Onkologie 1990:13:375-379

Eine Untersuchung zur Bewertung des Krebsinformationsdienstes Heidelberg durch den Benutzer1 E. Henkel

Zusammenfassung und Schlüsselwörter

Summary and Key Words

Der Krebsinformationsdienst (KID) ist ein telefonischer onkologischer Auskunftsdienst, der seit 1986 als Modellprojekt des Bundesmi­ nisteriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg etabliert ist. Er hat die Aufgabe, der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland einen möglichst schnellen Zugang zu allgemeinen Infor­ mationen aus dem Bereich der Krebsforschung, der Krebsfrüherken­ nung, -diagnostik, -behandlung und -nachsorgc zu erschließen. Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, anhand einer Befragung einer Stichprobe von 444 Anrufern Daten zu gewinnen, mit denen man die Merkmale der Benutzer, ihre Motivation des Anrufens, die Themen ihrer Anfragen und ihre Beurteilung der Effektivität der Arbeit des Dienstes beschreiben konnte. Die Ergebnisse zeigten, daß vor allem Patienten und Angehörige in der Phase nach Abschluß der Primärbehandlung die Benutzer sind und daß ihre Anfragen auf den Bereich der medizinischen Behandlung zentriert sind. Sie rufen weniger aus einem Informationsdefizit an als vielmehr aus dem Bedürfnis heraus, eine Bestätigung und Erweite­ rung ihrer Kenntnisse zu bekommen. Grundsätzlich befürworten 86% der Befragten die Einrichtung eines Informationsdienstes, und 62% sind mit der derzeitigen Arbeit des Dienstes zufrieden.

The Cancer Information Service (KID) was established 1986 as a model project of the BMJFFG in the German Cancer Research Center. Its task is to provide the general public whith quickly acces­ sible information about cancer research, cancer prevention, cancer diagnosis, cancer treatment and cancer after-care by phone. Aim of this study was to collect data by a questionnaire given to a sample of 444 callers to describe the characteristics of the callers, their motiva­ tion to use the service, the contents of the inquiries and their judge­ ment of effectivity of the work of the service. It was found that nearly 80% of the callers were patients and their relatives, predominantly in the period after the primary treatment. Their questions concerned the field of medical treatment. Their motivation to use the service was not lack of information, but to reinforce the knowledge they already had. The callers fundamentally appreciated the institution of an information service and 62% were satisfied with the actual work of the KID.

Krebsinfonnationsdienst ■ Evaluation ■ Informationsdienste Gesundheitswesen ■Informationssuche als Coping- Verhalten

Cancer information service ■ Information services in the health care systems ■Information seeking as coping behavior

im

Einleitung

Der Krebsinformationsdienst (KID) Heidelberg ist ein Aus­ kunftsdienst, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, «umfas­ send über den Stand der Krebsforschung, Krebsursachen, Krebsvorsorge und -früherkennung sowie über Krebsthera­ pien und soziale oder sozialrechtliche Fragen zu informie­ re n ..., wobei mit dem in diesem Bereich neuen Medium die Möglichkeit geschaffen werden sollte, individuelle Fragen gezielt zu beantworten und darüber hinaus jedermann - unter Wahrung der Anonymität - aktiven Zugang zum aktuellen onkologischen Wissen zu eröffnen. Die wesentlichen Ziele des KID sind: - Förderung eines schnellen Zugangs zu aktuellen Informatio­ nen über Krebs. 1Der Krebsinformationsdienst ist ein Modcllprogramm des BMJFFG und besteht seit 1986. Träger der Einrichtung sind das Deutsche Krebsforschungszemrum und das Tümorzemrum Heidelberg Mann­ heim. Die vorliegende Studie wurde im Auftrag der Projektleitung (Dr. Almuth Seilschopp und Hilde Stamatiadis, M. A.) durchgeführt. Die Studie wurde von der Wilhelm und Maria Meyenburg-Stiftung, Heidelberg, gefördert.

- die Unterstützung von möglichen Aktivitäten des Anrufers und von Krankheitsbewältigung durch Informationen, - der Abbau von Informationsdefiziten sowie Vorurteilen über Krebs, - die Förderung des Präventionsgedankens in der Bevölke­ rung durch Informationsangebot zu Vorbeugungs- und Früherkennungsmöglichkeiten» [7]. Dieses Informationsangebot wird von einem Team, bestehend aus Medizinern, Biologen und einem Sozialarbeiter erarbeitet, wobei als Informationsquellen die Bibliothek des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), medizinisch-biologische Datenbanken und die Auskünfte der wissenschaftlichen Mit­ arbeiter des DKFZ und des Tumorzentrums HeidelbergMannheim zur Verfügung stehen. Diese Informationen wer­ den am Telefon von ehrenamtlich arbeitenden medizinischen Laien, die aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen kom­ men, den Interessenten weitergegeben. Diese Telefonmitar­ beiter haben eine Schulung in onkologischem Basiswissen erhalten und werden kontinuierlich zu aktuellen onkologi­ schen Fragen und Problemen fortgebildet. Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Erfassung der Beurteilung relevanter struktureller Merkmale des Dienstes

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Abteilung Medizinische und Biologische Informatik, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg

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Stichprobe und Methode Während eines zweimonatigen Untersuchungszeitraums (1988) waren 759 von etwa 1700 Benutzern des Dienstes bereit, an einer Befra­ gungsaktion teilzunehmen. Ihnen wurde ein Fragebogen mit 39 Fra­ gen zugeschickt, der nach dem Vorbild des Befragungsinstruments des American Cancer Information Service des National Cancer Institute für deutsche Verhältnisse überarbeitet und erweitert wurde. Erfaßt wurden darin die Gründe für den Anruf, die Einschätzung und Meinung des Anrufers zur Ausführlichkeit der Informationen und der Schnelligkeit der Vermittlung, zum Nutzen der Auskünfte, zum kom­ munikativen Verhalten der Mitarbeiter am Telefon, zu der Bedeutung des Dienstes und zu den Aktivitäten, die der Anruf ausgelöst hat. Insgesamt 444 Benutzer schickten den Fragebogen ausgefüllt zurück. Damit erfaßte die Untersuchungsstichprobe ein Viertel aller Anrufer des gewählten Zeitraums.

Ergebnisse 1. Welche Gruppen der Bevölkerung haben sich an den Dienst gewendet? Der Krebsinformationsdienst wird vorwiegend, d.h. in 80% der Fälle von Krebspatienten und deren Angehörigen in Anspruch genommen (Tab. 1). In 13% der Fälle waren die Befragten weder Erkrankte, noch Angehörige von Erkrank­ ten, also nichtbetroffene Personen. In allen Gruppen war das Verhältnis von Männern zu Frauen etwa 1:2. Bezüglich des Alters der Patienten war festzustellen, daß cs sich in über 40% der Fälle um den Altersbereich von 40-59 Jahren handelt, mit einem Durchschnittsalter von etwa 52 Jahren. Weniger spezifi­ sche Altersangaben können zu den übrigen Gruppen gemacht werden, weil die Anzahl der fehlenden Angaben relativ hoch ist. Es läßt sich jedoch die Tendenz erkennen, daß die Benut­ zer der Angehörigen- und Nichtbetroffenengruppen jünger sind als die Patienten (Tab. 2). Bezüglich der Krankheitsmerkmale wie Tumorlokalisation und Erkrankungsphase (Tab. 3, 4) war festzustellen, daß Mammakarzinom die häufigste Diagnose war, und daß, bezo­ gen auf alle vorliegenden Tumorerkrankungen, die Patienten sich in der Hälfte der Fälle in der Phase nach Abschluß der Primärbehandlung befanden. In dieser Phase könnte daher

der Informationsbedarf sowohl bei den Patienten als auch bei den Angehörigen besonders ausgeprägt sein. Auf ähnliche Befunde hinsichtlich eines besonderen Informationsbedarfs bei krebskranken Frauen hat auch schon Herschbach [5] hin­ gewiesen.

Tabelle 1. Stichprobe aus der Gesamtzahl aller Anrufer nach Art des Interesses und Geschlecht Geschlecht

Krebskranke Angehörige von Nichterkrankte n Krebskranken Personen

m w Fehlende Angaben n

53(12%) 119(27%)

62(14%) 107(24%)

20( 4%) 39( 9%)

135 265

172(39%)

169(38%)

59(13%)

44 444

Tabelle 2. Stichprobe aus der Gesamtzahl aller Anrufer nach Alter 0-39 40-59 >60 Fehlende Angaben

25( 6%) 75(17%) 53(12%)

58(13%) 43(10%) 16( 4%)

14(3%) 24(5%) 7(2%)

97 142 76

19( 4%)

52(11%)

15(3%)

91

Tabelle 3. Stichprobe aus der Gesamtzahl aller Anrufer nach Tumorlokalisation Tumor

Krebskranke

Mammakarzinom 68(15%) Darmkarzinom 18( 4%) Uteruskarzinom 17( 4%) Prostatakarzinom 11( 3%) Lungenkarzinom 6( 2%) 4( 0%) Leukämie Malignes Melanom 5( 1%) Hodenkarzinom 3( 0%) Ovarialkarzinom 3( 0%) Nierenkarzinom 6( 1%) Andere 25( 6%) Fehlende Angaben 6( 1%) n 172

n

Krebskranke, für die Angehörige anrufen 31( 7%) 20( 4%) 5( 1%) 8( 2%) 12( 3%) 12( 3%) 7( 2%) 9( 2%) 7( 2%) 4( 0%) 51(11%)

99 38 22 19 18 16 12 12 10 10 76

3( 0%) 169

9 341

Tabelle 4. Stichprobe aus der Gesamtzahl aller Anrufer nach Erkrankungsphase Phase Symptome vorhanden während Diagnosestellg. Primär­ behandlung nach Primär­ behandlung Rezidiv Terminalfall Fehlende Angaben n

Krebskranke

Krebskranke, für die Angehörige anrufen

n

13( 3%)

5( 1%)

18

7( 2%)

21 ( 5%)

28

25( 6%)

28( 6%)

53

105(24%) 14( 3%) 3( 0%)

80(18%) 24( 5%) 10( 2%)

185 38 13

5( 1%) 172

1( 0%) 169

6 341

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und seines Angebots durch den Benutzer. Dabei sollte über­ prüft werden, wieweit die bisherige Arbeit des Dienstes den Bedürfnissen und Anforderungen der Benutzer entspricht und welche Konsequenzen sich für die weitere Gestaltung des Dienstes daraus ergeben könnten. Es handelte sich also um ein Vorgehen zur externen Evaluierung dieser informativen Interventionsmaßnahme, wobei ausschließliches Kriterium zur Effizienzabschätzung die Beurteilung des Benutzers war [1.9]. Folgende Fragestellungen wurden in diesem Zusammenhang untersucht: 1. Welche Gruppen der Bevölkerung benutzten diesen Dienst bevorzugt? 2. Welchen Bedarf an Informationen zeigten sie? 3. Aus welchen Gründen haben sie sich an den Dienst ge­ wendet? 4. Wie beurteilten sie die Einrichtung dieses Informations­ dienstes?

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Evaluation des Krebsinformationsdienstes (KID)

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Therapiemethoden Krankheitserkennung, Diagnosemethoden Krankheitsverlauf, -Stadien, Prognose Nachsorge, Rehabilitation Adressen von Kliniken, Beratungs- und Behandlungseinrichtungen Erkrankungsrisiken Krankheitsentstehung, Früherkennung Allgemeine Information über Krebs, Broschüren Klinische Studien, Epidemiologie Psychologische Probleme Fehlende Angaben n

137(31%) 71(16%) 44(10%) 50(12%) 49 (12 %) 39( 8%) 13( 3%) 15( 4%) 5( 0%) 7( 1%) 14( 3%) 444

Tabelle 6. Angegebene Gründe für die Anfragen, bezogen auf die Gesamtstichprobe (n = 444, Mehrfachbeantwortung möglich) Versichern, ob vorhandenes Wissen richtig war Suche nach Auskünften, die kein anderer geben konnte Suche nach Erklärung von unverstandenen gelesenen oder gehörten Informationen Bedarf an: Fachkliniken Spezialisten Kurkliniken Selbsthilfegruppen Beratungsstellen Sich Aussprechen Schriftliches Infomaterial (Broschüren)

250(56%) 149(34%) 142(32%) 101(23%) 95(21%) 44(10%) 25( 6%) 12( 3%) 80(18%) 56(13%)

Tabelle 7. Einschätzung der Bedeutung des Krebsinformationsdienstes durch den Benutzer Sehr wichtig Wichtig Unwichtig Sehr unwichtig Fehlende Angaben n

383(86%) 52(12%) 4( 1%) 0 5( 1%) 444

Tabelle 8. Darstellung der Zufriedenheit der Benutzer mit dem Krebsinformationsdienst Sehr zufrieden Teilweise zufrieden Weder zufrieden noch unzufrieden Teilweise unzufrieden Sehr unzufrieden Fehlende Angaben n

274(62%) 117(27%) 37( 8%) 6( 1%) 1( 0%) 9( 2%) 444

2. Welchen Bedarf an Informationen hatten die Benutzer? Eine Analyse der Anfragen (Tab. 5) zeigt, daß die Anfragen sich überwiegend auf den medizinischen Bereich beziehen. Dabei werden sowohl von der Patienten- als auch der Angehö­ rigengruppe vorrangig Informationen zu den therapeutischen Möglichkeiten und deren Neben- und Nachwirkungen erfragt. Häufig wenden sich auch Personen aller befragten Gruppen, insbesondere noch nicht erkrankte Personen, im Vorfeld auf­ getretener. noch nicht diagnostisch abgeklärter Symptome an

den Dienst, um Auskunft über die eventuelle Bedeutung der Symptomatik noch vor dem Arztbesuch zu bekommen. Mög­ lich wäre, daß der Dienst für die Befragten in dieser Situation die Funktion einer Orientierungshilfe hat, mit der die Anfra­ genden sich vorwegnehmend auf mögliche Krankheitsereig­ nisse einstellen können. Insgesamt zeigt sich, daß über die Hälfte der Benutzer aus einem gewissen Kenntnisstand heraus ihre Fragen stellen. Nur in 16% der Fälle geben sie an, daß ihnen die erhaltenen Auskünfte ganz neu waren. Dies bedeutet, daß sich die Befragten nicht aus einem völligen Informationsdefizit heraus an den Dienst wenden, sondern in über 23A der Fälle vorinfor­ miert waren. 3. Aus welchen Gründen haben sich die Benutzer an den Dienst gewendet? Wie aus Tabelle 6 zu ersehen ist, steht hinsichtlich der Gründe für die Inanspruchnahme bei über der Hälfte der Benutzer das Bedürfnis im Vordergrund, abzusichern, ob der vorhandene Kenntnisstand richtig ist. An zweiter Stelle suchen die Benut­ zer Auskünfte auf Fragen, die bisher noch nicht beantwortet wurden und Erklärungen von bislang unverstandenen Infor­ mationen. An dritter Stelle steht die Suche nach spezifischen Auskünften über Behandlungs- und Nachsorgeeinrichtungen. In 18% der Fälle haben die Benutzer über die Information hinaus das Bedürfnis, ihre persönliche Situation zu bespre­ chen. Dabei zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen der Patienten- und der Angehörigengruppe in der Richtung, daß für die Patienten die Absicherung von Vorwissen und das Aussprechen stärker im Vordergrund stand. Die Informations­ suche der Angehörigen bezog sich in eher problemorientierterer Weise signifikant stärker auf Kenntnisse über Behand­ lungsmethoden und Behandlungseinrichtungen. Es zeigt sich auch, daß zusätzlich zur mündlichen Information die Benutzer in 13% der Fälle an schriftlichen Informationen interessiert waren. Auch eine Analyse der Gründe für die Befragung des KID gibt Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei den Anfragenden um eine informationsbewußte Gruppe von Personen handelt. Diesem aktiven, informationssuchenden Verhalten kommt neben der grundsätzlichen Möglichkeit der Beschaffung ärztli­ cher Auskünfte die Einrichtung eines zentralen Auskunfts­ dienstes sehr entgegen, wenn diese einen schnelleren Zugang zur gewünschten Information eröffnet. 4. Wie beurteilten die Benutzer die Einrichtung eines telefoni­ schen Auskunftsdienstes? Über 80% der Befragten hielten einen telefonischen onkologischen Auskunftsdienst für eine wichtige Einrichtung und gaben an, daß sie sich auch in Zukunft wieder an einen solchen Dienst bei Fragen und Problemen wenden würden. 62% der Befragten waren mit der derzeitigen Arbeit des Dienstes sehr zufrieden (Tab. 7, 8). Dabei zeigte sich, daß das Ausmaß der Zufriedenheit in engem Zusammenhang stand mit dem schnel­ len Zugang und der Ausführlichkeit der Information.

Diskussion

Der Implementation des Modellprogramms war keine genaue Analyse hinsichtlich des Bedarfs an onkologischer Informa­ tion in der Bevölkerung vorausgegangen. Insofern gibt diese

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Tabelle 5. Darstellung der Art der Anfragen der Gesamtstichprobe

Studie, wenn auch ihre Ergebnisse wegen der methodischen Problematik schriftlicher Befragungen [4] hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit mit Einschränkungen zu betrachten sind, erste konkrete Hinweise auf Art und Ausmaß des onkologischen Informationsbedarfs und auf die relevanten Zielgrup­ pen, die diese informative Maßnahme in Anspruch nehmen. Dabei ergibt sich, daß die allgemeine Öffentlichkeit eher weniger Bedarf an Informationen zeigt, sowohl was die The­ men der primären und sekundären Prävention als auch das Wissen über den Stand der wissenschaftlichen Krebsforschung betrifft. Eine informative onkologische Programmaßnahme hat also vorwiegend Akzeptanz bei Krebskranken und deren Angehörigen und weniger bei der nicht erkrankten Bevölke­ rung. Damit erweist sich das Interesse an onkologischen Infor­ mationen als in engem Zusammenhang stehend mit der unmit­ telbaren und mittelbaren persönlichen Betroffenheit des Be­ nutzers. Bei den Erkrankten und deren Angehörigen besteht offensichtlich dieser Bedarf insbesondere dann, wenn die Er­ krankten sich in der Phase nach Abschluß der Primärtherapie befinden. Angesichts dieses besonderen Bedarfs, der sich im wesent­ lichen auf Kranke und Angehörige erstreckt und dabei auf Themen der Behandlung zentriert ist, stellt sich die Frage, warum sich diese Personengruppen zusätzlich an einen allge­ meinen Auskunftsdienst wenden. Denn man kann davon aus­ gehen, daß in dieser Krankheitssituation eine Anbindung an einen ärztlichen Ansprechpartner gegeben sein muß, an den man sich wegen Informationen wenden könnte. Als Erklärung würde sich zunächst anbieten, daß dies ein Hinweis auf man­ gelnde Informations- und Kommunikationsbereitschaft des Behandlers sein könnte. Allerdings weist der Kenntnisstand, der bei der Mehrzahl der Befragten in bezug auf die Erkran­ kung gegeben ist, darauf hin, daß dieser auch auf der Basis von gegebenen ärztlichen Informationen zustande gekommen sein muß. Wenn man dies in Beziehung setzt zur relativ hohen Auskunfts- und Aufklärungsbereitschaft, die Ärzte in Befra­ gungen angeben [2], kann man Informationsdefizite nicht einseitig den Behandlern anlasten. Nach einer Analyse der von den Befragten angegebenen Gründe ist eher anzunehmen, daß angesichts der Bedeutung, die der Erfolg einer Behandlung für den Betroffenen hat, immer wieder Unsicherheit und Absicherungsbedürfnisse im Verlauf einer Erkrankung entstehen. Diese sind als Auslöser für die Suche nach einer Bestätigung anzusehen. Selbst bei erfolgreicher Primärtherapie und darauffolgender Beschwer­ defreiheit ruft offensichtlich die bleibende Verunsicherung durch die Unvorhersagbarkeit des Krankheitsverlaufs die Auseinandersetzung mit Therapiemöglichkeiten immer wie­ der hervor. Für die Gruppe der Angehörigen könnte als Erklärung für die Inanspruchnahme des Dienstes in Frage kommen, daß sie sich zu wenig in die Information über die Behandlung durch den Behandler einbezogen fühlen [2]. Andererseits berichten An­ gehörige, daß sie ebenso wie die Kranken selber oft unter Diagnoseschock stehen, so daß es ihnen schwerfällt, gegebene ausführliche Inform ationen der Ä rzte aufzunehm en [8]. Dabei

ist zu beachten, daß es sich bei den betreffenden diagnosti­ schen und therapeutischen Verfahren oft um sehr komplexe und damit für den Laien nicht immer leicht nachvollziehbare Vorgehensweisen handelt.

Henkel

Auf folgende weitere Schwierigkeiten, die die Brauchbarkeit von telefonischen Auskünften, insbesondere, wenn es sich um individuelle Auskünfte handeln soll, einschränken, soll noch hingewiesen werden: - Zu krankheitsbezogenen Sachverhalten können nur allge­ meine Aussagen gemacht werden, wobei als Grundlage dieser Auskünfte die Darstellung der Krankheitssituation aus der Sicht des Patienten oder dessen Angehörigen zur Verfügung steht. Damit kann die Beurteilung der Situation nicht auf der Basis objektiver medizinischer Daten geschehen. Dies kann zu falschen «richtigen» Informationen führen, die Konsequenzen haben können, je nachdem, welche Autorität diese Auskünfte für den Betreffenden haben. Darüber hinaus ist schwer kon­ trollierbar, ob der Auskunftsuchende alle Informationen rich­ tig verstanden hat, insbesondere, wenn es um komplexe onko­ logische Sachverhalte geht. - Fraglich ist, ob medizinische Laien, zwar auf der Basis eines intensiven onkologischen Trainings, jedoch ohne klinische Er­ fahrungen, nicht manchmal mit der Vermittlung dieser Kom­ plexität überfordert sind, auch wenn es darum geht, diese in einfachen Worten sachgemäß und unverfälscht weiterzugeben. Das bedeutet, daß letztlich eine sachgerechte und fachgerech­ te Antwort auf die Fragen nur von einem kompetenten Be­ handler gegeben werden kann und daß deshalb die Auskunfts­ uchenden immer wieder zu ihm zurückgeführt werden müs­ sen. Sowohl diese Überlegungen zur Effektivität dieser informati­ ven Interventionsmaßnahme als auch entsprechende Überle­ gungen hinsichtlich der Effektivität von ärztlichen Aufklä­ rungsgesprächen weisen auf das Problem hin, inwieweit eine Vermittlung «objektiver» Information wirklich eine sinnvolle soziale Intervention ist. Hilzinger [6] referiert in diesem Zu­ sammenhang eine Theorie von Janis [10], die besagt, daß «die Information über die Krankheit dann die effektivste Art der Intervention ist, wenn sie im Kontext von Interesse und stüt­ zenden Gesprächen gegeben wird.» Auch Beutel äußert unter Verweis auf Studien von Jacobs et al. und Gordon [2] Zweifel «am Nutzen eines rein informativen Ansatzes» im Hinblick auf die Wirksamkeit für die Krankheitsbewältigung. Ebenso meint Birbaumer mit Hinweis auf die Ergebnisse von Studien von Leventhal und Johnson, daß «Information allein sowohl die Compliance als auch das Befinden nicht positiv beeinflußt, sondern daß Information nur, wenn sie in Zusammenhang mit realen Möglichkeiten steht, die Behandlung und deren Verlauf zu beeinflussen, zu positiven Effekten führt» [3]. Nachdem sich gezeigt hat, daß informative onkologische Inter­ ventionsmaßnahmen vorwiegend von Kranken und deren An­ gehörigen genutzt werden, wäre es sinnvoll, diese Überlegun­ gen bei der weiteren Gestaltung des Dienstes einzubezichen. Wenn es insbesondere um die Krankheitsbewältigung geht, könnte man auch andere Möglichkeiten der Intervention, die dieses für die Wirksamkeit von Information formulierte Krite­ rium einbeziehen, überdenken. Ein entsprechender Ansatz wird in den USA durch das Angebot von «Patient-EducationProgrammen» realisiert. Analoge Maßnahmen könnten im Rahmen der stationären oder ambulanten Versorgung von Krebskranken während oder im Anschluß an die Primärthera­ pie unter Einbeziehung der Angehörigen angeboten werden. Falls solche Maßnahmen an Tumorzentren und onkologischen Zentren durchgeführt werden könnten, wäre dies eine gute

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Evaluation des Krebsinformationsdienstes (KID)

Möglichkeit, auch regionale medizinische und psychosoziale Vcrsorgungsleistungcn den Betroffenen besser zugänglich zu machen. Abschließend ist zu sagen, daß die bisherige Arbeit des Modellprojekts KID wichtige Hinweise auf Bedarf und Bedeutung von informativer Unterstützung von Kranken und Angehörigen gebracht hat, wobei allerdings die Frage der Effektivität für eine Unterstützung bei der Krankheitsbewälti­ gung noch besser abzuklären wäre.

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Literatur 1 Biefang S: Evaluationsforschung in Medizin und Gesundheitswe­ sen, in Biefang S (ed): Evaluationsforschung in der Psychiatrie: Fragestellungen und Methoden. Stuttgart, Enke. 1980, pp 7-50. 2 Beutel M: Bewältigungsprozesse bei chronischen Erkrankungen. Weinheim. Edition Medizin, VCH, 1988, pp 117-130. 3 Birbaumcr N: Verhaltensmedizin: Klinische Anwendungen bei Krebserkrankungen, in Miltner W, Birbaumer N, Gerber WD (eds): Verhaltensmedizin. Berlin. Springer, 1986. 4 Bortz J: Lehrbuch der Statistik für Sozialwissenschaftler. Berlin, Springer. 1984. 5 Herschbach P: Psychosoziale Probleme und Bewältigungsstrategien von Brust- und Genitalkrebspatientinnen. München. Roettgen. 1985. 6 Hilzinger U: Psychosoziale Intervention nach Krebs. Eine Analyse empirischer Evaluationsstudien, in Bonner KH. Eiwert NG (eds): FRR-REHA Praxis der psychosozialen Prävention und Rehabili­ tation. Marburg 1988. 7 Krebsforschung heute: Berichte aus dem Deutschen Krebsfor­ schungszentrum 1989. Ausgabe zum 25jährigen Bestehen. Darm­ stadt. Steinkopff, 1989. pp 273-277. 8 Niederle N, Aulbert E: Der Krebskranke und sein Umfeld. Stutt­ gart, Thieme. 1987, p 128. 9 Rossi PH, Freeman HE, Hofmann G: Programmevaluation. Stutt­ gart, Enke, 1988. 10 Bloom JR, Ross RD, Burnell G: The effect of social support on patient adjustment after breast surgery. Patient Counseling and Health Autumn, 1978, pp 50-59. Sonderdruckbestellungen an: Elfriede Henkel, Dipl.-Psych. Medizinische und Biologische Informatik Deutsches Krebsforschungszentrum Im Ncucnheimer Feld 280 D-6900 Heidelberg (BRD)

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[Evaluation of the Heidelberg cancer information service by the consumer].

The Cancer Information Service (KID) was established 1986 as a model project of the BMJFFG in the German Cancer Research Center. Its task is to provid...
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