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Lent: Friihdiagnose des Harnblasenkarzinoms

Aktuelle Diagnostik

E)eutsche Medizinische Wochenschrift

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 902-903 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

V. Lent Urologische Abteilung (Leiter: Dr. V. Lent) der II. Chirurgischen Universitatsklinik, Köln-Merheim

(Direktor: Prof. Dr. W. Schink)

Trotz intensiver therapeutischer Bemühungen ist die Prognose des Harnblasenkarzinoms seit Jahrzehnten unverändert schlecht. Global gesehen überleben weniger als die Hälfte (etwa 35-45%) der Patienten mehr als S Jahre. Wesentlich günstiger (etwa 70-80%) sind jedoch die Ergebnisse, wenn die Behandlung in einem frühen Stadium des Geschwulstwachstums einsetzt. Nach klinischen, pathologisch-anatomischen und tierexperimentellen Beobachtungen entwickelt sich der Harnblasenkrebs in verschiedenen Vorstadien. Exogene und endogene, auf das gesamte Uroepithel einwirkende Kanzerogene (zum Beispiel zyklische Amine, Tryptophan-Metaboliten) führen zunächst zur Hyperplasie und Metaplasie, später zum Papillom und Oberflächenkarzinom (Carcinoma in situ) und schließlich zur Tiefeninfiltration (3, 4). Hat der Tumor mehr als die Hälfte der Blasenuskulatur durchsetzt, so ist in der Mehrzahl der Fälle mit regionärer Lymphknotenmetastasierung zu rechnen. Hierdurch werden die Heilungschancen entscheidend verschlechtert, auch wenn radikale Maßnahmen therapeutisch noch versucht werden. Wie bei vielen anderen Tumoren ist das Vor- und Frühstadium des Harnblasenkarzinoms weitgehend syniptomlos. Die schmerzlose Makrohämaturie gilt zwar als führend, ist aber eher ein Spät- als ein Frühzeichen. Zudem wird sic in vielen Fällen nicht ernst genommen. Auch zystitische Beschwerden können bereits Ausdruck eines fortgeschrittenen Geschwulstwachstums sein, sie werden aber auch häufiger bei einem Oberflächenkarzinom angegeben (4, 6). Hieraus folgt, daß systematische und gezielte Maßnahmen angewandt werden müssen, um das Hamblasenkarzinom in einem Stadium zu erfassen, in dem seine Heilungschancen noch erfolgversprechend sind. Dazu eignen sich die einfache Untersuchung des Urinsediments, die Urinzytologie, die Zystoskopie und die Probebiopsie (Tabelle 1). Urinsediment. Die ungefärbte Sedimentuntersuchung des frischgelassenen, sofort bearbeiteten Harns kann zwei wichtige Hinweise geben. Die Ausschwemmung von Erythrozyten und Tumorzellen geht von Anfang an der Entwicklung des Harnblasenkrebses parallel (5). Eine signifikante, persistierende Mikrohämaturie ist daher in vielen Fällen Ausdruck eines prä- oder frühinvasiven Tumors. Atypische Epithelzellen, bei der ein-

fachen Sedimentuntersuchung meist vernachlässigt, lassen sich, vor allem im Phasenkontrastmikroskop, verhältnismäßig leicht erkennen. Die Treffsicherheit liegt nur wenig unter der des gefärbten Sediments (7). Tab. 1. Frühdiagnose des Harnblasenkarzinoms

Indikationen

Maßnahmen

>'chronische Zystitisn

Urinsediment Urinzytologie

Kanzerogen-Exposition (Arbeiter, Raucher)

Zystoskopie

Vorsorge (Personen über 45 Jahre)

Probebiopsie

Hämaturie

4'

4'

Urinzytologie. Seit der Pionierarbeit von Papanicolaou hat sich die Urinzytologie als leistungsfähige Methode zur Früherkennung des Blasentumors und seiner Rezidive erwiesen. Verfeinerte Techniken und differenzierte Kriterien ergeben bei entsprechender Erfahrung eine Treffgenauigkeit von etwa 80% (1). Insbesondere das Oberflächenkarzinom ist wegen seiner erhöhten Abschilferungstendenz bereits Monate bis Jahre vor dem Ubergang in das invasive Stadium gut nachweisbar (4, 6). Zystoskopie. Mit Hilfe der Zystoskopie sind Papillom und infiltrierendes Karzinom meist ohne weiteres erkennbar. Beim Oberflächenkarzinom dagegen finden sich an der Blasenschleimhaut entweder überhaupt keine oder unspezifische, uncharakteristische Entzündungsherde. In diesen Fällen müssen im Abstand von 3-6 Monaten Kontrollen und Probebiopsien durchgeführt werden, bis das Malignom histologisch gesichert ist (4, 6). Versuche, die Lücke zwischen positiver Urinzytologie und negativem Spicgelbefund zum Beispiel durch die Ultraviolettzystoskopie zu schließen, haben sich bisher nicht als empfindlich und spezifisch genug erwiesen. Probebiopsie. Die Probebiopsie eines Befundes an der Blasenschleimhaut dient drei Zielen: der histologischen Sicherung einer Diagnose, der Beurteilung der Infiltrationstiefe und, wenn möglich, der Entfernung im Gesunden. Deshalb wird heutzutage am besten eine transurethrale Resektion durchgeführt. Die einfache Gewebsentnahme mit der Zange oder die Koagulation mit der Kugel kann nicht nur unzureichend, sondern auch gefährlich sein, denn der histologische Malignitätsgrad

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Die Frühdiagnose des Harnblasenkarzinoms

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Jg.

Spath Immunologische Kreuzreaktionen zwischen Penicillin- und Cefalosporin-Derivaten

nimmt mit der Tiefeninfiltration zu (2). Die mikroskopische Untersuchung eines oberflächlichen Tumoranteils kann daher ein günstigeres Bild von Grad und Stadium vortäuschen und einer Fehibehandlung Vorschub leisten. Andere Methoden wie die Bestimmung der LactatDehydrogenase, der alkalischen Phosphatase, der (3-Glucuronidase oder des karzinoembryonalen Antigens im Urin sind für eine Frühdiagnostik bisher weder empfindlich noch spezifisch genug. Die Ausscheidungsurographie zeigt in der Regel nur Veränderungen beim fortgeschrittenen Tumor. In praxi sollten jede Hämaturic und jede anderweitige ungeklärte »chronische Zystitis« einer abgestuften Tumordiagnostik zugeführt werden. Die regelmäßige, langfristige zytologische Uberwachung von kanzerogenexponierten Industriearbeitern hat sich vielfach bewährt (4). Die systematische Kontrolle von Rauchern (aktiven und passiven) sowie Personen über 45 Jahre wäre ernsthaft zu erwägen. Der Harnblasenkrebs ist ein relativ häufiges, offenbar zunehmendes und äuferst gefähr-

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liches Tumorleiden, das gezielte Vorsorgemaßnahmen erfolgversprechend rechtfertigen würde ähnlich wie es beim Cervixkarzinom bereits praktiziert wird.

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Literatur ji) Brannan, W., Th. A. Lucas jr., W. T. Mitchell: Accuracy of cytologic examination of urinary sediment in the detection of urothelial tumors. J. Urol. (Baltimore) 109 (1973), 483.

Jewett, H. J., L. R. King, W. hi. Shelley: Study of 365 cases of infiltrat. ing bladder cancer: relation of certain pathological characteristics to prognosis after extirpation. J. tirol. (Baltimore) 92 (1964), 668. j2j

Transformationsstadien und Proliferatioriskinetik bei der Entwicklung von Harnblasentumoren. (Tm Druck). (3) Kunze, E.:

Dr. V. Lent Urologische Abteilung der II. Chirurgischen Universitiitsklinik S Köln 91, Ostmerheimer Str. 200

Melamed, M. R., N. G. voutsa, H. Grabstald: Natural histology and clinical behavior of in-situ carcinoma of the human urinary bladder. Cancer (Philad.) 17 (1964), 1533. Soloway, M. S., G. H. Myers, J. F. Burdick, R. A. Malingren: Evaluation of urinary cytology as an indicator of bladder neoplasia in mice. J. lJrol. (Baltimore) 109 (1973), 249. Utz, D. C., H. Zincke: The masquerade of bladder cancer in situ as interstitial cystitis. J. Urol. (Baltimore 111 (1974), 160. De Voogt, H. J.: Rapid urinary cytology by phase contrast microscopy. Urol. Res. 1(1973), 113.

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Nr. 16, 18. April 1975,

[Early diagnosis of bladder carcinoma].

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