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Dysphagie als Erstsymptom einer Tetanuserkrankung Em F'allbericht J. Sieron, Chr. Kdllner, H. S. Johannsen

Zusammenfassung

Berichtet wird fiber einen Fall von Tetanus mit letalem Ausgang bei einer 69jãhrigen Patientin, hei der anfangs alleine eine progrediente Sehluckstorung bestand und erst wesentlich später die typischen Tetanuszeichen auftraten und die Diagnosefindung begunstigten. Dysphagia as First Symptom of a Tetanus Disease

Bei den meisten Tetanuserkrankungen zeigen sieh die ersten Symptome im Kopfbereieh, doch kann die klassische Trias — —

Trismus (Kieferklemme)

sardonieus (Spasmen der Gesichts- und Halsmuskulatur) — Opisthotonus (Naekensteifigkeit mit Uberstreekung der Hals- und Rflckenmuskulatur) Risus

einzeln oder gemeinsam in untersehiedlicher Ausprägung auftreten (10).

Besonders sei daran erinnert, da6 die A 69-year-old woman was examined because of progressive dysphagie. A barium esophagogram showed no obstruction but a swallowing in trachea sug-

gested a neuromuscular disorder. ENT examination showed no specific signs of infection. The clinical diagnosis of tetanus was confirmed by electromyography. This case demonstrates an uncommon cause of dysphagia where the classical signs of tetanus in the early stages of this disease were absent and dysphagia was the initial and sole presenting symptom.

Die Fruhdiagnose des Tetanus und die rechrzeitige Sirnultanimmunisierung bei nichtgeimpften Verletzten ist entseheidend für den Verlauf der Erkrankung, zumal die LetalitSt bei Niehtgeimpften 50—60 % hetragen kann (4, 6). Gerade die Frflhsymptome in unserem Faehhcreich werden auch heute noeh sehr oft verkannt (4), und so kommt es aueh zu Vorwürfen, die gegcn die HNO-Arztesehaft geriehtet sind, daR sic die ersten Krankheitszeiehen als Symptome einer Tetanuserkranlcung nicht erkennen und Fehldiagnosen wie Trigeniinusneuralgie, Angina tonsillaris,

Spraehschwierigkeiten oder Mundbodenphlegmone stelen, wodureh die Diagnose und rcehtzeitige Therapie versehleppt wird. Dabei sei ,,die besonders schlechte Kenntnis uber die Tetanuserkrankung bei den HNO-Arzten auffallend" (6, 10).

Laryngo-Rhioo-Otol. 70 (1991) 650—651 Georg Thieme Verlag Srurrgart New York

Dysphagie das allein fflhrende Erstsymptom scm kann, worauf wiederholt in Kasuistiken hingewiesen wurde (1—3, 8, 9, 11—13), und die ,,klassischen Zeiehen" erst wesentlich

später auftreten konnen. Gerade die Dysphagie als mögliches Kennzeichen des Tetanus sollte bekannt scm und in der Diagnosefindung mitberüeksiehtigt werden (5). Fallbericht

Eine 69jãhrige Patientin wurde Ende August des letzten Jahres mit Sehluekstflrungen, Halssehmerzen und im weiteren Verlauf zunehmender Verspannung der gesamten Hals- und Kopfmuskulatur in das Kreiskrankenhaus ihres Heimatortes eingewiesen. Die veranlaRten Untersuchungen (EKG, Rflntgen-Thorax, kranielles Computertomogramm) ergaben Nprmalbefunde. Lediglieh bei der Gastrografin-Passage des Osophagus kam es zum Ubersehlucken des Gastrografins in die Trachea. Dabei fand sieh kein Hinweis auf em Passagehindernis. Der Befund wurde als Ausdruck einer neurogenen Schluekstdrung interpretiert. Das neurologische und hals-nasen-ohrenSrztliehe Konsil ergab unauffallige Befunde. Bei der Endoskopie des Larynx und des Osophagus lieI?en sich regelrechte VerhSltnisse dokumentieren. Die medikamentose Therapie (parenterale Flflssigkeitszufuhr, rheologisehe Ma1nahmen wegen anamnestiseh zurüekliegendem zerebralen Insult, Sedierung mittels Diazepam und Gabe von Akineton bzw. Fortecortin) blieb ohne Einflu6 auf das Besehwerdebild. Zur weiterfflhrenden Diagnostik erfolgte die Verlegung der Patientin n em Sehwerpunktkrankenhaus, dort wurde elektromyographiseh die Diagnose ,,Tetanus" gestellt.

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Phonzarrische Ambulane der UniversirIt Ulni (Leiter: Prof. Dr. El. S. Johanosen)

Laryngo-Rhino-Otol. 70 (1991) 651

Dysphagie als Erstsymptom einer Tetanuserkrankung

bundene Risiko dieser Erkrankung gesenkt und der besonders an die HNO-Arzte gerichtete Vorwurf, aus Unkenntnis die richtige Diagnose verschleppt zu haben, entkrhftet werden.

Literatur

Sofort wurde die passive Immunisierung mit 10000 E Tetagam i.m. eingeleitet und jeweils mit 3000 E an den vier folgenden Tagen wiederholt. Em akuter Krampf der Schlundmuskulatur mit Zyanose und Bradykardie machte eine Intubation mit anschlieIgender druckkontrollierter Beatmung und später eine Tracheotomie erforderlich. Im weiteren Verlauf entwickelte die Patientin dreima! einen Spontanpneumothorax, der wiederholt entlastet werden mugte, eine intensivmedizinisch nicht mehr beeinflufbare Globalinsuffizienz trat hinzu und führte zum Ableben der Patientin 49 Tage nach Beginn der stationären Behandlung.

Diese Krankengeschichte verdeutlicht emdrucksvoll den verhangnisvollen Verlauf eincr Tetanuserkrankung, wobei eben nicht der bekannte Trismus, sondern aus völiigem Wohibefinden auftretende Schluckschmerzen im Vordergrund der Beschwerden standen. Bei der HNOärztlichen Untersuchung wurde em akut entzündliches Geschehen ausgeschlossen, die Mög!ichkeit einer Clostridieninfektion aber nicht in Erwiigung gezogen. Das spate Einsetzen der anfangs uncharakteristischen Beschwerden, die Bagatellverletzung, der von seiten der Patientin keinerlei Bedeutung beigemessen wurde, und das doch relativ seltene Vorkommen der Erkrankung mit dem Erstsymptom Dysphagie haben eine verspätete Diagnosestellung und den letal endenden Verlauf begun-

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stigt.

Diskussion

Bei Patienten mit unklaren Schluckheschwerden, schmerzhaftem Engegefuhl beim Schlucken und Schluckstorungen, die eventuell progredient sind, ist an die Moglichkeit eines beginnenden Tetanus zu denken, auch wenn die anderen typischen Zeichen fehien. Eine sorgfhltige Anamnese mit Befragung nach vorausgegangenen Verletzungen und deren Behandlung ist zu erheben. Auch mu6 nach Bagatellverletzungen gefahndet werden, da diese em besonderes Risiko darstellen, weil sie von dem Betroffenen wegen ihrer Geringfugigkeit nicht für erwdhnenswert gehalten werden (6).

Da es keine kausale Therapie des Tetanus gibt, gewáhrleistet nur die Tetanusimmunprophylaxe einen sicheren Schutz. Die Gabe erfo]gt an zwei vcrschiedcrien Korperstellen, vorzugsweise tief intragluteal, aus zwei vcrschiedenen Spritzcn. Bei ungenügcnd immunisierten Patienten besteht die Simultanimmunisierung aus der gleich-

zeitigen Gabe von 0,5 ml Tetanusadsorbatimpfstoff und 250—500 IE humanem Tetanusimmunglobulin, wobei die Dosis je nach Schwere der Wunde und nicht nach Alter oder Korpcrgewicht variiert.

Durch rechtzeitiges ,,Darandenken" und die sofortige Einleitung einer Si multanimmunisierung Nichtgeimpfter kann das mit einer noch immer hohen Letalität ver-

Dr. J. Sieron Prof Dr. H. S. Johannsen Phoniatrische Ambulanz der Universitat Ulm Frauensteige 14a 7900 Ulm

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Bei der neuerlichen Anamneseerhebung berichtete die Patientin eine minimale Hautverletzung, die sie sich vier Wochen vor der stationären Aufnahme bei der Gartenarbeit an einem Dorn zugezogen hatte.

[Dysphagia as initial symptom in tetanus. A case report].

A 69-year-old woman was examined because of progressive dysphagie. A barium esophagogram showed no obstruction but a swallowing in trachea suggested a...
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