Aktuelle Diagnostik

Völter, Ziegler: Frühdiagnose des Prostatakarzinoms

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Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 1573-1575 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die Frühdiagnose des Prostatakarzi noms

D. Völter und H. Ziegler Urologische Abteilung der Universität Tübingen (Vorstand: Prof. Dr. W. Staehler

Das Prostatakarzinom nimmt nach dem Lungen- und Magenkrebs die dritte Stellç in der Krebssterblichkeit des Mannes ein (1). Da es anfänglich ohne Symptome verläuft, ist eine Frühdiagnose und damit eine Heilung des Patienten nur durch eine regelmäßige rektale Untersuchung der Prostata möglich (4). Die gesetzlich verankerte Krebsvorsorgeuntersuchung sieht deshalb für jeden Mann über 45 Jahre einmal jährlich eine rektale Untersuchung vor. Die bei der rektalen Untersuchung gestellte Verdachtsdiagnose eines Prostatakarzinoms muß durch eine Biopsie histologisch oder zytologisch gesichert werden (2). Die Bestimmung der Serumphosphatasen, Röntgenuntersuchungen des Knochens, die Ganzkörperszintigraphie des Knochens mit Strontium oder Technetium,

die Ausscheidungsurographie, die Lymphographie und die Vesikulographie sind für die Frühdiagnostik nicht geeignet. Diese Untersuchungen dienen im wesentlichen nur der Festlegung des Tumorstadiums. Die rektale Untersuchung kann in Knie-EllenbogenLage, sie kann am stehenden Patienten und am liegenden Patienten in Seitenlage durchgeführt werden. Die günstigste Lage für die rektale Untersuchung der Prostata ist die für den Patienten umständliche Knie-Ellenbogen-Lage. Am ungünstigsten ist die Untersuchung im Stehen, da zum Beispiel adipöse Patienten den Oberkörper oft nur ungenügend nach vorne neigen können. Findet sich bei der rektalen Palpation eine Verhärtung, so ist zur weiteren Klärung eine Biopsie notwendig.

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Nr. 30, 25. Juli 1975, 100. Jg.

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Deutsche Medizinische Wochenschrift

Völter, Ziegler: Frühdiagnose des Prostatakarzinoms

Ohne eine histologische oder zytologische Untersuchung darf die Diagnose eines Prostatakarzinoms nicht gestellt werden. Nicht jeder palpable Knoten der Prostata bedeutet ein Karzinom. Auch die unspezifische Prostatitis, die Tuberkulose und Prostatasteine können Knoten bilden (4). Die Abbildung 1 zeigt die prozentuale Häufig-

Untersuchungs-

material für

Zytologie 100%

-

90

-

80

-

Komplika- Diagnostische

tionen

Sicherheit

++

Prostatitis Prostatakarzinom

70 60

Histologie



50

40

30

10

Histologie

40

50

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80

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+++ +±+

Jahre

Abb. 1. Die prozentuale Häufigkeit der Prostatitis und des Prostatakarzinoms bei 2161 biopsierten Patienten, geordnet nach 10-JahresGruppen.

keit der zytologisch gestellten Diagnose Prostatitis und Prostatakarzinom in den verschiedenen Altersgruppen. Es handelt sich um 2161 Patienten, bei denen wegen eines verdächtigen Palpationsbefundes der Prostata eine Saugbiopsie durchgeführt wurde. Aus dem Kurvenverlauf ist vom vierten bis siebten Lebensjahrzehnt eine nahezu lineare Zunahme der Häufigkeit des Prostatakarzinoms als Ursache eines verdächtigen Rektalbefundes ersichtlich. Bei den 70jährigen wird ein rektal verdächtiger Befund in gleicher Häufigkeit von einem Prostatakarzinom wie von einer Prostatitis hervorgerufen, und in den höheren Altersgruppen ist das Karzinom die häufigste Ursache eines rektal palpablen Knotens (5). Zur Prostatabiopsie stehen im wesentlichen drei Methoden zur Verfügung (Abbildung 2): die Feinnadel-Saugbiopsie nach Franzén zur zytologischen Auswertung, die perineale Harpunen-Stanzbiopsie zur histologischen Untersuchung und die offene perineale Freilegung zur histologischen Schnellschnittuntersuchung. Diese diagnostisch sehr sichere Methode hat in Deutschland nur wenig Anhänger. Im Gegensatz zu den Punktionsbiopsien sind der Aufwand dieser Operation und die Komplikationsmöglichkeiten für einen diagnostischen Eingriff sehr hoch. Die transurethrale Resektion der Prostata ist zur Frühdiagnose eines Prostatakarzinoms nicht geeignet, da sie einen Teil der Prostata erfaßt, der relativ spät vom Karzinom durchsetzt wird. Nur in 0,5% der Fälle geht das Prostatakarzinom primär von den periurethralen Drüsen aus.

Abb. 2. Biopsiemethoden beim Prostatakarzinom: a) transrektale Saughiopsie, b) perineale Stanzbiopsie, e) offene perineale Biopsie.

Um die Indikation zur Prostatabiopsie möglichst breit stellen zu können, bedarf es einer risikoarmen Biopsiemethode. Dabei ist von den Komplikationsmöglichkeiten her die von Franzén 1960 ausgearbeitete Feinnadel-Saugbiopsie den für histologische Untersuchungen notwendigen Stanzbiopsien überlegen. Die Saugbiopsie wird mit einer sehr feinen Nadel durchgeführt, die dünner ist als eine Injektionskanüle Nr. 14. Sie ermöglicht ohne jede Vorbereitung eine direkte transrektale Punktion und damit eine sehr gezielte Biopsie aus dem verdächtigen Bezirk. Durch mehrmalige, fächerförmige Punktion der Prostata erhöht sich die Trefferchance. Es treten nahezu keine Schmerzen auf, und infolge des geringen

Traumas sind Komplikationen wie Nachblutung oder Fieberschübe äußerst selten. Von 1971 bis 1974 haben wir in unserer Abteilung bei 2831 Patienten eine Feinnadel-Saugbiopsie der Prostata durchgeführt. Bei 34 Patienten (l,2%) traten Fieberschübe, eine akute Prostatitis oder eine akute Epididymitis auf. Nur vier dieser Patienten mußten wegen dieser Komplikationen für einige Tage stationär aufgenommen werden. Häufiger besteht am ersten Tag nach der Punktion eine leichte Hämaturie. Weitere Komplikationen konnten wir nicht beobachten. Um den diagnostischen Stellenwert der Aspirationsbiopsie zu überprüfen, haben wir bei 270 Patienten mit einem Prostatakarzinom das Prostatagewebe durch Simultanbiopsien zytologisch und histologisch vergleichend untersucht. Dabei fanden wir eine 97%ige Übereinstimmung zwischen zytologischem und histologischem Befund. Nur bei einem Patienten (0,4%) wurde ein

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Ulmer: Pathophysiologische Grundlagen obsteuktiver Atemwegserkrankungen

Karzinom zytologisch nicht erkannt, und bei sieben Patienten (2,6%) war ein zytologisch diagnostiziertes Karzinom histologisch nicht zu bestätigen. Möglicherweise läßt sich ein Teil dieser zunächst falsch-positiven zytologischen Diagnosen durch zwei, drei oder vier Nachpunktionen doch noch histologisch sichern. Die in unserem Untersuchungsmaterial gefundene Sicherheit von 97% in der Diagnosestellung eines Prostatakarzinoms mit der Feinnadel-Saugbiopsie entspricht den Ergebnissen anderer Autoren. Diese hohe Treffsicherheit ist jedoch nur bei einer richtigen Entnahmetechnik zu erreichen (3). Wird die Technik der Materialgewinnung beherrscht, so steht die Prostatazytologie der Histologie in der diagnostischen Sicherheit nicht nach. Bei der heute üblichen Technik der transrektalen Feinnadel-Saugbiopsie nach Franzén wird mit einer auf dem Palpationsfinger liegenden dünnen Nadel in die Prostata eingestochen und unter Sog durch eine auf die Nadel aufgesetzte Spritze Zeilmaterial aspiriert. Das angesaugte Zeilmaterial wird auf einen Objektträger gespritzt, ausgestrichen und lufttrocken an ein zytologisch versiertes Laboratorium geschickt. Die zytologische Beurteilung des Präparates verlangt eine spezielle Erfahrung und einen Zeitaufwand, den die ärztliche Praxis im allgemeinen nicht tragen kann. Die Abbildung 3* zeigt das typische zytologische Bild eines Adenoms und eines niederdifferenzierten Karzinoms. Typisch für das Adenom sind große, zusammenhängende Zellverbände mit polygonalen Interzellulargrenzen (Wabenstruktur). Die Zellkerne erscheinen uniAbbildung 3 siehe Tafel Seite 1572

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form, die Kern-Plasma-Relation ist konstant. Das niederdifferenzierte Karzinom zeigt dagegen kaum noch Aggregatbildungen. Die Zellen sind stark dissoziiert mit extremer Kern-Plasma-Relationsverschiebung zugunsten des hyperchromen Kerns. Meist sind die Kerne nackt und bizarr mit großen, oft mehreren prominenten Nucleoli. Sowohl mit der histologischen als auch der zytologischen Untersuchung ist die Diagnose eines Prostatakarzinoms in gleichem Maße möglich. Bei der Entnahme des Biopsiematerials ist jedoch infolge der sehr dünnen Nadel die Feinnadel-Saugbiopsie der Harpunenbiopsie überlegen. Komplikationen sind nach einer Punktion mit den für die Harpunenbiopsie notwendigen stärkeren Nadeln wesentlich häufiger. Es ist zu hoffen, daß die Feinnadel-Saugbiopsie der Prostata einen immer breiteren Platz in der Diagnostik des Prostatakarzinonis einnimmt und daß sich immer mehr zytologische Laboratorien mit den speziellen Belangen der Prostatazytologie beschäftigen (6). Literatur Dhom, G.: Histologische Diagnostik und Differentialdiagnostik des Prostatacarcinoms. Verh. dtsch. Ges. Urol. 24 (1972), 251.

Kaufmann, J. J., M. Rosenthal, W. E. Goodwin: Methods of diagnosis of carcinoma of the prostate. J. Urol. (Baltimore) 72 (1954), 450. Staehler, W., H. Ziegler, D. Völter, G. E. Schubert: Zytodiagnostik der

- Grundriff und Atlas (Schattauee: StuttgartNew York 1975). Prostata

Vablensieck, W., H. Tümmers, D. Tschischak: Diagnose und Therapie des Prostatacarcinoms Eortschr. Med. 92 (1974), 1195. (5) Völter, D., l-l. Ztegler: Prostataadenom und -carcinom. Phlebol. Proktol. 2 (1973), 247. (6) Ziegler, H., D. VOlter, G. E. Schubert: Morphological criteria for the control of carcinoma of the proware with estrogen therapy. lnt. Urol. Nepheol. 6 (1974), 195. (4)

Privatdozent Dr. D. Völter, Dr. H. Ziegler Urologische Abteilung der Universität 74 Tübingen, Calwer Straße 7

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Nr. 30, 25. Juli 1975, 100. Jg.

Zur Arbeit Völter, Ziegler (Seite 1573-1575)

Die Frühdiagnose des Prostatakarzinoms

Abb. 3. Links das zytologische Priparat einer Adenomyomatose der Prostata. Typisch sind die fast uniformen, rundlichen Kerne und die bienenwabenartige Anordnung der Zeligrenzen. Rechts das zytologische Präparat eines niederdifferenzierten Karzinoms. Die Tumorzellen sind stark dissoziiert bei extremer Polymorphie und Polychromasie (400 1).

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[Early diagnosis of prostatic carcinoma].

Aktuelle Diagnostik Völter, Ziegler: Frühdiagnose des Prostatakarzinoms I 573 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Kö...
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