648

Fokus

Ether Day – no laughing matter

Die Geburtsstunde der modernen Anästhesie

Seit Jahrzehnten wird der 16. Oktober 1846 weltweit als „Ether Day“ gefeiert: An diesem Tag führte William Thomas Green Morton am Massachusetts General Hospital in Boston die erste öffentliche Äthernarkose durch. Die Kunde dieser segensreichen Methode verbreitete sich rasch über alle Kontinente. Doch schon kurz nach den ersten erfolgreichen Äthernarkosen brach auch ein jahrelanger erbitterter Patent- und Prioritätsstreit aus, der diese wichtige Entdeckung überschattete. Dennoch gehört die Äthernarkose bis heute zu einer der bedeutendsten medizinischen Entdeckungen der letzten Jahrhunderte. Richtungsweisende Publikation Das New England Journal of Medicine (NEJM; bis 1928 noch Boston Medical and Surgical Jounal) feierte vergangenes Jahr seinen 200. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums befragten die Redakteure der renommierten Zeitschrift ihre Leserschaft nach der deren Meinung nach medizinisch bedeutendsten Entdeckung in diesen 2 Jahrhunderten. Das Ergebnis war nicht überraschend: Die Mehrheit der Leser Abb. 1 Titelseite der richtungweisenden Publikation von Henry Jacob Bigelow, durch welche die Entdeckung der modernen Anästhesie weltweit bekannt wurde.

Bildnachweis: Michael Goerig

wählte die am 18. November 1846 von dem amerikanischen Chirurgen Henry Jacob Bigelow (1818–1890) im Journal veröffentlichte Mitteilung „Insensibility during surgical operations produced by inhalation“ zur wohl bemerkenswertesten Publikation in der 200-jährigen Geschichte des Journals [1, 2] (q Abb. 1). In diesem Artikel beschreibt Bigelow die erstmals am 16. Oktober 1846 am Massachusetts General Hospital in Boston öffentlich durchgeführte Äthernarkose durch den Zahnarzt William Thomas Green Morton (1819–1868). Und das Ereignis, das seit 1896 als „Ether Day“ gefeiert wird, war in der Tat historisch. Denn mit der Einführung der Narkose wurde ein lang ersehnter Menschheitstraum Wirklichkeit: die Möglichkeit einer schmerzfreien Operation, ohne dass der Patient diese bewusst miterlebt [2].

„No laughing matter“ Anlässlich des diesjährigen Ether Day möchten die Autoren an einige der bekannten und weniger bekannten Geschehnisse erinnern, die mit der Einführung der modernen Anästhesie verbunden waren. Dabei zeigt sich, dass diese nicht immer als ein „laughing matter“ beschrieben werden können: Schon bald nach den ersten erfolgreichen Äthernarkosen wurde die segensreiche Entdeckung von Patent- und Prioritätsstreitereien überschattet, die in den Gazetten und vor Gerichten ausgetragen wurden. Daher ist Bigelows Schilderung über die Entdeckung der anästhetischen Eigenschaften des Äthers ein klassisches Beispiel dafür, dass Urheberrechte und Prio-

ritätsansprüche zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen am besten durch Publikationen gewahrt bleiben ̶ gemäß einer alten Erkenntnis: „Wer schreibt, der bleibt“.

Operieren vor dem Ether Day



Schmerzvoll und nicht ungefährlich Bis zum 16. Oktober 1846 gab es kaum Hoffnung auf eine schmerzlose Chirurgie. Der Operationsschmerz schien unvermeidlich und unüberwindbar. Darum musste extrem schnell gearbeitet werden und kräftige Gehilfen mussten während der Eingriffe ein Aufbäumen und die natürlichen Abwehrbewegungen der Patienten verhindern. Das rasche Operieren ohne Narkose war auch für die Assistenten nicht ungefährlich, wie eine zeitgenössische Schilderung über den berühmten Londoner Chirurgen Sir Robert Liston (1794–1847) belegt: „Liston operierte so schnell, dass er einmal versehentlich einen Finger des Assistenten zusammen mit dem Bein des Patienten amputierte. Der Patient und der Assistent verstarben beide an Sepsis und ein Zuschauer verstarb Berichten zufolge am Schock, woraus sich der einzig bekannte Eingriff mit einer 300 %-Mortalität ergibt.“ [1] Erfolglose Versuche der Schmerzbekämpfung Ärztegenerationen ließen daher nichts unversucht, dem Patienten vor operativen Eingriffen die Schmerzen durch Verabreichung der verschiedensten Mittel zu nehmen ̶ meist jedoch ohne Erfolg. Glücklicherweise gab es jedoch zahllose Forscher, die sich mit dieser hoffnungslos erscheinenden Situation nicht abfinden konnten und neue Wege der Schmerzbekämpfung versuchten. Zu ihnen zählte auch der Bostoner Zahnarzt William Thomas Green Morton.

Goerig M, Wulf H. Ether Day – no laughing matter – Die Geburtsstunde der modernen Anästhesie. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 648–651

Heruntergeladen von: Collections and Technical Services Department. Urheberrechtlich geschützt.

Michael Goerig, Hinnerk Wulf

Fokus



Erste geheime Selbstversuche Morton hörte in Vorlesungen bei dem Chemiker und Geologen Charles Thomas Jackson (1805–1880) von Selbstversuchen mit Äther, die zu einer vorübergehenden Anästhesie geführt hätten. Morton erkannte umgehend die Tragweite dieser Äußerungen von Jackson und begann heimlich in seiner häuslichen Umgebung mit umfangreichen Selbstversuchen, um sich ein eigenes Bild über das Gehörte zu verschaffen. Morton verschwieg diese Versuche gegenüber jedermann und versuchte, durch Kontaktaufnahme mit verschiedenen Ärzten und Chemikern alle erdenklichen Informationen über Äther in Erfahrung zu bringen [3].

Erste Anwendung am Patienten Nach zahlreichen weiteren Selbstversuchen schließlich wagte Morton die Ätherinhalation bei einem Patienten für die Entfernung eines Zahns. In Gegenwart zweier Gehilfen gelang ihm am 30. September 1846 die schmerzfreie Zahnentfernung, die sich Morton von dem Patienten, einem gewissen Ebenezer Rajesh Frost (1824– 1866), umgehend bestätigen ließ: „Hiermit bestätige ich, dass ich heute Abend um 9 Uhr Dr. Morton aufsuchte, weil ich unter schrecklichen Zahnschmerzen litt. Ich bestätige, dass Dr. Morton sein Taschentuch hervorzog, dies mit einem von ihm bereiteten Mittel durchtränkte, um dann in Schlaf zu verfallen. Ich war wieder augenblicklich wach und sah meinen Zahn auf dem Boden liegen. Ich verblieb noch 20 Minuten in seinem Sprechzimmer und verspürte keine unangenehmen Nachwirkungen der Operation“ [4, 5].

Erster Kontakt mit Bigelow Durch den obenstehenden Zeitungshinweis wurde der bei dem renommierten Chirurgen John Collins Warren (1778–1856) am Massachusetts General Hospital arbeitende Henry Jacob Bigelow (1818–1890) auf Morton aufmerksam. Er besuchte ihn in seiner Zahnarztpraxis und wohnte dort zahlreichen Ätheranwendungen bei. Morton führte diese nahezu täglich durch, denn er wollte weitere Erfahrungen im Umgang mit seinem betäubenden Mittel sammeln, bevor er sein schmerznehmendes Verfahren öffentlich vorzuführen gedachte. So vorbereitet wollte er unbedingt ein Scheitern vermeiden, das seinem früheren Kollegen Horace Wells (1815–1848) widerfahren war: Dieser musste am 25. Januar 1845 nach einer misslungenen Lachgasanwendung unter dem Humbug-Hohngeschrei den Hörsaal des Massachusetts General Hospital verlassen [10]. Einladung an das Massachusetts General Hospital Bigelow informierte umgehend den gegenüber medizinischen Neuerungen immer aufgeschlossenen Warren über das Erlebte. Dieser ließ anschließend Morton das folgende, am 14. Oktober 1846 von Charles Frederick Heywood (1823–1893) verfasste Schreiben zukommen: „Sehr geehrter Herr, ich schreibe auf Veranlassung von Dr. J. C. Warren und lade Sie ein, am Freitagmorgen um zehn Uhr bei uns im Krankenhaus zu erscheinen, um an einem Patienten, der operiert werden soll, die Betäubung mit dem Mittel durchzuführen, das Sie zur Schmerzlinderung erfunden haben.“ [11, 12]

Ether Day

Erwähnung in der Tageszeitung Am nächsten Tag erschien in der Tageszeitung „Boston Daily Journal“ eine von Morton lancierte und von dem Journalisten Albert G. Tenney verfasste kurze Mitteilung über diese schmerzlos durchgeführte Zahnentfernung mit folgendem Inhalt: „Am vergangenen Abend wurde, wie uns ein Gentleman berichtete, der Zeuge des Ereignisses wurde, ein kranker Zahn aus dem Munde eines Menschen entfernt, ohne dass der Betreffende den geringsten Schmerz verspürte. Der Patient wurde in eine Art Schlaf versetzt, indem er ein Mittel einatmete, dessen Wirkung etwas drei Viertel Minuten anhielt, gerade lang genug, um den Zahn zu entfernen. Der Gentleman, der das Mittel entdeckte, versichert, dass der Gebrauch völlig ungefährlich sei.“ [7–9] (q Abb. 2).



Schlechter Start Für Morton begann dieser Freitag nicht besonders gut: Der Bostoner Instrumentenmacher Nathan B. Chamberlain hatte den Inhalationsapparat, mit dem Morton seine Erfindung zum ersten Male öffentlich demonstrieren wollte, erst in der Nacht fertig gestellt. Morton eilte daher unter Zeitdruck in den gut besuchten Hörsaal des Massachusetts General Hospital. Dort wartete schon Warren mit dem Patienten und dachte daran, die „Operation Bell“ zu bedienen, um die Wärter zu rufen, die den Patienten festhalten sollten [4, 10]. Das Gerücht von der bevorstehenden Demonstration eines neu entdeckten schmerznehmenden Mittels durch den in Boston praktizierenden Zahnarzt hatte

Bildnachweis: Michael Goerig

Abb. 2 Die am 1. Oktober 1846 im Boston Daily Journal erschienene Kurzmitteilung über eine schmerzlose Zahnextraktion durch W. T. G. Morton, die durch Inhalation einer „preparation“ möglich geworden war.

sich rasch unter den Medizinern herumgesprochen.

Große Skepsis unter den Anwesenden Während man noch auf die Ankunft von Morton wartete, teilte Warren dem skeptisch eingestellten Auditorium mit, ein Gentleman sei an ihn mit dem „erstaunlichen Anspruch [herangetreten], einen zur Operation vorgesehen Patienten schmerzfrei zu machen […] Da Mr. Morton nicht gekommen ist, vermute ich, dass er anderweitig beschäftigt ist“ [4]. Kaum hatte Warren diese Worte an das Auditorium gerichtet, betrat Morton den Hörsaal in Begleitung des durch die Einatmung seines Mittels erstmals erfolgreich behandelten Patienten Frost. In seinen Händen hielt er den fertig gestellten Inhalationsapparat (q Abb. 3) und erkundigte sich bei dem Patienten Gilbert Abbott (1825–1855) nach dessen Befinden. Vorbereitung der Narkose Bevor Morton mit der Narkose begann, versuchte er, den Kranken durch gutes Zureden zu beruhigen. Auch der anwesende Frost versicherte dem Patienten, dass das von Morton verwendete Mittel hochwirksam und Abb. 3 Replik der am 16. Oktober 1846 von W. T. G. Morton verwendeten Ätherkugel. In der Glaskugel befand sich ein mit Äther durchtränkter Meeresschwamm („Spongia somnifera in vitro“).

Replik der Ätherkugel

Bildnachweis: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. med. Dr. mult. h. c. Horst Stoeckel, Bonn

Goerig M, Wulf H. Ether Day – no laughing matter – Die Geburtsstunde der modernen Anästhesie. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 648–651

Heruntergeladen von: Collections and Technical Services Department. Urheberrechtlich geschützt.

Wie kam es zum Ether Day?

649

Fokus

Das Geheimnis um das Mittel Noch am gleichen Tag wurde Morton u. a. von dem Operateur gefragt, um welches Mittel es sich denn handeln würde, mit dem der Patienten betäubt worden war. Denn Warren hielt es für seine Pflicht, dieses schmerznehmende Mittel allen Patienten bei Operationen zu verabreichen [7]. Zur Überraschung aller aber wollte Morton dieses nicht bekanntgeben. Er erklärte sich jedoch bereit, das für eine Patentierung anstehende Mittel Krankenhäusern auf Anfrage gegen eine Gebühr zur Verfügung zu stellen. Warren war über dieses Verhalten sichtlich irritiert und vermied zunächst weitere Kontakte zu Morton.

Bildnachweis: Michael Goerig

Abb. 4 Reklameschrift für Äther mit historischem Bezug zum 16. Oktober 1846, um 1941.

gefahrlos sei. Vor allem werde er aber durch Einatmung dieses Mittels keine Schmerzen verspüren. Morton fragte den Patienten noch „Haben sie Furcht?“ und als Abbott dieses verneinte, begann Morton damit, den Kranken den mit einer intensiv riechenden Orangenöl-Essenz versetzten Äther aus seinem Apparat einatmen zu lassen [4, 13]. Neugierig und zugleich misstrauisch verfolgte das Auditorium das Geschehen.

„Gentlemen, this is no humbug“ Als der Patient das von Morton als „preparation“ bezeichnete Mittel mehrere Minuten lang eingeatmet hatte und eingeschlafen war, wandte Morton sich an den Operateur: „Dr. Warren, ihr Patient ist bereit“. Alle Augen waren nun auf Warren gerichtet, als dieser mit der Operation begann und den Eingriff ohne erkennbare Schmerzensäußerungen des Patienten durchführen konnte. Fassungslos über das soeben Geschehene wandte sich Warren, das blutverschmierte Messer noch in der rechten Hand, mit erhobener Stimme mit den uns überlieferten Worten an die noch in Erstaunen und Schweigen versunkenen Zuhörer und sagte in Anspielung auf Wells gescheiterte Lachgasanwendung: „Gentlemen, this is no humbug“ [11, 13] (q Abb. 4). Ein nicht enden wollender Donner des Beifalls erfüllte den Hörsaal und der als Zuschauer im Auditorium sitzende Henry Jacob Bigelow wandte sich einem Bekannten zu und meinte: „Heute habe ich etwas gesehen, was die Runde um die Welt machen wird“ [4]. Er sollte Recht behalten.

Front gegen Morton Anfang November jedoch erbat Warren Mortons Hilfe für eine „capital operation“. Als Morton am 7. November zu der vorgesehenen Oberschenkelamputation erschien, lehnte der Operateur George Hayward (1791–1863) allerdings zur großen Überraschung von Morton die Narkosedurchführung durch ihn in Gegenwart des versammelten Auditoriums im Massachusetts General Hospital ab ̶ es sei denn, Morton würde die genauen Bestandteile seines schmerznehmenden, von ihm als „Letheon“ bezeichneten Mittels (auch als „preparation“, „new agent“ oder „etheral vapour“ umschrieben) bekannt geben. Denn dies würde den am hiesigen Krankenhaus praktizierten Gepflogenheiten entsprechen. Die genaue Kenntnis des Mittels sei auch deshalb erforderlich, um abzuschätzen, ob nicht mit dessen Anwendung weitere Gefahren für den Patienten verbunden seien. Nicht nur Hayward, sondern das gesamte Ärztegremium des Krankenhauses machten Morton deutlich, dass er keine weiteren Anwendungen mehr durchführen dürfe [7, 13].

preisgab. Nach anfänglichem Zögern informierte auch Morton die versammelten Ärzten darüber, dass es sich bei seiner verwendeten Substanz um Äther handeln würde ̶ unter der Bedingung einer vorläufigen Geheimhaltung wegen der bereits durch ihn zusammen mit Jackson erfolgten Patentanmeldung No. 4848.

Endgültiger Durchbruch Da mit diesen Angaben alle an Morton gestellten Forderungen erfüllt worden waren, stand einer erneuten Anwendung des Mittels durch Morton am Massachusetts General Hospital nichts mehr entgegen [14, 15]. Schon wenig später durfte Morton den Hörsaal betreten, um die 20-jährige Alice Mohan für die vorgesehene Oberschenkelamputation zu narkotisieren. Als sie nach der mehr als halbstündigen Operation aufwachte und glaubhaft versicherte, nichts von der Amputation verspürt zu haben, hatte Morton alle mit seinem schmerznehmenden Mittel überzeugt, und wie bereits am 16. Oktober erfüllte ein nicht enden wollender Sturm der Begeisterung den Hörsaal [9, 11]. Es war diese Narkose, die Morton zu einem berühmten Mann und Nationalhelden werden ließ. Denn erst nach dieser Demonstration der gelungenen Äthernarkose berichteten Zeitungen ausführlich über das Geschehene. Hinzu kommt, dass Morton erst an diesem Tag das Geheimnis seines zuvor auch als „Nostrum“ bezeichneten Mittels gelüftet und mitgeteilt hatte, dass es sich in Wirklichkeit um Schwefeläther handeln würde. Vor dem Hintergrund dieser zeitlichen Abläufe und der Bekanntgabe einer Ätheranwendung sollte eigentlich der 7. November und nicht der 16. Oktober als „Ether Day“ gefeiert werden.

Siegeszug um die Welt

Vermittlungsversuche Für diese Haltung hatte Bigelow, der zahlreichen Narkosen Mortons beigewohnt hatte und von der segensreichen Wirkung des Mittels überzeugt war, wenig Verständnis. Er bemühte sich, einen Kompromiss zwischen allen Beteiligten zu erzielen. Bigelow stellte klar, dass es nicht um die Etikette ginge, sondern eine Frage der Humanität sei, der schmerzgeplagten Menschheit zu helfen. Diese Argumentation überzeugte Mortons Widersacher. Hinzu kam, dass Warren den im Hörsaal Versammelten aus einem an ihn gerichteten Brief Mortons vorlas, in dem dieser die Natur des Mittels, den Schwefeläther,



Wissenschaftliche Publikation durch Bigelow Am 9. November, 3 Wochen nach Mortons erster öffentlichen Demonstration der Äthernarkose am Massachusatts General Hospital, berichtete Bigelow vor Mitgliedern der „Boston Society of Medical Improvement“ über das neue schmerznehmende Verfahren und schilderte in seiner Publikation „Insensibility during surgical operation produced by inhalation“ die neue Methode und die sich dadurch eröffnenden Möglichkeiten für die Chirurgie [16]. Bereits eine Woche später erschien im Boston Medical and Surgical Journal (heute NEJM) seine um-

Goerig M, Wulf H. Ether Day – no laughing matter – Die Geburtsstunde der modernen Anästhesie. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 648–651

Heruntergeladen von: Collections and Technical Services Department. Urheberrechtlich geschützt.

650

Fokus

Verbreitung in Europa Exemplare der Zeitschrift und Berichte aus Tageszeitungen gelangten in nahezu 20 voneinander unabhängigen Sendungen mit Postschiffen nach Europa, wo die Fach- und Laienpresse davon sofort Kenntnis erhielt und zur raschen weiteren Verbreitung beitrug. Beispielhaft sei hier die Zeitschrift „Lancet“ angeführt, die allein im 1. Halbjahr 1847 mehr als 122 Artikel über die zunächst von Skeptikern als “Yankee Erfindung“ bezeichnete Entdeckung publizierte [15, 16]. Im deutschsprachigen Raum veröffentlichte die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ am 1. Januar 1847 eine vollständige Übersetzung des von Bigelow verfassten Artikels und machte die segensreiche Entdeckung bekannt, sodass es schon am 24. Januar 1847 in Leipzig und Erlangen zu ersten Ätheranwendungen in Deutschland kam [4]. Die „Anästhesie“ bekommt ihren Namen Die vielerorts publizierten Beiträge Bigelows inspirierten Oliver Wendell Holmes (1809–1894), Professor der Anatomie und Physiologie am Dartmouth College, Hanover, New Hampshire, sich Gedanken zur Benennung dieses durch Äther hervorgerufenen Zustands der Schmerzlosigkeit zu machen. Am 21. November 1846 richtete er daher folgenden Brief an Morton: „Bei einer großen Entdeckung möchte jedermann die Hand im Spiel haben. Meiner Ansicht nach sollte ‚Anaesthesia‘ für diesen Zustand gewählt werden […] Als Adjektive würde ‚anaesthetisch‘ in Frage kommen […] In diesem Zusammenhang ist es vielleicht erlaubt, […] auch anaesthesierendes Mittel zu sagen. Die Worte anti-neurisch, aneurisch, neuro-leptisch, Neurolepsie, Neurostase besitzen vielleicht einen zu sehr anatomischen Charakter […] Ich werde versuchen, […] Dr. Bigelow sen. zu fragen, ehe ich die Begriffe endgültig formuliere, da diese ja wohl in die Sprachen aller zivilisierten Rassen der Menschheit übernommen werden.“ [11, 16] Als Morton dieser Brief erreichte, hatte die Narkose den Siegeszug um die Welt bereits angetreten.

W. T. G. Morton ̶ eine umstrittene Persönlichkeit



Glorreicher Entdecker oder skrupelloser Geschäftsmann? Trotz seiner unbestreitbaren Verdienste bei der Einführung der Äthernarkose war Morton schon zu Lebzeiten eine umstrittene Persönlichkeit [13, 17]. Es wurden Fragen gestellt: Hatte Morton als zielgerichtet arbeitender Wissenschaftler die anästhesierende Wirkung des Äthers entdeckt oder war er ein skrupelloser Geschäftsmann, der sich mit seiner Endeckung finanzielle Vorteile verschaffen wollte, als er den Äther als „Letheon“ bezeichnete und zusammen mit Jackson patentieren ließ [18]? Wer war der Erste? Hinzu kam, dass kurz nach den ersten erfolgreichen Äthernarkosen ein erbitterter Streit zwischen Morton, Jackson und Wells entbrannte, wer der eigentliche Entdecker der schmerznehmenden Eigenschaften des Äthers gewesen war. Eine Diskussion, zu der sich sicherlich auch der bereits 1829 verstorbene englische Chemiker Humphry Davy (1778–1829) geäußert hätte [4, 5, 19]. Jackson und Wells teilten dieses Schicksal mit dem in Georgia arbeitenden praktischen Arzt Crawford Williamson Long (1815–1878). Dieser hatte bereits am 30. März 1842 bei James L. Venable Äther zur Schmerzbekämpfung angewandt. Wie aber schon Wells hatte es auch Long versäumt, seine Erfahrungen publik zu machen [19]. Erst als in der Öffentlichkeit und in Gazetten die Prioritätsstreitereien um die Entdeckung der narkotischen Eigenschaften des Äthers zwischen Morton, Jackson und Wells diskutiert wurden, berichtete Long auf Drängen von Kollegen in einem 1849 publizierten Artikel über die Jahre zuvor gemachten Erfahrungen [20, 21]. Kein glückliches Ende Longs Veröffentlichung führte nicht zur Beendigung der jahrelang vor Gericht ausgetragenen Streitereien. Sie ruinierten Morton derart, dass er im Juli 1868 völlig mittellos verstarb [11, 14]. Nach Mortons Tod veranlasste sein langjähriger Weggefährte Bigelow, dass auf dem heute noch erhaltenen Grabstein Mortons die folgende Inschrift angebracht wurde: „Inventor and revealer of anesthesia inhalation“ [22].

Auch die Bürger der Stadt Boston wussten um die Bedeutung seiner Person und errichteten ihm zu Ehren das im Boston Public Garden stehende „Ether Monument“ mit folgender Inschrift auf dem Sockel: WILLIAM T. G. MORTON „Erfinder und Entdecker der anästhetischen Inhalation. Vor welchem Chirurgie war Agonie. Durch welchen der Schmerz des Messers verhütet und vernichtet wurde. Seit welchem der Wissenschaft die Herrschaft über den Schmerz gehört“ [23].

PD Dr. med. Michael Goerig ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf ist Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg und gehört zum Herausgeberteam der AINS. Er ist Landesvorsitzender der DGAI Hessen. E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Danksagung Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. med. A. E. Goetz, Hamburg, und Herrn Dr. med. C. Nemes, Überlingen, für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Literatur online Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.

Beitrag online zu finden unter http://dx. doi.org/10.1055/s-0033-1358630

Goerig M, Wulf H. Ether Day – no laughing matter – Die Geburtsstunde der modernen Anästhesie. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48: 648–651

Heruntergeladen von: Collections and Technical Services Department. Urheberrechtlich geschützt.

fassende Darstellung des Erlebten, wodurch er zum ersten Autor einer wissenschaftlichen Publikation der Äthernarkose wurde und die narkotischen Eigenschaften des Äthers letztendlich bekannt machte [2].

651

[Ether Day--no laughing matter. The birth of modern anaesthesia].

Since centuries the first public demonstration of the anaesthetic properties of ether by William Thomas Green Morton at the Massachusetts General Hosp...
2MB Sizes 0 Downloads 0 Views