Originalarbeit

Ethische Aspekte der forensischen Psychiatrie Ethical Aspects of Forensic Psychiatry

Autor

Jutta Muysers

Institut

LVR-Klinik Langenfeld

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

" psychisch kranke Straftäter ● " Behandlung im Maßregel● " ● " ● " ●

vollzug Gutachterinnen, Gutachter und Behandelnde Justiz und Politik Medien und Öffentlichkeit

Keywords

" mentally ill offenders ● " treatment in forensic ●

psychiatry

" experts and therapists ● " justice and politics ● " media and public attention ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1369938 Psychiat Prax 2014; 41, Supplement 1: S54–S57 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 1611-8332 Korrespondenzadresse Jutta Muysers LVR-Klinik Langenfeld Kölner Straße 82 40764 Langenfeld [email protected]

Ethische Aspekte der forensischen Psychiatrie eröffnen einen Blick auf ein weit gefächertes Spannungsfeld, in dem sich die einzelnen Anteile sowohl widersprechen als auch ergänzen. Das

Spannungsfeld erstreckt sich vom Täter und der Tat über die Gutachterinnen und Gutachter, die Behandelnden und die Unterbringungsbedingungen bis hin zur Justiz, Politik und Öffentlichkeit, den Opfern und Angehörigen und nicht zuletzt den Medien.

Zitat: „Aber dieses Lächeln war es, was die Berichterstatter des Gerichtssaals am meisten beschäftigt hat. Es mochte ein verlegenes Lächeln sein, oder ein verschlagenes, ein ironisches, heimtückisches, schmerzliches, irres, blutrünstiges, unheimliches: Sie tasteten ersichtlich nach widersprechenden Ausdrücken und schienen in diesem Lächeln nach etwas zu suchen, das sie offenbar in der ganzen redlichen Erscheinung sonst nirgends fanden.“ [1] Die forensische Psychiatrie bewegt sich in einem hochkomplexen Spannungsfeld. Immer geht es um schwere Straftaten, die die Gemüter bewegen, die Öffentlichkeit aufstacheln und die Politik dazu bewegen (unüberlegt) zu handeln. Weitere Akteure, die in diesem Spannungsfeld wirksam sind, sind die Medien, die Justiz, die Gutachterinnen und Gutachter, die Behandelnden und nicht zuletzt die Angehörigen und Opfer. Ein eindrucksvoller, wenn auch sehr einseitiger Einblick in das Geschehen um die forensische Psychiatrie fand im Sommer(loch) 2013 durch den Fall Gustl Mollath statt, womit nun auch die letzte Gruppe der Beteiligten, nämlich die der Täter oder vermeintlichen Täter, benannt ist. Grundsätzlich kann eine Unterbringung in einer forensischen Klinik oder Abteilung erfolgen, wenn jemand eine schwere Straftat begangen hat und chronisch psychisch krank ist, woraus verminderte oder aufgehobene Schuldfähigkeit abgeleitet werden kann. Zusätzlich muss die weiter bestehende Gefährlichkeit beurteilt werden [2]. Es gibt unterschiedliche Regelungen für die Unterbringung süchtiger oder psychisch kranker

Patienten, wobei für Letztere die besondere Problematik gilt, dass es bisher keine zeitliche Begrenzung der Unterbringungsdauer gibt, sondern eine Entlassung an nicht mehr vorhandene Gefährlichkeit gekoppelt ist. Diese Regelung hat zur Folge, dass eine Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug in der Regel länger dauert als eine vergleichbare Strafhaft. Zum eigentlichen Thema ethische Aspekte der forensischen Psychiatrie findet man in der Literatur nur punktuelle Ausführungen. Hier ist zu verweisen auf die rechtliche Würdigung zum Thema Zwangsbehandlung von Marschner [3], nach der die Problematik unzureichender oder nicht vorhandener Regelungen bezüglich der Zwangsbehandlung erstmals im Maßregelvollzug rechtlich infrage gestellt wurde. Weitere Ausführungen zum Thema gibt es aus psychiatrischer Sicht zur Zwangsbehandlung [4, 5], zur Patientenverfügung und zur Einwilligungsfähigkeit [6]. Eine Untersuchung zum Nachteinschluss [7] in forensischen Kliniken diskutiert auch die damit verbundenen ethischen Aspekte und schließlich gibt es die ausführlichen Überlegungen und Gedanken von Robert Musil zu dem Täter Moosbrugger, welche man nicht nur lesen, sondern in einer Hörbuchedition auch eindrucksvoll hören kann [8]. Es sollen hier nun zunächst die einzelnen Spannungsfelder mit ihren jeweils speziellen Implikationen dargestellt werden. Im Anschluss erfolgt der Versuch einer Bewertung dessen, was diese Implikationen für die Praxis forensischer Behandlung bedeuten können.

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Die Tat

Die Unterbringung

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Der Täter (der Anteil untergebrachter Frauen liegt immer noch bei nur ca. 10 % [9]) begeht eine nicht nur aus ethischer Sicht schwerwiegende Handlung, die sich gegen Leib und Leben eines anderen Menschen oder sein Hab und Gut richtet. Entgegen der allgemein verbreiteten Vorstellung sind Sexualstraftaten, sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigungen, aber nur bei 20 % der untergebrachten Patienten vertreten [10]. Der größte Teil sind Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, was auch damit zusammenhängt, dass immer mehr unbehandelte psychisch erkrankte Patienten untergebracht werden, die zuvor aus dem Netz allgemeinpsychiatrischer Versorgung herausgefallen sind [11]. Die Deliktverteilung findet sich in vergleichbarer Form sowohl im Bereich der Unterbringung gemäß § 63 StGB als auch gemäß § 64 StGB.

Wie es dem psychisch kranken, vermindert oder vollständig schuldunfähigen Täter ergeht, konnte der Presse zum Fall Mollath entnommen werden. Tatsächlich ist es ganz oft so, dass Patienten in den Maßregelvollzug aufgenommen werden, die nicht wissen, was (ihnen) im Rahmen der Hauptverhandlung, der Begutachtung und bezüglich der Unterbringung in der Forensik geschehen ist. Dies umso mehr, wenn es sich um einen akut instabilen oder psychotischen Patienten handelt oder um einen intelligenzgeminderten Patienten, der aus völlig anderen Gründen den gesamten Ablauf nur schwer erfassen kann. Allein die Hauptverhandlung bedeutet neben schwer verständlichen Verfahrensabläufen eine Konfrontation mit der Tat, möglicherweise auch mit Opfern und Angehörigen, was für alle Seiten verständlicherweise nicht einfach ist. Hier gilt es, zu Beginn der Behandlung im Maßregelvollzug mit dem Patienten in Kontakt zu treten und über den Weg von Information und Motivationsförderung ein erstes therapeutisches Arbeitsbündnis herzustellen, welches auch dem Patienten den weiteren Weg möglicher Behandlung und auch irgendwann Entlassung aus dem Maßregelvollzug weist. Eine schwierige Erkenntnis ist für die Patienten, dass die Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch unbegrenzt ist. Eine durchschnittliche Behandlung in Nordrhein-Westfalen dauert z. B. derzeit 7,8 Jahre und fast immer wird ein Zeitraum überschritten, der als vergleichbare Haftstrafe verhängt worden wäre [13]. Eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug kann nur erfolgen, wenn keine weitere Gefährlichkeit mehr von dem Patienten ausgeht. Was aber Reduktion der Gefährlichkeit bedeutet, ist für viele Patienten schwer zu verstehen. Es heißt eben, sich mit sich selbst in einem langwierigen und anstrengenden Prozess auseinanderzusetzen und auch in einem zukünftigen Leben außerhalb des Maßregelvollzugs Kontrollen und Restriktionen zu tolerieren. Dagegen steht immer der Wunsch nach Autonomie und Freiheit der Patienten. In diesem besonderen Spannungsfeld spielt sich permanent die therapeutische Arbeit im Maßregelvollzug ab.

Der Täter !

Der Täter ist, wenn er z. B. eine schizophrene Erkrankung hat, oft schon mehrmals in allgemeinpsychiatrischen Behandlungen gewesen, dort meistens nur kurz und ein ambulantes Behandlungsmanagement konnte wegen mangelnder Krankheitseinsicht und mangelnder Behandlungscompliance nicht etabliert werden. Hier stellt sich die sehr kontrovers zu diskutierende Frage, ob die Allgemeinpsychiatrie ihre Behandlungsstrategien verbessern müsste. Und es stellt sich die sehr viel schwerer zu beantwortende Frage, wie eigentlich die freie Willensbildung eines Patienten zu definieren ist, wie sehr diese durch eine psychische Erkrankung beeinträchtigt sein kann. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2012, nach der eine Behandlung gegen den Willen eines Patienten sowohl im Maßregelvollzug als auch in der Allgemeinpsychiatrie nur noch in ganz eng begrenzten Fällen zulässig ist, entstehen mittlerweile besondere Problemlagen. Deutlich wird der in der Behandlung entstehende Konflikt am Beispiel eines medikamentös gut eingestellten schizophren erkrankten Maßregelvollzugspatienten, der sich bereits außerhalb der Klinik im Status eines Dauerurlaubers befindet und sich entscheidet, die medikamentöse Behandlung nicht fortzusetzen. Wenn dann nicht nur ein Zustand erneuter Erkrankung eintritt, sondern auch erneut potentielle Gefährlichkeit entsteht, muss eine erfolgreiche Rehabilitation abgebrochen und der Patient erneut längerfristig stationär behandelt werden oder nicht. Diese Thematik des freien Willens ist auch bei dem norwegischen Attentäter Anders Breivik und bei dem Kannibalen von Rothenburg sehr unterschiedlich von verschiedenen Spezialisten der forensischen Psychiatrie beantwortet worden. Sehr lesenswert ist die Monografie von Klaus Beier [12] über den Letztgenannten, wobei Beier ihm voll erhaltene Schuldfähigkeit attestiert und dies in seinem Buch ausführlich begründet. Nicht alle Psychiaterinnen und Psychiater teilen allerdings die Einschätzung bezüglich der erhaltenen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat. Unabhängig davon stammt der Täter oft aus einer gestörten Primärfamilie und weist häufig Heimkarrieren, Störungen des Bildungs- und Berufswegs und schwere Verhaltensstörungen auf, woraus durchaus ableitbar ist, dass auch externe Faktoren für die Delinquenzentwicklung verantwortlich gemacht werden können.

Die Gutachterinnen und Gutachter und Behandelnden !

Gutachterinnen und Gutachter sowie Behandelnde haben in unserer Gesellschaft einen schwierigen Stand. Offenbar gelingt es so gut wie gar nicht, deutlich zu machen, welche Rolle die sich ausschließlich mit diagnostischen und prognostischen Fragestellungen befassenden Gutachterinnen und Gutachter in einem laufenden Verfahren haben, auch wenn Norbert Nedopil und die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) dazu im Spiegel und in einer Presseerklärung sehr präzise Angaben gemacht haben [14, 15]. Hinsichtlich prognostischer Fragestellungen sind in den letzten 20 Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden, die Voraussagen über erneute Straftaten besser ermöglichen. Aber alle diesbezüglichen Veröffentlichungen scheinen eher Heilserwartungen der Öffentlichkeit und auch der Gerichte an die damit verbundenen Möglichkeiten zu wecken. Wie schwer solche Einschätzungen aber immer noch sind, zeigt die hohe Abbruchrate der untergebrachten süchtigen Straftäter [16], bei denen es im Gegensatz zu der sachverständig beratenen

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juristischen Anordnung in nahezu der Hälfte der Fälle zu einem Behandlungsabbruch und Rückführung in die Haft kommt. Die Behandelnden nun wiederum müssen sich in einem Spannungsfeld zwischen Entsetzen über die begangenen Taten, Bestrafungswünschen und einer gerechten Behandlung des Patienten zurechtfinden. Ein Problem, welches nur durch Teamentwicklungsprozesse, Supervision und gute Führung zu lösen ist. Dass es auch bezüglich der Behandlung erhebliche Fortschritte gegeben hat, die unter anderem Deliktbearbeitung, Lockerungsprognosen und Verhinderung von Rückfällen durch ambulante forensische Nachsorge beinhalten, ist genauso wenig kommunizierbar wie die oben beschriebene Rolle der Gutachterinnen und Gutachter.

Die Politik !

Die Politik hat sich um den Maßregelvollzug bisher nicht sehr gekümmert bzw. viel dafür getan, dass Gesetzesverschärfungen die Aufenthaltsdauern im Maßregelvollzug verlängert haben. Es wird damit eine Wertehaltung vorgegeben, die allzu gerne von der breiten Masse geteilt wird. Am eindrucksvollsten hat dies unser Altbundeskanzler mit der Forderung, Sexualstraftäter für immer wegzusperren, demonstriert. Ob solche Maßnahmen rechtens oder gar sinnvoll sind, will dann schon niemand mehr wissen. Die Politik hat auch dafür gesorgt, dass Hochsicherheitstrakte mit Nachteinschluss und Überwachungskanzeln statt psychiatrischer Behandlungskliniken entstanden sind, und sie hat dafür gesorgt, dass in einigen Regionen keine eigenständigen Lockerungen gewährt werden dürfen, obwohl Lockerungen gesetzlich vorgeschrieben sind [17]. Die Stichtagserhebungen im Maßregelvollzug [18] ergeben dem entgegenstehend extrem geringe Komplikationsraten im Sinne von Entweichungen bei gewährten Lockerungen (unter 2 % der gewährten Lockerungen) und noch geringere Rückfallquoten in erneute Delinquenz (unter 10 % der Entweichungen). Die Untersuchung zum Nachteinschluss, die die Klinik in Reichenau durchgeführt hat, zeigt, dass mittlerweile fast die Hälfte der Kliniken in der Bundesrepublik zumindest teilweise nachts die Patienten einschließen. Begründet wird dies mit Sicherheitsregelungen oder Möglichkeiten der Personaleinsparung. Aus psychiatrisch-ethischer Sicht stellt sich aber die Frage, ob es sich hier nicht um eine zusätzliche Absonderungsmaßnahme handelt, die quasi individuell und für jede Nacht mit einer ärztlichen therapeutischen Begründung angeordnet werden müsste. Hinzu kommt, dass zu bezweifeln ist, ob eine solche Maßnahme geeignet zur Versorgung, insbesondere akut schizophren erkrankter Patienten, ist. Die Politik machte kurz vor der Wahl 2013 eine Rolle rückwärts und forderte mit einer Reform des Maßregelvollzugs verkürzte Übergangsfristen und Begrenzung der maximalen Unterbringungsdauer. Die neue Bundesregierung hat zumindest angekündigt, sich mit der Thematik auch weiterhin zu beschäftigen, was seitens der mit der forensischen Psychiatrie befassten Experten ausdrücklich begrüßt wird.

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Die Medien !

Die Medien haben es geschafft, dass alle glauben, Sexualstraftaten und insbesondere auch Sexualmorde würden zunehmen, dass alle glauben, Gustl Mollath und viele andere seien zu Unrecht im Maßregelvollzug untergebracht, dass Gutachterinnen und Gutachter in Gerichtsverfahren Entscheidungen treffen etc. – fast nichts davon stimmt.

Die Justiz !

Auch die Justiz befindet sich zum Thema Maßregelvollzug beständig in einem kaum zu lösenden Spannungsfeld. Richterinnen und Richter sollen gerecht sein und Recht sprechen und sie müssen sich frei machen von eigenem Entsetzen über die Straftat. Richterinnen und Richter müssen entscheiden, ob sie den Sachverständigen folgen, ob eine Unterbringung notwendig ist oder eine Zwangsbehandlung. Rechtsanwälte versuchen, das Beste für ihre Mandanten zu erzielen, verzögern den Prozessverlauf und raten ihren Mandanten, nichts zu sagen. Ob sie damit am Ende immer das Beste für ihre Mandanten erreichen, bleibt manchmal fraglich.

Die Angehörigen und die Opfer !

Zuletzt sei die Gruppe derjenigen erwähnt, die in dem ganzen Geschehen eher weniger zur Sprache kommen, die aber mit den Folgen einer Straftat sehr lange zu kämpfen haben. Während Opfer mittlerweile mehr Anrecht auf Hilfestellung und Unterstützung haben, sind die Angehörigen von Tätern immer noch allein mit ihren Erklärungsnöten, dem Unverständnis über die Tat und Scham- und Schuldgefühlen. Wie findet man sich damit zurecht, plötzlich in einem Besuchszimmer einer forensischen Klinik seinem Sohn gegenüberzusitzen, der ein Kind missbraucht hat? Opfer hingegen müssen ebenfalls einen Überlebensweg finden und mit Bewältigungsmechanismen, Ängsten und Rachegefühlen leben, auch mit der permanenten Angst, dass der Täter eines Tages wieder Ausgang bekommen könnte oder entlassen wird.

Abschließende Bemerkung !

Die forensische Psychiatrie beinhaltet viele Aspekte, die aus ethischer Sicht betrachtet werden können. Es handelt sich hier immer um Grenzbereiche des menschlichen Handelns im Sinne von gewaltsamen Handlungen, Grenzüberschreitungen gegenüber anderen Menschen und rücksichtslosem Verhalten mit der Folge der Unterbringung eines nicht schuldfähigen Täters. Der psychisch kranke Straftäter, der weiterhin als gefährlich eingeschätzt wird, wird dann in eine geschlossene forensisch-psychiatrische Einrichtung eingewiesen und soll dort behandelt werden. Behandlung aber bedeutet, dass der Patient sich verändern oder auch Kontrolle über innerste oder intime Wünsche erlangen muss [19]. Nur wenn er dazu bereit ist, kommt er im Behandlungsprozess voran, darf auf Lockerungen und irgendwann auf Entlassung hoffen, denn nur so wird er für die Behandler auch bezüglich seiner weiter bestehenden Gefährlichkeit einschätzbar. Für die Behandler geht es darum, trotz des eigenen Erschreckens über die Straftat „den Patienten“ zu sehen und diesem den Weg des Veränderungsprozesses zu weisen, was bei einem oft fehlen-

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Konsequenzen für Klinik und Praxis

▶ Die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit tragen viel zu einer verzerrten Wahrnehmung des Maßregelvollzugs bei.

▶ Behandelnde im Maßregelvollzug sind somit einem hohen Druck von außen ausgesetzt. Diesen gilt es zu beachten, um nicht in Bestrafung statt Behandlung zu verfallen. ▶ Respekt vor den Patientinnen und Patienten sowie die Beachtung ethischer Aspekte unterstützen neben Fortbildung und Supervision die Orientierung in der Behandlung.

Interessenkonflikt !

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Abstract

Ethical Aspects of Forensic Psychiatry !

Ethical aspects of forensic psychiatry disclose a tension between complementary and conflicting issues. The field of tension extends from offenders and their criminal offence to experts, therapists and conditions of inpatient treatment. In addition, there are legal and political aspects as well as aspects concerning the public, the victims and their next of kins and finally the media.

Literatur 1 Musil R. Der Mann ohne Eigenschaften. Band 1 und 2. Reinbek: Ernst Rowohlt-Verlag; 1931 2 Weigand T. Strafgesetzbuch. 51. Auflage 2013. München: dtv-Verlag; 2013: §§ 20, 21, 63, 64 3 Marschner R. Aktuelles zur Zwangsbehandlung. Recht Psychiatrie 2011; 29: 160 – 167 4 Prüter-Schwarte C. Autonomie und Fürsorge im Maßregelvollzug. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2012; 6: 201 – 207 5 Zinkler M. Legal regulation of coercion in psychiatry – a task for the professional association? Psychiat Prax 2013; 40: 115 – 116 6 Vollmann J. Patientenverfügungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Nervenarzt 2012; 83: 25 – 30 7 Bulla J. Nachteinschluss. Werkstattschriften forensische Psychiatrie 2012; 19: 204 – 214 8 Musil R. Der Mann ohne Eigenschaften. remix, audio-book, mp3; herausgegeben von Katharina Agathas und Herbert Kapfner. München: der Hörverlag; 2013 9 LVR. Ausgewählte Daten im Maßregelvollzug. Verteilung nach Geschlecht. Interne Datenerhebung. LVR; 01.09.2012 10 Piontek K, Kutscher S. Straffälligkeit schizophrener Patienten – Überraschende Anlasstat aus dem Nichts. In: Saimeh N, Hrsg. Kriminalität als biografisches Scheitern. Bonn: Psychiatrie-Verlag; 2010: 85 – 95 11 LVR. Ausgewählte Daten im Maßregelvollzug. Deliktverteilung 2012. Interne Datenerhebung. LVR; 01.09.2012 12 Beier KM. Sexueller Kannibalismus, sexualwissenschaftliche Analyse der Anthrophagie. 1. Auflage. München: Elsevier; 2007 13 LVR. Ausgewählte Daten im Maßregelvollzug. Bestandsverweildauer 2011. Interne Datenerhebung 14 Lakotta B, Meyer C. Besser als Gefängnis (Interview mit Prof. Nedopil N). Der Spiegel 2013; Nr. 35: 44 – 46 15 Müller JL, Falkai P, Schneider F et al. Psychiatry caught between emergency response and therapy: compulsory treatment following the jurisprudence of the federal constitutional court and the federal supreme court. Psychiat Prax 2013; 40: 365 – 367 16 von der Haar R. Ergebnisse der bundesweiten Erhebungen. Bad Rehburg: Eigendruck; 2011: 2009 17 Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes NordrheinWestfalen. MRVG NRW. § 18,1. Im Internet: www.recht.nrw.de (Stand: 23.01.2014) 18 Leipziger K. Ergebnisse der bundesweiten Erhebungen 2009. Bayreuth: Eigendruck; 2010 19 Armgart C, Schaub M, Hoffmann K et al. Negative emotions and understanding – patientsʼ perspective on coercion. Psychiat Prax 2013; 40: 278 – 284 20 Minder M. Sprüche; Gedichte. Im Internet: www.monika-minder.ch (Stand: 23.01.2014) 21 Wentscher E. Grundzüge der Ethik. Leipzig, Berlin: B. G. Teuber; 1913

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den Leidensdruck des kranken Straftäters, viel motivationsfördende Arbeit notwendig macht. Hinzu kommen die langen Jahre der Behandlung, meistens sehr langsame Prozesse bei komplexen Störungsbildern und auch immer wieder Rückschläge und Rückfälle der Patienten in alte und potenziell erneut gefährliche Verhaltensweisen. Dies alles gilt es auszuhalten und dennoch motiviert zu bleiben, genau wie es von den Patienten gefordert wird. Wenn dann noch eine durch entsprechende Medienberichte verstörte Öffentlichkeit und die manchmal überschnelle Reaktion der politischen Vertretungen auf das Behandlungssystem einwirken und immer mehr Sicherheit fordern, wird es immer schwerer, den Patienten gerecht zu werden. Fortbildungen, Supervision, Teamentwicklungsprozesse sind unentwegt notwendig, um die eigene wertfreie Haltung in dem aufgezeigten Spannungsfeld aufrechtzuerhalten. Die Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten von Gewalt, Behandlung gegen den Willen eines Patienten, den Folgen einer langjährigen geschlossenen Unterbringung und den Freiheitsrechten, aber auch Schutzbedürfnissen der Menschen hilft dabei. Die Ethik im Blick zu halten – so wie dies Monika Minder [20] beschrieben hat: „Ethik heißt vor allem, verantwortlich Denken und Handeln für alles was lebt“, ist die schwierigste Aufgabe der Behandlungsteams im psychiatrischen Maßregelvollzug. Else Wentscher [21] verweist auf die Verantwortung jedes Einzelnen in der Gesellschaft: „Die Ethik gibt uns nur die Maßstäbe, die höchsten Werte und Ziele der Sittlichkeit, die einzelne Gestaltung stellt sie dem individuellen Ermessen anheim.“

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[Ethical aspects of forensic psychiatry].

Ethical aspects of forensic psychiatry disclose a tension between complementary and conflicting issues. The field of tension extends from offenders an...
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