Originalarbeit 243

Frühe Hilfe für Familien und Frühgeborene – Zugangswege und Unterstützungen aus dem Gesundheitsbereich Early Childhood Intervention – Access to Risk Families and Support through Actors from the Health-care Sector

Institute

Schlüsselwörter ▶ Frühe Hilfen ● ▶ Screeningverfahren ● ▶ Zugangswege ● ▶ Familienpaten ● Key words ▶ early childhood intervention ● ▶ screening methods ● ▶ access to risk families ● ▶ family-sponsorship ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1374603 Klin Padiatr 2014; 226: 243–247 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0300-8630 Korrespondenzadresse Dr. Daniel Clauß Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Halle Ernst-Grube-Straße 40 06120 Halle (Saale) Tel.: + 49/345/5575 870 Fax: + 49/345/5572 389 [email protected]

D. Clauß1, J. Deutsch2, I. Krol3, R. Haase1, P. Willard2, T. Müller-Bahlke2, C. Mauz-Körholz1, D. Körholz1 1

Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale) Franckesche Stiftungen zu Halle, Halle (Saale) 3 Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe, Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale) 2

Zusammenfassung

Abstract

Hintergrund: Frühe Hilfen, als abgestuftes Unterstützungsangebot für Familien, bedürfen einer multiprofessionellen Kooperation und Vernetzung. Dabei stellt die Einbeziehung des Gesundheitsbereichs einen bedeutenden Aspekt dar. Methode: Im Rahmen eines standardisierten Vorgehens erfolgte durch das Perinatalteam eine Belastungseinschätzung von Familien zur Geburt. Im Ergebnis dessen, wurden zum Zeitpunkt der Vorsorgeuntersuchung U2 durch den Kinderarzt den Familien abgestufte Unterstützungsangebote unterbreitet. Eine ehrenamtliche Unterstützung durch Familienpaten wurde etabliert. Ergebnisse: In 281 von 1 238 erhobenen medizinischen Erhebungsbögen wurde mindestens ein Belastungsfaktor ermittelt. Bei 97/281 Familien lag eine erhebliche Belastung vor. Familien mit einer Betreuung durch eine Familienhebamme oder das Jugendamt wiesen eine signifikant höhere Belastung auf als Familien ohne Betreuung. Der Einsatz von Familienpaten wurde durch die Familien positiv bewertet. Schlussfolgerung: Der Zeitpunkt zur Geburt stellt eine gute Möglichkeit dar, die Belastungen von Familien in Kliniken zu erheben und Unterstützungsangebote anzubieten. Im Verlauf bedarf es jedoch einer Wiederholung dieser Maßnahmen, z. B. im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen.

Background: Interdisciplinary cooperation and networking determine the success of activities for supporting families at risk for early childhood abuse. The integration of the healthcare sector might be important. Methods: The medical standard of perinatal care at the University hospital includes information exchange about family risk factors which may contribute to an increased risk of child abuse within the first year of life. As a result, the pediatrician offered supporting services for the families at the time of the second examination during the official childhood health screening program (U2). A team of family-sponsorship was established and evaluated. Results: In 281 of 1 238 risk-factor questionnaires at least one stress factor was detected and 97 families had high-impact family stress. Families under the supervision of a family midwife or youth services had a significantly higher number of risk factors. The family-sponsorship program was institutionalized and positively evaluated by the families. Conclusions: The time of a hospital delivery is an excellent opportunity for the evaluation of familial risk factors and for the provision of supporting services. To increase the acceptance of such services by the families at risk repeated assessment of risk factors and support offers are required.

Einleitung

weitere Maßnahmen zum Schutz des Kindes zu ergreifen [3, 6, 19, 26]. Dabei ist die multiprofessionelle Kooperation und enge Vernetzung aller involvierten Partner Kernpunkt der Frühen Hilfen [5]. Aufgrund ihrer hohen Akzeptanz bieten Akteure aus dem Gesundheitsbereich ideale Voraussetzungen, einen systematischen Zugang zu belasteten Familien herzustellen [21, 22, 25]. Risikoinventare bieten dabei die Möglichkeit, früh-





Frühe Hilfen zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern und tragen damit maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei [4, 12, 19, 23]. Bei einer Gefährdung des Kindeswohls können Frühe Hilfen aus dem Gesundheitsbereich helfen,



Clauß D et al. Frühe Hilfe für Familien … Klin Padiatr 2014; 226: 243–247

Heruntergeladen von: University of Queensland. Urheberrechtlich geschützt.

Autoren

zeitig Hinweise auf einen Unterstützungsbedarf zu ermitteln [18]. Neben einer Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe sowie weiterer Professionen, ist die Einbeziehung des bürgerschaftlichen Engagements zur Stärkung der Familiensysteme sinnvoll. Mit der hier durchgeführten Studie sollte ein System zur Identifikation von Familien mit Unterstützungsbedarf zum Zeitpunkt der Früherkennungsuntersuchung U2 sowie die Vermittlung einer abgestimmten Unterstützung zur Verbesserung der Partizipation und des Empowerment der Familien evaluiert werden.

Methodik



Standardisierter medizinischer Erhebungsbogen Aufbauend auf Erfahrungen anderer Studien [8] erfolgte durch das Perinatalteam (Kinderarzt, Hebamme, Pflegeteam) während des Klinikaufenthaltes zur Geburt eine Belastungseinschätzung anhand eines standardisierten medizinischen Erhebungsbogens. Laut Kindler [11, 13] sollten Screeningverfahren geeignet sein, durch relativ einfache, aussagekräftige Sachverhalte Risiken zu identifizieren, wobei jedoch die Sensitivität sowie Spezifität einzelner Screeningverfahren eine erhebliche Varianz aufweisen. Zur Einschätzung des Unterstützungsbedarfs wurde in diesem Pro▶ Abb. 1), jekt ein medizinischer Erhebungsbogen angewendet (● welcher Erfahrungen der Mannheimer Risikostudie, Ergebnisse des Bielefelder Modellprojektes und des Systems der Familienhebammen Sachsen-Anhalt berücksichtigte [1, 9, 17]. Dieser medizinische Erhebungsbogen war Teil des definierten medizinischen Standards und die Erhebung der Angaben erfolgte routinemäßig in der Anamnese. Ein Manual sowie Schulung der Mitarbeiter gewährleistete eine objektivierbare Beurteilung der Items. Die vorliegenden Belastungsfaktoren der Gruppen 1–4 wurden einfach (Gruppe1), 2-fach (Gruppe 2), 3-fach (Gruppe 3) und 9-fach (Gruppe 4) gewichtet und der mögliche Unterstützungsbedarf drei Kategorien zugeordnet: Kategorie A – Familienpate, Kategorie B – Familienhebamme; Kategorie C – dringende Empfehlung Familienhebamme und ggf. Kinder- und Jugendhilfe. Die Zuordnung der summierten, gewichteten Belastungsfaktoren zu den 3 Kategorien des Unterstützungsbedarfs ▶ Tab. 1 dargestellt. ist in ●

Kinder- und Jugendhilfe. Familienhebammen gibt es seit 2006 im Land Sachsen-Anhalt. Sie unterstützen präventiv, gesundheitsfördernd Familien von der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres. Die Effizienz des Systems der Familienhebammen wurde im Rahmen des Projektes „Frühstart“ durch das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dargelegt [1, 2]. Zusätzlich wurde ein Familienpatensystem zur partizipativen Beeinflussung der familiären Lebensbedingungen durch ehrenamtliches Engagement aufgebaut. Dieses wurde Familien der Unterstützungskategorie A empfohlen. Die Unterstützung durch Familienpaten wurde in den betreffenden Familien durch komplementäre Angebote (Elternfrühstück, Breiküche, Familienspielgruppen, PEKiP-Kurse, Sprachkurse) ergänzt. Die Integration der Familien in die einzelnen Bausteine des Familienpatensystems erfolgte individuell am jeweiligen Bedarf orientiert [15] sowie selbstbestimmt durch die Familien. Dabei waren die Prozesse fließend und wurden im Verlauf der Betreuung angepasst. Die Akquise von Familienpaten erfolgte über die Freiwilligenagentur sowie Öffentlichkeitsarbeit. Die Beweggründe der Familienpaten zur Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit wurden in einem Eingangsgespräch erhoben und eine Schulung fand prozessbegleitend statt. Die Betreuung und Supervision der Familienpaten während des Projektzeitraums wurde durch eine Sozialpädagogin sichergestellt. Eine Reduktion der initial gewährten Aufwandsentschädigung während des Projektzeitraums führte zu keinen negativen motivationalen Auswirkungen bei den Familienpaten. Die Zufriedenheit der Familien durch eine ehrenamtliche Unterstützung wurde während des Projektes durch Teilnehmerrückmeldungen (Skala 0–10) ausgewertet. Die Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe war ab einer gewichteten Belastung von 9 Punkten im medizinischen Erhebungsbogen (Kategorie C) vorgesehen.

Ethikvotum und Datenschutz Das Projekt wurde zur Beurteilung bei der Ethikkommission sowie dem Landesbeauftragten für den Datenschutz des Landes Sachsen-Anhalt eingereicht und von diesen genehmigt.

Statistische Auswertung Es erfolgte eine deskriptive Auswertung. Die Berechnung der Signifikanz wurde mit dem Chi-Quadrat-Test durchgeführt.

Netzwerkkooperation – Vermittlung in die Unterstützungsangebote Durch den Kinderarzt wurden mit den Familien zum Zeitpunkt der Früherkennungsuntersuchung U2 (zwischen dem 3. bis 10. Lebenstag), das heißt in der Regel kurz vor Entlassung aus dem Krankenhaus, mögliche Unterstützungen besprochen. Zur Vermeidung einer Stigmatisierung der Familien wurden allen Familien die Unterstützungsmaßnahmen im Gespräch sowie über einen Flyer vorgestellt, aber im Sinne des primär selektiven Ansatzes Familien mit einem erhöhten Bedarf besonders ausführlich unterbreitet. Bei Interesse an einem Unterstützungsangebot wurden entsprechende Kontakte vermittelt. Die freiwilligen Unterstützungsangebote des Projektes wurden in bestehende Strukturen der Frühen Hilfen des Landes SachsenAnhalt integriert. So erhielten Familien mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf (ab 3 gewichteten Punkten im medizinischen Erhebungsbogen; Kategorie B) das Angebot der Betreuung durch eine Familienhebamme. Die Vermittlung einer Familienhebamme erfolgte unabhängig von einer Betreuung durch die Clauß D et al. Frühe Hilfe für Familien … Klin Padiatr 2014; 226: 243–247

Ergebnisse



In der Auswertung konnten von 1 469 Geburten 1 238 medizinische Erhebungsbögen (84,3 %) erfasst werden. Grund für eine Nichterfassung war insbesondere eine frühzeitige Entlassung aus der Klinik, noch vor der Früherkennungsuntersuchung U2. In 281 medizinischen Erhebungsbögen (22,7 %) wurde mindes▶ Abb. 2). Bei 118 von 281 tens ein Belastungsfaktor ermittelt (● medizinischen Erhebungsbögen mit mindestens einem vorliegenden Belastungsfaktor (42,0 %) wurde am häufigsten der Belastungsfaktor „leicht ausgeprägte soziale Belastungen in der Familie“ angegeben. Bei der Mehrzahl der Familien mit mindestens einem Belastungsfaktor wurde nur eine niedrige Belastung ermittelt. So fand sich in 142 von 281 (50,5 %) Familien eine gewichtete Belastung von 1, während nur bei 11 Familien eine gewichtete Belastung von mindestens 8 vorlag. Die stärkste Belastung bestand bei Familien mit

Heruntergeladen von: University of Queensland. Urheberrechtlich geschützt.

244 Originalarbeit

Originalarbeit 245

dem Item „weitere Kinder bereits in Pflegeeinrichtung/-familie“ gefolgt von „ < 5 Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft“, „deutlich ausgeprägte soziale Belastungen“ und „Suchtprobleme“. Bei 22,7 % der Familien wurde im medizinischen Erhebungsbogen ein Unterstützungsbedarf ermittelt. Bei 7,8 % der Familien lag ▶ Tab. 1) vor, woreine erhebliche Belastung (Kategorie B und C; ● aufhin eine professionelle Unterstützung angeboten wurde. 9 von 957 (0,9 %) Familien ohne Belastungszeichen im medizinischen Erhebungsbogen und 13 von 184 (7 %; p < 0.001) der Familien der Kategorie A konnten an das Familienpatensystem vermittelt werden. 27 von 86 Familien der Kategorie B wurden an eine Familienhebamme weitergeleitet bzw. befanden sich schon pränatal in dieser Betreuung. Weitere 19 Familien erhielten Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe. Dabei stellte sich bei Familien mit einer Vermittlung im Rahmen des Projektes bzw. schon pränataler Betreuung durch eine Familienhebamme oder das Jugendamt eine signifikant höher gewichtete Belastung (MW 4,6; 95 % CI 4,2–5,1) dar, als bei Familien ohne Vermittlung oder pränataler Betreuung (MW 3,7; 95 % CI 3,4–4,0; p 0.04). Alle Familien mit Einstufung in die Kategorie C konnten vermittelt werden oder befanden sich schon bei Aufnahme in die Klinik in professioneller Betreuung.

In das Familienpatensystem wurden innerhalb des Projektes insgesamt 60 Familien vermittelt: 22/60 Familien durch die Klinik und 38/60 Familien durch andere Netzwerkstrukturen. Davon erfolgte in 10/38 Familien die Vermittlung durch den Gesundheitssektor (niedergelassene Kinderärzte, Hebammen) und bei 28/38 Familien durch den sozialen Sektor (Beratungsstellen, Familienzentren) bzw. durch die Öffentlichkeitsarbeit des Projektes. 35 % der Familien erhielten eine Unterstützung direkt durch einen Familienpaten. Die anderen Familien wurden in komplementäre Angebote wie z. B. das Elternfrühstück (siehe Methodenteil) integriert. Als häufigster Belastungsfaktor für die Inanspruchnahme einer Betreuung durch das Familienpatensystem wurde die fehlende Unterstützung durch das familiäre Umfeld ermittelt. Es stellte sich eine hohe Akzeptanz der Familienpaten in den Familiensystemen dar. Von 11 Familien erhielt das Projekt Rückmeldungen über die Zufriedenheit mit den Familienpaten. Auf einer Skala von 0–10 lag der Mittelwert bei 9,2. Die meiste Unterstützung erhielten die Familien ihren Angaben zufolge im alltagspraktischen Bereich.

Clauß D et al. Frühe Hilfe für Familien … Klin Padiatr 2014; 226: 243–247

Heruntergeladen von: University of Queensland. Urheberrechtlich geschützt.

Abb. 1 Medizinischer Erhebungsbogen (modifiziert nach Bielefelder Projekt [9]).

Tab. 1 Verteilung der Familien auf die Unterstützungskategorien. Gesamtpunkte medizinischer Erhebungsbogen keine Kategorie (0 Punkte) Hinweis auf Projekt Kategorie A (1–2 Punkte) Motivation zur Unterstützung durch Familienpaten Kategorie B (3–7 Punkte) Motivation zur Unterstützung durch Familienhebammen Kategorie C (ab 8 Punkte) Dringende Empfehlung Familienhebamme und ggf. Kinder- und Jugendhilfe Gesamt

Gesamt

Prozent

957

77,3

184

14,9

86

6,9

11

0,9

1238

100

200 180 160

Anzahl

140 120 100 80 60 40 20 0

1 Item

4 Item 5 Item 2 Item 3 Item je Medizischen Erhebungsbogen

6 Item

Abb. 2 Anzahl der Familien mit einem oder mehr Belastungsfaktoren. Dargestellt ist die Anzahl der Familien in Abhängigkeit der Belastungsfaktoren (Items) pro Familie.

Diskussion



Die multiprofessionelle Kooperation und enge Vernetzung aller involvierten Partner stellen den Kernpunkt für ein Gelingen der Frühen Hilfen dar [5, 20]. Neben einer Kooperation zwischen dem Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe sowie weiterer Professionen, ist die Einbeziehung des bürgerschaftlichen Engagements zur Stärkung der Familiensysteme sinnvoll und ressourcenorientiert. Dabei bieten Kliniken einen aussichtsreichen Zugangsweg, durch welchen Familien mit erhöhten Belastungen und entsprechendem Unterstützungsbedarf erreicht, erkannt und zur Inanspruchnahme von Frühen Hilfen motiviert werden können [22]. Die Erfassung von Belastungsfaktoren in dieser Studie erfolgte zum Zeitpunkt der Geburt durch einen medizinischen Erhebungsbogen in der Klinik, welcher im Rahmen des definierten medizinischen Standards angewendet wurde. Die dabei erhobenen Faktoren berücksichtigen die in der Literatur beschriebenen Risikofaktoren [11, 13]. In 22,7 % der ausgewerteten medizinischen Erhebungsbögen wurden Belastungsfaktoren ermittelt. In 7,8 % der Familien lag eine erhöhte Belastung vor. Dies deckt sich mit anderen Erhebungen, in denen bei 7–8 % im Umfeld der Neugeborenen psychosoziale Risikofaktoren beschrieben wurden [7, 16]. Der Belastungsfaktor „unter 5 Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft“ trat häufig mit zusätzlichen Belastungsfaktoren auf und sollte somit berücksichtigt werden. Die weiteren erhobenen Belastungsfaktoren in dieser Auswertung, wie z. B. „Suchterkrankung“, „psychische Erkrankungen“ oder „weitere Kinder bereits in Pflegefamilie“, decken sich mit

Clauß D et al. Frühe Hilfe für Familien … Klin Padiatr 2014; 226: 243–247

der Literatur [11, 13] und stellen die Notwendigkeit einer vertiefenden Exploration der Familien dar, um weitere sozio-ökonomische sowie psychosoziale Belastungen zu erheben. Interventionen der Frühen Hilfen sollten sich individuell an der jeweiligen Familiensituation orientieren [10]. Die Entscheidung zur Empfehlung einer ehrenamtlichen oder professionellen Unterstützung erfolgte im Rahmen des Projektes durch ein Screeningverfahren, wobei neben psychosozialen Belastungsfaktoren auch Beobachtungen des Stationsalltags einbezogen wurden. Unter Berücksichtigung der psychosozialen familiären Komplexität sollte bei Familien mit einer erhöhten Belastung im Screening zu einem späteren Zeitpunkt ein vertiefendes Gespräch zur exakteren Erhebung der Belastungsfaktoren und möglicher Unterstützungsmaßnahmen stattfinden. Weiterhin sollten die Ergebnisse des perinatalen Screenings in der Klinik zu den pädiatrischen Früherkennungsuntersuchungen U3ff aufgegriffen bzw. ebenfalls erhoben werden [18]. Dabei könnten neben den psychosozialen Belastungen der Familie auch eine Einschätzung des bisherigen Entwicklungsprozesses des Kindes sowie der Interaktion zwischen Hauptbezugsperson und Kind erfolgen [24]. Familien mit einer festgestellten sehr hohen Belastung im medizinischen Erhebungsbogen konnten im Rahmen des Projektes vermittelt werden oder befanden sich schon pränatal in professioneller Betreuung. Die Akzeptanz für eine Unterstützung in Familien mit einer mittleren bzw. niedrigen Belastung war geringer ausgeprägt. Dies deckt sich mit den Erfahrungen aus anderen Modellprojekten, die zeigen konnten, dass im Durchschnitt etwa ein Viertel der Familien mit nachgewiesenem Hilfebedarf nicht für die Annahme eines Hilfeangebots gewonnen werden konnten [22]. Der Einsatz von Familienpaten in dieser Studie wurde durch die Familien positiv aufgenommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um Teilnehmerrückmeldungen sowie eine kleine Stichprobe handelt. Somit können keine Wirkungsnachweise zur Stabilisierung der Familiensysteme, Steigerung der Selbstwirksamkeit der Hauptbezugspersonen oder Verbesserung der Elternkompetenzen getroffen werden. In der ehrenamtlichen Betreuung fand eine alltagspraktische Unterstützung und weniger die Beratung zu Fragen der Gesundheit statt. Dies deckt sich mit dem Grundgedanken der Frühen Hilfen, wodurch besonders die aktive Teilhabe (Partizipation) und die Stärkung der eigenen Fähigkeiten und Handlungskompetenzen (Empowerment) in den jeweiligen Familiensystemen im Vordergrund stehen [14, 20].

Schlussfolgerungen



Die Akzeptanz der Unterstützungsangebote in den Unterstützungskategorien A und B war unzureichend. Daher sollte künftig versucht werden, durch ein Screening auf Frühe Hilfen im Rahmen der Früherkennungsuntersuchung U3ff und der Wiederholung des Unterstützungsangebotes, die Akzeptanz der Hilfen bei den Familien zu verbessern. Die Einbeziehung des öffentlichen Gesundheitswesen und der regionalen Sozialpädiatrischen Zentren könnten den Fördergedanken der Frühen Hilfen weiter verstärken. Mit dieser Studie konnte zudem gezeigt werden, dass neben dem Angebot von Familienhebammen für stark belastete Familien, Familienpaten für Familien mit geringerer Belastung eine sinnvolle Ergänzung darstellen.

Heruntergeladen von: University of Queensland. Urheberrechtlich geschützt.

246 Originalarbeit

Danksagung



Die Projektfinanzierung erfolgte durch das Ministerium für Soziales des Landes Sachsen-Anhalt. Wir danken Frau Oesterhaus (Zentrum Frühe Hilfen, Ministerium für Soziales des Landes Sachsen-Anhalt) und Frau Heinecke (Landesjugendamt, Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt) für die Begleitung des Projektes.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären hiermit, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Ayerle GM, Luderer C, Behrens J. FrühStart: Mütterliche Kompetenzen und Selbstwirksamkeitserleben. In: Renner I, Sann A, Nationales Zentrum Frühe Hilfen Hrsg. Forschung und Praxisentwicklung Früher Hilfen – Modellprojekte begleitet vom Nationalen. Zentrum Frühe Hilfen, Köln: 2010 2 Ayerle GM. Frühstart: Familienhebammen im Netzwerk Frühe Hilfen. Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Köln: 2012 3 Banaschak S, Rothschild MA, Roth B et al. Near fatal physical neglect in a newborn with a three-year follow-up. Klin Padiatr 2012; 224: 320–321 4 Beelmann A. Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen: Ergebnisse und Implikationen der integrativen Erfolgsforschung. Z Klin Psychol Psychopathol 2006; 35: 151–162 5 Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen 2012–2015. Verwaltungsvereinbarung 2012 6 Clauß D, Richter C, Klohs G et al. Legal consequences in cases of child abuse. Klin Padiatr 2013; 225: 283–287 7 Filsinger B, Bechtold I, Gehrmann J. Frühe Hilfen beginnen im Kreißsaal: Gelungene Vernetzung von Gesundheits- und Jugendhilfe. Kinderarztl Prax 2010; 81: 159–163 8 Jordan E, Schneider K, Wagenblass S. Frühe Hilfen für Familien – Arbeitshilfe zum Aufbau und zur Weiterentwicklung lokaler sozialer Frühwarnsysteme. Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Hrsg. ISA – Institut für soziale Arbeit e.V., Münster: 2005 9 Jordan E, Schneider K, Wagenblass S. Soziale Frühwarnsystemein NRW –Ergebnisse und Perspektiven eines Modellprojekts – Abschlussdokumentation. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen Hrsg. ISA – Institut für soziale Arbeit e.V., Münster: 2005 10 Jungmann T, Brand T. Die besten Absichten zu haben ist notwendig, aber nicht hinreichend – Qualitätsdimensionen in den Frühen Hilfen. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiat 2012; 61: 723–737

11 Kindler H. Wie könnte ein Risikoinventar für Frühe Hilfen aussehen? In: Meysen T, Schönecker L, Kindler H, Hrsg. Frühe Hilfen im Kinderschutz – Rechtliche Rahmenbedingungen und Risikodiagnostik in der Kooperation von Gesundheits- und Jugendhilfe. 1. Aufl. Juventa, Weinheim und München: 2009 12 Kindler H, Suess G. Forschung zu Frühen Hilfen. Eine Einführung in Methoden. In: Renner I, Sann A, Nationales Zentrum Frühe Hilfen Hrsg. Forschung und Praxisentwicklung Früher Hilfen – Modellprojekte begleitet vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen. Zentrum Frühe Hilfen, Köln: 2010 13 Kindler H. Risikoscreening als systematischer Zugang zu Frühen Hilfen. Ein gangbarer Weg? Bundesgesundheitsbl 2010; 53: 1073–1079 14 Königsfeld K. Die Bedeutung der Familienbildung im Kontext Früher Hilfen. In: Resch F, Maywald J, Hrsg. Frühe Kindheit – Die ersten sechs Lebensjahre. Deutsche Liga für das Kind, Berlin: 2012 15 Korfmacher J. The Kempe Family Stress Inventory: A Review. Child Abuse Negl 2000; 24: 129–140 16 Kratzsch W. Aufbau eines flächendeckenden Netzes früher Hilfen im Gesundheitswesen. Kinderärztliche Praxis 2010; 81: 151–156 17 Laucht M, Esser G, Schmidt H. Motor, cognitive and socio-emotional development of 11-year-olds with early childhood risk factors: late sequelaeZeitschrift. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 2002; 30: 5–19 18 Martens-Le Bouar H, Renner I, Belzer F et al. Erfassung psychosozialer Belastungen in den Früherkennungsuntersuchungen im 1. Lebensjahr. Kinderarztl Prax 2013; 84: 94–100 19 Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH). Begriffsbestimmung Frühe Hilfen. http://www.fruehehilfen.de/fruehe-hilfen/was-sind-fruehehilfen 20 Paul M. Was sind Frühe Hilfen? In: Resch F, Maywald J, Hrsg. Frühe Kindheit – Die ersten sechs Lebensjahre. Deutsche Liga für das Kind, Berlin: 2012 21 Renner I. Zugangswege zu hoch belasteten Familien über ausgewählte Akteure des Gesundheitssystems. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2010; 53: 1048–1055 22 Renner I, Heimeshoff V. Modellprojekte in den Ländern – Zusammenfassende Ergebnisdarstellung. Nationales Zentrum Frühe Hilfen, Köln: 2010 23 Reynolds AJ, Mathieson LC, Topitzes JW. Do early childhood interventions prevent child maltreatment? A review of research. Child Maltreat 2009; 14: 182–206 24 Thais H, Klein R, Schumann EC et al. Früherkennungsuntersuchungen als Instrument im Kinderschutz. Erste Erfahrungen der Länder bei der Implementierung appellativer Verfahren. Bundesgesundheitsblatt 2010; 53: 1029–1047 25 Thyen U. Kinderschutz und Frühe Hilfen aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin. Bundesgesundheitsbl 2010; 53: 992–1001 26 Verocai E, Kitzelmann I, Juen F et al. Evaluation of a child protecting team by an independent cooperation partner – suggestions for an optimized procedure. Klin Padiatr 2013; 225: 234–238

Clauß D et al. Frühe Hilfe für Familien … Klin Padiatr 2014; 226: 243–247

Heruntergeladen von: University of Queensland. Urheberrechtlich geschützt.

Originalarbeit 247

[Early childhood intervention - access to risk families and support through actors from the health-care sector].

Interdisciplinary cooperation and networking determine the success of activities for supporting families at risk for early childhood abuse. The integr...
352KB Sizes 0 Downloads 3 Views