1395

Dtsch. med. Wschr. loo (1975), 1395-1396

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Mammaektopie am Rücken

Ectopic mammary gland on the back

M. Eckert und H. J. Hammann

A supernumerary, fully

Chirurgische Klinik der Städtischen Krankenanstalten Karlsruhe (Direktor: Prof. Dr. K. Spohn)

Bei einer 32jährigen Frau fand sich zwischen beiden Schulterblättern über der Wirbelsäule eine akzessorische, voll entwickelte Mamma. Da sie

Beschwerden verursachte, wurde der Drüsenkörper chirurgisch entfernt. Die histologische Untersuchung ergab das Bild einer fibrösen Mastopathie. Eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule zeigte als auffälligen Nebenbefund im Bereich der ektopischen Mamma eine Spina bifida des sechsten Brustwirbels. Ektopien der Brustdrüse werden häufig beobachtet; der Fall einer Mammaektopie am Rücken scheint uns jedoch besonders bemerkenswert. 'n neuerer Zeit findet sich nur wenig Literatur zu diesem Thema, seit C. John (3) bereits 1925 das Problem in hervorragender Weise nahezu erschöpfend behandelt hat. Dafür bietet aber die Antike einige interessante Hinweise. So bekam eine römische Kaiserin im 3. Jahrhundert n. Chr. wegen ihrer Polymastie den Beinamen Mammea (2); bekannt ist auch das griechische Standbild der Diana von Ephesus - eine Kopie befindet sich im Nationalmuseum von Neapel -, deren Thorax und Abdomen von Brüsten übersät sind. Hier handelt es sich zwar sicher um eine künstlerische Überzeichnung mit mythologischem Hintergrund, man darf aber sicher sein, daß als Vorbild die Kenntnis von den Spielarten der

developed mammary gland between both shoulder blades above the vertebral column was discovered in a 32-year-old woman when it caused symptoms. It was removed by operanon. Histological examination revealed fibrous mastopathy. The only abnormal radiological feature was a spina bifida of T6 at the site of the ectopic breast.

Natur diente. Fortunius Licetus bringt 1616 in seiner Sammlung »menschlicher Monstren« die Abbildung einer Frau mit fünf Brüsten, je zwei rechts und links an typischer Stelle und direkt distal davon im Verlauf der Milchleiste, sowie einer Brust über dem Processus ensiformis des Brustbeines. Stand in der Antike das Bestreben, dem Symbol der Fruchtbarkeit Ausdruck zu geben, in der Renaissance das Interesse an körperlichen Absonderheiten im Vordergrund, so wird in neuerer Zeit darauf hingewiesen, daß sich in ektopischen und akzessorischen Mammae nicht selten Tumoren, vor allem Karzinome, entwickeln können. Anlaß zu chirurgischer Intervention sind neben kosmetischen Gründen häufig prämenstruelle und postpartale Schmerzen, Schwellungen und Sekretabsonderungen.

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Eckert, Hammann: Mammaektopie am Rücken

Nr. 25, 20. Juni 1975, 100. Jg.

Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund vergleichender Untersuchungen an Embryonen verschiedener Säugetiere (6) auch beim Menschen die sogenannte Milchleiste gefunden war, dürfen wir heute akzessorische Mamillen und Mammae als Atavismen ansehen. Man kann der Milchleiste sämtliche Mammagewebsdystopien von der Axilla über die vordere Brustwand, die Bauchwand, die Leiste und Vulva zuordnen. Dagegen sollen sich die aberrierten oder ektopischen Mammae nach Sonntag (10) während der Fetaizeit als versprengte Brustdrüsenkeime gebildet haben. In diesem Zusammenhang sei auf die Einteilung der akzessorischen Mammae von C. John (3) verwiesen: die Mikromamma: eine Mamma mit Mamille, Areola und Drüsengewebe mit Ausführungsgang, die Pseudomamma: typische Brustwarzenbildung ohne Drüsenparenchym, die subkutane Achselmamma: Milchdrüsengewebe ohne Brustwarze in der Axilla. Diese Einteilung trifft nur für die akzessorischen Mammae entlang der Milchleiste zu. Die folgende Beobachtung einer voll ausgebildeten Brustdrüse auf dem Rükken über der Wirbelsäule dürfte zu den großen Seltenheiten zählen.

Eigene Beobachtung Die Familienanamnese der 32jährigen Frau ist ohne Besonderheiten. Ober eigene Vorerkrankungen sowie die Zeit der Menarche kann sie keine Angaben machen. Sie ist leicht debil. Sie sagt lediglich, daß sich simultan mit der Entwicklung ihrer Brüste am Rücken ein Knoten gebildet habe, der kurz vor der Menstruation spanne und schmerze, so daß sie sich beim Sitzen nicht anlehnen könne. Außerdem habe sie bemerkt, daß beim Stillen (vier Geburten ohne Komplikationen) eine weißliche Flüssigkeitsabsonderung aufgetreten sei. Die Untersuchung ergab eine zierliche Frau. Beide vorderen Mammae normal entwickelt, normale Brustwarzen. Im Bereich der Milchleiste keine Polyrhelie. Am Rücken zwischen beiden Scapulae über der Wirbelsäule eine voll entwickelte Mamma von normaler Konsistenz, große Brustwarze mit leicht eingezogener Mamille (Abbildung 1 und 2). Die Röntgenaufnahme der Wirbelsäule (Abbildung 3) zeigte eine Spina bifida des 6. Brustwirbels, direkt unter der ektopischen

Mamma (1). Da Beschwerden bestanden und die ektopische Brustdrüse kosmetisch störend wirkte, haben wir die Operationsindikation als gegeben angesehen. Wir haben mittels vertikaler ovalärer Umschneidung *

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Eckert, Hainmann. Mammaektopie am Rücken

Abbildungen 1-3 siehe Tafel Seite 1385

den Drüsenkörper entfernt. Die Verhältnisse der Rückenfaszie waren unauffällig, die Haut konnte primär geschlossen werden. Die histologische Untersuchung (Prof. Dr. Gusek, Pathologisches Institut der Städtischen Krankenanstalten Karlsruhe) ergab im Präparat proliferierende Ausführungsgänge und Acini, in Mamillennähe einige reaktive Entzündungsinfiltrate, daneben apokrine Schweißdrüsen. In Verbindung mit einem betonten, zum Teil knotigen Stromagehalt bestand insgesamt das Bild einer fibrösen Mastopathie. Wenige Tage nach dem Eingriff wurde die Patientin mit reizlosen Wundverhältnissen nach Hause entlassen.

Diskussion Soweit wir die Literatur übersehen (1-10), ist ein ähnlicher Fall wie dieser bisher nicht beschrieben worden. Wie aus der Schilderung des Beschwerdebildes der Patientin hervorgeht, hat ein voll entwickeltes, in seiner Funktion vom Hormonhaushalt des Körpers abhängiges Organ vorgelegen. Das histologische Bild einer fibrösen Mastopathie ist im Zusammenhang mit der prämenstruellen Schmerzhaftigkeit auch bei normaler Lokalisation der Mamma so häufig, daß es ebenfalls das Vorliegen eines normalen Drüsenkörpers eher unterstreicht als auf eine Mißbildung hindeutet. Dagegen ist auffällig, daß im unmittelbaren Bereich der akzessorischen Mamma am 6. Brustwirbelkörper eine Spina bifida gefunden wurde. Es bleibt dahingestellt, wieweit im Rahmen der Entwicklungsgeschichte eine gemeinsame Ursache für beide Fehlbildungen vorhanden war. Literatur Carella, A. Supernumerary breast associated with multiple vertebral malformations. Case report. Acta neurol. (Napoli) 26 (1971), 136.

Hartung, E. zitiert bei John, C.

(3).

John, C. Ober akzessorische Milchdrüsen und Warzen, insbesondere über rnilchdrüsenähnliche Bildungen in der Achselhöhle. Arch. Gynäk. 126 (1925), 691.

Leichtenstern, E. Ober das Vorkommen und die Bedeutung supernumerärer (akzessorischer) Brüste und Brustwarzen. Virchows Arch. path. Anat. 73 (1878), 222.

Saphir, O. Spezielle Pathologie, Bd. I (Thieme Stuttgart 1961), 606.

SchuLze, O. Sitzungsbericht der Würzburger Medizinisch-Physikalischen Gesellschaft 1892. Seitz, L. Ober eine mit Schwellung

einhergehende Hypersecretion der Schweiß- und Talgdrüsen in der Achselhöhle während des Wochenbettes, echte Milchsecretion vortäuschend. Arch. Gynäk. 80 (1906), 517. Seitz, L., A. J. Amreich: Biologie und Pathologie des Weibes, Bd. S (Urban & Schwarzenberg: MünchenBerlin 1953).

i.

Sharan, U. K. An ectopic breast tissue mass in the axilla. J. med. Ass, 50 (1968), 119.

Sonntag, G. Ober Geschwulstbildungen in versprengtem Brustdrüsengewebe. Bruns' Beitr. kIm. Chir. 127 (1922), 627.

Dr. M. Eckert, Dr. H. J. Hammann Chirurgische Klinik der Städtischen Krankenanstalten 75 Karlsruhe, Moltkestr. 14

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1385 Zur Arbeit Eckert, Hammann (Seite 1395-1396)

Abb. 1. Akzessorische Marnm.i L\\ isJen Ledcn Scapulae.

Röntgenaufnahme der Brustwirbelsäule: Abb. 2. Akzessorische Mamma. Oben Narbe nach Verbrühung in Abb. 3. Antero-posteriore Spina hifida am 6. Brustwirbel. der Kindheit.

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Mammaektopie am Rücken

[Ectopic mammary gland on the back].

A supernumerary, fully developed mammary gland between both shoulder blades above the vertebral column was discovered in a 32-year-old woman when it c...
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