FORTBILDUNG

NOTFALLCHECKLISTE

Visusverlust © Bildquelle

Eine 76-jährige Patientin bemerkte beim Einkaufen eine Sehverschlechterung auf ihrem rechten Auge. Um ihre Familie nicht zu beunruhigen, sagte sie erst einmal nichts davon, sondern wartete auf eine mögliche spontane Besserung. Zusätzlich hatte sie Kopfschmerzen im Bereich der Schläfen. Eine knappe Woche später kam es auch auf ihrem linken Auge zu einer deutlichen Sehverschlechterung. Das rechte Auge hatte sich zwischenzeitlich noch nicht erholt.

© M. M. Nentwich

M. M. N E N T W I C H , A . K A M P I K

Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION).



Einer Sehverschlechterung kann eine Vielzahl von Ursachen zugrunde liegen. Diese können entsprechend der betroffenen anatomischen Struktur als Problem der optischen Medien, der Makula, des Sehnerven oder des Chiasma opticums klassifiziert werden. Hinzu kommen die Amblyopie und nicht-organische Ursachen. Es kann sich um entzündliche, ischämische, traumatische, kompressive, degenerative und toxische Veränderungen handeln. Was sollten Sie abklären? Fragen nach dem Einsetzen des Visusverlustes (perakut, akut, subakut, schleichend) und Fragen nach möglichen Schmerzen liefern wichtige Informationen, um die Sehverschlechterung genauer einordnen zu können. (Einschränkend ist anzumerken, dass Patienten nicht selten eine schon länger bestehende einseitige Sehverschlechterung zufällig bemerken und dann von einem (für sie) akuten Ereignis berichten.) Nach internistischen und rheumatologischen Erkrankungen fragen. Bei jüngeren Frauen kann z. B. eine einseitige Visusminderung bei unauffälligem Augenbefund aber gestörter Pupillenreaktion durch eine Multiple Sklerose bedingt sein.

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In Tabelle 1 sind einige wesentliche Ursachen einer Visusminderung aufgeführt. Bei älteren Patienten stellt die anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION) eine Differenzialdiagnose dar. Bei der klinischen Untersuchung fällt an dem betroffenen Auge ein ödematöser Sehnervenkopf auf. Man unterscheidet zwischen einer nicht-arteriitischen (nAION) und einer arteriitischen Form der AION. Kasuistik

So ging es weiter Die Patientin stellte sich in einer Augenklink vor. Dort fiel an beiden Augen bei weiterhin sehr schlechter Sehschärfe eine randunscharfe und prominente Papille auf. Es wurde die Verdachtsdiagnose einer beidseitigen AION bei Arteriitis temporalis gestellt. Sowohl die BSG als auch der CRPWert waren deutlich erhöht, sodass gemeinsam mit den mitbetreuenden internistischen Kollegen eine systemische Therapie mit Kortikosteroiden begonnen wurde. Die Diagnose wurde zudem durch eine Temporalarterienbiopsie gesichert. Trotz Therapie konnte keine Verbesserung der Sehschärfe erreicht werden.

Vorgehen bei nAION

Bei der nAION handelt es sich um eine multifaktorielle Erkrankung. Als ein möglicher Risikofaktor wurde in Studien u. a. ein deutlicher nächtlicher Blutdruckabfall, oftmals bedingt durch die abendliche Gabe von blutrucksenkenden Medikamenten, identifiziert. Eine Umstellung der antihypertensiven Medikation ist in diesen Fällen sinnvoll, die Gabe von ASS allerdings nicht, da es sich bei der nAION nicht um eine thromboembolische Erkrankung handelt. Eine systemische, innerhalb von zwei Wochen nach dem Auftreten des Visusverlustes begonnene und über mehrere Wochen fortgeführte Therapie mit oralen Kortikosteroiden führte bei Patienten im Vergleich zu den unbehandelten Kontrollgruppen zu besseren funktionellen Ergebnissen. Das Risiko, dass das Partnerauge innerhalb von drei bis fünf Jahren ebenfalls eine nAION erleidet, variiert in Studien zwischen 15 und 25%. Augenärztlicher Notfall: AION aufgrund einer Arteriitis cranialis

Die arteriitische AION aufgrund einer Arteriitis cranialis ist deutlich seltener als die nAION (Verhältnis 10% : 90%), stellt aber einen augenärztlichen Notfall dar. Eine rasche Diagnose und Therapie sind unabdingbar, um einen Visusver-

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (10)

FORTBILDUNG _ NOTFALLCHECKLISTE

Tabelle 1

Wichtige Differenzialdiagnosen einer Visusminderung Perakuter Visusverlust Unilateral

schmerzlos

Zentralarterienverschluss

Akuter Visusverlust Unilateral

schmerzlos

Zentralvenenverschluss Glaskörperblutung Akuter Keratokonus

schmerzhaft

Glaukomanfall Anteriore ischämische Optikusneuropathie Neuritis nervi optici Iritis „Verblitzung“ (auch bilateral) Erosio corneae

Bilateral

Schmerzen möglich

Migräne mit Aura (Migraine ophthalmique)

Schleichender Visusverlust Uni- oder bilateral

schmerzlos

Katarakt Altersbedingte Makuladegeneration (trockene Form) Primäres Offenwinkelglaukom

lust auch am Partnerauge und somit eine beidseitige Erblindung zu vermeiden. Die Anamnese ([Schläfen-]Kopfschmerzen, Kauschmerzen, Polymyalgia rheumatica) und Laborwerte (CRP, Blutsenkungsgeschwindigkeit [BSG]) liefern für die Diagnose wichtige Anhaltspunkte. Diese Laboruntersuchungen sollten bei allen Patienten jenseits des 50. Lebensjahres erfolgen, bei denen eine AION vermutet wird. Beweisend ist eine Biopsie der Temporalarterien. Aufgrund der möglichen Mitbeteiligung des Partnerauges sollte die Indikation zu einer hoch dosierten systemischen Steroidtherapie auf den klinischen Befunden und Laborwerten beruhen und das Ergebnis einer Temporalarterienbiopsie nicht abgewartet werden. Ziel der Therapie ist es, das Partnerauge zu schützen. Für die Verfassers: Dr. med. Martin M. Nentwich Augenklinik der Ludwig-MaximiliansUniversität München Mathildenstr. 8, D-80336 München E-Mail: [email protected]

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Visusverlust

Fazit für die Praxis 1. Eine Sehverschlechterung kann viele Gründe haben und einen augenärztlichen Notfall darstellen.

2. Eine augenärztliche Mitbeurteilung der Patienten ist daher von großer Bedeutung, ebenso wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hausarzt/Internist/Neurologe und Augenarzt bei Erkrankungen wie der AION.

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MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (10)

[Emergency checklist: loss of vision].

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