Leitthema: Endokrine Tumoren Radiologe 2014 · 54:966–974 DOI 10.1007/s00117-014-2687-6 Online publiziert: 2. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

G. Leidig-Bruckner Gemeinschaftspraxis Endokrinologie & Nuklearmedizin, Heidelberg

Endokrine Tumoren Klinische Übersicht

Allgemeiner Überblick und besondere Aspekte bei der Diagnostik endokriner Tumoren Unter dem Begriff „endokrine Tumoren“ werden alle Tumorerkrankungen zusammengefasst, die von endokrinen Organen ausgehen. Somit handelt es sich um Krankheitsbilder mit ganz unterschiedlichem Verlauf, abhängig vom betroffenen Organ und der damit verbundenen Hormonfunktion sowie dem Lebensalter der Patienten (prä-/postpubertär, prä-/postmenopausal). Eine Gliederung der endokrinen Tumoren erfolgt nach unterschiedlichen Gesichtspunkten: F Lokalisation (betroffenes Organ oder Drüsensystem), F endokrine Funktion (hormonaktiv, hormoninaktiv, sekundäre Funktionsstörungen), F Dignität (benigne oder maligne), F Tumorgenese (sporadisch oder hereditär). Durch diese Einteilungsmerkmale wird auch der klinische Verlauf wesentlich bestimmt. Ziel dieses Einführungsbeitrags

Abkürzungen ACTH DHEAS FSH fT3 fT4 IGF1 LH STH TSH

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Adrenokortikotropes Hormon Dehydroepiandrosteronsulfat Follikelstimulierendes Hormon Freies Trijodthyronin Freies Thyroxin „Insulin-like growth factor 1“ Luteinisierendes Hormon Somatotropes Hormon Thyreoidea-stimulierendes Hormon

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ist es, einen Überblick über die verschiedenen endokrinen Erkrankungen und mögliche klinische Merkmale und wesentliche Aspekte für die Planung der weiteren Diagnostik und Therapie zu geben.

Lokalisation Am häufigsten sind endokrine Tumoren in der Hypophyse, der Schilddrüse, den Nebenschilddrüsen, den Nebennieren und im gastroenteropankreatischen System sowie im Thymus und Bronchialsystem lokalisiert. Sie werden je nach zytopathologischem Befund (Zelltyp, Grading) und der Fähigkeit zur Hormonsekretion weiter unterteilt, wobei das Hormonprodukt für die klinische Symptomatik und die Nomenklatur bestimmend ist (. Tab. 1).

Hormonproduktion Die klinische Symptomatik bei endokrinen Tumoren hängt wesentlich davon ab, ob die Tumoren endokrin aktiv sind, d. h. unreguliert Hormone sezernieren oder nicht [1]. Bei den hormonaktiven Tumoren spielt die Tumorgröße meistens keine entscheidende Rolle, denn die Symptomatik wird durch die Funktion des jeweiligen Hormonprodukts bestimmt. Besonders deutlich wird dies z. B. beim Morbus Cushing: ein ACTH-produzierendes Hypophysenadenom kann oft nur wenige Millimeter groß und schwer zu lokalisieren sein, jedoch aufgrund des Hypercortisolismus in einem schweren lebensbedrohlichen Krankheitsbild resultieren, das einer möglichst raschen kausalen Therapie bedarf. Für die Diagnosestellung sind

daher die Kenntnis der klinischen Symptomatik und eine entsprechende Labordiagnostik entscheidend. Die endokrine Aktivität von Tumoren ist auch für die Lokalisationsdiagnostik von wesentlicher Bedeutung, da sie z. T. für eine funktionelle Bildgebung genutzt und für die Festlegung der weiteren Therapie entscheidend sein kann. Das am häufigsten eingesetzte Verfahren der funktionellen Bildgebung ist die Schilddrüsenszintigraphie, die eine Unterscheidung zwischen funktionellen (heißen) und hypofunktionellen (kalten) Knoten ermöglicht. Weitere Beispiele für eine funktionelle Bildgebung sind die 123JodMetajodbenzylguanidin(MIBG)-Szintigraphie zur Lokalisationsdiagnostik des Phäochromozytoms oder die Somatostatinrezeptorszintigraphie zur Abklärung neuroendokriner Tumoren [10] (s. Beitrag von Kratochwil u. Giesel, „Nuklearmedizinische Therapie endokriner Tumoren“, in diesem Heft [13]). Auch hormoninaktive endokrine Tumoren können endokrine Funktionsstörungen verursachen, indem sie die reguläre Hormonfunktion eines Organs beeinträchtigen. Ein typisches Beispiel ist eine Insuffizienz des Hypophysenvorderlappens bei hormoninaktiven Hypophysenadenomen. Technische Verbesserungen und der gehäufte Einsatz bildgebender Diagnostik (Ultraschalluntersuchungen, Computerund Magnetresonanztomographie) bringen es mit sich, dass in zunehmendem Maße Raumforderungen (Inzidentalome) endokriner Organe zufällig festgestellt werden. Wenngleich sie meistens irrelevant sind, müssen ihre endokrine Funk-

Zusammenfassung · Abstract tion und ihre Dignität abgeklärt werden, um zu entscheiden, ob der Patient behandelt werden muss und wie. Am häufigsten findet man hormoninaktive Inzidentalome in der Schilddrüse, der Nebenniere, dem Pankreas und auch in der Hypophyse. In aller Regel sind sie benigne, bedürfen keiner Therapie und müssen lediglich beobachtet werden [2, 3].

Dignität Kriterien der Malignität in der bildgebenden Diagnostik sind z. B. Kapseldurchbruch oder organüberschreitendes Wachstum und Hinweise auf Lymphknoten- und/oder Fernmetastasen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tumor bösartig ist, hängt sehr vom betroffenen Organ ab, sodass sich der Umfang der Diagnostik nach dem betroffenen Organ und der klinischen Symptomatik richtet. Tumoren in der Hypophyse und den Nebenschilddrüsen sind nur sehr selten maligne. Auch Tumoren in der Nebenniere sind meistens benigne; am häufigsten handelt es sich um hormoninaktive Inzidentalome oder hormonaktive Nebennierenadenome (Conn-Syndrom – Aldosteron, Cushing-Syndrom – Kortisol, Phäochromozytom – Katecholamine). Bei jedem Nebenniereninzidentalom ist die Abklärung der Hormonaktivität (. Tab. 2) notwendig. Phäochromozytome sind in 10– 20% der Fälle maligne. Nebennierenkarzinome sind sehr selten. Meistens gehen sie mit einer exzessiven Hormonproduktion einher, mit entsprechender Symptomatik (Cushing-Syndrom, Hyperandrogenismus [5]). Die Wahrscheinlichkeit der Malignität bei Inzidentalomen der Nebenniere steigt mit der Tumorgröße (6 cm zu einer operativen Therapie geraten, bei Tumorgrößen zwischen 4 und 6 cm zu einer kurzfristigen Verlaufskontrolle und bei Tumorgrößen 3 mmol/l), Phosphat, PTH Kalzium im Urin Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems Pankreas Insulinom Benigne/ Insulin, C-Peptid, Blut-  maligne zucker, Hungerversuch Gastrinom (Pankreas und Benigne/ Gastrin Duodenalwand) maligne Glukagonom Benigne/ Glukagon maligne

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Tab. 1  Übersicht über häufige endokrine Tumoren: Lokalisation, Dignität, Labordiagnostik, Genetik und klinische Symptomatik (Fortsetzung) Tumorlokalisation/  Krankheitsbild

Dignität

Leithormon Weitere Labordiagnostik

VIPom

Genetik Sporadisch (s)/  hereditär (h) s h x ?

Klinische Leitsymptome

Benigne/ VIP, PP Wässrige Diarrhö maligne Kalium, Natrium Hypokaliämie Funktionell nichtaktive NET Benigne/ – x x MEN1 Sekundäre Symptome bei Metastasierung maligne Extrapankreatische Lokalisation (Magen, Duodenum, distales Jejunum, Ileum, Appendix, Kolon, Rektum), sowie Bronchialsystem, Thymus Neuroendokrine Tumoren –  Benigne Serotonin x x MEN1 Flushsymptomatik hormonaktiv (Karzinoidbis   NSE Diarrhö, krampfartige Bauchbeschwerden syndrom) maligne Chromogranin A Bronchialobstruktion 5-Hydroxyindol-Essigsäure -- Hormoninaktiv Benigne – x x MEN1   bis   maligne Nebenniere Hormonaktive Adenome Conn-Syndrom Benigne Aldosteron, Renin, Natrium, x x MEN1 Erhöhter Blutdruck – teilweise schwer einstellbar Kalium 24-h-Urin: freies Aldosteron Cushing-Syndrom Benigne Kortisol, ACTH x   Zeichen des Hyperkortisolismus: Haut, Striae,   Natrium, Kalium, AndroGewichtszunahme stammbetont, Bluthochdruck, gene Muskelatrophie und -schwäche 24-h-Urin: freies Kortisol Depressive Verstimmung Dexamethasonhemmtest Androgenproduzierende – Testosteron, DHEAS x   Virilisierung bei Frauen: Sekundärbehaarung,   Adenome Stimme, androgenetisch betonter Haarausfall Phäochromozytom Benigne Erhöhte Katecholamine, x x MEN2 Plötzliche anfallsartige Blutdruckentgleisungen Maligne Metanephrine im Serum; Schwer einstellbarer Bluthochdruck (10–20%) 24-h-Sammelurin Blässe, Gewichtsverlust Hormoninaktive Tumoren Benigne – x - MEN1   (Inzidentalome) Nebennierenkarzinom Hoch-  Steroidhormone (Kortisol, x   Teilweise Virilisierung maligne Androgene) Verdacht auf Hyperkortisolismus DHEAS Abdominelle Beschwerden Testosteron HVL Hypophysenvorderlappen, SD Schilddrüse, LK Lymphknoten, TAK Thyreoglobulin-Antikörper, CEA karzinoembryonales Antigen, PTH Parathormon, VIP vasoaktives intestinales Peptid, PP pankreatisches Polypeptid, NET neuroendokriner Tumor.

Hefts – bzgl. der genauen Vorgehensweise wird auf speziell hierzu verfasste Übersichtsarbeiten verwiesen [12]. Bei Knoten in der Schilddrüse ist die Abklärung des Risikos für Malignität entscheidend für die Festlegung der Therapie (konservative vs. operative Therapie). Die Einschätzung des Malignitätsrisikos bei Schilddrüsenknoten basiert auf einem multimodalen Vorgehen, wobei sowohl klinische Befunde, Ultraschallkriterien, Szintigraphie, Elastographie, Labordiagnostik (Kalzitonin) sowie die Feinnadelpunktion (Zytologie und molekulargenetische Analyse von BRAF-Mutationen) eine Rolle spielen – meistens ist nicht eine einzelne Methode richtungsweisend, sondern die ge-

samte Befundkonstellation. Eine endgültige Klassifikation ist nur anhand des histologischen Befundes nach erfolgter operativer Therapie möglich (benigne vs. maligne Befunde, differenzierte Schilddrüsenkarzinome: papillär, follikulär, C-ZellKarzinom; niedrig differenzierte und anaplastische Karzinome). Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltrakts bzw. des Bronchialsystems (ehemals Karzinoide) sind zum Zeitpunkt der Diagnosestellung häufig bereits metastasiert. Oft wird die Diagnose durch die histologische Abklärung von Lebermetastasen gestellt oder aufgrund der klinischen Symptomatik mit Flush und Diarrhöen. Klinischer Verlauf

und Prognose bei NET sind sehr variabel. Die genaue Einteilung der Dignität neuroendokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts erfolgt anhand der Histologie, wobei entsprechend dem WHO-Grading zwischen neuroendokrinen Tumoren (NET) und neuroendokrinen Karzinom (NEK) unterschieden wird. Im Einzelnen wird bei NET unterschieden zwischen [7]: F benignen hochdifferenzierten neuroendokrinen, nichtangioinvasiven Tumoren, F überwiegend hormoninaktiven NET je nach Tumorbiologie als benigne und auch als „low grade malignant“, Der Radiologe 10 · 2014 

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Leitthema: Endokrine Tumoren Tab. 2  Labordiagnostik bei Inzidentalomen der Nebennieren Erkrankung/hormonaktiver Nebennierentumor Nebennierenadenome

Hyperkortisolismus Primärer Hyperaldosteronismus Phäochromozytom Verdacht auf androgen-  produzierende Tumoren

Labordiagnostik Blutbild (Hb, Leukozytose) Veränderungen im Routinelabor: Elektrolyte (Natrium, Kalium), Kreatinin Kortisol im Serum und 2-mg-Dexamethasonhemmtest 24-h-Sammelurin freies Kortisol Aldosteron-Renin-Quotient Eventuell 24-h-Sammelurin freies Aldosteron und Metabolite Katecholamine und Metanephrine im 24-h-Sammelurin Metanephrine im Serum DHEA-S, 17-OH-Progesteron, Androstendion Freies Testosteron bei Frauen, 17β-Estradiol bei Männern

Tab. 3  Basisdiagnostik bei nachgewiesenem Hypophysenadenom Methode Labor HVL-Funktion – Basale Diagnostik

– Stimulationstests   (bei Verdacht auf HVL-Insuffizienz) – Suppressionstests   (bei Verdacht auf hormonaktives Adenom) Augenärztliche Untersuchung

Untersuchung STH, IGF1 fT3, fT4, TSH Prolaktin LH, FSH, Testosteron, 17β-Estradiol ACTH, Kortisol In Abhängigkeit von der basalen Diagnostik In Abhängigkeit von der basalen Diagnostik Gesichtsfeld Visus

HVL Hypophysenvorderlappen.

F den NEK mit Angioinvasion oder Infiltration bis unter die Submukosa (entsprechend einem hochdifferenzierten NEK mit oder ohne Hormonproduktion) und F hochmalignen, schlecht differenzierten Karzinomen mit oder ohne Hormonproduktion.

Tumorgenese   (sporadisch, hereditär) Ein Teil der endokrinen Tumoren kommt familiär gehäuft vor, und zwar aufgrund bestimmter tumorauslösender Mutationen, die überwiegend autosomal dominant vererbt werden [11]. Bei diesen familiären Formen handelt es sich meistens um Tumorsyndrome, die multiplen endokrinen Neoplasien (MEN), bei denen mehrere endokrine Tumoren bei einem Patienten synchron oder metachron auftreten (s. Beitrag Raue u. Wilhelm, „Multiple endokrine Neoplasien“, in diesem Heft [14]). Entscheidend ist es, beim Auftreten bestimmter endokriner Tumoren wie z. B. dem primären Hyperparathyreoidismus (pHPT), Hypophysenadeno-

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men, endokrinen Pankreastumoren, Phäochromozytomen bzw. einem C-Zell Karzinom, an die Möglichkeit einer MEN zu denken und diesem Verdacht durch gezielte Familienanamnese, weiterführende Hormondiagnostik und ggf. molekulargenetische Diagnostik nachzugehen. Besonders bei endokrinen Tumoren vor dem 40. Lebensjahr sollte an eine hereditäre Form gedacht werden, ebenso wenn mehrere endokrine Erkrankungen gleichzeitig bestehen. Bei Nachweis einer hereditären Erkrankungsform sollte eine humangenetische Beratung erfolgen und die Familienmitglieder gescreent werden.

Klinische Übersicht über die einzelnen endokrinen Tumoren Hypophysentumoren Hypophysenadenome sind überwiegend benigne und gehen vom Hypophysenvorderlappen aus. Je nach Größe wird zwischen Mikro- (10 mm) unterschieden, je nach der Hormonproduktion zwischen hormonaktiven und -inaktiven Tumoren.

Unter den Hypophysenadenomen sind Prolaktinome am häufigsten (50%), gefolgt von Wachstumshormon(GH)- (ca. 22%) und ACTH-produzierenden Adenomen (5%). Andere hormonaktive Adenome (TSH, LH, FSH, Mischtumoren) sind äußerst selten. Nicht alle Raumforderungen in der Sellaregion gehen von der Hypophyse selbst aus. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen muss man an ein Kraniopharyngeom, Zysten und Fehlbildungen („empty sella syndrome“, Zyste der Rathke-Tasche, Arachnoidalzysten), vaskuläre Veränderungen und entzündliche Erkrankungen (Sarkoidose, Tuberkulose, Autoimmunhypophysitis), Keimzelltumoren und sonstige Tumoren (Meningeome, Metastasen) denken.

Klinik der Hypophysenadenome

Die Klinik hypophysärer Tumoren wird bestimmt durch die Hormonaktivität des Adenoms bzw. die resultierende Insuffizienz der restlichen Hypophysenfunktion einerseits und durch mögliche Beeinträchtigungen des Sehnervs [6]. Auch nicht hormonaktive Hypophysenadenome oder – seltener – nicht hypophysäre Raumforderungen im Hypophysenbereich können durch Kompression des Hypophysengewebes zu einer Hypophysenvorderlappen(HVL)-Insuffizienz führen. Die einzelnen Hypophysenzellen sind hierbei unterschiedlich sensitiv. Bei tumorbedingter Kompression fallen meistens die somato- und gonadotrope Funktion zuerst aus, später erst die lebenswichtige thyreo- und kortikotrope Funktion. Hypophyseninsuffizienz.  Klinische Hinweise für eine HVL-Insuffizienz sind bei Ausfall der somatotropen Funktion im Kindesalter Wachstumsstörungen, beim Erwachsenen Hinweise für geänderte Körperzusammensetzung, Fettstoffwechselstörungen, Abnahme der Leistungsfähigkeit. Bei Einschränkung der gonadotropen Funktion sind Fertilitätsstörungen, Oligo-/Amenorrhö, Libido- und Potenzstörungen richtungsweisend. Hinweise für eine eingeschränkte thyreotrope Funktion sind Kälteintoleranz, Neigung zur Gewichtszunahme, Müdigkeit, Antriebsarmut, Bradykardie, Obstipationsneigung – wie auch bei einer primä-

ren Hypothyreose. Ein Ausfall der kortikotropen Funktion zeigt sich durch blasse Haut, Schwäche, Müdigkeit, Apathie, teilweise Übelkeit, Erbrechen, Hypoglykämie. Bis auf die blasse Haut entspricht dies der Symptomatik eines Morbus Addison. Eine Einschränkung der Funktion des Hypophysenhinterlappens mit Entwicklung eines Diabetes insipidus ist bei primären Hypophysenadenomen selten und meistens Hinweis für eine hypothalamische Raumforderung (z. B. Kraniopharyngeom [9]). Dies liegt vermutlich daran, dass die Produktion des antidiuretischen Hormons im unteren Hypothalamus und nur die Freisetzung im Hinterlappen der Hypophyse erfolgt. Bei Verdacht auf eine eingeschränkte HVL-Funktion ist als endokrinologische Diagnostik meistens die Bestimmung der Hypophysenhormone und der zugehörigen peripheren Hormone ausreichend (niedrige HVL-Hormone und niedrige periphere Hormone – z. B. niedriges LH, FSH und niedriges Testosteron). Bei Verdacht auf partiell eingeschränk-

ter HVL-Funktion sind ggf. zur weiteren Abklärung Stimulationstests notwendig (. Tab. 3). Da sich die Symptome bei einer HVL-Insuffizienz meistens schleichend entwickeln und teilweise unspezifisch sind, wird die Diagnose oft spät gestellt, im Zusammenhang mit Sehstörungen. Auch Sehstörungen entwickeln sich meistens langsam und werden von den Patienten oft lange Zeit nicht bemerkt. Die Sehstörungen umfassen neben „klassischen“ Gesichtsfeldausfällen (bitemporale Hemianopsie, einseitige Ausfälle) eine Abnahme der Sehkraft, teilweise Einschränkung des Farbensehens und Entwicklung einer Optikusatrophie. Selten kommt es zu akuten Sehverschlechterungen, meist infolge von Einblutungen in den Tumor. Bei nachgewiesenen Hypophysenadenomen ist eine augenärztliche Untersuchung (Gesichtsfeld und Visuskontrolle) zwingend erforderlich. Hormonaktive Hypophysenadenome.  Bei hormonaktiven Hypophysenadenomen werden klinische Symptoma-

tik, Diagnostik und Therapie hauptsächlich durch die Überproduktion des entsprechenden Hormons bestimmt. Das Prolaktinom fällt meistens durch Störungen der gonadotropen Funktion wie Amenorrhö, Libidoabnahme und Fertilitätsprobleme und teilweise durch eine Galaktorrhö auf. Das Prolaktinom kann im Gegensatz zu den anderen hormonaktiven Hypophysenadenomen primär mit Medikamenten (z. B. Bromocriptin, Cabergolin) behandelt werden, auch wenn bereits ein Makroadenom vorliegt. Durch die weit verbreitete Einnahme der Pille bleibt eine Amenorrhö aufgrund eines Mikroprolaktinoms oftmals lange unentdeckt und wird erst bei Pillenpause und bestehendem Kinderwunsch bemerkt. Eine Prolaktinbestimmung sollte aufgrund der therapeutischen Konsequenz unbedingt bei jedem auch zufällig festgestellten Hypophysenadenom durchgeführt werden. Cave: Eine Erhöhung des Prolaktins im Serum ist kein zwingendes Indiz für ein Prolaktinom, denn sie kann auch durch

Leitthema: Endokrine Tumoren einen Wegfall der Hemmung der „natürlichen“ Prolaktinproduktion infolge eines anderen sellären oder suprasellären Tumors verursacht sein oder als Begleiterscheinung bei Einnahme bestimmter Medikamente auftreten („Begleithyperprolaktinämie“). In dem Fall wäre eine bloße medikamentöse Therapie inadäquat. Die Bewertung der Befunde und die Therapie gehören deshalb in die Hände eines erfahrenen Endokrinologen. Das STH-produzierende Hypophysenadenom ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die klinische Symptomatik in Abhängigkeit vom Erkrankungsalter unterscheidet. Bei der Hormondiagnostik zeigen sich erhöhte STH-/IGF-1-Spiegel mit fehlender Supprimierbarkeit im Glukosebelastungstest. Bei Auftreten eines STHproduzierenden Adenoms im Kindes-/Jugendalter kommt es zu Riesenwuchs, bei Auftreten im Erwachsenenalter zu den typischen Veränderungen der Akromegalie mit betontem Wachstum der Akren und Ausbildung akromegaler Gesichtszüge, Hyperhidrosis, Störungen des Glukosestoffwechsels und Ausbildung einer Viszeromegalie mit entsprechenden Folgen. Das ACTH-produzierende Hypophysenadenom ist die häufigste Ursache des Cushing-Syndroms im Erwachsenenalter. Durch autonome ACTH-Sekretion kommt es zum Hyperkortisolismus – meistens sind die zirkadiane Tagesrhythmik der Kortisolproduktion und der hypothalamische-hypophysäre-adrenale Regelkreis ganz oder partiell aufgehoben. Die klinische Folge ist die Entwicklung eines Cushing-Syndroms, wobei sich dieses oftmals schleichend entwickelt und die Symptomatik je nach Ausprägung zumindest im Anfangsstadium diskret sein kann. Die häufigsten klinischen Zeichen des Cushing-Syndroms sind: F Vollmondgesicht, F Plethora, F stammbetonte Adipositas, F arterielle Hypertonie, F Hypogonadismus, F Hautveränderungen (Striae, hämorrhagische Diathese, Akne, Virilisierung [bei Frauen]), F Osteoporose, F Muskelschwäche und F psychische Veränderungen.

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Bei klinischem Verdacht auf ein CushingSyndrom sollte an erster Stelle eine endokrinologische Labordiagnostik (ACTH, Kortisol im Serum, 24-h-Sammelurin auf freies Kortisol und Dexamethasonhemmtest) erfolgen und erst an zweiter Stelle eine bildgebende Diagnostik durchgeführt werden. ACTH-produzierende Hypophysenadenome sind oftmals sehr klein und erfordern ggf. spezielle Untersuchungen zur Lokalisationsdiagnostik. Bei einem Cushing-Syndrom ist mithilfe spezieller Hormondiagnostik zwischen einem ACTH-produzierenden Hypophysenadenom (Morbus Cushing), einer ektopen ACTH-Produktion und einem primären Nebennierenrindenadenom und einer exogenen Glukokortikoidzufuhr zu differenzieren. STH- und ACTH-produzierende Hypophysenadenome sollten primär möglichst frühzeitig operativ behandelt werden, um mögliche irreversible Folgen der Hormonmehrsekretion zu vermeiden (s. Beitrag von Jesser, Schlamp, Bendszus, „Hypophysentumoren“, in diesem Heft [15]).

Nebenschilddrüse (NSD) Der primäre Hyperparathyreoidismus (HPT) beschreibt die autonome Mehrsekretion von Parathormon (PTH). Ihr liegen entweder ein solitäres Adenom einer Nebenschilddrüse oder mehrere NSD-Adenome bzw. eine Hyperplasie aller 4 Epithelkörperchen zugrunde. Folgen der autonomen PTH-Sekretion sind eine Hyperkalzämie, Hypophosphatämie und Hyperkalziurie. Klinisch symptomatisch wird der primäre HPT durch Nierensteine, Osteoporose (mit und ohne Frakturen) und peptische Ulzera sowie eine Pankreatitis. Weitere Symptome im Zusammenhang mit der Hyperkalzämie sind Polyurie und Polydipsie, Niereninsuffizienz, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, depressive Verstimmung bis zur Bewusstseinsstörung und Koma (symptomatischer HPT). Heutzutage ist der primäre HPT jedoch bei einem Großteil der Patienten asymptomatisch, da die Diagnose aufgrund typischer Laborbefunde (leicht erhöhte Serumkalziumwerte) früh gestellt wird. Jedes erhöhte Serumkalzium bedarf einer weiteren differen-

zialdiagnostischen Abklärung. Entscheidend für die Diagnosestellung primärer HPT ist die typische Laborkonstellation (erhöhtes Serumkalzium + erhöhtes PTH + erhöhte Kalziumausscheidung im Urin). Die Lokalisationsdiagnostik mittels bildgebender Verfahren ist der Hormondiagnostik nachgeordnet und relevant bei der Planung einer operativen Therapie. Abklärung und Differenzialdiagnose sowie Therapie des pHPT sind nicht Gegenstand dieses Hefts, diesbezüglich wird auf entsprechende Übersichtsarbeiten verwiesen [4]. Der pHPT zählt mit zu den häufigsten endokrinen Erkrankungen. Die Prävalenz steigt mit dem Lebensalter an und ist bei Frauen, besonders nach Eintritt der Menopause, doppelt so häufig wie bei Männern. Meistens ist er sporadisch, kann aber auch als Teil hereditärer Tumorsyndrome (MEN1 und 2 sowie Kiefer-Tumor-Syndrom) auftreten. Ein rezidivierender oder nach Operation persistierender pHPT, ein Erkrankungsalter von unter 40 Jahren, multiple Adenome sowie das Vorliegen weiterer endokriner Tumoren müssen an eine hereditäre Ursache denken lassen. Ganz überwiegend sind Adenome der Nebenschilddrüse gutartig; sehr selten kommt ein Nebenschilddrüsenkarzinom vor. Laborchemisch unterscheidet sich das NSD-Karzinom nicht von der Konstellation eines pHPT bei NSD-Adenom, häufig sind aber zum Diagnosezeitpunkt die Kalziumspiegel im Serum deutlich höher.

Nebenniere In der Nebenniere finden sich häufig Inzidentalome, die meisten sind hormoninaktiv. Hormonaktive Tumoren der Nebenniere können sowohl von der Nebennierenrinde als auch vom -mark ausgehen und Ursache für eine sekundäre arterielle Hypertonie sein. Zur Abklärung der Hormonaktivität sollte daher bei jedem zufällig festgestellten Nebennierentumor eine Minimaldiagnostik erfolgen (. Tab. 2). Die in . Tab. 2 genannte Diagnostik ist auch indiziert bei der Abklärung möglicher endokriner Ursachen einer neu aufgetretenen, schwer einstellbaren arteriellen Hypertonie oder unter medikamentöser Therapie plötzlich unzureichender

Blutdruckeinstellung. Eine bildgebende Diagnostik erfolgt dann nur bei auffälligem Befund in der Hormondiagnostik. Bezüglich der Einzelheiten der Diagnostik und Differenzialdiagnostik bei der Abklärung von Nebennierentumoren wird auf den Beitrag von Degenhart [16] in diesem Heft verwiesen. Neben einer arteriellen Hypertonie können Symptome eines Hyperkortisolismus auf einen hormonaktiven Nebennierentumor hindeuten. Bei Frauen können Symptome der Hyperandrogenämie (Virilisierung, Alopezie, Zyklusstörungen, Veränderungen der Stimme) ein klinischer Hinweis auf einen Androgen produzierenden Nebennierentumor sein. Bei der Diagnose eines Phäochromozytoms sollte immer an die Möglichkeit einer hereditären Form (z. B. multiplen endokrinen Neoplasie) gedacht und mittels Familienanamnese und einer richtungsweisenden Labordiagnostik (z. B. Serumkalzium, PTH, Kalzitonin) eine weitere Einschätzung in dieser Richtung ermittelt werden. Weiterhin treten Phäochromozytome in ca. 10% der Fälle bilateral, in 10–15% extraadrenal (Paragangliome) auf und sind in ca. 5–20% der Fälle maligne [8]. Hormonaktive Nebennierentumoren sollten nach Möglichkeit immer operativ entfernt werden, wobei im Falle eines Phäochromozytoms auf die entsprechende medikamentöse Vorbereitung der Patienten zu achten ist (α-Blockierung), um hypertensive Entgleisungen und schwere Narkosekomplikationen zu verhüten. β-Rezeptor-Blocker dürfen nur nach ausreichender vorausgegangener α-Blockierung verwendet werden, da es sonst zu paradoxen Blutdruckanstiegen kommen kann. Ergibt sich kein Anhalt für das Vorliegen eines hormonaktiven Nebennierentumors, kann der Tumor in Abhängigkeit von seiner Größe beobachtet werden (Kontrolle der Hormondiagnostik und des morphologischen Befundes, s. oben, Abschn. “Dignität“). Nebennierenmetastasen anderer Primärtumoren kommen v. a. bei Bronchial-, Nierenzell-, Mammakarzinomen und beim malignen Melanom vor. Bei diesen Grunderkrankungen muss eine Nebennierenraumforderung im Rahmen des ge-

samten Stagings bewertet werden – meistens liegen bei Nebennierenmetastasen multiple Metastasen auch in anderen Organen vor.

Neuroendokrine Tumoren   des gastroenteropankreatischen Systems (NET-GEP) Zellen mit neuroendokrinen Eigenschaften finden sich im Bereich der Bronchien, im Magen und Darm, im Pankreas, in den Gallenwegen, im Urogenitaltrakt und in der Haut. Das gastroenteropankreatische System (GEP) beinhaltet die meisten neuroendokrinen Zellen. Neuroendokrine Tumoren (NET) können histologisch in die Gruppe des neuralen (Neuroblastome, Phäochromozytome und Paragangliome) und epithelialen (GEP-NET, NET der Bronchien und der Lunge) Typs unterteilt werden. „Neuroendokrin“ beschreibt die Expression von Proteinen, die auch in neuralen Zellen vorkommen wie Synaptophysin, neurospezifische Enolase (NSE) und Chromogranin A. Diese Merkmale neuroendokriner Zellen werden in NET histologisch nachgewiesen und bestehen unabhängig von der Fähigkeit eines NET zur Sekretion bestimmter endokriner Substanzen. Die Einteilung der NET in „funktionell“ oder „nichtfunktionell“ aktive Tumoren erfolgt anhand der klinischen Symptomatik, die durch die Sekretion bestimmter Hormone hervorgerufen wird, und die dann auch für die Nomenklatur dieser funktionell aktiven NET bestimmend sind (z. B. Insulinom – NET des Pankreas mit Insulinproduktion und Hypoglykämiesymptomatik oder Gastrinom – NET mit Gastrinsekretion und rezidivierenden Duodenalulzera). Funktionell aktive NET finden sich überwiegend im Pankreas – von allen NET des Pankreas sind ca. 50–60% funktionell aktiv – vermutlich steigt der Anteil der inaktiven NET durch zunehmende Diagnose von Inzidentalomen. Nach der für die klinische Symptomatik bestimmenden Hormonsekretion wird zwischen Insulinomen, Gastrinomen und den deutlich selteneren Tumoren wie Glukagonom, VIPom und Somatostatinom unterschieden (s. Beitrag von Schmid-Tannwald et al., „Gastroenteropankreatische endokrine Tumoren“, in

diesem Heft [17]). Obwohl die funktionell aktiven NET des Pankreas hochdifferenziert sind, handelt es sich häufig um metastasierte Tumoren mit Lymphknoten- und Lebermetastasen. NET ohne Hormonsekretion sind unter onkologischen Gesichtspunkten für die Patienten ebenfalls relevant, auch wenn sie klinisch zunächst oft asymptomatisch verlaufen, da ihre Dignität variabel und zu Beginn oft nicht klar ist. Die 5-JahresÜberlebensdauer von NET liegt im Mittel bei 67%, wobei eine erhebliche Variabilität besteht. Ziel der WHO-Klassifikation der NET war es daher, die biologisch unterschiedlichen Faktoren in der Tumorklassifikation zu berücksichtigen, was zur Einteilung in neuroendokrine Tumoren und Karzinome mit unterschiedlichem Differenzierungsgrad geführt hat (NET, NEK; s. oben, Abschn. “Dignität“). Diese Einteilung hat die alte Klassifikation in typische und atypische Karzinoide ersetzt und ist neben der Tumorgröße wesentlich mitbestimmend für die Prognose. NET des GEP können hereditär im Zusammenhang mit einer multiplen endokrinen Neoplasie (MEN1), beim vonHippel-Lindau-Syndrom (VHL) oder einer Neurofibromatose Typ 1 (NF1) auftreten. Genetisch bedingte NET des GEP sind oft durch sehr kleine Tumorgröße und multiple Tumoren charakterisiert und haben teilweise eine günstigere Prognose als sporadische NET. Die Prognose von NET wird neben der histopathologischen Klassifikation (NET, hochdifferenziert, wenig differenziert, NEK) und der funktionellen Aktivität auch durch die Tumorgröße beeinflusst (2 cm bei der Hälfte der Patienten mit Metastasierung). Eine Ausnahme zu dieser Assoziation zwischen Tumorgröße und Prognose stellt das Gastrinom dar, das schon bei einer Größe des Primärtumors

[Endocrine tumors: clinical overview].

The term endocrine tumor incorporates all neoplasms which originate from the various endocrine organs. Endocrine tumors can be characterized by differ...
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