Onkologie 2: 142-147 (1979)

Zur Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses in Österreich H . K u c e r a und W. M ic h a l ic a Strahlenabteilung der /. und II. Universitäts-Frauenklinik Wien (Leiter: Prof. Dr. K. Weghaupt)

Zusammenfassung und Schlüsselwörter

Summary and KeyWords

In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Statistischen Zentral­ amt wurden die Inzidenzraten des Gebärmutterhalskarzinoms in Österreich im Zeitraum von 1971 bis 1975 bis auf die Ebene der po­ litischen Bezirke untersucht. Dabei wurde einerseits auf eine relativ große Beteiligung der unter 40jährigen hingewiesen, andererseits wurden regionale Unterschiede gefunden. Auf die Problematik der Krcbsmeldestatistik wurde besonders hingewiesen.

In cooperation with the Austrian National Institute for Statistics the incidence rates of cancer of the cervix uteri in Austria in the period of 1971-1975 were investigated. Not only the different federal countries but also the political districts were concerned by this study. The main findings were a relative high rate of women less than 40 years of age and severe regional differences. Problems in the registration of incidence rates of cancer are pointed out.

Carcinoma colli Uteri - Krebsmeldestatistik

Cancer o f the cervix uteri - Cancer registration

Einleitung

miologie. Erstere erforscht die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und vermuteten Ursachen, letztere untersucht die Auswirkungen von Maßnahmen im Bereich der Gesund­ heitsvorsorge und der Therapie. Die hier vorgelegten Daten über die Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses in Öster­ reich sollen die Basis für solche Untersuchungen liefern.

a) Bereicherung unseres Wissens über die Krebskrankheit und deren Beziehung zu sozialen und milieubedingten Fak­ toren (etwa Gefährdung bestimmter Berufe, Regionen und dergleichen); b) Untersuchung der Überlebens- bzw. Heilungswahrschein­ lichkeit, wodurch sich Schlüsse auf den Wert getroffener Maßnahmen ziehen lassen und Anstrengungen zu einer frühzeitigen und wirksamen Behandlung forciert werden können; c) Studium spezieller Probleme in der Ätiologie des Krebses. Es ist verständlich, daß diese Aufgaben von der Krebsmortali­ tätsstatistik allein nicht erfüllt werden können, sondern daß dazu die Daten einer umfassenden, möglichst vollständigen Morbiditätsstatistik nötig sind [1]. Die deskriptive Epidemiologie liefert durch die Feststellung auffälliger Veränderungen der Inzidenz oder des regionalen Auftretens verschiedener Tumorarten die Basis für die wich­ tigen Projekte der analytischen und experimentellen Epide­

Patientengut und Ergebnisse

In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Statistischen Zentralamt haben wir die Meldungen über Neuerkrankungen an gynäkologischen Malignomen in Österreich in den Jahren 1971 bis 1975 untersucht. Bewußt haben wir nicht die Zah­ len des Jahres 1970 verwendet, da im ersten Jahr nach In­ krafttreten des Krebsstatistik-Gesetzes doch mit verschiede­ nen Meldeschwierigkeiten gerechnet werden mußte. Die Zu­ sammenfassung eines fünfjährigen Zeitraumes sollte zufalls­ bedingte Schwankungen innerhalb eines Jahrganges nach Möglichkeit ausschalten. Nach dem Krebsstatistik-Gesetz sind zur Meldung die Krankenanstalten und andere taxativ aufgeführte Institutionen verpflichtet, nicht jedoch die nie­ dergelassenen Ärzte. Da die endgültige Diagnose einer ma­ lignen Erkrankung aber in den allermeisten Fällen stationär gestellt wird, dürfte diese Vorschrift ausreichend und berech­ tigt sein. Die Meldungen über die Neuerkrankten wurden nicht nur nach Bundesländern, sondern auch nach politischen Be­ zirken getrennt aufgezeichnet. Die Zuordnung erfolgte je­ weils nach dem Wohnsitz des betreffenden Patienten und nicht etwa nach dem Ort der meldenden Krankenanstalt. Neben dieser regionalen Differenzierung haben wir noch eine Unter­ teilung in einzelne Altersgruppen vorgenommen und weiters die Inzidenzzahlen auf jeweils 100000 lebende Frauen be­ rechnet. Dadurch stehen in Österreich erstmals Daten zur Verfügung, die nicht nur eine genaue Aufschlüsselung in Al­ tersklassen, sondern auch eine verhältnismäßig exakte regio­ nale Beurteilung zulassen. P o p p e r hat erstmals auf regionale Unterschiede der Sterblichkeit in Österreich hingewiesen.

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In der Krebsforschung steht die Epidemiologie nicht nur gleichberechtigt neben den anderen Arbeitsbereichen, son­ dern liefert auch wesentliche Anstöße für die Forschung im Laboratorium und am Krankenbett. Die Beschreibung der Häufigkeit von Krankheiten und ihrer Verteilung in der Be­ völkerung ist die Aufgabe der deskriptiven Epidemiologie. Die verfügbaren Daten stammten bisher im wesentlichen aus der Todesursachenstatistik und den Unterlagen über die Kran­ kenstände und die Krankenbewegungen in den Spitälern. Aus mehreren Gründen bedarf die Krebsmortalitätsstatistik je­ doch einer Ergänzung durch die Morbiditätsstatistik. Ein sol­ ches Krebsregister wurde als Bundesstatistik durch das Krebsstatistik-Gesetz 1969 in Kraft gesetzt, so daß ab 1970 eine amtliche Krebskrankenstatistik in Österreich vorliegt. Nach den Vorstellungen der Weltgesundheitsorganisation soll eine solche Krebsstatistik Unterlagen für die Bewältigung folgen­ der Angaben bereitstellen:

143

Kucera, Michalica: Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses Tabelle 1. Gynäkologische Malignóme in Österreich in den Jahren 1971 bis 1975.

Carcinoma colli uteri Carcinoma corporis uteri Carcinoma ovarii Sonstige, nicht näher bezeichnete gynäkologische Malignóme Gynäkologische Malignóme Carcinoma mammae Gynäkologische Malignóme + Carcinoma mammae

Weibliche Ersterkrankte

7158 3777 2635 934 14504

Prozentueller Anteil an typisch weiblichen Karzinomen

Prozentueller Anteil an gynäkologischen Malignomen 49.4 26,0 18,2 6,4 100

9965 24469

Seine Untersuchung gründet sich auf die Todesursachensta­ tistik, die im vergleichbaren Zeitraum nur etwa ein Viertel der in der Krebsmeldestatistik zur Verfügung stehenden Da­ ten enthält [3]. Unsere Untersuchung umfaßte insgesamt 14504 Patientin­ nen, welche in den Jahren 1971 bis 1975 wegen einer Neuer­ krankung an einem gynäkologischen Malignom dem statisti­ schen Zentralamt gemeldet wurden. In der Tabelle I ist das Gesamtpatientengut getrennt nach der Lokalisation der Krebserkrankung dargestellt. Auf 100000 lebende Frauen fallen daher pro Jahr 36 Neuerkrankungen an Gebärmutter­ halskrebs, 19 an Gebärmutterkörperkrebs, 13 an einer bös­ artigen Neubildung der Eierstöcke und 5 an sonstigen, nicht näher bezeichneten gynäkologischen Malignomen. An einem gynäkologischen Malignom im engeren Sinne erkranken also pro Jahr und pro 100000 lebende Frauen 73. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Zahlen des Karzinoms der Brustdrüse. Hier weist die Inzidenzzahl von 50,4 auf die besondere Problematik dieser Erkrankung hin. Läßt man den Brustkrebs als typisch weibliche Erkrankung gelten, so er­ höht sich die Zahl der an einem geschlechtsspezifischen Kar­ zinom Erkrankten auf 24469. Der Brustkrebs hat in diesem Patientengut einen Anteil von mehr als 40%, während der Gebärmutterhalskrebs einen solchen von etwas weniger als 30 % innehat. Nach dieser Übersicht beschränken sich die folgenden Daten ausschließlich auf die Epidemiologie des Gebärmutterhals­ krebses. Als nächstes interessierte uns die Altersverteilung der an Carcinoma colli uteri Erkrankten. Die Tabelle I I zeigt die Auf­ stellung nach Altersgruppen von 7158 gemeldeten Neuer­ krankungen. Hier ist besonders darauf hinzuweisen, daß 5,4 % der Erkrankten das 30. Lebensjahr und 23,8% der Erkrank­ ten das 40. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten. Den größ­ ten Anteil nehmen erwartungsgemäß die beiden Altersdeka­ den zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr ein. Aber auch die Altersgruppe der 60- bis 69jährigen ist mit 18,9% verhält­ nismäßig stark vertreten, 12,1 % der neuerkrankten Patien­ tinnen stand im Alter von 70 und mehr Jahren. Auffallend an dieser Übersicht ist, daß in den vier Altersdekaden zwischen dem 30. und 70. Lebensjahr die prozentuelle Beteiligung an den Neuerkrankungen nur verhältnismäßig geringe Unter­

Inzidenzrate (auf 100000 lebende Frauen pro Jahr); (weibliche Bevölkerung: 3954684)

29,3 15,4 10,8 3,8

36,2 19,1 13,3 4,7

59,3

73,4

40,7

50.4

100

schiede erkennen läßt. Prophylaktische Reihenuntersuchun­ gen scheinen daher in der Altersgruppe der 30- bis 39jährigen ebenso wichtig zu sein wie in der Altersgruppe der 60- bis 69jährigen. In der Tabelle III haben wir die Neuerkrankungen an Gebär­ mutterhalskrebs bei Frauen unter 40 Jahren getrennt nach Bundesländern dargestellt. Hier finden sich nicht unerheb­ liche regionale Unterschiede. So ist der Anteil dieser ver­ hältnismäßig jungen Frauen im Burgenland mit 15,2% deut­ lich unter dem Durchschnitt (23,8%), während er in Vorarl­ berg mit 38,8 % ein Maximum erreicht. Eine Erklärung für diese Daten könnte in der Güte von Vorsorgeuntersuchun­ gen beim Gebärmutterhalskrebs zu suchen sein. Bekanntlich werden in Vorarlberg über 90% der Frauen regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen einberufen und computermäßig er­ faßt. Dadurch scheint es eher möglich, die malignen Verän­ derungen frühzeitig zu erkennen. Bei den in der Tabelle III angegebenen Zahlen ist jedoch un­ bedingt darauf hinzuweisen, daß es sich um rohes Zahlenma­ terial handelt. Es ist zum Beispiel in diesen Angaben nicht die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur der einzelnen Bun­ desländer berücksichtigt. Wir haben deshalb in der Tabelle III auch den jeweiligen prozentuellen Anteil der weiblichen Be­ völkerung unter 40 Jahre angegeben. Während dieser in Wien nur 42,1 % umfaßt, so erreicht er in Vorarlberg einen Anteil von 63,5 %. Würde man entsprechend der unter­ schiedlichen Altersstruktur eine entsprechende Gewichtung der gegebenen Zahlen vornehmen, so würde bei einer dem Österreich-Durchschnitt entsprechenden Altersverteilung

Tabelle II. Altersverteilung beim Carcinoma colli uteri in Österreich (7158 gemeldete Neuerkrankungen 1971 bis 1975). Alter

Zahl

0-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70 und mehr Unbekannt

386 1320 1695 1535 1352 868 2

%

18,4 -— 23,7 21,5 18,9 12,1

23,8

1

45,2

J

31,0

i

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Art der Krebserkrankung

Kucera, Michalica: Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses

144

Tabelle III. Bösartige Neubildungen des Gebärmutterhalses bei Frauen unter 40 Jahren. Bundesland

Fallzahl insgesamt

Burgenland Kärnten Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg Wien

178 552 1398 1326 418 589 160 263 2274

Österreich

7158

Prozentueller Anteil an weiblicher Gesamtbevölkerung

% Bevölkerung unter 40 Jahren

27 137 271 305 137 173 50 102 504

15,2 24.8 19,4 23,0 32,8 29.4 31,2 38,8 22,2

53,2 57,9 51,8 57,1 59,0 55,4 61,0 63,5 42,1

1706

23.8

52,9

0-39 Jahre

Wien einen höheren Anteil erreichen, Vorarlberg und Tirol jedoch einen geringeren Anteil an den Erkrankungszahlen. Trotz einer solchen Gewichtung würde jedoch der prozentuell höchste Anteil für Vorarlberg bestehen bleiben. In der Tabelle IV zeigen wir die Gesamtzahl der Neuerkran­ kungen an bösartigen Neubildungen des Gebärmutterhalses getrennt nach Bundesländern. Nicht in allen Fällen entspricht die prozentuelle Beteiligung dem prozentuellen Anteil an der weiblichen Bevölkerungszahl. Die Steiermark und Tirol wei­ sen einen wesentlich geringeren Anteil an den Neuerkran­ kungen auf, als es aufgrund des Anteiles an der weiblichen Bevölkerungszahl zu erwarten wäre. Wien hingegen beteiligt sich mit 31,8% an den Neuerkrankungen, während sein An­ teil an der gesamten weiblichen Bevölkerungszahl nur 22,8 % beträgt. Dies könnte einen Hinweis geben, daß der Meldevor­ gang in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich genau erfolgt. Einen guten Vergleich zwischen den einzelnen Bun­ desländern mit ihrer verschiedenen Bevölkerungszahl läßt die Berechnung der Inzidenzrate zu. Diese gibt Auskunft über die Zahl der Neuerkrankungen auf 100000 lebende Frauen und pro Jahr. Während die Inzidenzrate in Tirol mit 11,4 und der Steiermark mit 19 deutlich unter dem Österreich-Durch­ schnitt (36,2) liegt, weist Wien mit 50,4 ein Maximum auf. Es muß jedoch auch bei den unterschiedlichen Inzidenzraten dar­ auf hingewiesen werden, daß es sich dabei um rohe Zahlen­ angaben handelt ohne Berücksichtigung des unterschiedlichen Altersaufbaues der einzelnen Bundesländer.

In der Tabelle V ist die Mortalitätsstatistik der Morbiditäts­ statistik beim Gebärmutterhalskrebs gegenübergestellt. Im Berichtszeitraum verstarben 1549 Patientinnen an der Todes­ ursache Carcinoma colli uteri, während im gleichen Berichts­ zeitraum 7158 Neuerkrankungen gemeldet wurden [4], Von 100000 lebenden Frauen verstarben 7,8 am Karzinom des Gebärmutterhalses, während 36,4 an einem solchen neu er­ krankten. Auch bei isolierter Betrachtung der Häufigkeitsra­ ten der Todesursachenstatistik werden beträchtliche regionale Unterschiede sichtbar: Im Burgenland verstarben 4,1 Frauen von 100000 an Gebärmutterhalskrebs, während in der Steier­ mark 10,7 an dieser Ursache verstarben. Im allgemeinen er­ bringt die Todesursachenstatistik in der deskriptiven Epide­ miologie die zuverlässigsten Daten. P o p p e r wies jedoch in seiner grundlegenden Arbeit über die regionalen Unterschie­ de der Sterblichkeit in Österreich darauf hin, daß es schwie­ rig ist, aufgrund der statistischen Ergebnisse zwischen Krebs des Gebärmutterhalses und Krebs der übrigen Teile der Ge­ bärmutter zu differenzieren [3]. Die amtlichen Aufzeich­ nungen würden eine erhöhte Häufigkeit der Sterblichkeit an Gebärmutterhalskrebs für Wien und die Steiermark ergeben, wohingegen in Wien der Krebs der übrigen Teile der Gebär­ mutter relativ selten wäre. Diese Diskrepanz läßt sich wohl nur dadurch erklären, daß vielfach in die Todesbescheini­ gungen kurzerhand nur »Gebärmutterkrebs« eingetragen wird, auch wenn ein Gebärmutterhalskrebs vorliegt. Gerade in der Gynäkologie dürfte daher der Aussage der Krebsmor-

Tabelle IV. Bösartige Neubildungen des Gebärmutterhalses. Meldungen in den einzelnen Bundesländern, prozentueller Anteil an der Gesamt­ meldungszahl von Neuerkrankungen; Vergleich mit prozentuellem Anteil der weiblichen Bevölkerungszahl; Vergleich der Inzidenzraten (auf 100000 lebende Frauen pro Jahr). Neuerkrankungen 1971-1975

Burgenland Kärnten Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg Wien

178 552 1398 1326 418 589 160 263 2274

Österreich

7150

% an Neuerkrankungen 2,5 7,7 19,5 18,5 5,8 8,2 2,2 3,7 31,8 100

% der weiblichen Bevölkerungszahl 3,6 6,9 18,9 16,2 5,3 15,7 7,1 3,5 22,8 100

Inzidenzrate

25,3 40,5 37,5 41,4 39,7 19,0 11,4 37,6 50,4 36,2

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Bundesland

145

Kucera, Michalica: Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses

Tabelle V. Vergleich der Mortalitätsstatistik mit der Morbiditätsstatistik beim Carcinoma colli uteri 1971 bis 1975. Vergleich der Häufigkeitsraten (auf 100000 lebende Frauen pro Jahr).

Burgenland Kärnten Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg Wien Österreich

Todesursache Carcinoma colli uteri

Neuerkrankungen: Carcinoma colli uteri

Fallzahl

Häufigkeitsrate

Fallzahl

Inzidenzrate

29 112 172 259 112 335 94 38 398

4,1 8,2 4,6 8,0 10,6 10,7 6,7 5,4 8,8

178 552 1398 1326 418 589 160 263 274

25,3 40,5 37,5 41,4 39,7 19,0 11,4 37,6 50,4

1549

7,8

7158

36,4

biditätsstatistik eine große Bedeutung zukommen, insbeson­ dere wenn man bedenkt, daß die Meldungen über Neuerkran­ kungen größtenteils von Fachabteilungen stammen, die To­ desursachen aber häufig von Allgemeinmedizinern festgelegt werden. Die Daten der Krebsmortalitätsstatistik können da­ her nicht mit jenen der Morbiditätsstatistik verglichen wer­ den. Bei der Todesursachenstatistik führen die Steiermark und Salzburg vor Wien, während bei der Neuerkrankungssta­ tistik Wien vor Oberösterreich und Kärnten führt. Die deskriptive Epidemiologie kann die beträchtlichen Un­ terschiede der Inzidenzraten zwischen den einzelnen Bun­ desländern nicht erklären. Sie kann solche Unterschiede nur aufzeigen und zu weiteren Analysen Anlaß geben. Die be­ trächtlichen Schwankungen der Einwohnerzahlen in den ein­ zelnen Bundesländern lassen zudem einen Vergleich derselben problematisch erscheinen. Außerdem muß an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, daß die Meldungsmodalitä­ ten nicht in allen Bundesländern gleichartig gehandhabt wer­ den, obwohl seitens des Gesetzes ein gleichartiges Vorgehen vorgeschrieben ist. Nur die Bundesländer Oberösterreich, Vorarlberg, Wien und in etwas geringerem Maße auch Nie­ derösterreich haben erfahrungsgemäß überdurchschnittlich hohe Meldungsfrequenzen und sind daher am ehesten für epidemiologische Fragestellungen zu vergleichen. In der Tabelle VI sind jene Bezirke zusammengefaßt, die eine mehr als 50000 zählende weibliche Einwohnerzahl aufwei­ sen. Es sind dies neben einigen Wiener Bezirken die Groß­ städte Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg sowie die ländli­ chen Bezirke von Amstetten, Baden, Graz und Umgebung, Innsbruck-Land und Vöcklabruck. Der Vergleich dieser Großbezirke zeigt ebenso beträchtliche und zunächst uner­ klärbare Unterschiede der Inzidenzraten. Die Großstädte Linz und Salzburg sowie die angeführten Wiener Bezirke lie­ gen alle deutlich über der Norm, während die Großstädte Graz und Innsbruck deutlich unter jener liegen. Die eher ländlichen Großbezirke Amstetten, Baden und Vöcklabruck weisen hingegen Inzidenzraten nahe des Österreich-Durch­ schnittes auf. Auch hier müßten für endgültige Aussagen Un­ tersuchungen über unterschiedliche Bevölkerungsstruktur und unterschiedliche Meldungsfrequenzen angestellt werden. In der Tabelle VII haben wir jene Orte zusammengestellt, die in den einzelnen Bundeslähdern jeweils das Minimum bzw.

Maximum der Inzidenzraten aufweisen. Dabei blieben jene Orte unberücksichtigt, die eine geringere als 15000 zählende weibliche Bevölkerung aufweisen. Zur besseren Charakteri­ stik des Bezirkes scheint in der Tabelle VH auch jeweils der Anteil der Berufstätigen in Land- und Forstwirtschaft bzw. in Industrie und Gewerbe auf. Wie aus der Tabelle VII leicht zu ersehen ist, lassen sich die Minima- bzw. Maximalokalisationen nicht einfach vorwiegend ländlichen bzw. industriellen Gebieten zuordnen. Dies ist schon dadurch begründet, daß in den meisten österreichischen politischen Bezirken der Anteil der in Industrie und Gewerbe Beschäftigten deutlich höher ist als jener der in Land- und Forstwirtschaft Tätigen. Am Bei­ spiel Vorarlberg zeigt sich bei den beiden Bezirken Feldkirch und Dornbirn erstens eine gute Vergleichbarkeit der Ein­ wohnerzahl, aber es liegen auch sehr ähnliche Verhältnisse der prozentuellen Beteiligung der Berufsgruppen vor; dennoch ist in der Inzidenzzahl ein deutlicher Unterschied der Inzi­ denzraten zu verzeichnen (Feldkirch 22,6; Dornbirn 57,9; Vorarlberg-Durchschnitt 37,6).

Tabelle VI. Neuerkrankungen an bösartigen Neubildungen des Gebär­ mutterhalses in Großbezirken (mehr als 50000 weibliche Einwohner). Bezirk

Einwohner­ zahl

Neu­ erkrankungen

Inzidenz­ rate

Amstetten Baden Graz G raz-U m gebung Innsbruck Innsbruck-Land Linz Salzburg Vöcklabruck

54446 55547 135431 51285 61585 54809 107942 70551 57366

104 101 105 23 20 32 248 160 106

38,2 36,4 15,5 9,0 6,5 11,7 46,0 45,4 37,0

83629 56207 58161 56528 57555

222 145 161 155 130

53,1 51,6 55,4 54,8 45,2

Favoriten Floridsdorf Landstraße Leopoldstadt Ottakring

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Bundesland

Kucera, Michalica: Epidemiologie des Gebärmutterhalskrebses

146

Tabelle VII. Orte mit Minima und Maxima der Inzidenzraten an Neuerkrankungen an Carcinoma colli uteri in den österreichischen Bundesländern.

Burgenland: Güssing Eisenstadt - Umgebung Kärnten: Völkermarkt Villach-Stadt Niederösterreich: Zwettl Lilienfeld Oberösterreich: Wels-Land Kirchdorf a.d. Krems Salzburg: Zell am See Salzburg-Stadt Steiermark: Weiz Bruck a.d. Mur Tirol: Landeck Kufstein Vorarlberg: Feldkirch Dornbirn Wien: Josefstadt Simmering

Bevölkerungszahl

Anteil der Berufstätigen in %

Inzidenzrate

in Land- und Forstwirtschaft

in Industrie und Gewerbe

Ort

Bundesland

15026 17626

36,0 23,7

42,0 48,4

14.6 36,3

25,3

22042 18708

22,6 1,4

43,8 30,1

32,7 57,7

40,5

25898 15052

48,0 17,3

25,0 50,5

11,6 63.8

37,5

26469 25058

21,8 25,0

48,5 47,5

23,4 56,7

41,4

33549 70551

16,7 1,1

37,6 30,0

29,2 45,4

39,7

40103 37655

33,9 8,1

40,3 56,9

5,0 48,3

19,0

18292 36115

14,0 14,4

32,9 42,6

5,5 24,4

11,4

35 375 31 104

3,4 1,6

63,1 66,5

22,6 57,9

37,6

40,9 69,3

50,4

17103 30876

Diskussion

Es wurde bereits mehrmals darauf hingewiesen, daß mit der hier vorgelegten Information über die verschiedene Häufig­ keit von Neuerkrankungen an Gebärmutterhalskrebs in den einzelnen politischen Bezirken Österreichs noch keine Be­ gründung für die Ursache dieser Inzidenzdifferenz gegeben werden kann. Dazu werden weitgehende Umwelterhebun­ gen, wie z.B. Analyse der Bodenbeschaffenheit, Ernährungs­ gewohnheiten, Messungen der Luftverschmutzung - um nur einige zu nennen - nötig sein. Man könnte auch die hier vorgelegten Daten trotz des gro­ ßen Patientengutes und trotz der Zusammenfassung eines 5jährigen Zeitraumes insgesamt anzweifeln, wenn man die Aussagefähigkeit der Krebsstatistik allgemein in Frage stellt. Dies hat insofern eine gewisse Berechtigung, als die Krebs­ statistik keinesfalls einen vollständigen Erfassungsgrad auf­ weisen kann. Der seit 1970 erreichte Erfassungsgrad liegt immer noch bei geschätzten 70% und darf daher nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Regionale Schwankun­ gen können zum Teil auch dadurch erklärt werden, daß eine namhafte Zahl von Krankenanstalten keine Meldungen ab­ geben und auf Rückfragen nur unglaubwürdige Antworten er­ teilt werden (keine Erkrankungsfälle!). Erfahrungsgemäß steigt die Vollständigkeit und Güte von statistischen Mel­ dungen, wenn der Meldepflichtige vom Zweck und von der Nützlichkeit der zu erstattenden Meldungen überzeugt ist. Aus

diesem Grunde soll auch hier die Gelegenheit benützt wer­ den, an alle einschlägigen Spitäler zu appellieren, die durch Gesetz gebotenen Meldungen vollständig und nach sorgfälti­ ger Ausfüllung abzugeben. Die uneinheitlichen Meldungs­ modalitäten und der daraus resultierende unvollständige Er­ fassungsgrad erlauben es aber nicht, die Zahlen der Krebs­ statistik als völlig unbrauchbar anzusehen. Dies soll an den beiden ländlichen Bezirken von Waidhofen a.d. Thaya und Weiz gezeigt werden: Beide Spitäler dieser Bezirke haben be­ züglich ihrer Meldungen von Krebserkrankungen im Vergleich mit der amtlichen Statistik der Krankenbewegung in Öster­ reich (C-Bericht) eine 100%ige Krebsmeldefrequenz aufzu­ weisen [2], Dies heißt mit anderen Worten, daß die Krebs­ meldemodalitäten in beiden Bezirken mit gleichem Verant­ wortungsbewußtsein vollständig durchgeführt werden. Den­ noch zeigen diese beiden Bezirke einen ganz erheblichen Un­ terschied in der Inzidenzrate des Gebärmutterhalskrebses. Waidhofen weist eine solche von 54,3 auf und liegt damit deutlich über dem Österreich-Durchschnitt, während Weiz eine solche von 5 aufweist und damit ganz deutlich unter den Durchschnitt zu liegen kommt. Eine Erklärung der auffallend geringen Inzidenzrate von Weiz könnte dadurch gegeben sein, daß ein Teil der im Bezirk Weiz erkrankten Patientinnen der Landeshauptstadt Graz zugewiesen wird, dort bekanntlich die Meldungsfrequenz eine geringe ist und diese Patientinnen im Wohnortbezirk nicht aufscheinen. Diese Erklärungsmöglich­ keit würde die Inzidenzratendifferenz zwischen den beiden po­

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Bundesland

Kucera, Michalica: Epidemiologie des Gebärmutterhalskrcbses

litischen Bezirken zwar verringern, aber sicher nicht aufheben. Abschließend sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Autoren keineswegs den Anspruch erheben, endgültige Ergebnisse vorgelegt zu haben. Die hier vorgelegten Daten sind zwar die ersten ihrer Art in Österreich, sollen aber nur den Stellenwert einer Basisinformation einnehmen. Im Sin­ ne der analytischen und experimentellen Epidemiologie sol­ len sie Anlaß zu weiteren Untersuchungen geben.

147 3

4

L.: Regionale Unterschiede der Sterblichkeit in Ö ster­ reich (österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, Wien 1976). Bericht über das Gesundheitswesen in Österreich (1971-1975): Hsg. vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in Zusammenarbeit mit dem österreichischen statistischen Zen­ tralamt.

Po pper,

Literatur

2

L.: Aussagen der Krebsstatistik. Mitteilungen der Ö ster­ reichischen Sanitätsverwaltung 78, 1. Sonderheft: 20-30 (1977). F r ie d e , H. P .: österreichisches statistisches Zentralamt (persönl. Mitt., 12.9. 1978). B osse,

Sonderdruckbestellungen an: O. A. Dr. H. K u c e r a , Strahlenabtei­ lung der I. und II. Universitäts-Frauenklinik, Spitalgasse 23, A-1090 Wien

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1

[Epidemiology of cervical cancer in Austria].

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