FORTBILDUNG

NOTFALLCHECKLISTE

Asthmaanfall H. S. F Ü E S S L

Untersuchungsbefund Die Patientin ist ängstlich agitiert, zittert, hat Schweiß auf der Stirn, sitzt mit aufgestützten Armen am Bettrand und kann wegen der hochfrequenten Atmung keine ganzen Sätze sprechen. Die Atemfrequenz beträgt 23/min, die Herzfrequenz 130/min. Bei der Ausatmung hört man Distanzgiemen. Perkutorisch sind die Zwerchfelle tiefstehend. Bei der Auskultation hört man exspiratorisches Giemen und Pfeifen, aber keine feuchten Rasselgeräusche. Die Pulsoxymetrie ergibt eine arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) von 97%. Aufgrund der Unruhe und Kurzatmigkeit der Patientin versuchen sie erst gar keine Messung mit dem Peak-Flow-Meter. Die Körpertemperatur ist normal. Auf dem Tisch liegen zwei DosierAerosole: eines mit einer Kombination aus Salmeterol und Fluticason, eines mit Salbutamol.

Situation Asthmaanfälle gehören zu den häufigsten Notfallsituationen, die der Arzt erlebt. Sowohl für den Betroffenen als auch für die Umgebung erscheint die akute Atemnot meist bedrohlicher als sie objektiv betrachtet ist. Dennoch sollte man Asthmaanfälle nicht unterschätzen, vor allem, wenn man die Vorgeschichte des Patienten nicht kennt. Vom Patienten selbst erfährt man in diesem Zustand wenig, da er mit schwerer Luftnot nicht viel sprechen kann. Asthmaanfälle entstehen selten „aus heiterem Himmel“, meist kam es in den Tagen zuvor bereits zu einer schrittweisen Verschlechterung der Atemfunktion. Am häufigsten treten sie während der Nacht in den frühen Morgenstunden auf (Parasympathikotonus!). Die Patienten kennen in der Regel die Diagnose, da bereits früher Anfälle auftraten. Typische Medikamente wie Beta-Sympathikomi-

Kasuistik

Wie ging es weiter? Bereits nach beruhigendem Zusprechen und gemeinsamen Atemübungen mit Lippenbremse geht die Atemfrequenz der Patientin zurück. Mithilfe eines Totraumvergrößerers (Spacer) lassen Sie die Patientin vier Hübe Salbutamol inhalieren. Nach etwa einer halben Stunde hat sich die Atemnot der Patientin deutlich gebessert, und sie hat sich auch weitgehend beruhigt. Im Laufe des Gesprächs berichtet die Patientin, dass sie sich beim Stammtisch heftig mit einer Freundin gestritten habe und die Atemnot auf dem Heimweg durch den Nebel entstanden sei. In den letzten zwei Wochen habe sie auch die Selbstkontrolle mit dem Peak-Flow-Meter vernachlässigt und mehrere Inhalationen ausgelassen. Bei körperlichen Anstrengungen empfand sie bereits in den Tagen zuvor verstärkt Atemnot.

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (15)

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Im kassenärztlichen Notdienst ruft Sie in einer nebligen Novembernacht gegen 2:30 Uhr der Lebensgefährte einer 28-jährigen Frau an, die nach der Rückkehr von ihrem Frauen-Stammtisch schlimme Atemnot habe und in der letzten Stunde nur noch „japse“. Ein Asthma bronchiale sei bei ihr seit dem 12. Lebensjahr bekannt. Die beiden verfügbaren Sprays habe sie schon mehrfach angewendet, sie würden aber nicht mehr wirken. Am Telefon hören Sie im Hintergrund ein hochfrequentes Hecheln.

metika und inhalative Kortikoide wurden oft schon angewandt, ehe der Arzt gerufen wird – wegen der mit dem Anfall verbundenen Erregung allerdings oft nicht lege artis. Notfall-Anamnese und Sofortdiagnostik Wann begann die Symptomatik? Laufende Zunahme der Luftnot? Asthma bekannt? Allergien? Infekte? Sputumfarbe? Nikotin? Reizgase? Begleiterkrankungen? Peakflow-Protokoll vorhanden? Aktuelle Dauermedikation? Bereits verwendete Medikamente? Atemfrequenz, verlängertes Exspirium, Zyanose (→ Pulsoxymetrie); Bewusstseinslage? RR, Puls (Bradykardie Alarmzeichen!), Pulsoxymetrie; Auskultation: beidseits exspiratorisches Giemen, Brummen; leises Atemgeräusch Alarmzeichen! Bei schwerster Obstruktion „silent chest“; Perkussion: tiefstehende Zwerchfelle, hypersonorer Klopfschall, geringe Verschieblichkeit der Lungengrenzen.

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Der akute Asthmaanfall ist eine klinische Blickdiagnose, die wenig Diagnostik erfordert. Im Vordergrund stehen die Therapie und die Entscheidung, ob die Erkrankung ambulant zu beherrschen ist oder ob eine stationäre Einweisung erfolgen muss.

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FORTBILDUNG _ NOTFALLCHECKLISTE

Tabelle 1

Tabelle 2

Schweregrad des Asthmaanfalls

Häufige Fehler in der Asthmatherapie

Nach Friege et al. 2009

Zeichen

Anfall Leicht

Mittelschwer

Schwer

Sprechen

Normal, in längeren Sätzen

Normal, in kurzen Sätzen

Sprechdyspnoe

Aktivität

Evtl. agitiert

Meist agitiert

Agitiert

Erschöpfung, Konfusion oder Koma

Beim Gehen; Liegen möglich

Sitzen bevorzugt

Vorgebeugte Haltung

Giemen

Mäßig, meist nur endexspiratorisch

Laut

Meist laut

Kein Atemgeräusch („silent lung“), frustrane Atemarbeit/flache Atmung

Peak flow (% vom persönlichen Bestwert nach β2-AgonistGabe)

> 80

60–80

< 60

< 33 bzw. < 100 l/min

Atemfrequenz (Wert/min)

< 25

< 25

> 25

SaO2 (%)

> 95

91–95

< 90

Zyanose

Herzfrequenz (Wert/min)

< 100

100–120

> 120

Bradykardie (< 50), arterielle Hypotension

− −−



Maßnahmen, deren Wirksamkeit nicht hinreichend belegt ist, die aber bei ungenügendem Ansprechen auf die o. g. Maßnahmen empfohlen werden, sind:

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Ungezielte Polypragmasie („Schrotschuss-Therapie“) Verzicht auf inhalierbare Steroide Zu häufige Antibiotikagabe Mangelhafte Allergenkarenz Falsche Inhalationstechnik Gabe von Sedativa im Asthmaanfall

Tabelle 3

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200 mg Theophyllin-Lsg. oral oder 0,24–0,48 mg langsam (5–10 min!) i.v. (z. B. Euphyllin®); zuvor vergewissern, dass der Patient nicht schon oral Theophyllin eingenommen hat; Anticholinergika, z. B. Ipratropiumbromid (Atrovent®) per inhalationem; Montelukast (Singulair®) (Wirkungseintritt nach 30–60 Minuten); Magnesium 2 g i.v. bei sehr schwerer Atemwegsobstruktion.

Indikationen für Klinikeinweisung Bei mangelnder Besserung der Symptomatik innerhalb von 30–60 Minuten; wenn der Patient nicht durch einen Erwachsenen in der Wohnung betreut werden kann; erneute Verschlimmerung innerhalb von zwei Stunden.

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Vermeidung zukünftiger Anfälle (oberstes Therapieziel)

Dyspnoegrad

Therapeutische Sofortmaßnahmen Patient beruhigen; Lippenbremse versuchen; Sauerstoffgabe (falls vorhanden); Inhalation von rasch wirksamen β2Mimetika als Aerosol (0,1 mg Salbutamol oder 0,1 mg Fenoterol, z. B. zwei bis drei Hub Berotec®, evtl. mit Spacer oder als Vernebelung; Cave: Patient hat Spray meist schon reichlich benutzt!) und/oder 0,25–0,5 mg Terbutalin (Bricanyl®) s.c. oder i.v. (über i.v.-Dauerzugang); 50–100 mg Prednisolon i.v. (z. B. Solu-Decortin® H).

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Zusätzliche Hinweise auf eine lebensbedrohliche Situation



Präzise Schweregradbestimmung Ausreichende Verschreibung von Kortikosteroiden Besprechung von Kortikoid-Phobie Verfügbarkeit medizinischer Ansprechpartner sicherstellen Delegierung der Medikation (Inhalationstechnik z. B. zusätzlich durch Praxispersonal überprüfen/ nachschulen lassen) Information/Schulung Balancierte Therapie mit β2-Agonisten und/oder Theophyllin, z. B. durch fixe Kombinationen aus inhalativen Glukokortikosteroide und lang wirksamen β2-Agonisten Einfache Therapien/-pläne, Notfallplan

Wird ein Transport in die Klinik notwendig, dann sollte er immer mit dem Notarztwagen erfolgen! An was noch denken? Jeder akute Asthmaanfall sollte zum Anlass genommen werden, die Dauertherapie, Inhalationstechnik und mögliche akute Auslöser zu überprüfen (Tab. 3). Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Hermann S. Füeßl Internist und Gastroenterologe Privatpraxis für Integrative Innere Medizin Dr. Schmidt-Achert und Prof. Dr. Hermann Füeßl Renatastr. 30 D-80639 München E-Mail: [email protected]

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (15)

[Emergency checklist: Asthmatic attack].

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