nach dem Alter von Bakterien fiber ihren nat/irlichen Standort, weil man aufgrund genetischer Erfahrung davon ausgehen kann, dab Bakterien in ihrem biochemischen Eigenschaftsspektrum weitgehend durch die 6kologische Nische definiert sind, in der sie existieren. Damit kann aus dem Alter einer 6kologischen Nische auch auf das Alter der entsprechenden Bakterienspezies rfickgeschlossen werden. Auf diesen normalen Stand-

Seit dem Gotlandium vor 4,5-4.108 Jahren entwikkelten und produzierten Pflanzen neue chemische Verbindungen, etwa die verschiedenen Zucker. Sie k6nnen yon Bakterien teils verwertet, teils nicht verwertet werden, wie das in der,,bunten Reihe" zur Differenzierung yon Bakterien geprfift wird. Adonit, Arabinose, Dulcit, Maltose, Mannit, Raffinose, Saccharose, Sorbit, Trehalose oder Xylose sind derartige yon Pflanzen synthetisierte Zucker, die ffir die biochemische Bakteriendifferenzierung verwendet werden [8]. Dazu lassen sich drei hypothetische Annahmen treffen: a) Die bakteriellen Enzyme entstanden adaptiv in 6kologischen Nischen, in denen diese Zucker vorhanden waren. b) Die bakteriellen Enzyme dienen dem Zellwandaufbau. Hier kommen gleiche oder/ihnliche Zucker vor. c) Die bakteriellen Enzyme besitzen ganz andere Spezifitfiten, und sie reagieren nur zuffillig mit den Zuckern der ,,bunten Reihe". Aufgrund der hohen Spezifitfit der entsprechenden Enzyme und unter Akzeption der Hypothese a) in Verbindung mit b) ergibt sich als Denkm6glichkeit die Korrelation zwi.schen dem Entstehen yon Pflanzen, das relativ sicher angegeben werden kann, und der Evolution von Bakterien, die bisher sehr unklar war. Im Gegensatz zu den meisten anderen Oligosacchariden, die pflanzlicher Herkunft sind, ist die Lactose eine ,,Erfindung" der Sgugetiere, und man k6nnte deshalb daran denken, dab auch das lactosespaltende Enzym/%Galactosidase vieler Bakterien frfihestens aus einer Zeit stammt, in der die S/iugetiere entstanden, also aus Trias oder Jura vor etwa 2,0-1,5- 108 Jahren. In der medizinisch-bakteriologischen Diagnostik dient Lactose zur Differenzierung insbesondere yon Darmbakterien. Dabei liegt eine alte, bisher nicht deutbare Erfahrung zugrunde, wonach lactosepositive Enterobakterien in der Regel harmlos oder h6chstens fakultativ pathogen sind, abet unter den lactosenegativen Darmbakterien obligat pathogene Arten wie Salmonella, Shigella und Yersinia zu finden sind [8, 18].

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Nun kann man annehmen, dab sich die lactosepositiven Enterobakterien speziell an den Sfiugetierdarm adaptiert haben und hier auch ihre 6kologische Nische besitzen. Das gilt insbesondere fiir E. coli, aber auch ffir Klebsiella und Enterobacter. Citrobacter nimmt bereits eine Zwischenstellung ein. Er kommt sowohl bei Sfiugetieren als auch bei Reptilien vor, und entsprechend ist er teils lactosepositiv, teils lactosenegativ. Dagegen finden sich Salmonella und ebenso Edwardsiella auff~illig h/iufig im Darm von Reptilien [28, 40]. Sie besitzen dort keinerlei pathogene Bedeutnng, wie aus Infektionsversuchen an Schildkr6ten und Schlangen hervorgeht [13], w/ihrend Salmonellen ffir alle V6gel und Sfiugetiere pathogen sind und hier auch nicht zur Normalflora geh6ren, sondern den Darm nur kurzfristig bei und nach Infektionen besiedeln. Die Unffihigkeit der Salmonellen zur Lactosespaltung entspricht sehr gut ihrem normalen Standort bei Reptilien, und daraus wiederum lfiBt sich folgern, dab sie deshalb auch das gleiche Alter wie Reptilien haben k6nnten. Die 6kologische Nische ,,Reptiliendarm" hat sich n~mlich seit dem Entstehen der Reptilien im oberen Karbon, Perm und Trias nicht stfirker verfindert als die Tiere selbst. Eine phylogenetisch derartig alte 6kologische Nische setzt auch ebenso alte Bewohner voraus, und die Salmonellen lassen sich daher mit gewisser Berechtigung als ein Erbe der Saurier aus dem Palfiozoikum ansehen. M6glicherweise konnten Reptilien sogar nur mit und dutch ihre Salmonellen fiberleben, weil diese Keime ftir viele h6here Raubtiere pathogen sind. Die Arizona-Gruppe, die besonders bei Schlangen vorkommt [8, 28, 40], besitzt sicher ein niedrigeres Alter, denn Schlangen stellen innerhalb der Gruppe der Reptilien eine jfingere Entwicklung dar, und Arizona ist bereits lactosepositiv. Schlangen produzieren keine Lactose, aber ihre heutigen Beutetiere sind meist kleinere Sfiuger. Ganz allgemein mag die Verbreitung lactosepositiver Bakterienarten heute in Verbindung gesehen werden mit der Dominanz der S~ugetiere im Bereich der Wirbeltiere. Zwei andere Beispiele ffir die offensichtlich bessere Adaptation an den menschlichen Organismus, verbunden mit dem Besitz von fi-Galactosidase und vermindefter bzw. fehlender Pathogenit/it, bieten Shigellen und Neisserien. So besitzt Shigella sonnei unter allen Ruhrerregern die geringste Pathogenitfit, und gleichzeitig findet man hier lactosepositive Stgmme [8]. A1lerdings bereitet eine Altersangabe bei Shigellen einige Schwierigkeiten, weil sie einerseits sehr eng mit E. coli verwandt sind [19], andererseits bisher nut bei Menschen und Affen gefunden wurden und dennoch unbeweglich sind und meist keine Lactose verwerten. Das lfil3t auf eine Retroevolution schliegen, wie auch aus ihrer Unbeweglichkeit hervorgeht. Bei den Neisserien unterscheidet sich Neisseria lactamica von den pathogenen Meningokokken biochemisch dutch ihre Fghigkeit zur Lactosespaltung. Weil man aber beide Keime bisher noch nie nebeneinander im menschlichen Rachenraum vorfand [3], kann man Naturwissenschaften 63, 224-230 (1976)

annehmen, dab sie sich gegenseitig verdr/ingen, weil sie in die gleiche 6kologische Nische passen. Das Vorkommen von Harnstoff lfil3t sich sehr weit zurfickverfolgen. Er ist mit Sicherheit ein Stoffwechselprodukt von Knorpelfischen und Arthropoden. Deshalb dfirfte auch die Existenz von ureasepositiven Bakterien, etwa yon Proteus, mindestens bis in das Devon oder Gotlandium zurfickreichen. M6glicherweise ist Harnstoff abet auch schon bei/ilteren wirbellosen Tieren vorhanden oder sogar aus abiogener Synthese entstanden, so dab Harnstoff-verwertende Prokaryonten auch filter sein k6nnen. Schliel31ichkommen die Gallesalze bereits bei primitiven Cyclostomata [1] und dekapoden Krebsen vor. Entsprechend sind nach alter Bakteriologen-Erfahrung alle typischen Darmbakterien unabh/ingig von ihrer taxonomischen Stellung galleresistent, wohingegen die normalen Bewohner des Respirationstraktes gegen Galle empfindlich sind. Aus diesem Grund enthalten die meisten Selektivn/ihrb6den der TPER-Diagnostik (Typhus, Paratyphus, Enteritis, Ruhr) Galle oder Gallesalze, meistens sogar in Kombination mit Lactose. Aul3er den Enterobacteriazeen und verwandten Pseudomonas-Arten sind denn auch nur noch Keime aus den Gruppen Bacteroides, Lactobacillus, Bifidobacterium und D-Streptokokken galleresistent, w/ihrend die fibrigen Streptokokken, die die Schleimhfiute des Nasopharynx besiedeln, bereits keine Galle mehr tolerieren und die verwandten Pneumokokken sogar ,,gallel6slich" sind. Aus alledem mag hervorgehen, dab auch das Galleverhalten eine lange Vorgeschichte hat. Da es sich aber um eine Substanz handelt, die in erster Linie in den Darm sezerniert wird, kann man annehmen, dab die galleresistenten Keime auch schon lange Zeit echte ,,Darmbakterien" sind. In diesere Zusammenhang lassen Galleresistenz, Urease-Aktivitfit und Unffihigkeit zur Lactose-Spaltung bei Proteus an sehr alte Enterobakterien denken. Das wird auch durch ihr hfiufiges Vorkommen im Reptiliendarm unterstrichen [28]. Taxonomische Studien [19], Untersuchung des Chargaff-Quotienten [20] und Antigen-Studien [29] best/itigen, dab Proteus wenig Gemeinsamkeiten mit den iibrigen Enterobakterien besitzt. Es dfirften deshalb Proteus, Salmonella und vermutlich auch Edwardsiella innerhalb der Enterobacteriaceae wohl die filtesten Genera sein. Zusammenfassend ergibt sich also aufgrund 6kologischer Befunde und (Sberlegungen, dab das Alter einzelner Bakterienarten wohl dem phylogenetischen Alter der Wirbeltiere entspricht. Es lfil3t sich daher erwarten, dab bakteriologische Untersuchungen rezenter Tiere unser Wissen fiber Evolution und Alter von Bakterien erheblich erweitern k6nnen. Wichtige Anregungen ffir diese Arbeit verdanke ich meinen Lehrern und Kollegen H. Brandis, H. Habs, L. Popp und E. Thofern.

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[Evolution and age of bacteria].

Evolution und Alter von Bakterien H.E. Mfiller Staatl. Medizinaluntersuchungsamt Braunschweig The age of bacteria can be estimated according to their...
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