Ethylen-Wachstumsregulatoren

Reinhold Carle

Ethylen-Wachstumsregulatoren und ihre hnsatzmoglichkeiten im Pflanzenbau

Einleitung 1864 entdeckte Girardin [I] die schadigende Wirkung von Leuchtgas auf Alleenbaume. Er beobachtete, dai3 aus undichten Leitungen austretendes Gas zu vollstandiger Entlaubung fuhrte. 1901 konnte Neljubov [2] zeigen, dai3 Ethylen der schadigende Bestandteil des Leuchtgases ist. Bei seinen Versuchen n i t etiolierten Erbsenkeimlingen fand er dosisabhangige Wachstumsveranderungen, die als sog. ,,triple response" in die Fachliteratur eingingen [3]: 0,l ppm Ethylen fuhrte zu einer Hemmung des Langenwachstums, I ppm Ethylen bewirkte ein seitliches Anschwellen des Hypocotyls. Bei einer Ethylenkonzentration von 10 ppm zeigten die Keimlinge horizontales Wachstum, den sog. Diageotropismus.

Erst 1934 konnte Gane [4] die Vermutung bestatigen, dai3 auch Pflanzen selbst Ethylen produzieren, indem er das aus reifenden Apfeln freigesetzte Gas nachwies. Schon lange vor der Kenntnis seiner chemischen Natur wurde Ethylen als Wachstumsregulator in der Landwirtschaft genutzt: Etwa um I890 sol1 ein Ananasfarmer auf den Azoren, der in einem Gewachshaus Insekten mit Rauchgasen vertilgen wollte, die Blutenbildung zu einem Zeitpunkt beobachtet haben, zu dem sie sonst nicht auftrat. Mit dieser zufallig entdeckten Methode der Bluhinduktion wurden in der Folge Kulturzeitverkiirzungen von 6 bis 7 Monaten erzielt [5].

fen werden, zeigt, greift dieses Gas von der Samenkeimung bis zur Fruchtreife und Seneszenz in vielfaltiger Weise in Wachstum und Entwicklung hoherer Pflanzen ein (Tabelle I). Trotz dieser seit langem bekannten vielfdtigen Wirkungen wurde Ethylen lange nicht als Phytohormon bezeichnet. Vermutlich wollte man dieser einfachen gasformigen Substanz angesichts der komplizierten Strukturen anderer Phytohormone nicht den Hormoncharakter zuerkennen. Zwar wird Ethylen nicht der Definition eines tierischen Hormons gerecht, da der Transport vom Produktionszum Wirkungsort anscheinend fehlt - es hat jedoch mit den ubrigen Phytohormonen gemeinsam, dai3 es nicht in spezialisierten innersekretorischen Drusen, sondern in vielen Geweben synthetisiert werden kann.

Tabelle 1: Ethyleninduzierte Reaktionen bei Pflanzen (Auswahl)

Stimulation der Samenkeimung Bei Landpflanzen: Hemmung des Streckungswachstums Bei Wasserpflanzen: Stimulation des Internodienwachstums Anschwellen des Hypocotyls Diageotropismus

Um den Reifevorgang von Zitronen zu beschleunigen, wurden die Friichte in den USA schon vor der Jahrhundertwende in beheizten Raumen bei hoher Luftfeuchtigkeit gelagert. Sievers und True [6] konnten spater zeigen, dai3 die kunstliche Reife nicht auf die hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit, sondern auf gasformige Verbrennungsprodukte der Heizofen zuriickzufuhren war.

Verlust der Apikaldominanz

Wirkungen des Ethylens auf den pflanzlichen Stoffwechsel

Forderung der Fruchtreife

Wie die Ubersicht uber die pflanzlichen Reaktionen, die durch Ethylen hervorgeru-

Induktion von Seneszenzerscheinungen

Wurzelkiimmung Verringerung der Spaltoffnungsweite Forderung der Wundheilung durch Kallusbildung Induktion der Blutenbildung

Ethylenbiosynthese und ihre Regulation Bevor Ethylen seine vielfaltigen Wirkungen entfalten kann, mu13 es von der Pflanze synthetisiert werden. Im Gegensatz zu anderen Phytohormonen kennt man heute bei Ethylen nicht nur die Biosynthese, sondern hat auch Einblicke in ihre Regulation gewonnen (Abbildung 1): Die erste wesentliche Erkenntnis war, dai3 Ethylen aus den C-Atomen 3 und 4 des Methionins gebildet wird [7]. Spater konnte SAdenosylmethionin (SAM) als Zwischenprodukt nachgewiesen werden [8, 91. SAM wird dann in einer Cyclisierungsreaktion zur 1 Aminocyclopropan-1-carbonsaure (ACC) umgewandelt [lo, 111. Diese cyclische Aminosaure wurde bereits vorher in reifenden Friichten nachgewiesen, ohne dai3 die Precursor-Funktion der Substanz erkannt wurde [12, 131. Die Bildung von ACC aus SAM verlauft langsam und ist der limitierende Schritt bei der Ethylen-Biosynthese. Es konnte gezeigt werden, dai3 die ACC-Synthase, die SAM in ACC iiberfiihrt, fur die Regulation verantwortlich ist. Bei klimakterischen" Friichten wie Mango und Avocado beobachtet man, daf3 sie nicht ausreifen, solange sie am Baum anhaften. Sie produzieren nur Spuren von Ethylen. Dagegen ist in abgeernteten Friichten mit dem klimakterischen Atmungsmaximum ein Maximum der ACC-Synthaseaktivitat festzustellen ([14], Abbildung 2). Fur die Reifeverzogerung der am Baum belassenen Friichte wurde der sog. ,,tree-factor" verantwortlich gemacht [15]. Neuere Untersuchungen zeigen, dai3 bei praklimakterischen Friichten die ACC-Synthase reprimiert ist [16]. Seit einiger Zeit ist ein hochmolekulares Pflanzenprotein bekannt, welches die Ethylenbildung

Induktion von Blatt- und Fruchtfall

Stimulation des Fruchtwachstums

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"Als ,,Klimakterium" bezeichnet die neuere Botanik einen mit voriibergehendem starkem Atmungsanstieg verbundenen Teil der Reifeperiode von Friichten; in der nachfolgenden ,,Seneszenz" nimmt die Atmung stetig ab.

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Ethylen-Wachstumsreguhtoren

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weitgehend unterbinden kann [17]. Es stellte sich heraus, dai3 dieses Protein die Umwandlung von ACC zu Ethylen hemmt [18]. Die Identifizierung des hypothetischen Inhibitors ware fur die Kontrolle der Fruchtreife von erheblicher praktischer Bedeutung. Der als ,,tree-factor" bezeichnete Repressor der ACC-Synthase wird offensichtlich erst nach dem Ablosen der Frucht vom Baum inaktiviert. Erst danach setzen die de novoSynthese der ACC-Synthase, die autokatalytische Ethylenbildung und die Reifung der Frucht ein [14,19]. Die exogene ACC-Zufuhr fuhrt auch in der am Baum anhaftenden Frucht zu einem deutlichen Anstieg der Ethylenproduktion. Dieser Sachverhalt macht deutlich, dafi das ethylenfreisetzende Enzym (EFE = Ethylene Forming Enzyme) im Gewebe der unreifen Frucht enthalten ist ([14], Abbildung 3). Dies trifft im ubrigen auch auf andere Pflanzenorgane zu. Im Gegensatz zur ACC-Synthase handelt es sich beim ethylenfreisetzenden Enzym um ein konstitutives Enzym. Pollen enthalten hohe Konzentrationen an ACC [20], so dafl dieser Ethylen-Precursor bei der Bestaubung auf die Narben von Bluten ubertragen wird. Somit wurde die Ethylenbildung fur die schnelle Abscission verschiedener Bluten nach ihrer Bestaubung verantwortlich gemacht [21]. Durch Vorbehandlung der Narben mit Aminoethoxyvinylglycin (AVG) kann der durch Pollenubertragung hervorgerufene Anstieg der Ethylenproduktion gehemmt werden (1.221, Abbildung 4). Daraus geht hervor, dai3 die Pollenubertragung eine Neusynthese von ACC induziert. Das mit den Pollen ubertragene ACC durfte eine geringere Rolle spielen [21]. ACC scheint im ubrigen auch die Transportform des Ethylens zu sein. Die Substanz wird im Aminosauretransportsystem im Xylem der Pflanze transportiert [23,24]. Die ACC-Synthase benotigt Pyridoxalphosphat als Coenzym. Das Enzym wird durch bekannte Inhibitoren pyridoxalabhangiger Enzyme wie Aminoethoxyvinylglycin (AVG) und Aminooxyessigsaure (AOA) in vitro und in vivo gehemmt ([lo, 25,261 Abbildung 5). Nach der Auxin-Applikation an Pflanzenkeimlingen wurden bei benachbarten unbehandelten Pflanzen Ethylen-typische Wachstumsreaktionen beobachtet. Offenbar wird die ACC-Synthase unter dem EinfluB von

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Auxinen und auf Wundreize oder Strefieinwirkung hin synthetisiert [IS, 27-29]. Die ACC-Synthase wurde zwischenzeitlich isoliert und charakterisiert [30].

Abb. 1. Ethylenbiosynthese und ihre Regulation. Die Hemmstoffe der ACC-Synthase und des ethylenfreisetzenden Enzyms (EFE) sind in Abbildung 5 dargestellt.

N-Malonyl-ACC ist ein naturlicher Metabolit der ACC [31]. Anfanglich wurde vermutet, dai3 N-Malonyl-ACC als Depotform der ACC diene. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dafi die N-Malonyl-ACC-Bildung einen Regulationsmechanismus zur Einschrankung der Ethylenproduktion darstellt

WI. Das ethylenfreisetzende Enzym (EFE) konnte bisher noch nicht naher charakterisiert werden. Es ist sehr labil und membrangebunden. 2,4-Dinitrophenol und andere Entkoppler des Protonentransports sowie Cobaltio-

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Abb. 2. Verlauf der ACC- und Ethylenproduktion von geernteten Avocado-Friichten in Abhangigkeit vom Reifestadium, verandert nach Sirit et al. (14). Das Einsetzen der Reifung ist am Anstieg der Atmungsaktivitat zu erkennen. Im Klimakterium wird ein Maximum der C0,-Produktion erreicht. Abb. 3. Ethylenproduktion am Baum belassener Avocado-Friichte, verandert nach Sirit et al. (14). Die Reifung (Ethylenbildung) setzt erst nach exogener ACC-Zufuhr ein.

nen und Radikalfanger hemmen das ethylenfreisetzende Enzym. Fur die Umsetzung von ACC zu Ethylen ist Sauerstoff erforderlich [ 3 3 ] . Die strukturanaloge Verbindung der ACC, die a-Aminoisobuttersaure (a-AIB, vgl. Abbildung 5 ) hemmt das ethylenfreisetzende Enzym kompetitiv. Bei der Oxidation der ACC entstehen HCN und CO, [34]. Nach der Homogenisierung verlieren pflanzliche Gewebe die Fahigkeit zur Ethylenproduktion; sie produzieren lediglich noch Ethan ([35], Abbildung 6). Dies ist auch der Grund, weshalb es bisher noch nicht gelungen ist, die fur die Ethylen-Synthese verantwortlichen Enzymsysteme subzellular zu lokalisieren. Wie eine Zusammenstellung einer neueren pflanzensystematischen Untersuchung zeigt,

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sind sowohl hohere als niedere Pflanzen Ethylenproduzenten ([36], Tabelle 2). Tierische Zellen produzieren im ubrigen kein Ethylen. Lediglich die hoheren Pflanzen sind jedoch dazu in der Lage, ACC zu Ethylen umzusetzen. Den niederen Pflanzen fehlt offensichtlich das ethylenfreisetzende Enzym. Moglicherweise ist die Ethylen-Synthese via Methionin, SAM und ACC in der Evolution erst als moderne Anpassung der LandpflanZen entstanden. Bei Pilzen dient Glutaminsaure als Precursor fur die Ethylensynthase. Obwohl Ethylen in grofien Mengen von niederen Organismen produziert wird, ist die physiologische Bedeutung dort noch unbekannt. Es ist jedoch offensichtlich, daf3 das durch Bodenorganismen produzierte Ethylen das Wachstum hoherer Pflanzen entscheidend beeinflufit [37].

Abb. 4. Ethylenproduktion isolierter Petunien-Griffel nach der Bestaubung, verandert nach Hoekstra und Weges (22). Durch Vorbehandlung der Narben mit AVG (Aminoethoxyvinylglycin) kann die durch Polleniibertragung induzierte C,H,-Produktion gehemmt werden. Abb. 5. Hemmstoffe der ACC-Synthase und des Ethylen-freisetzenden Enzyms (EFE); vgl. Abbildung 1. Abb. 6. Bildung von Ethylen in grunen Blattern in Abhangigkeit vom Verwundungsgrad, verandert nach Elstner und Konze (35). Fortschreitende Schadigung wird durch das Verhaltnis von Ethan zu Ethylen angezeigt.

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Ethylen-Wachstumsregukztoren

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Tabelle 2: Ethylenproduktion in niederen und hoheren Pflanzen, verandert nach Osborne [36]. Organismen, die ACC zu Ethylen umsetzen, sind durch" gekennzeichnet.

BRYOPHYTA Hepaticae Marchantia polymorpha (Gametophyt) Musci Funaria polymorpha (Sporophyt) Polytrichum commune (Gametophyt) PTERIDOPHYTA (Sporophyt) Lycopodiatae Selaginella willdenovii Lycopodium phlegmaria Equisetatae Equisetum hyemale Filicatae Ophioglossum reticulatum Trichomanes speciosum Salvinia natans

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SPERMATOPHYTA Gnetatae Welwitschia mirabilis Gnetum gnemon" Ephedra equisetina'+ Angiospermae Cycas revoluta'> Ginkgo biloba" Phaseolus vulgaris+

Wie im Falle anderer Hormone ist davon auszugehen, dai3 Ethylen sich an einen Rezeptor bindet und einen aktiven Komplex bildet, der dann seinerseits Primarreaktionen auslost. Der Ethylenrezeptor scheint ein Protein zu sein ([38, 39, 401, Abbildung 7). Man nimmt an, dai3 Ethylen als Ligand an einen kupferhaltigen Metallkomplex gebunden wird. Die Wirkung des Ethylens kann durch CO, kompetitiv gehemmt werden [II]. Silberionen inhibieren ebenfalls die Ethylenwirkung [42]. Wegen seiner geringeren Phytotoxizitat erwies sich die Anwendung des anionischen Silberthiosulfatkomplexes [Ag(S,03)J3- (STS) als vorteilhaft [43]. Das cyclische Olefin 2,5Norbornadien (NBD) iibt die starkste kompetitive Hemmwirkung aus [44].

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Fur den gasformigen Wachstumsregulator - Kontrolle der Ethylen-Gewebsspiegel Ethylen ist ein spezieller Abbaumechanismus durch Stimulation oder Inhibition der Ethyzur Verringerung der Hormonkonzentration lenbiosynthese. kaum erforderlich. Hier genugt offensichtlich die Diffusion. Ethylen wird nur in geringem - Kontrolle der Ethylen-Gewebsspiegel Umfang oxidativ in Ethylenoxid bzw. in durch Modifizierung des Bindungsverhaltens Ethylenglycol und CO, umgesetzt [45,46]. von Ethylen am Rezeptor bzw. Beeinflussung der Rezeptorkonzentration.

Praktische Anwendungsmoglichkeiten im Pflanzenbau

- Manipulation der ethylenabhangigen Gen-

Nach Kenntnis der Biosynthese und Regulation des Ethylens ergeben sich vier Angriffspunkte, um die durch Ethylen hervorgerufenen Wirkungen zu beeinflussen (Abbildung 8):

Kontrolle der Ethylen-Gewebsspiegel

- Kontrolle

der Ethylen-Gewebsspiegel durch externe Zufuhr oder durch Entfernung von Ethylen.

expression.

Ethylen ist als Gas nur im Ausnahmefall fur die praktische Anwendung geeignet. Ein Beispiel ist das Begasen unreifer Bananen vor ihrer Vermarktung. Aufgrund ihrer kurzen

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E thy Len-Wacbstumsregulatoren

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Abb. 9. Ethylenabspalter

siP). Die Ethylenabspaltung erfolgt spontan ohne Gegenwart von Enzymen (Abbildung 9).

Wie bereits eingangs erwahnt, induziert Ethylen die Bliitenbildung von Ananas und anderen Bromeliaceen. Die wichtigsten praktischen Anwendungsmoglichkeiten gehen aus Tabelle 3 hervor. Um die uneinheitliche Bliitenbildung zu synchronisieren, werden heute im Ananasanbau und im Zierpflanzenanbau in breitem Umfang Ethylenabspalter verwendet [47,48]. Interessanterweise induziert Ethylen die Ausbildung weiblicher Bliiten verschiedener Cucurbitaceen. Ethylenabspalter werden daher zur Ertragssteigerung im Gurken- und Melonenanbau eingesetzt.

Haltbarkeit in vollreifem Zustand werden Bananen in halbreifem Zustand in Kuhlhauser eingelagert. Die Ethylenbildung wird durch C0,-Anreicherung bzw. durch eine 0,-arme Atmosphare oder in Gegenwart von Norbornadien gehemrnt, bzw. das gebildete Ethylen wird durch chemische Umsetzung, beispielsweise durch SO,-gebundenes Kaliumpermanganat, oder durch hypobare Lagerung entfernt. Fur die Anwendung im Freiland wurden spezielle Wirkstoffe entwickelt, die als Losungen oder Emulsionen auf Pflanzen aufgebracht werden konnen, und die im wafirigen Milieu der Pflanzenzelle Ethylen freisetzen. Solche ,,Ethylenabspalter" sind z. B. 2-Chlorethylphosphonsaure (Ethephon@) und 2-Chlorethyl-tris-(2-Methoxyethoxy)-silan (Etacela-

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In verschiedenen Pflanzenkulturen (z. B. Paprika, Kaffee, Tomate, Ananas) konnen mit Ethylenabspaltern die Fruchtreife beschleunigt und der Erntezeitpunkt vorverlegt werden. Es kann wirtschaftlich entscheidend sein, Apfel, Tomaten oder Sauerkirschen moglichst friih auf den Markt zu bringen. Um die Fruchtreife fur einmalige rnaschinelle Beerntung zu synchronisieren, werden heute in den USA Tomaten 8 bis 14 Tage vor der Ernte mit Ethylenabspaltern behandelt. Wahrend Tabak iiblicherweise an 6 bis 8 aufeinanderfolgenden Terminen geerntet werden mu& kann mit Hilfe von Ethylenabspaltern die Zahl der Ernten auf 3 bis 4 reduziert werden. In seiner Eigenschaft als Wundgas stimuliert Ethylen den LatexfluR des Gummibaums. Durch Ethylenabspalter kann die Latexausbeute um bis zu 250 % erhoht werden. Da der Latexflui3 Ianger anhalt, ist auch der Arbeitsaufwand auf den Gummiplantagen deutlich geringer [49]. Ethylen induziert die Trenngewebe von Blatt- und Fruchtstielen, wodurch die Pfluckarbeit wesentlich erleichtert wird. Um mechanische Ernte zu ermoglichen, werden

heute Kirschen-, Mandel-, Pfirsich-, Citrus-, Walnui3- und Olivenplantagen mit Ethylenabspaltern gespritzt. Weinstocke und Baumwollpflanzen werden zur Erleichterung der mechanischen Ernte mittels Ethylenabspalter entlaubt. Um den Fruchtbesatz und die Fruchtgrofie zu optimieren, wird der Fruchtansatz nach der Bliite ,,chemisch ausgediinnt". Ethylen hemmt das Langenwachstum, so dafi die Anwendung von Ethylenabspaltern zu einer besseren Standfestigkeit des Getreides fiihrt. SchlieRlich fordert Ethylen die Samenkeimung. Striga asiatica, eine Scrophulariacee, ist ein gefiirchteter Parasit im Baumwollanbau. Da seine Samen eine Keirnruhe zeigen und iiber Iangere Zeitraume hin keimen, wird der Parasit bei der iiblichen Herbizidbehandlung im Nachauflaufverfahren nur unzureichend erfaRt. Bringt man vor der Herbizidapplikation Ethylenabspalter in den Boden ein, wird die Keimruhe der Samen von Striga asiatica durchbrochen, und die Pflanzen werden ebenfalls vom Herbizid abgetotet. Im Gegensatz zu den Ethylenabspaltern, die Ethylen spontan freisetzen, werden die 1Arninocy clopropan- 1-carbonsaure (ACC) und ihre Derivate ausschliefilich in Gegenwart des ethylenfreisetzenden Enzyms EFE wirksam. ACC ist bekanntlich ein natiirlicher Bestandteil reifender Friichte [lZ, 131. Aus toxikologischer Sicht kann diese Substanz daher als unbedenklich gelten. In der Zukunft sollte deshalb Wachstumsregulatoren der ACC-Gruppe, z. B. der N-Formyl-ACC, zunehmende Bedeutung zukomrnen [47]. Die Entwicklung spezifischer EFE-Inhibitoren ist bisher noch nicht gelungen. Zur Verbesserung der Haltbarkeit von Schnittblumen wird Silber in Form des SilberthiosulfatKomplexes (STS) verwendet [50]. Die guten Erfolge bei Nelken ([51], Abbildung 10) fiihrten zu der irrigen Annahme, dai3 die Seneszenz von Bliiten generell durch Ethylen

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Ethylen -Wachstumsregukztoren

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Abb. 10. Verlangerung der Haltbarkeit von Schnittblumen durch STS-Behandlung.

hervorgerufen wird. Fur Rosen, Gerbera und Chrysanthemen scheint dies nicht zuzutreffen. Ihre Haltbarkeit laat sich durch Vorbehandlung mit STS nicht verbessern [51].

Manipulation der ethylenabhangigen Genexpression Gegenwartig konzentrieren sich die Forschungsaktivitaten auf die Untersuchung der Regulationsfunktion des Ethylens hinsichtlich der Genexpression. Es ist nicht klar, ob die Aktivierung von Genen eine Primarantwort auf das Ethylen darstellt, oder ob sie am Ende einer komplexen Folge verschiedener biochemischer Reaktionen steht.

Tabelle 3: Praktische Anwendungsmoglichkeitenvon Ethylen-Wachstumsregulatoren

Physiologische Wirkung

Anwendungsmoglichkeiten

Induktion der Bliitenbildung

Bliihsynchronisation bei Bromeliaceen/ Ernteerleichterung bei Ananas

Induktion weiblicher Bliiten

Ertragssteigerung und friihere Ernte bei Cucurbitaceen (Kiirbisse, Gurken)

Beschleunigung von Reifungsvorgangen

Reifebeschleunigung und Verbesserung der Fruchtausfarbung bei Obst und Gemuse (Apfel, Bananen, Tomaten und Tabak)

Reaktion auf Gewebsverletzungen durch Induktion der Wundgasbildung

Stimulierung des Latexflusses beim Gummibaurn/Ertragssteigerung und Arbeitserleichterung

Induktion von Trenngeweben

Forderung der Fruchtablosung zur maschinellen Beerntung von Obst- und Beerenkulturen Ausdiinnung des Fruchtansatzes zur Vergroi3erung der Friichte im Obstbau Entlaubung im Weinbau zur Ernteerleichterung Entlaubung von Baumwolle zur Ernteerleichterung

Wuchshernmung

Verhinderung des Lagerns von Getreide durch Verbesserung der Standfestigkeit

Forderung der Samenkeimung

Unterstiitzung bei der Bekampfung von Unkrautern, deren Samen eine ausgepragte Keimruhe aufweisen

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Bereits 3 Stunden nach Ethylen-Begasung 1ai3t sich in Nelkenbliiten die Akkumulation neuer mRNAs nachweisen. Durch STS kann die Gentranskiiption unterbunden werden [52]. Mit fortschreitender Entwicklung nimmt die Kapazitat des Ethylens zu, die Synthese neuer mRNA zu induzieren. Ahnliche Ergebnisse wurden bei reifenden Tomaten gefunden [53]. Diese Befunde legen nahe, dai3 die Genexpression im Verlauf der Fruchtreife und der Blutenseneszenz durch zunehmende Empfindlichkeit des Rezeptors gegenuber Ethylen und durch Veranderung der Rezeptorkonzentration aktiviert wird. Daneben gibt es Hinweise, dai3 Zellwandfragmente, Glykohydrolasen und Calciumionen als second messenger bei der Genaktivierung eine Rolle spielen [36]. Zum genaueren Verstandnis der ethyleninduzierten Genexpression ist jedoch noch intensive Forschung notig. Wissenschaftlern in den USA ist es kurzlich gelungen, nahezu unbegrenzt haltbare Tomaten zu ziichten [54]. Die gentechnisch veranderten Tomaten sind nicht rnehr in der Lage Ethylen zu bilden. Durch den gegensinnigen Einbau eines ACC-Synthase-Genkonstrukts wurden transformierte Tomatenzellinien erhalten, wobei die Expression der zur Ethylenbildung erforderlichen ACC-Synthase inhibiert ist. Erst nach exogener Zufuhr von Ethylen werden die Friichte rot und weich. Derart behandelte Tomaten sollen sich in Farbe, Konsistenz und Geschmack nicht von naturlich gereiften Friichten unterscheiden!

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Ethylen-Wachstumsregukztoren

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Dr. Reinhold Carle, geb. 1950 in Kiinzelsau. Studium der Biologie und Chemie fur das Hohere Lehramt sowie der Pharmazie in Tiibingen, 1979 Promotion bei Prof. Reinhard iiber Steroidalkaloide und -saponine der Gattung Solanum. 1981 Approbation als Apotheker. Seit 1982 Tatigkeit in der Pharmazeutischen Entwicklung Naturstoffe der ASTA Medica A G .

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Dr. Reinhold Carle, c/o ASTA Medica AG, Postfach 10 01 05, W-6000 FrankfudMain 1.

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[Ethylene-growth regulators and their possible use in plant cultivation].

Ethylen-Wachstumsregulatoren Reinhold Carle Ethylen-Wachstumsregulatoren und ihre hnsatzmoglichkeiten im Pflanzenbau Einleitung 1864 entdeckte Gira...
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