Langenbecks Arch. Chir. 341, 99-110 (1976)

Langenbecks Archiv f~r Chirurgie © by Springer-Verlag 1976

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa* Histologische M6glichkeiten zur (Friih-)Eriassung der sog. ,,Colitis"-Carcinome H. F. Otto und J.-O. Gebbers Pathologisches Institut der Universitat Hamburg (Direktor: Prof. Dr. med, G. Seifert), MartinistraBe 52, D-2000 Hamburg, Bundesrepublik Deutschland

Epithelial Dysplasia in Ulcerative Colitis Histological Possibility for the Early Diagnosis of "Colitis"-Carcinoma Summary. From 249 histologically examined cases with ulcerative colitis (within the years 1967 to 1974) 20 cases were selected, which had an onset of the disease before the 20th year of age and/or a duration of more than 10 years. These cases were checked-up for "prae-cancerous" epithelial dysplasia. Four of these 20 cases showed medium to severe epithelial dysplasia together with carcinoma (-- 1.61% of the entire collective). In 2 cases low grade to severe dysplasia occurred in different parts of the colon without demonstrable carcinoma. In 1 case epidermoid epithelial metaplasia were found in the splenic flexure and in the rectum. The biological significance of these metaplasia remains unclear. With reference to the formal pathogenesis these lesions are probably "indirect" metaplasia. The early diagnosis of "colitis"-carcinoma can be improved by systematic colonoscopic examinations resp. by colonoscopic biopsies. "Prae-cancerous" epithelial dysplasias, which occur in a high rate together with carcinoma, are found not only in the rectum but also in other parts of the colon. Multiple biopsies from different parts of the colon as well as the rectum would thus seem to be desirable if mucosal sampling is to be employed as a screening test. Key words: Ulcerative colitis - Epithelial dysplasia - Pre-cancer - Invasive carcinoma.

Zusammeniassung. Aus einem Kollektiv von 249 Colitisf~illen der Jahre 1967-1974 wurden 20 Patienten, bei denen die Colitis ulcerosa entweder mehr als 10 Jahre bestanden oder sich vor dem 20. Lebensjahr manifestiert hatte, ausgew~ihlt und im Hinblick auf ,,prae-cancer6se" Epitheldysplasien nachuntersucht. Unter diesen 20 F~illen fanden sich 4 Patienten mit mittelschweren bis *

Mit Unterstiitzung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

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H.F. Otto und J.-O. Gebbers schweren Epitheldysplasien und gleichzeitig b e s t e h e n d e n Carcinomen ( = 1,61% des Gesamtkollektives). Bei 2 Patienten waren in verschiedenen Colonabschnitten leichte bis schwere Dysplasien entwickelt, ohne dab gleichzeitig auch Carcinome nachweisbar waren. Bei einem Patienten fanden sich sowohl im R e c t u m als auch im Bereich der linken Colonflexur e p i d e r m o i d e Epithelmetaplasien. Die biologische Wertigkeit dieser Metaplasien ist ungekl~irt. Beziiglich der formalen Pathogenese handelt es sich sehr wahrscheinlich um sog. indirekte Metaplasien. Die Friiherfassung des ,,Colitis"-Carcinoms k a n n u . E . verbessert werden durch systematische colonoskopische Untersuchungen bzw. durch coloskopische Biopsien. ,,Prae-cancer6se" Epitheldysplasien, die in hohem Prozentsatz mit manifesten Carcinomen offenbar synchron auftreten, werden nicht nur im Rectum, sondern auch in anderen Colonabschnitten gefunden.

Das Risiko, an colo-rectalen Carcinomen zu erkranken, liegt bei Patienten mit totaler Colitis ulcerosa deutlich htiher als bei vergleichbaren , , N o r m a l " - P e r s o n e n . A u s groBen Sammelstatistiken l~iBt sich fiir die sog. Pr/isteroid-,~ra eine mittlere Carcinomhiiufigkeit von 4 % errechnen [7, 11, 16, 27]. D a b e i ist das Carcinomrisiko abhiingig v o n d e r Dauer der E r k r a n k u n g , v o n d e r Ausdehnung des entziindlich-ulcerSsen Prozesses und vom Alter der Erstmanifestation [5,7,18]. A u s den Untersuchungen von D e v r o e d e u. Mitarb. [6] geht hervor, dab bei E r s t e r k r a n k u n g e n im Kindesalter schon in der ersten D e k a d e eine Carcinomh~iufigkeit von 3 % auftritt und dab das Carcinomrisiko mit j e d e r weiteren D e k a d e um 2 0 % ansteigt. Obwohl die Prognose der Colitis ulcerosa seit Einfiihrung der Steroid- (akuter Schub) und Salazosulfapyridinbehandlung (Intervall) insgesamt gebessert werden konnte, hat sich an der Carcinomhaufigkeit offenbar nichts geiindert [9]. DeDombal u. Mitarb. [5] sowie Goligher u. Mitarb.[12] fanden in einer mit Steroiden und Salazosulfapyridin behandelten und nachkontrollierten Patientengruppe eine Carcinom-Incidenz yon noch immer 3 %. Einzig die totale und friihzeitig durchgefiihrte (Procto-)Colektomie ist derzeit offenbar geeignet, das Carcinomrisiko zu mindern [2, 10]. Die prophylaktische Colektomie scheint dann gerechtfertigt, wenn der Dickdarm in ganzer Ausdehnung schon im Kindes- oder Adoleszentenalter befallen und wenn die Colitis mehr als 10 Jahre manifest ist. Die totale (Procto-)Colektomie ist der subtotalen Colektomie mit ileo-rectaler Anastomose insofern vorzuziehen, als die Hiiufigkeit von Rectumcarcinomen nach ileo-rectaler Anastomose den carcinompr~iventiven Effekt der subtotalen Colektomie aufzuheben scheint [9, 10, 18]. Das sog. ,Colitis"-Carcinom manifestiert sich fraglos wesentlich frtiher als das ,,gew/Shnliche" colo-rectale Carcinom. Es ist zudem schwer diagnostizierbar, weil es nicht selten nach einem langen, relativ beschwerdefreien Intervall sich klinisch manifestiert und dann einen neuen akut-entztindlichen Schub vortfiuscht [9, 10]. AuBerdem entwickeln sich die ,,Colitis"-Carcinome h~iufiger auch multizentrisch [l 1]. Schwer abgrenzbar und zum Teil umstritten sind die Indikationen zur p r o p h y l a k tischen C o l e k t o m i e bei jenen Patienten, die erst nach dem 20. L e b e n s j a h r erkrankten. A u c h bei dieser Patientengruppe tritt das Carcinom nahezu ausschlieBlich nach tiber 10j~hriger K r a n k h e i t s d a u e r und bei einer von A n f a n g an totalen Colitis auf. 1967 fanden Morson u. Pang [22] in R e c t u m b i o p s i e n yon Patienten rnit jahrelang bestehender Colitis ulcerosa schwere (,,prae-cancertise" 1) Epitheldysplasien. In einer 1 Beziiglich der Begriffsbestimmung der ,Prae-cancerose" (Dubreuilh, 1912), der Dysplasie bzw. des vielfach synonym gebrauchten ,,Carcinoma in situ" (Broders, 1932) siehe: Hamperl [15] und Grundmann [13]

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa

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daraufhin durchgefiihrten retrospektiven Studie konnten an den k o r r e s p o n d i e r e n d e n totalen Colektomiepr~iparaten in h o h e m Prozentsatz manifeste Carcinome verifiziert werden, auch dann, wenn sie zuvor einer r6ntgenologischen u n d / o d e r colonoskopischen A b k N r u n g entgangen waren. Die histologisch ffir ein manifestes ,,Colitis"Carcinom offenbar typischen Stigmata sind in der Zwischenzeit mehrfach best~itigt worden [ 3 , 8 , 1 7 , 2 3 , 2 8 ; vgl. auch: 19-21]. In letzter Zeit sind indessen auch kritische A n m e r k u n g e n bezfiglich der ,,Trefferquote" bioptisch nachgewiesener Epitheldysplasien als eines m6glichen Screeningverfahrens zur (Fr~ih-)Erfassung des ,,Colitis"-Carcinoms gemacht worden [3, 28]. Im folgenden sollen deshalb an H a n d eines ausgew~ihlten Krankengutes die m6glichen dysplastischen Epithelvefiinderungen in R e c t u m - und Colonbiopsien beschrieben und auf ihre Aussageffihigkeit hinsichtlich manifester Carcinome bei langj~ihrigen Colitisverl~iufen untersucht werden.

Material und Methode

Aus 249 durchuntersuchten Colitisf~illen(vgl. auch: [25]) der Jahre 1967-1974 wurden 20 Fiille mit langj~ihrigem Verlauf und frfihzeitiger Erstmanifestation ausgew~ihltund hinsichtlich der oben angefiihrten Fragestellung nachuntersucht. Das bioptische Material wurde an Hiimatoxylin-Eosin gefiirbten Stufen- und Serienschnitten analysiert. Von korrespondierenden ColektomieprSparaten

Tabelle 1. Epitheldysplasien und Carcinome bei totaler Colitis ulcerosa

Fall

Colitis ulcerosa

Epitheldysplasien

ErstmaniVerlaufsfestation . .dauer

Rectum

,

Colektomiepr~iparat

Colon a

,

Carcinom, Sigma (DUKE A)

1. Th.M. 3 21 Jahre

12. Lebensjahr

9 Jahre

2. E.Sch. ~ 35 Jahre

17. Lebensjahr

18 Jahre

mittelschwer

mittelschwer

multifokales Carcinom, Sigma und linke Colonflexur (DUKE A und B)

3. J.B.'3 37 Jahre

15. Lebensjahr

22 Jahre

gering

friihinvasives Carcinom

Carcinom, Sigma (DUKE B)

4. M.B.~ 48 Jahre

27. Lebensjahr

21 Jahre

schwer

5. F. P. ~' 27 Jahre

21. Lebensjahr

6 Jahre

epidermoide epidermoide Metaplasieb Metaplasieb

6. M.M. ? 17 Jahre

11. Lebensjahr

6 Jahre

mittelschwer

7. E.B. ~ 33 Jahre

19. Lebensjahr

14 Jahre

a b

coloskopische Biopsien mehrfach nachkontrolliert

mittelschwer b

leicht bis mittelschwer b

Carcinom, Colon transversum (DUKE B)

schwer b

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H.F. Otto und J.-O. Gebbers

wurden jeweils wenigstens 10 histologische Schnittpr~iparate aus verschiedenen Colonabschnitten angefertigt.

Ergebnisse Unter den 20 ausgew~hlten Fallen konnten bei 7 Patienten in zumeist mehrfach nachkontrollierten Rectumbiopsien Epitheldysplasien variabler Intensitat nachgewiesen werden. 4 dieser Patienten hatten zum Teil multizentrisch gewachsene Carcinome ( = 1,61%, bezogen auf das Gesamtkollektiv) (Tabelle 1). Bei 3 Patienten war das Colektomiepr~iparat carcinom-frei; es fanden sich aber multifokale Dysplasieherde.

Abb. 1. Rectumbiopsie: zottenartige Epithelproliferation mit mittelschwerer Dysplasie (Fall 6). Hiimatoxylin-Eosin. Vergr. 240 : 1

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa

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Abb. 2. Entz/indlicher ,,Pseudo"-)Polyp bei Colitis ulcerosa ohne Dysplasien. H~imatoxylin-Eosin. Vergr. 60 : 1

Abb. 3. Rectumbiopsie: mittelschwere Dysplasie vor allem des Kryptenepithels (Fall 2). Astrablauvan Gieson. Vergr. 240:1

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Abb. 4. Biopsie aus dern Colon descendens: mittelschwere Dysplasie des Kryptenepithels (Fall 2). Astrablau-van Gieson. Vergr. 240:1

Abb. 5. Rectumbiopsie: mittelschwere Dysplasien, zum Teil auch des Oberfl~ichenepithels (Fall 1). H~imatoxylin-Eosin. Vergr. 240 : 1

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa

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In Anlehnung an Yardley u. Keren [28] werden folgende Dysplasiegrade unterschieden: Dysplasien geringen Grades Dysplasien mittelschweren Grades Dysplasien schweren Grades. Dysplasien schweren Grades werden in der Literatur vielfach auch als Carcinomata in situ bezeichnet [3,8, 13,15,21,28]. Histomorphologisch k6nnen 3 Manifestationsformen dys- (bzw. meta-)plastischer Epithelver~inderungen unterschieden werden: 1. Polypoide (vili6se) Dysplasien (Abb. 1). 2. Epitheldysplasien vor allem des Kryptenepithels in ,,flacher" Schleimhaut ( = im Schleimhautniveau) (Abb. 3-5). 3. Epidermoide Metaplasien mit cellul~irer Atypie (Abb. 7-9).

6. Hohe Sigmabiopsie: friih-invasivesCarcinom bei totaler Colitis ulcerosa (Fall 3). H~imatoxylin-Eosin. Vergr. 180 : 1

Abb.

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Abb. 7. Rectumbiopsie:epidermoideEpithelmetaplasienbei totaler Colitisulcerosa (Fall 5). H~imatoxylin-Eosin. Vergr. 180:1

Ad 1. Polypoide (vill6se) Ver~inderungen. Es handelt sich meist um breitbasig aufsitzende, zottenartige Proliferationen des Epithels, das durchweg mehrreihig angeordnet ist. Die irregular gelegenen Zellkerne sind hyperchromatisch und gr6f3endifferent. Haufig linden sich Kernteilungsfiguren. Die Fahigkeit dieser Zellen zur Schleimbildung ist weitgehend verloren gegangen. Der Aspekt dieser dysplastischen Epithelproliferationen erinnert (oft schon makroskopisch bzw. coloskopisch) an die vill6sen Papillome des Dickdarms; beide Ver~inderungen sollten aber streng voneinander getrennt werden. Die im Ablauf einer Colitis ulcerosa auftretenden, zottenartigen Proliferationen mit oft hochgradiger cellul~irer Atypie sind offenbar das Ergebnis einer frustranen Regeneration im Randbereich entz/indlich-ulcer6ser Lasionen, deren Proliferationskinetik noch vollkommen unbekannt ist. Diese saubere Differenzierung ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, da bei der Colitis ulcerosa gelegentlich (echte) vill6se oder auch adenomat6se Polypen mit der ihnen eigenen ,,prae-cancer6sen" Wertigkeit gefunden werden [4]. In entziindlichen (Pseudo-)Polypen (Abb. 2) wurden prae-cancer6se Epitheldysplasien nicht gefunden. Ad 2. Epitheldysplasien in ,,flacher" Schleimhaut. Sie sind makromorphologisch (rectoskopisch bzw. colonoskopisch) kaum je zu erkennen. Der Nachweis dieser vor allem im Bereich der Kryptenbasis lokalisierten Epitheldysplasien ist allein histoIogisch m6glich. Die Oberflache der (nicht selten atrophischen) Schleimhaut ist meist intakt. Die Schleimhautkrypten sind rarefiziert und regellos angeordnet. Das zum Teil hochgradig atypische Epithel ist auch in diesen Fallen mehrreihig angeordnet, wobei vor allem ,,pericryptale", indessen immer noch von einer Basalmembran urn-

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa

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Rectumbiopsie: papillomat6s-epidermoide Epithelmetaplasie bei totaler Colitis ulcerosa (Fall 5). Hiimatoxylin-Eosin.Vergr. 375 : 1

Abb. 8.

grenzte Epithelproliferationen nachgewiesen werden k6nnen. Es wird vermutet, daf3 besonders diese dysplastischen Alterationen zum Ausgangspunkt der vor allem im Niveau der Darmwand wachsenden (undifferenzierten) ,,Colitis"-Carcinome werden, w~ihrend die vill6sen Epitheldysplasien mutmaBliche Vorl/iufer der polyp6sen Adenocarcinome sind (Abb. 6). Das zwischen den Krypten oft stark verbreiterte und fibrosierte Schleimhautstroma ist meist nur noch yon wenigen Entziindungszellen durchsetzt. Demgegeniiber findet man bei reaktiven Hyperplasien [3,22, 28], die in der differentialdiagnostischen Abgrenzung yon Dysplasien oft erhebliche Schwierigkeiten bereiten k6nnen, nahezu immer massierte Entztindungsinfiltrate mit Ulcerationen und Kryptenabscessen.

Ad 3. Epidermoide Metaplasien mit cellulgrer Atypie. Es handelt sich um ein mehrschichtig aufgebautes, epidermoid differenziertes Epithel, das sowohl an der Oberfl~iche als auch im Bereich der Krypten angetroffen werden kann. Die oberste ZellLage ist zumeist und besonders in den Krypten cylindrisch differenziert; sie zeigt

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Abb. 9. Biopsieaus dem Bereich der linken Colonflexur: epidermoide Epithelmetaplasie bei totaler Colitis ulcerosa (Fall 5). Hfimatoxylin-Eosin.Vergr. 180:1

zum Teil noch die F~higkeit der Schleimbildung. Gelegentlich zeigen sich auch papillom-artige Proliferationen (Abb. 8). Die basale Zellschicht scheint durch ein sehr massiertes Entz/indungsinfiltrat nicht immer scharf zum Stroma abgegrenzt. Obwohl gewisse cellul~ire Atypien vorhanden sind, haben wir ein von dieser metaplastischen L~ision ausgehendes invasives Carcinom nie beobachten k6nnen. Bez/iglich der formalen Pathogenese muB eine indirekte Metaplasie (,,Regeneration mit anschlieBender abwegiger Differenzierung": Hamperl [14]; ,,regeneratorische Dysplasie": Oehlert [24] angenommen werden. Derartige epidermoide Epithelmetaplasien k6nnen offenbar in allen Colonabschnitten auftreten; Abbildung 9 dokumentiert einen Befund aus dem Bereich der Flexura lienalis bei totaler Colitis ulcerosa.

Diskussion

Aus der hohen Coincidenz zwischen bioptisch nachweisbaren (,,prae-cancer6sen") Epitheldysplasien und manifesten colo-rectalen Carcinomen nach langj~ihrigen Krankheitsverlaufen ergibt sich unzweifelhaft die Bedeutung der Rectumbiopsie als Screeningverfahren zur Fr/iherfassung der ,,Colitis"-Carcinome. Durch den methodischen Fortschritt der (hohen) Coloskopie mit der M6glichkeit multiple Biopsien aus den verschiedenen Dickdarmregionen zu entnehmen, ist die Fr/iherfassung von Dysplasien und Carcinomen wesentlich verbessert worden [12]. Die systematische und konsequente Anwendung dieses Verfahrens scheint uns geeignet, die bislang schlechte Prognose der ,,Colitis"-Carcinome zu bessern.

Epitheldysplasien bei Colitis ulcerosa

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Da die epithelialen Dysplasien einerseits herdf6rmig begrenzt, wenngleich oft auch multipel, andererseits fl~ichenhaft und letztendlich in allen Colonabschnitten auftreten k6nnen, ist die Chance ihrer Erfassung durch coloskopische Mehrfachbiopsien (gegeniiber der isolierten Rectumbiopsie) ungleich gr6Ber. Cook u. Goligher [3] fanden unter 19 Patienten mit ,,Colitis"-Carcinomen in 15 Fallen zumeist schwere Epitheldysplasien; in 4 Fallen blieben coloskopische Biopsien allerdings negativ. Andererseits waren bei 4 von 14 langj~ihrigen Colitisverl~ufen (durchschnittlich 11,7 Jahre) Epitheldysplasien entwickelt, ohne dab im nachhinein ein manifestes Carcinom h~itte nachgewiesen werden k6nnen. Da ,,Colitis"-Carcinome ganz iiberwiegend erst nach mehr als 10j~ihriger Krankheitsdauer auftreten, Dysplasien h~iufig schon wesentlich friiher nachgewiesen werden k6nnen [3], ergibt sich die Frage, ob den manifesten Carcinomen eine tats~ichlich ,,prae-cancer6se" Phase, die ebenso wie das Carcinom durch Epitheldysplasien rnanifestiert werden k6nnte, vorausgeht. Dafiir spricht, dab in retro- und prospektiven Studien [3, 22, 28] nicht alle epithelialen Dysplasien mit manifesten Carcinomen korrelieren. Die Dauer einer solchen ,,praecancer6sen" Phase ist vollkommen unbekannt. Es ist bislang auch keinesfalls entschieden, ob w~ihrend dieser Phase eine kontinuierlich-fortschreitende ,,Entdifferenzierung" (Dysplasie leichten Grades ~ mittelschweren Grades ~ schweren Grades Carcinom) statffindet (vgl. auch Fall 7, Tabelle 1). Hieraus ergeben sich gewisse Unsicherheiten in der Prognostik und im operationstaktischen Vorgehen: soil jede totale Colitis ulcerosa mit nur leichten Dysplasiegraden operiert werden?, oder ist es gerechtfertigt, bei regelm~iBigen colonoskopisch-bioptischen Kontrollen abzuwarten, bis schwere Epitheldysplasien nachgewiesen werden? Uns erscheint eine Proctocolektomie immer dann gerechtfertigt, wenn eine totale Colitis ulcerosa l~inger als 10 Jahre besteht, die Erstmanifestation vor dem 20. Lebensjahr liegt und wenn Epitheldysplasien jedweden Schweregrades gefunden werden, und zwar aus folgenden GriJnden: 1. obwohl die Frage nach einer m6glichen ,,Entdifferenzierung" epithelialer Dysplasien nicht schliissig beantwortet werden kann, scheint diese Gefahr doch zu bestehen, 2. es ist anzunehmen, daB unterschiedliche Dysplasiegrade gleichzeitig multifokal vorkommen, 3. zufolge der hohen Coincidenz von Dysplasien und Carcinomen, 4. wegen der gleichzeitigen ,,Heilung" der Colitis. Unklar bleibt die biologische Wertigkeit der epidermoiden Epitheimetaplasien; ein Befund, der insgesamt nur selten zu beobachten ist.

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Eingegangen am 12. Miirz 1976

[Epithelial dysplasia in ulcerative colitis. Histological possibility for the early diagnosis of "colitis"-carcinoma (author's transl)].

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