486 Originalarbeit

Fehlermeldungen aus Sicht stationär Pflegender: Ergebnisse einer Befragung in Pflegeheimen und Krankenhäusern

Autoren

H. Cramer1, R. Foraita2, M. Habermann3

Institute

1

Zentrum für Pflegeforschung und Beratung, Hochschule Bremen, Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld 2 Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS, Universität Bremen, Bremen 3 Zentrum für Pflegeforschung und Beratung, Hochschule Bremen, Bremen

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

Ziel der Studie: Es sollten Erkenntnisse zu Fehlermeldungen aus Sicht von Pflegenden in stationären Einrichtungen generiert werden. Methode: Eine schriftliche Befragung von in deutschen Pflegeheimen und Krankenhäusern angestellten Pflegekräften wurde durchgeführt. Ergebnisse: Die 1 100 Teilnehmer haben in einem halben Jahr durchschnittlich 1,9 Fehler gemeldet, im Pflegeheim mehr als im Krankenhaus. Der Anteil gemeldeter Fehler an allen Fehlern wird durchschnittlich auf 20,5 % geschätzt. Einem Drittel der Pflegenden war nicht klar, welche Ereignisse gemeldet werden sollten. Jeweils über 20 % befürchteten disziplinarische Maßnahmen und gaben mangelnde Rückmeldung zu Fehlermeldungen an. Die Ergebnisse sind statistisch unabhängig vom Vorhandensein eines Fehlermeldesystems, es gibt jedoch Hinweise auf organisatorische Vor- und arbeitsaufwandbezogene Nachteile systematischer Formen der Fehlermeldung. Auch zeigten sich Zusammenhänge des Meldeverhaltens mit der Wahrnehmung auf die Organisation des konkreten Vorgangs der Fehlermeldung bezogener Faktoren. Schlussfolgerungen: Die inhaltliche Bestimmung von zu meldenden Fehlern und organisatorische und auf den Umgang mit Fehlern bezogene Hindernisse müssen angegangen werden, um die Melderate zu erhöhen und Meldesysteme nutzbar zu machen.

Aim of the Study: The aim of this study was to gain insight into the reporting of errors as perceived by nurses employed in inpatient health-care facilities. Method: A representative written survey of nurses working in German nursing homes and hospitals was conducted. Results: The 1 100 respondents reported an average of 1.9 errors in the last half year, with nurses working in nursing homes reporting more errors than hospital-employed ones. They estimated that 20.5 % of all errors are reported. One third of the participants did not know what events should be reported; more than 20 % feared repercussions and mentioned a lack of feedback on error reports. Results are not statistically associated to the presence or absence of an error reporting system, but there are hints for organisational advantages and workload-related disadvantages of systematic forms of reporting. Reporting behaviour was also related to the perception of factors concerning the organisation of the actual reporting of errors. Conclusion: Defining reportable error events, organisational barriers to report errors and deficits in the dealing with errors and error reports have to be tackled to augment error reporting rates and profit from reporting systems.

Einleitung

überwachen aber auch die Versorgung und können unerwünschte Ereignisse, Komplikationen und Fehler frühzeitig erkennen und abwenden [3–5]. Fehlermanagement bedarf daher des Einbezugs der Wahrnehmungen von Pflegenden und ihrer Einschätzungen von Handlungsmöglichkeiten in ihren professionsbezogenen Aufgaben.

▶ Patientensicherheit ● ▶ Pflegefehler ● ▶ Fehlermeldung ● ▶ Pflegeheim ● ▶ Krankenhaus ●

Key words ▶ patient safety ● ▶ errors in nursing ● ▶ error reporting ● ▶ nursing homes ● ▶ hospitals ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1361113 Online-Publikation: 19.2.2014 Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Prof. Monika Habermann Zentrum für Pflegeforschung und Beratung Hochschule Bremen Neustadtswall 30 28199 Bremen [email protected]





Fehlervermeidung ist mittlerweile ein Schwerpunkt der Diskussion um die Qualität im Gesundheitswesen. Pflegende sind die größte Berufsgruppe und arbeiten patientennah. Daher werden sie als die Gruppe erachtet, der insgesamt die meisten Fehler unterlaufen [1, 2]. Sie

Cramer H et al. Fehlermeldungen aus Sicht stationär … Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493



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Error Reporting from a Nurse’s Point of View: Results of a Survey in Nursing Homes and Hospitals

Originalarbeit 487

KH

fgm

MS kein MS prv MS kein MS öff MS kein MS gesamt

KH ge-

51–150

151–300

> 300

Betten

Betten

Betten

1 3 0 5 2 1 12

2 3 1 1 0 4 11

1 2 1 0 1 2 7

samt 12 8 10 30

PH

PH gesamt

51–100

101–200

> 200

Plätze

Plätze

Plätze

3 10 0 7 1 0 21

2 7 1 3 1 0 14

3 1 0 6 1 0 11

Tab. 1 Stichprobe (Teilnehmende Einrichtungen).

26 17 3 46

fgm: freigemeinnütziger Träger, prv: privater Träger, öff: öffentlicher Träger, MS: Meldesystem, KH: Krankenhaus, PH: Pflegeheim

Aus Fehlern wird man klug. Ein solcher sekundärer Gewinn bedingt allerdings, dass man Fehler genauer analysiert. Auf Ebene des Qualitätsmanagements erfolgt dies durch die Meldung von Fehlern an beauftragte Stellen oder verantwortliche Vorgesetzte. Ein standardisierter Umgang mit Fehlermeldungen ist mittlerweile ein definierter Qualitätsstandard von stationären Einrichtungen der Gesundheits- und Pflegeversorgung. Dabei wird von allen Beteiligten am Versorgungsprozess erwartet, dass Fehler offengelegt und gemeldet werden. Dies erfolgt zunehmend auch durch schriftliche, meist anonymisierte und in der deutschen stationären Gesundheits- und pflegerischen Versorgung üblicherweise einrichtungs-, teilweise auch trägerbezogene Fehlermeldesysteme. Internationale Studien und Befragungen weisen teilweise eine sehr geringe Melderate unter Pflegenden aus und verweisen auf Hindernisse im Meldeverhalten [6–13].

Fragestellung Der vorliegende Beitrag stellt die ersten für Deutschland verfügbaren Ergebnisse zu diesem Themenkomplex vor. Sie sind Teil der Gesamtergebnisse einer umfangreichen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie, die zwischen 2007 und 2010 unter Pflegenden in der stationären Versorgung durchgeführt wurde. Ziel war ein Erkenntnisgewinn zu Fehlerkategorien und zu Häufigkeiten von Fehlern [14], zu Ursachen und Folgen von Fehlern [15, 16] und zum Umgang mit Fehlern, der Gegenstand dieses Betrages ist. Mit der Zielsetzung, die Wahrnehmung von Pflegekräften in den genannten Dimensionen zu erfassen, wurde der Forschungsarbeit folgende heuristische Definition von Fehlern zugrunde gelegt: „Nursing errors are any wrongful decision, omission or action for which the nurse felt responsible and that had adverse or potentially adverse consequences for the patient and that would have been judged wrong by knowledgeable peers at the time it occurred“ [17 (S. 113)]. Die Untersuchung wurde durch das Zentrum für Pflegeforschung und Beratung der Hochschule Bremen durchgeführt. In diesem Beitrag werden Aspekte hinsichtlich des Umgangs mit Fehlermeldungen vorgestellt. Die Forschungsfragen lauteten: ▶ Wie häufig werden Fehler gemeldet? ▶ Wie hoch wird der Anteil der Meldungen im Hinblick auf das gesamte Fehlervorkommen geschätzt? ▶ Welche potenziellen Hindernisse für Fehlermeldungen werden wahrgenommen? ▶ Unterscheidet sich das Antwortverhalten zwischen den beiden inkludierten Settings (Krankenhaus, Pflegeheim)? ▶ Unterscheidet sich das Antwortverhalten der Teilnehmer in Abhängigkeit davon, ob in der Einrichtung ein Fehlermeldesystem implementiert ist?

▶ Gibt es einen Zusammenhang der Wahrnehmung von Hindernissen für Fehlermeldungen mit dem Umfang gemeldeter Fehler?

Methodik



Der Studie lag ein Querschnittsdesign zugrunde. Zwischen September 2008 und Mai 2009 wurde eine nach Einrichtungsgröße und -trägerschaft geschichtete repräsentative Zufallsstichprobe1 von 46 Pflegeheimen und 30 Krankenhäusern mit jeweils mehr als 50 Plätzen bzw. Betten aus dem norddeutschen Raum gezo▶ Tab. 1) und 3 905 in diesen angestellte Pflegende2 mit gen (● einem Fragebogen befragt. Detailinformationen zu Erhebungsmodus und Fragebogenentwicklung sind einer vorangegangenen Publikation zu entnehmen [14]. Der für die Untersuchung genutzte Fragebogen für die Pflegenden umfasste für die hier präsentierten Aspekte 2 Fragen zum Umfang von Fehlermeldungen: ▶ Wie viele Fehler haben Sie im letzten halben Jahr einem Vorgesetzten oder über ein Berichtssystem gemeldet? ▶ Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Anteil der Fehler, die in Ihrer Einrichtung gemeldet werden? Die Antworten auf die erste Frage waren absolute Zahlen („Ich habe … Fehler gemeldet.“), während bei der zweiten Frage ein Anteil zu schätzen war („Meiner Meinung nach werden etwa … Prozent aller Fehler gemeldet.“). Darüber hinaus enthielt der Fragebogen eine Liste möglicher ▶ Tab. 2). Die Teilnehmer Hindernisse für Fehlermeldungen (● waren aufgefordert, solche Hindernisse anzukreuzen, die sie als zutreffend erachteten (dichotome Items). Die Information, ob in der Einrichtung ein Meldesystem implementiert ist, wurde mit einem Strukturfragebogen erfasst, der einmalig durch jede Institution ausgefüllt wurde.

Auswertung Die Antworten wurden für die komplette Stichprobe und getrennt nach der Einrichtungsart (Krankenhaus/Pflegeheim) berechnet. Um möglichen Korrelationen innerhalb der Einrichtungs-Cluster Rechnung zu tragen, wurden gemischte Regressionsmodelle unter Verwendung der Methode von Kenward1

Während der Stichprobenumfang für die Krankenhäuser bundesweite Verhältnisse hinsichtlich Größe und Trägerschaft repräsentiert, wurde eine möglichst große Anzahl teilnehmender Pflegeheime mit über 200 Plätzen angestrebt, um angesichts einer sich frühzeitig abzeichnenden geringen Rücklaufquote die Anzahl der Teilnehmer zu maximieren [14].

2

In den Pflegeheimen erhielten mehr als geringfügig Beschäftigte mit einer mindestens 1-jährigen pflegerischen Ausbildung einen Fragebogen. Im Krankenhaus waren 3-jährig ausgebildete Pflegekräfte, die mit mindestens 50 % einer vollen Stelle angestellt waren, inkludiert.

Cramer H et al. Fehlermeldungen aus Sicht stationär … Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493

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Problemstellung

488 Originalarbeit

Tab. 2 Angaben zu Hindernissen, Fehler zu melden. Deskriptive Ergebnisse und Vergleich Krankenhaus-Pflegeheim. Gesamt

Kranken-

Pflege-

OR

haus

heim

(95 %-KI)*

Anteile

Anteile

Anteile

n = 1 100

n = 724

n = 376

Die Meldung (der Vorgang selbst) würde sehr viel Aufwand/Arbeit mit sich bringen

12,2 %

14,2 %

8,2 %

Mir ist unklar, welche Ereignisse gemeldet werden sollen

31,2 %

35,8 %

22,3 %

Mir ist unklar, wie bzw. bei wem der Fehler gemeldet werden soll

11,5 %

13,5 %

7,4 %

Es würde ohnehin keine Rückmeldung von der Stelle geben, bei der der Fehler gemeldet wird.

21,4 %

22,4 %

19,4 %

Die Person, die den Fehler gemacht hat, würde Ansehen verlieren

18,5 %

19,5 %

16,5 %

Die Person, die den Fehler gemacht hat, würde ungerecht behandelt werden

15,6 %

15,2 %

16,5 %

Die Meldung könnte zu disziplinarischen Maßnahmen führen

22,1 %

19,9 %

26,3 %

Ich würde Ansehen verlieren, wenn ich einen Fehler meiner KollegInnen melde

19,7 %

20,0 %

19,1 %

1,85 (1,16–2,97) 1,93 (1,42–2,63) 1,95 (1,25–3,02) 1,20 (0,85–1,70) 1,18 (0,83–1,69) 0,91 (0,65–1,29) 0,70 (0,52–0,94) 1,05 (0,76–1,46)

p-Wert

0,010 < 0,001 0,003 0,29 0,35 0,60 0,015 0,77

*Referenz: Pflegeheim

Rogers berechnet, in welche die einzelnen Einrichtungen als Cluster ins Modell aufgenommen wurden. In Fällen, in denen der Kovarianzparameterschätzer nicht erfolgreich geschätzt werden konnte, wurden für die Berechnung der Konfidenzintervalle residuale Freiheitsgrade verwendet. Die Auswertungen erfolgten entweder nach Einrichtungsart adjustiert oder stratifiziert. Es wurden Odds Ratios (OR) und 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI) geschätzt. Das OR ist als der Faktor zu interpretieren, um den sich die Chance, dass eine Person z. B. angibt, (mindestens) einen Fehler gemeldet zu haben, unterscheiden würde, wenn sie statt der Referenzgruppe der Vergleichsgruppe angehören würde (z. B. statt im Pflegeheim im Krankenhaus arbeiten würde). Unter Annahme eines Signifikanzniveaus von 5 % wurde zusätzlich der p-Wert des clusteradjustierten χ²-Tests berechnet. Es erfolgte keine Adjustierung für multiples Testen, da die Untersuchung explorativen Charakter hatte; daher werden statistisch signifikante Ergebnisse lediglich als hypothesengenerierend aufgefasst. Alle Analysen wurden mit PROC GLIMMIX in SAS 9.2 durchgeführt. Die nicht normalverteilten metrischen Zielvariablen wurden für ▶ Tab. 3), wobei die Analyse in jeweils 3 Kategorien unterteilt (● die letzte Kategorie als Referenzkategorie aufgefasst wurde. Für die Überprüfung, ob die Wahrnehmung der Hindernisse für Fehlermeldungen mit der Anzahl gemeldeter Fehler zusammenhängt, wurden die Teilnehmer in 2 Gruppen aufgeteilt (keine Fehler gemeldet, mindestens 1 Fehler gemeldet).

Ethische Aspekte Die Absicherung der Anonymität der Probanden stand im Zentrum der Logistik. Jeder Fragebogen war einer Einrichtung zuzuordnen, um die Antworten organisationsbezogenen Daten zuordnen zu können. Die Einrichtungen erhielten jedoch keine institutionsbezogenen Ergebnisse zurück. Jeder Teilnehmer erhielt mit dem Fragebogen ein detailliertes Anschreiben. Aufgrund der darin betonten Freiwilligkeit der Teilnahme kann von informed consent ausgegangen werden.

Ergebnisse



Stichprobe Von den 3 905 versendeten Fragebogen wurden 1 148 zurückgeschickt (Rücklaufquote: 29,4 %, Krankenhaus: 37,5 %, Pflegeheim: 21,0 %), wobei 48 Bögen von der Auswertung ausgeschlossen werden mussten, da die festgelegten Einschlusskriterien nicht erfüllt wurden. Somit besteht die Stichprobe insgesamt aus 1 100 ausgebildeten Pflegekräften – 724 aus dem Krankenhaus-, 376 aus dem Pflegeheimsektor (davon 71 Pflegehilfskräfte mit einer 1- oder 2-jährigen Ausbildung; 18,9 %). Die Stichprobe ist hinsichtlich Alter, Geschlecht und Berufsausbildung repräsentativ für das jeweilige Setting – mit kleineren Abweichungen in den Anteilen der inkludierten Ausbildungszweige [18, 19]. Angaben zu Größe und Trägerschaft der teilnehmenden Einrichtungen sowie zum Vorhandensein eines Berichtssystems ▶ Tab. 1 zu entnehmen. Für weitere Informationen zur sind ● Stichprobe siehe [15].

Fehlermeldungen Über die Hälfte der Teilnehmer (54,5 %) gab an, im letzten halben Jahr keinen Fehler gemeldet zu haben (Median = 0, Mittelwert ▶ Tab. 3)3. Pflegende aus Krankenhäusern gaben sigMW = 1,9; ● nifikant weniger Meldungen an als Pflegende aus dem Pflegeheim (OR = 0,46, p < 0,001). Für den Anteil der Fehlermeldungen lag der Median für alle Einrichtungen bei 10 % (MW = 20,5 %). Lediglich 15,5 % der Teilnehmer waren der Meinung, dass mindestens die Hälfte aller Fehler gemeldet wird. Auch hier lag der Durchschnitt für das Krankenhaussample unterhalb demjenigen der Pflegeheimstichprobe (OR = 0,54, p < 0,001). Die Auswertung hinsichtlich des Vorhandenseins eines Fehlermeldesystems zeigte nur für das Krankenhaus einen signifikanten Zusammenhang mit der angegebenen Anzahl selbst gemel▶ Tab. 4). Insgesamt deter Fehler auf (OR = 1,44, p = 0,015; ● schätzten Pflegende aus Einrichtungen mit vorhandenem Fehlermeldesystem ihre eigenen Meldungen und den Anteil gemeldeter 3

Die Daten sind extrem linkssteil, sodass der Mittelwert ein sehr verzerrtes Bild abgibt. Dieser wird hier nur zur Veranschaulichung aufgeführt.

Cramer H et al. Fehlermeldungen aus Sicht stationär … Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493

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Item

Originalarbeit 489

Tab. 3 Angaben zum Umfang von Fehlermeldungen. Deskriptive Ergebnisse und Vergleich Krankenhaus – Pflegeheim. Item

Fehler gemeldet

Anteil gemeldeter Fehler

0 (~1. & 2. Quartil) 1–2 (~3. Quartil) > 2 (~4. Quartil) MW ± SD Median (IQR) n ≤ 5 % (~1. Tertil) 6–20 % (~2. Tertil) > 20 % (~3. Tertil) MW ± SD Median (IQR) n

Gesamt

Krankenhaus

Pflegeheim

534 (54,5 %) 253 (25,8 %) 193 (19,7 %) 1,9 ± 6,2 0,0 (0,0–2,0) 980 327 (36,1 %) 308 (34,0 %) 372 (30,0 %) 20,5 ± 23,1 10,0 (5,0–30,0) 907

396 (60,8 %) 152 (23,4 %) 103 (15,8 %) 1,5 ± 5,2 0,0 (0,0–2,0) 651 237 (40,7 %) 197 (33,8 %) 149 (25,6 %) 18,1 ± 21,7 10,0 (5,0–25,0) 583

138 (41,9 %) 101 (30,7 %) 90 (27,4 %) 2,8 ± 7,7 1,0 (0,0–3,0) 329 90 (27,8 %) 111 (34,3 %) 123 (38,0 %) 24,9 ± 24,7 17,5 (5,0–40,0) 324

OR (95 %-KI)*

p-Wert

0,46 (0,35–0,62)

< 0,001

0,54 (0,41–0,71)

< 0,001

*Referenz: Pflegeheim

Item

Fehler gemeldet

Anteil gemeldeter Fehler

Sample

n

Gesamt

968

Krankenhaus

644

Pflegeheim

324

Gesamt

895

Krankenhaus

576

Pflegeheim

319

mit Meldesystem

ohne Meldesystem

OR

MW ± SD

MW ± SD

(95 %-KI)*

Median (IQR)

Median (IQR)

2,1 ± 4,4 0,0 (0,0–2,0) 1,8 ± 4,4 0,0 (0,0–2,0) 2,6 ± 4,3 0,0 (0,0–3,0) 21,1 ± 23,3 10,0 (5,0–30,0) 18,8 ± 22,2 10,0 (5,0–25,0) 25,6 ± 24,8 17,5 (5,0–40,0)

1,9 ± 6,8 0,0 (0,0–2,0) 1,4 ± 5,5 (0,0–2,0) 2,8 ± 8,8 1,0 (0,0–3,0) 20,3 ± 23,0 10,0 (5,0–30,0) 17,8 ± 21,6 10,0 (5,0–20,0) 24,6 ± 24,8 20,0 (5,0–35,0)

1,21 (0,88–1,67) 1,44 (1,06–1,96) 1,00 (0,57–1,78) 1,16 (0,85–1,59) 1,16 (0,77–1,76) 1,16 (0,71–1,90)

p-Wert

Tab. 4 Angaben zu Fehlermeldungen. Zusammenhänge mit dem Vorhandensein eines Meldesystems.

0,27 0,015 0,99 0,33 0,45 0,53

*Referenz: ohne Meldesystem MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung, IQR = Interquartilsabstand

Fehler geringfügig höher ein als Teilnehmer aus Einrichtungen ohne Meldesystem.

Hindernisse, Fehler zu melden Einem Drittel der Pflegenden war nicht klar, welche Ereignisse ▶ Tab. 2). Über 20 % befürchteten disgemeldet werden sollten (● ziplinarische Maßnahmen und gaben mangelnde Rückmeldung an. Die Befürchtung, Ansehen zu verlieren, wenn man Fehler anderer Pflegender meldet, war mit etwas unter 20 % größer als diejenige, dass die Person, welcher der Fehler unterlaufen ist, Ansehen verliert (18,5 %), oder ungerecht behandelt wird (15,6 %). Ein zu hoher Aufwand sowie Unklarheit, wie Fehler zu melden sind, wurde als weniger relevant angegeben (12,2 %; 11,5 %). Pflegende aus dem Krankenhaus drückten signifikant häufiger Unklarheit, welche Ereignisse gemeldet werden müssen (OR = 1,93, p < 0,001) und wie bzw. bei wem gemeldet werden soll (OR = 1,95, p = 0,003), aus. Von diesen wurde auch ein erhöhter Aufwand öfter (OR = 1,85, p = 0,010) genannt. Im Pflegeheim war es signifikant häufiger die Furcht vor disziplinarischen Maßnahmen (OR = 0,70, p = 0,015), die die Teilnehmer von Fehlermeldun▶ Tab. 2). gen abhält (● Das Vorhandensein eines Meldesystems zeigte einen signifikanten Zusammenhang mit dem Antwortverhalten der Teilnehmer aus dem Krankenhaus bezogen auf das Hindernis „Die Person, die den Fehler gemacht hat, würde ungerecht behandelt wer▶ Tab. 5). Darüber hinaus, allerdings den“ (OR = 0,71, p = 0,041; ●

nicht statistisch signifikant, schätzten Teilnehmer aus Einrichtungen mit Fehlermeldesystem einen aufwändigen Vorgang häufiger als ein Hindernis ein als Teilnehmer aus Einrichtungen ohne Meldesystem. Dem gegenüber benannten Pflegende, die in Einrichtungen ohne Fehlermeldesystem angestellt waren, häufiger Unklarheit, welche Ereignisse bzw. wie oder bei wem gemeldet werden soll, sowie die Befürchtung, dass derjenige, dem der Fehler unterlaufen ist, ungerecht behandelt würde.

Zusammenhang der Wahrnehmung von Hindernissen, Fehler zu melden, mit dem Umfang gemeldeter Fehler Unklarheit darüber, welche Ereignisse gemeldet werden sollen (OR = 0,56, p < 0,001) bzw., wie bzw. bei wem der Fehler gemeldet werden soll (OR = 0,54, p = 0,004) wurden signifikant häufiger von Teilnehmern ausgewählt, die keine Fehler gemeldet hat▶ Tab. 6). Eine mangelnde Rückmeldung auf eine Fehlerten (● meldung wurde öfter von Teilnehmern mit mindestens einem gemeldeten Fehler beklagt (OR = 1,65, p = 0,002).

Diskussion



Einschränkungen der Untersuchung Zusammengefasst4 muss bedacht werden, dass eine retrospektive Befragung umgesetzt wurde, deren Resultate anfällig sind 4

Details [14].

Cramer H et al. Fehlermeldungen aus Sicht stationär … Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493

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MW = Mittelwert, SD = Standardabweichung, IQR = Interquartilsabstand, KI = Konfidenzintervall

490 Originalarbeit

Tab. 5 Angaben zu Hindernissen, Fehler zu melden. Zusammenhänge mit dem Vorhandensein eines Meldesystems. Sample

n

mit Meldesystem Anteile

ohne Meldesystem Anteile

OR

p-Wert

(95 %-KI)*

1,36 0,19 (0,85–2,19) 1,41 Die Meldung (der Vorgang selbst) würde sehr Krankenhaus 715 17,9 % 12,9 % 0,25 (0,79–2,52) viel Aufwand/Arbeit mit sich bringen 1,21 0,64 Pflegeheim 370 9,4 % 8,0 % (0,55–2,66) 0,80 Gesamt 1 085 27,8 % 32,6 % 0,17 (0,57–1,11) 0,86 Mir ist unklar, welche Ereignisse gemeldet Krankenhaus 715 33,2 % 36,6 % 0,41 (0,59–1,26) werden sollen 0,68 Pflegeheim 370 17,9 % 24,6 % 0,24 (0,36–1,31) 0,86 Gesamt 1 085 10,3 % 11,9 % 0,48 (0,56–1,32) 0,94 Mir ist unklar, wie bzw. bei wem der Fehler Krankenhaus 715 12,8 % 13,7 % 0,80 (0,55–1,58) gemeldet werden soll 0,66 Pflegeheim 370 5,7 % 8,3 % 0,38 (0,26–1,68) 0,91 Gesamt 1 085 20,5 % 21,6 % 0,61 (0,61–1,34) Es würde ohnehin keine Rückmeldung von 1,00 0,99 Krankenhaus 715 22,5 % 22,2 % der Stelle geben, bei der der Fehler gemeldet (0,65–1,53) wird 0,78 0,53 Pflegeheim 370 17,0 % 20,5 % (0,36–1,73) 0,99 0,98 Gesamt 1 085 18,5 % 18,7 % (0,67–1,45) 1,23 Die Person, die den Fehler gemacht hat, 0,30 Krankenhaus 715 21,9 % 18,7 % (0,82–1,87) würde Ansehen verlieren 0,68 Pflegeheim 370 12,3 % 18,6 % 0,33 (0,31–1,52) 0,73 Gesamt 1 085 12,9 % 16,7 % 0,11 (0,50–1,09) 0,71 Die Person, die den Fehler gemacht hat, Krankenhaus 715 12,2 % 16,4 % 0,041 (0,51–1,00) würde ungerecht behandelt werden 0,79 Pflegeheim 370 14,2 % 17,4 % 0,52 (0,38–1,66) 1,17 Gesamt 1 085 23,8 % 21,1 % 0,34 (0,85–1,60) 1,06 Die Meldung könnte zu disziplinarischen Krankenhaus 715 20,4 % 19,5 % 0,78 (0, 70–1,60) Maßnahmen führen 1,35 Pflegeheim 370 30,2 % 24,2 % 0,24 (0,82–2,23) 1,07 Gesamt 1 085 20,5 % 19,2 % 0,70 (0,75–1,53) 1,41 Ich würde Ansehen verlieren, wenn ich einen Krankenhaus 715 24,0 % 18,3 % 0,50 (0,98–2,04) Fehler meiner KollegInnen melde 0,61 Pflegeheim 370 14,2 % 20,8 % 0,13 (0,31–1,18) Anteile beziehen sich auf nGesamt = 1 100, nKrankenhaus = 724, nPflegeheim = 376; n bezieht sich auf verwendbare Beobachtungen im Regressionsmodell aufgrund von fehlenden Werten in der Zielvariable Gesamt

1 085

14,9 %

11,2 %

*Referenz: ohne Meldesystem

für Erinnerungslücken und Fehleinschätzungen der Teilnehmer. Die Angabe, ob ein Fehlermeldesystem implementiert ist, basiert auf der Auskunft der Institutionen. Die Rücklaufquote aus den beteiligten Pflegeheimen war trotz 2-maligen Nachfassens recht gering. Im Speziellen ist der hohe Anteil fehlender Angaben zum Anteil gemeldeter Fehler (17,5 %) auffällig, gerade auch im Vergleich zu den Angaben zur Anzahl. Dabei bestanden prinzipiell nur geringe Hemmungen, zuzugeben, Fehler nicht zu melden (dies hat der überwiegende Anteil der Pflegenden bereitwillig getan). Der Anteil gemeldeter Fehler betrifft jedoch die Gesamteinrichtung

und die Kolleginnen und Kollegen. Somit sind 2 Erklärungen denkbar: (1) Da die Teilnehmer keine sicheren Anhaltspunkte für den Anteil gemeldeter Fehler in der Gesamteinrichtung haben, wollten sie diesen auch nicht schätzen und haben lieber überhaupt keine als eine unsichere Angabe gemacht. (2) Da das Fehlerthema generell noch immer stark tabubehaftet ist, wollten sie keine Mutmaßungen über das Meldeverhalten ihrer MitPflegenden anstellen, die diese eventuell in einem schlechten Licht erscheinen lassen könnten, und haben daher die Angabe verweigert.

Cramer H et al. Fehlermeldungen aus Sicht stationär … Gesundheitswesen 2014; 76: 486–493

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Item

Originalarbeit 491

Tab. 6 Zusammenhang der Wahrnehmung von Hindernissen, Fehler zu melden, mit der Anzahl gemeldeter Fehler. Sample

keine Fehler

mindestens 1

OR

gemeldet

Fehler gemeldet

(95 %-KI)*

p-Wert

0,96 0,83 (0,65–1,43) 0,83 Die Meldung (der Vorgang selbst) würde sehr viel Aufwand/ Krankenhaus 14,9 % 12,9 % 0,44 (0,52–1,32) Arbeit mit sich bringen 1,49 Pflegeheim 6,5 % 9,4 % 0,35 (0,65–3,44) 0,56 Gesamt 39,1 % 24,7 % < 0,001 (0,42–0,75) 0,58 Mir ist unklar, welche Ereignisse gemeldet werden sollen Krankenhaus 42,4 % 29,8 % 0,002 (0,41–0,81) 0,52 Pflegeheim 29,7 % 17,8 % 0,013 (0,31–0,87) 0,54 Gesamt 15,4 % 8,3 % 0,004 (0,36–0,82) 0,49 Mir ist unklar, wie bzw. bei wem der Fehler gemeldet Krankenhaus 17,4 % 9,4 % 0,005 werden soll (0,30–0,81) 0,70 Pflegeheim 9,4 % 6,8 % 0,39 (0,31–1,57) 1,65 Gesamt 18,9 % 26,5 % 0,002 (1,21–2,25) 1,71 Es würde ohnehin keine Rückmeldung von der Stelle geben, 0,004 Krankenhaus 19,7 % 29,4 % (1,19–2,47) bei der der Fehler gemeldet wird. 1,53 Pflegeheim 16,7 % 22,5 % 0,16 (0,85–2,77) 1,10 0,56 Gesamt 18,7 % 19,7 % (0,79–1,53) 0,88 Die Person, die den Fehler gemacht hat, würde Ansehen Krankenhaus 21,0 % 18,8 % 0,51 (0,59–1,30) verlieren 1,80 Pflegeheim 12,3 % 20,9 % 0,07 (0,95–3,42) 0,76 Gesamt 17,8 % 14,4 % 0,12 (0,53–1,08) 0,66 Die Person, die den Fehler gemacht hat, würde ungerecht Krankenhaus 17,9 % 12,6 % 0,07 (0,42–1,04) behandelt werden 0,96 Pflegeheim 17,4 % 16,8 % 0,88 (0,54–1,69) 1,10 Gesamt 21,5 % 24,4 % 0,53 (0,81–1,50) 1,04 0,86 Die Meldung könnte zu disziplinarischen Maßnahmen führen Krankenhaus 20,2 % 20,8 % (0,70–1,53) 1,22 Pflegeheim 25,4 % 29,3 % 0,43 (0,74–2,00) 0,92 0,59 Gesamt 22,1 % 20,4 % (0,67–1,26) Ich würde Ansehen verlieren, wenn ich einen Fehler meiner 0,98 Krankenhaus 22,0 % 21,6 % 0,92 KollegInnen melde (0,67–1,44) 0,80 Pflegeheim 22,5 % 18,9 % 0,42 (0,47–1,37) Anteile beziehen sich auf nGesamt = 980, nKrankenhaus = 651, nPflegeheim = 329; n bezieht sich auf verwendbare Beobachtungen im Regressionsmodell aufgrund von fehlenden Werten in der Zielvariable Gesamt

12,7 %

11,4 %

*Referenz: keine Fehler gemeldet

Ergebnisinterpretation Sowohl die in unserer Studie angegebene durchschnittlich gemeldete Anzahl von Fehlern als auch der geschätzte Anteil der gemeldeten Fehler erscheinen eher niedrig. Die Schätzungen der Teilnehmer zum Anteil gemeldeter Fehler liegen allerdings durchaus innerhalb der genannten Anteile der wenigen internationalen Beiträge, wobei diese stark – von lediglich 5 % bis zu über 60 % – variieren [9, 20, 21]. Die Ergebnisse zur Anzahl gemeldeter Fehler sind schwieriger in den vorhandenen Wissensfundus zu Fehlermeldungen einzuordnen, da entsprechende Forschungsergebnisse kaum vorlie-

gen bzw. nicht vergleichbar sind. Von einigen deutschen Krankenhäusern, in denen Berichtssysteme eingeführt wurden, ist die Anzahl gemeldeter Fehler publiziert worden [22–24]. Ein Vergleich der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung ist aufgrund der Unterschiede in Design und Erhebungsmethodik jedoch nicht möglich. Unseren Ergebnissen zufolge sind im Pflegeheimsektor tätige Pflegefachkräfte meldefreudiger als solche, die im Krankenhausbereich angestellt sind. Angesichts Ergebnissen der Sicherheitskulturforschung überrascht dies: Fehlermeldungen gelten als Zeichen einer positiven Sicherheitskultur [25]. Daher wären

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eines Fehlermeldesystems auf. In Anbetracht multipler Testungen ohne Anpassung des Signifikanzniveaus kann hier eine Zufälligkeit nicht ausgeschlossen werden. Die Resultate geben allerdings trotzdem Hinweise, dass Fehlermeldesysteme einen Einfluss auf das Meldeverhalten haben und somit förderlich für die Fehlervermeidung sein könnten. So beklagen Teilnehmer aus Einrichtungen mit Meldesystem seltener Unklarheit, was bzw. wie oder bei wem Fehler gemeldet werden sollen. Zumindest im Pflegeheim scheinen auch ausbleibende Rückmeldungen zu einer Fehlermeldung mit Meldesystem seltener zu sein. Allerdings wird in Einrichtungen mit Meldesystem auch der Aufwand für die Fehlermeldung häufiger kritisch betrachtet. Sollten diese Befunde zutreffen, hieße das, dass Meldesysteme Klarheit über den Meldeprozess schaffen, aber den Aufwand der Meldung erhöhen. Sie sollten daher für die Bildung von Hypothesen für spezifische Studien genutzt und als solche überprüft werden.

Schlussfolgerungen



Zur Initiierung von Lernprozessen ist eine möglichst hohe Melderate anzustreben. Insbesondere vor dem Hintergrund der niedrigen Anzahl gemeldeter Fehler müssen Hindernisse, die einer Fehlermeldung entgegenstehen, abgebaut werden. Sowohl Defizite in professionsbezogenen Standards und organisatorische als auch atmosphärische bzw. mit der Organisationsund Sicherheitskultur im Zusammenhang stehende Gründe halten Pflegende von einer Fehlermeldung ab. Für das Qualitätsund Risikomanagement erscheinen daher Maßnahmen, die Klarheit zu Gegenstand und Prozess der Fehlermeldung schaffen, angebracht. Es ist nicht ausreichend, lediglich ein Fehlermeldesystem zu implementieren. Meldesysteme sollten weiter dahingehend überprüft werden, wie eine Reduzierung des Aufwandes ohne Verlust an Information möglich ist. Auch muss eine Rückmeldung erfolgen, die es ermöglicht, Fehler zukünftig zu vermeiden. Die Ergebnisse machen weiter deutlich, dass Pflegende in der Aus-, Fort- und Weiterbildung eine weitergehende Unterstützung benötigen, anwaltschaftliches Handeln für Pflegebedürftige zu internalisieren, ergänzt um Kompetenzen zum Umgang mit kritischen Situationen im Team. Darüber hinaus sind Interventionen in den Einrichtungen notwendig, um den Umgang mit Fehlern positiv zu gestalten.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Institute of Medicine. Crossing the Quality Chasm: A new Health System for the 21st Century. Washington, DC: National Academy Press; 2001 2 Treiber LA, Jones JH. Devastatingly human: An analysis of Registered Nurses’ medication error accounts. Qual health res 2010; 20: 1327– 1342 3 Aiken LH, Clarke SP, Sloane DM. International Hospital Outcomes Research Consortium. Hospital staffing, organization, and quality of care: cross-national findings. Int J Qual Health Care 2002; 14: 5–13 4 Weir C, Hoffman J, Nebeker JR. Nurse’s role in tracking adverse drug events: the impact of provider order entry. Nurs Adm Q 2005; 29: 39–44 5 Woods A, Doan-Johnson S. Executive summary: toward a taxonomy of nursing practice errors. Nurs Manage 2002; 33: 45–48 6 Antonow JA, Smith AB, Silver MP. Medication error reporting: a survey of nursing staff. J Nurs Care Qual 2000; 15: 42–48

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höhere Melderaten im Krankenhausbereich zu erwarten, weist dieser doch in US-Studien regelmäßig eine im Vergleich zu Pflegeheimen positivere Sicherheitskultur auf [26]. Allerdings stehen Hinweise auf eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den deutschsprachigen Raum noch aus. Es muss auch bedacht werden, dass die Rücklaufquote aus den beteiligten Pflegeheimen gering war und daher die Gefahr von Verzerrungen besteht in Form einer höheren Beteiligung von interessierten und sensibilisierten Pflegenden. Vertreter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen sowie leitende Pflegekräfte äußerten im Rahmen einer Tagung zum Transfer der Untersuchungsergebnisse des Weiteren die Vermutung, dass im Pflegeheimsektor, in dem deutlich mehr Kontrollen stattfinden als im Klinikbereich, auch eine erhöhte Sensitivität herrschen würde sowie Bereitschaft, an Qualitätsentwicklungen mitzuwirken. Häufig wahrgenommene Hindernisse, Fehler zu melden, wie z. B. die Unklarheit über zu meldende Ereignisse, sind inhaltlicher, professionsbezogener und auch organisatorischer Natur und durch Standardisierungen und entsprechende Schulungen anzugehen. Problematischer sind jedoch Hindernisse einzuschätzen, die auf teambezogene Defizite im Umgang mit Fehlern deuten. Das Ausbleiben von Meldungen zum Schutz von Kollegen (auf Kosten der Patienten) verweist auf nicht gelungenes Teamgeschehen und mangelnde Professionalisierung der Pflegenden, die dem Auftrag anwaltschaftlichen Handelns für Patienten und Bewohner nicht gerecht werden. Es deutet auch auf kritische sicherheitsklimatische Bedingungen, denn nur in Ausnahmefällen sollte ein Fehler disziplinarische Folgen haben [27, 28]. Der Befund, dass dies im Pflegeheim häufiger vorkommt als im Krankenhaus, steht im Einklang mit anderen Ergebnissen der vorgestellten Untersuchung, wonach Fehler für einen größeren Anteil der dort arbeitenden Pflegenden konkrete disziplinarische Folgen hatten [16]. Zumindest in der Wahrnehmung der Pflegenden herrscht im deutschen Pflegeheimbereich demnach wohl eine stärker strafende Kultur. Dies wiederum entspräche den bereits genannten US-amerikanischen Untersuchungen zur negativeren Sicherheitskultur im Pflegeheimsektor. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass Pflegende aus dem Krankenhaus weniger Meldungen angeben und gleichzeitig seltener auf den Umgang mit Fehlermeldungen und mit gemeldeten Fehlern bezogene, aber häufiger inhaltlich-organisatorische Hindernisse (z. B. eine unklare Definition von zu meldenden Fehler) benennen. Gleichzeitig zeigt der Vergleich von Pflegenden, die mindestens einen Fehler gemeldet haben, und solchen, die nicht meldeten, signifikante Zusammenhänge des Meldeverhaltens mit der Wahrnehmung organisatorischer, nicht aber von umgangsbezogenen Hindernissen. Demnach könnten strukturelle Aspekte einen größeren Einfluss auf die Meldehäufigkeit haben. Die Ergebnisse lassen allerdings keine generalisierenden Rückschlüsse auf eine Auswirkung der Hindernisse für Fehlermeldungen auf die Meldehäufigkeit zu. Vielmehr ist es auch möglich, dass Teilnehmer, die Fehler gemeldet haben, die Hindernisse anders wahrnehmen als solche, die keine gemeldet haben. Möglicherweise besteht auch ein genereller Zusammenhang der Bereitschaft, Fehler zu melden, mit der Wahrnehmung von das Meldeverhalten beeinflussenden Faktoren. Diese mögliche Interpretation sollte in fokussierten Untersuchungen zum Zusammenhang von Hindernissen für Fehlermeldungen mit der Häufigkeit von Meldungen überprüft werden. Die Studie weist lediglich 2 statistisch signifikante Zusammenhänge von Aspekten der Fehlermeldung mit dem Vorhandensein

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[Error reporting from a nurse's point of view: results of a survey in nursing homes and hospitals].

The aim of this study was to gain insight into the reporting of errors as perceived by nurses employed in inpatient health-care facilities...
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