Leitthema Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 109:13–18 DOI 10.1007/s00063-013-0281-8 Eingegangen: 21. Oktober 2013 Angenommen: 20. November 2013 Online publiziert: 20. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Redaktion

U. Jannssens, Eschweiler A. Valentin, Wien

Es zählt heute zu den etablierten Standards der Intensivmedizin, dass sie nicht nur für die kurativ ausgerichtete Überbrückung einer kritischen Krankheitsphase mit maximalmedizinischen Maßnahmen zuständig ist, sondern dass in ihr auch Raum für die palliative Betreuung von Intensivpatienten in ihrer letzten Lebensphase­ sein muss [5]. Der vorliegende Beitrag geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, welche Voraussetzungen bedacht werden müssen, um ein ethisch gutes Sterben auf der Intensivstation zu ermöglichen. Der Kontext der folgenden Ausführungen sind klinische Situationen, in denen aufgrund fehlender Indikation oder ablehnendem Patientenwillen bereits feststeht, dass auf eine Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen verzichtet wird. Die rechtsethischen Möglichkeiten einer solchen Therapiebegrenzung wurden bereits in zahlreichen Publikationen und fachgesellschaftlichen Empfehlungen dargelegt [12, 13, 21, 29, 31]. In derartigen Fällen vom „comfort terminal care“ [21] gilt es, eine patienten- und angehörigenorien­tierte Betreuung zu gewährleisten, die über medizinische und pflegerische Entscheidungen hinausgeht.

Ethische Grundlagen Ein ethisch gutes Sterben auf der Intensivstation setzt zunächst voraus, sich über 3 Dimensionen der Ethik klar zu werden: Ethik als kritische Reflexion der Moral hilft dabei, Gebote und Verbote zu verste-

J. Wallner1, 2 1 Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien 2 Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Institut für Rechtsphilosophie, Religions-

und Kulturrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Wien

Sterben auf der Intensivstation hen. In diesem Sinn ist es z. B. wichtig, die moralischen Voraussetzungen einer palliativen Sedierung zu reflektieren. Ethik als Lehre vom guten Leben hilft dabei, jene­Strebensziele zu identifizieren, die für ein gelungenes geglücktes Leben dienlich sind. Dies zeigt sich z. B. darin, dass einem Sterbenden beigestanden wird, um mit dem Leben abschließen zu können. Ethik als Auseinandersetzung mit dem Charakter hilft dabei, jene Haltungen und Kulturen zu entwickeln, die essenziell sind, um die guten Strebensziele zu verfolgen. Dies führt z. B. dazu, dass Patienten in der gleichen infausten Krankheitssituation sehr unterschiedlich mit ihrem Schicksal umgehen. Neben diesen 3 Dimensionen von Ethik gilt es, 3 Ebenen des ethischen Denkens und Handelns im Blick zu behalten: Auf individueller Ebene geht es um persönliche Interaktionen zwischen Behandlungsteam und Patient bzw. Angehörigen, z. B. in einer Familienkonferenz, sowie um Beziehungen innerhalb des Behandlungsteams, z. B. in einer ethischen Fallbesprechung. Auf organisatorischer Ebene­ drehen sich ethische Fragen um Strukturen und Prozesse, die für ein gutes Sterben auf der Intensivstation nötig sind. Dazu zählen z. B. institutionelle Angebote, wie ein Palliativkonsiliardienst oder eine klinische Ethikberatung sowie klinische Pfade­für die integrierte Patientenbetreuung. Auf gesellschaftlicher Ebene werden rechtliche Rahmenbedingungen des klinischen Handelns definiert sowie jene Kultur geprägt, wie in der Öffentlichkeit über das Sterben im Krankenhaus bzw. auf der Intensivstation gedacht wird.

Aus der Interdependenz der 3 Ethikdimensionen und 3 Ethikebenen lässt sich ableiten, dass für ein ethisch gutes Sterben auf der Intensivstation ein integrativer Ethikansatz nötig ist. Der vorliegende­Beitrag kann nicht alle Ethikfelder beleuchten­ und konzentriert sich daher auf strukturelle und kulturelle Aspekte.

Menschenbild Das individuelle und organisationale Handeln in der Sterbebegleitung auf der Intensivstation wird durch das Menschenbild beeinflusst, also die Art und Weise, wie wir uns als Menschen verstehen. Das Menschenbild wird gerade in Krisensituationen fraglich, und das Sterben kann in diesem Sinn als letzte Krisensituation des Lebens aufgefasst werden. In dieser Phase bietet sich die Möglichkeit, das Leben von seiner Grenze her zu verstehen [8] und es zu deuten.

»

Sterbebegleitung auf der Intensivstation bedeutet die Deutung des Lebens von seiner Grenze her Die existenzielle Krise der terminalen Krankheit kann dann besser verstanden werden, wenn von einem mehrdimensionalen Menschenbild ausgegangen wird, wie es auch dem biopsychosozialen Gesundheits- und Krankheitsmodell und der Palliativmedizin zugrunde liegt. In diesem Sinn sieht Salomon [25] das Menschenbild durch zumindest 5 Eckpunkte charakterisiert: der Mensch als

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014 

| 13

Leitthema Tab. 1  Faktoren, die für Angehörige eine Belastung bzw. Erleichterung in der Sterbephase

eines Patienten darstellen. (Mod. nach [18]) Belastungen Schlechte Kommunikation mit Behandlungsteam Ungenügende, unklare oder widersprüchliche Informationen Gespräche mit dem diensthabenden Arzt im öffentlichen Warteraum Seltene Kommunikation mit dem Arzt Konflikte zwischen Angehörigen und Behandlungsteam Finanzielle Schwierigkeiten Suboptimale Besuchszeiten

Erleichterungen Respekt und Einfühlung seitens des Behandlungsteams Vollständigkeit von Informationen bezüglich Diagnose, Prognose und Behandlung Gespräche mit dem diensthabenden Arzt in ruhiger Atmosphäre Informationen über Entscheidungen, lebenserhaltende Maßnahmen zu begrenzen Gespräche mit dem Behandlungsteam, was dem Patienten wichtig war und ist Möglichkeit, Bedenken und Sorgen zu äußern Das Gefühl, dass der Patient nicht leiden muss Möglichkeit, seelsorgliche oder psychologische Unterstützung zu erhalten

F autonomes Wesen: fähig, seinem Leben eigene Ziele zu geben und nach vernünftigen Grundsätzen zu handeln; F soziales Wesen: stets in Beziehungen zu Mitmenschen und Mitwelt eingebettet und mit ihnen in einer wechselseitigen Abhängigkeit stehend; F transzendentes Wesen: in der Lage, über seine eigene Begrenztheit hinauszudenken, das eigene Leben von einer anderen Instanz her zu deuten und zu hoffen; F geschichtliches Wesen: geformt durch eine individuelle Biografie, geprägt von persönlichen Erfahrungen; F verletzliches Wesen: durch sein ganzes Leben hinweg in der einen oder anderen Weise bedürftig. Wenngleich solche grundlegenden anthropologischen Überlegungen im klinischen Alltag kaum explizit gemacht werden, beeinflussen sie das Denken und Handeln der Patienten, ihrer Angehörigen und der Behandlungsteams. Mitunter ist es nötig, sich solcher Vorannahmen bewusst zu werden, um (Therapie-)Entscheidungen besser zu verstehen und eine gute Sterbebegleitung zu ermöglichen.

Ethische Ziele Ein gutes Sterben auf der Intensivstation kann dann ermöglicht werden, wenn folgende Zielsetzungen bei allen individuellen Handlungen und organisatorischen Entwicklungen beachtet werden [3]:

14 | 

D Leiden muss gelindert werden.

Leiden ist ein multifaktorieller Zustand [6], der physische, psychische, soziale und spirituelle Aspekte umfassen kann. Um Leiden von Sterbenden zu lindern, braucht es eine multiprofessionelle Antwort von Medizin, Pflege, anderen therapeutischen Berufen, Psychologie, Sozialarbeit, Seelsorge etc. D Sterben soll begleitet und Leben

bis zuletzt wertgeschätzt werden. Angesichts der vielfältigen Bemühungen, ein symptomkontrolliertes Sterben zu ermöglichen, wird mitunter vergessen, dass zum guten Abschluss auch eine grundsätzliche Wertschätzung des bisherigen Lebens und die Ermöglichung positiver Erfahrungen bis zuletzt (z. B. Abschiednehmen von Angehörigen) gehören.

persönlich auszuüben. Umso wichtiger ist es, Hilfsmittel der Selbstbestimmung, wie z. B. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten oder andere antizipierte Willensäußerungen des Patienten, zu respektieren. Würde, Beziehungen und Vielfalt müssen respektieret werden. D Fairness soll gefördert werden.

Auch und gerade angesichts begrenzter Ressourcen dürfen Sterbende nicht außen vor gelassen werden. Die ethische Güte eines Krankenhauses zeigt sich nicht zuletzt darin, inwiefern Zeitressourcen für die Betreuung Sterbender (z. B. Wache am Bett von Sterbenden ohne Angehörige) oder Raumressourcen für Verstorbene (z. B. Verabschiedungsraum) bereitgestellt werden. D Die professionelle Integrität

muss gewahrt bleiben. Da die Begleitung Sterbender auch für professionell klinisch Tätige eine emotionale, organisatorische oder moralische [10] Belastung darstellen kann, müssen­ institutionelle Rahmenbedingungen geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen jemand aus dem Behandlungsteam sich von der Betreuung des Sterbenden oder der Angehörigen zurückziehen darf. Auch eine institutionelle Unterstützung muss entwickelt werden. In den folgenden Abschnitten finden sich weiterführende Erläuterungen zu den ethischen Zielen Würde, Beziehung, Vielfalt und institutionelle Unterstützung zur Ermöglichung eines guten Sterbens auf der Intensivstation.

D Wohlbefinden soll gefördert werden.

Gemäß dem Grundsatz, nach dem alle medizinischen Interventionen mit Belastungen und Risiken einhergehen, sollte auf alles verzichtet werden, was dem Wohlbefinden des Patienten entgegensteht. D Selbstbestimmung muss

respektiert werden. Patienten sind i. d. R. auf der Intensivstation am Lebensende nicht mehr in der Lage, ihre Selbstbestimmung aktuell und

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014

Würdevoll sterben Das Ziel des würdevollen Sterbens auf der Intensivstation greift den voraussetzungsreichen Begriff der Menschenwürde auf und versucht, ihn für einen bestimmten Kontext zu konkretisieren. Der Rekurs auf die Menschenwürde bedeutet ethisch zweierlei: Zum einen verbietet es der Respekt vor der Menschenwürde, einen Patienten bloß zum Objekt der Therapie oder Forschung zu degradieren. Diese Gefahr ist stets im Auge zu behalten, glücklicherweise aber die Ausnahme in der heu-

Zusammenfassung · Abstract tigen klinischen Ethik. Zum anderen verlangt es der Respekt vor der Menschenwürde, einem Sterbenden in seiner individuellen Persönlichkeit gerecht zu werden, sodass er die Kontinuität zwischen seinem bisherigen Leben und dem nunmehrigen Sterben wahren kann [1]. D Aus Respekt vor seiner

Würde soll auch mit einem tief komatösen moribunden Patienten gesprochen werden. Dies gebietet zudem der Respekt vor der eigenen Würde des Kommunizierenden. Die Ermöglichung eines würdevollen Sterbens umfasst in diesem Sinn eine professionelle palliative Versorgung und die Hellhörigkeit für die vielfältigen, teilweise sehr subtilen Formen, auf welche Weise die Menschenwürde des Sterbenden nicht ernst genug genommen wird [24]. Beispiele für Handlungen, welche ein würdevolles Sterben gewährleisten sollen, sind: F professionelle Symptomkontrolle [23]; F achtsame und respektvolle Intim­ pflege, palliative Mundpflege [28]; F Verzicht auf alle diagnostischen Maßnahmen ohne Konsequenz für die weitere Betreuung [13]; F Ansprache des sterbenden Patienten anstelle des Sprechens über ihn am Krankenbett [32] Der springende Punkt des Menschenwürdegedankens ist folgender: Selbst wenn der moribunde Patient selbst nichts mehr von diesen und anderen Handlungen bewusst realisieren kann und selbst wenn keine Angehörigen anwesend sind, schuldet das Behandlungsteam dem Patienten einen solchen würdevollen Umgang unbedingt; aus Respekt vor dem Patienten, aber auch vor sich selbst.

Patienten- und angehörigen­ orientierte Sterbebegleitung Eine ethisch gute Sterbebegleitung ist patienten- und angehörigenorientiert [2]. Unbeschadet der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine stellvertretende Entscheidung anstelle des nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten, ist stets anzuraten, die Angehörigen des Sterbenden

Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 109:13–18  DOI 10.1007/s00063-013-0281-8 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 J. Wallner

Sterben auf der Intensivstation Zusammenfassung Zur Verantwortung der modernen Intensivmedizin zählt neben der kurativ ausgerichteten Überbrückung von kritischen Krankheitsphasen auch die palliative Betreuung von Intensivpatienten in ihrer Sterbephase. Der vorliegende Beitrag geht mithilfe eines integrativen Ethikansatzes der Frage nach, welche strukturellen und kulturellen Voraussetzungen für eine gute Sterbebegleitung zu beachten sind. Ausgehend von einem mehrdimensionalen Menschenbild werden ethische Ziele der Sterbebegleitung erläutert. Im Speziellen wird auf praktische Voraussetzungen für ein würdevolles Sterben, die strukturierte Einbindung der Angehörigen, die Berücksichtigung von kulturellen und religiösen

Wertvorstellungen sowie die institutionelle Umsetzung einer guten Sterbebegleitung in einem klinischen Pfad eingegangen. Daraus wird ersichtlich, dass eine verantwortungsbewusste Sterbebegleitung auf der Intensivstation nicht bloß aus ethisch gerechtfertigten Entscheidungen über Therapiebegrenzungen besteht, sondern von strukturellen und kulturellen Voraussetzung abhängt, die es zu berücksichtigen und gestalten gilt. Schlüsselwörter Behandlung am Lebensende · Sterbebegleitung · Menschenwürde · Religion · Ethik

Dying in the intensive care unit Abstract Modern intensive care is responsible both for curative interventions in critical health situations and palliative terminal care for the dying ICU patient. By applying an integrated ethics approach, this article examines organizational and cultural factors shaping good terminal care in the ICU. Starting with a reflection on what it means to be human, ethi­ cal goals for care of the dying are formulated. Among them, the article focuses on practices ensuring a dignified dying process, on the structured engagement of patients’ fami­ lies, on respecting cultural and spiritual val-

„mit an Bord“ zu haben. Dies ergibt sich aus dem bereits angeführten Eckpunkt des Menschenbilds, wonach der Mensch ein soziales Wesen ist, sodass es zur Sterbebegleitung gehört, Beziehungen bis zuletzt zu ermöglichen. . Tab. 1 gibt einen Überblick über die wesentlichen Faktoren, die für Angehörige eines Sterbenden eine Belastung bzw. eine Erleichterung darstellen. Gerade wenn der Sterbephase eine bewusste therapeutische Entscheidung vorausgeht (z. B. ein Verzicht auf die Intensivierung lebenserhaltender Behandlungsmaßnahmen), empfiehlt sich die Abhaltung einer Angehörigenkonferenz [14, 19, 33]. Dabei können – multiprofessionell akkordiert – Informationen über den weiteren

ues, and on a clinical pathway for terminal care as an institutional framework. In conclusion, it becomes evident that good terminal care in the ICU not only depends on ethically sound decisions on withholding or withdrawing medical interventions but also on organizational and cultural aspects which must be acknowledged and shaped. Keywords End of life care · Terminal care · Human dignity · Religion · Ethics

Behandlungsverlauf erläutert und den Angehörigen eine Möglichkeit geboten werden, an der Sterbebegleitung zu partizipieren.

Kulturelle und religiösweltanschauliche Vielfalt Zu einer ethisch guten Sterbebegleitung gehört der respektvolle Umgang mit den kulturellen und religiös-weltanschaulichen Prägungen der Sterbenden und ihrer Angehörigen [4, 16, 22, 27]. Voraussetzungen hierfür betreffen Wissen, Haltungen und Praktiken: Das Wissen um spezifische kulturelle oder religiös-weltanschauliche Normen, z. B. zu Ernährung, Intimbereich, körperliche Ausscheidungen (Unreinheit), Begleitung in der termina-

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014 

| 15

Leitthema Infobox 1  Bestandteile des „Liverpool integrated care pathway for the dying patient“ (LCP). (Mod. nach [9]) I. Initiales Assessment und Therapiezielbestimmung F Diagnose F Physischer Zustand (belastende Symptome) F „comfort care“ 1Ziel 1: derzeitigen Medikation überprüft und jede nichtessenzielle Medikation beendet 1Ziel 2: symptomlindernde subkutanen Bedarfsmedikation angeordnet 1Ziel 3: Beendigung aller unverhältnismäßigen Interventionen (z. B. Bluttests, Antibiose, bestimmte Pflegehandlungen) F Psychosoziale Faktoren 1Ziel 4: Kommunikation und Verständigung mit Patient oder Angehörigen sichergestellt (z. B. mittels Dolmetsch) 1Ziel 5: Dem Patienten oder den Angehörigen ist die Lage bewusst F Religiös-spirituelle Aspekte 1Ziel 6: religiös-spirituelle Bedürfnisse des Patienten oder der Angehörigen geklärt; bei Wunsch Kontakt mit Seelsorge hergestellt 1Kommunikation mit Angehörigen 1Ziel 7: Wünsche der Angehörigen bezüglich Verständigung über terminale Phase oder Tod geklärt; Kontaktdaten aktuell 1Ziel 8: Angehörige über organisatorische Rahmenbedingungen der Station bzw. des Krankenhauses aufgeklärt (Besuchszeiten, Aufenthaltsmöglichkeiten etc.) 1Kommunikation mit dem Hausarzt/Pflegeheim 1Ziel 9: Hausarzt/Pflegeheim über die Situation des Patienten informiert F Zusammenfassung 1Ziel 10: Therapieziel und Behandlungsplan mit Patient oder Angehörigen geklärt 1Ziel 11: Patient/Angehörige haben Verständnis für Therapieziel und Behandlungsplan ausgedrückt II. Kontinuierliches Assessment   (mindestens alle 4 h) F „comfort care“ 1Patient ist schmerzfrei. 1Patient ist nicht agitiert. 1Atmung ist nicht durch Sekret beeinträchtigt. 1Übelkeit und Erbrechen sind unter Kontrolle. 1Andere Symptome (z. B. Dyspnoe) sind unter Kontrolle. F Behandlung 1Palliative Mundpflege ist gewährleistet. 1Kontinenzprobleme erzeugen keinen Diskomfort. F Medikation 1Jede für die Palliation essenziell notwendige Medikation wird möglichst belastungsarm verabreicht. F Lagerung 1Patient wird nur für Komfortzwecke umgelagert. F Verdauung 1Diarrhoe oder Obstipation erzeugen keine Agitation und keinen Dytress. F Psychosoziale Aspekte 1Patient wird angesprochen, auch wenn er nicht mehr kommunikationsfähig ist. 1Patient ist sich seiner Lage soweit er möchte bewusst. 1Angehörige sind auf das baldige/unmittelbare Sterben des Patienten vorbereitet. F Religiös-spirituelle Unterstützung 1Angemessene religiös-spirituelle Unterstützung wird angeboten und bei Wunsch ermöglicht. F Sorge um Angehörige 1Auf Bedürfnisse der Angehörigen wird soweit wie möglich eingegangen. III. Nach dem Tod F Angehörige sind über das weitere Vorgehen informiert. F Hausarzt/Pflegeheim ist verständigt. F Administratives Vorgehen bei Ableben eines Patienten wird eingehalten. F Information über Angebote der Trauerbegleitung sind den Angehörigen ausgehändigt worden.

16 | 

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014

len Phase, Versorgung von Verstorbenen, religiöse Rituale und Feiern [11, 15, 35] ist hilfreich. Die Haltungen der Mitglieder im Behandlungsteam sollte von Toleranz und Respekt für selbst nicht geteilte kulturelle und religiös-weltanschauliche Werte, soweit dies mit der Freiheit anderer Patienten vereinbar ist, geprägt sein. Eine Offenheit für die Zusammenarbeit mit Seelsorgern und eine Mitverantwortung des Behandlungsteams für „spiritual care“­ ist wünschenswert [30]. Die erforderlichen Praktiken hierzu beinhalten: Wahrnehmen von kulturellen und religiös-weltanschaulichen Bedürfnissen des Patienten und der Angehörigen; Erheben einer spirituellen Anamnese; Zusammenarbeit mit Seelsorgern, Verbindungspersonen (Dolmetschern, Repräsentanten von Kulturvereinen oder ethnischen Gruppen); Gestaltung der räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen gemäß kultureller oder religiös-weltanschaulicher Normen für den Umgang mit Sterbenden (z. B. rechtzeitige­ Freigabe des Leichnams für die Bestattung) und Gestaltung von Abschieds- und Erinnerungsritualen [15, 20]. Die Sensibilität für die Kultur des Sterbenden und seiner Angehörigen, aber auch für die eigene Organisationskultur gehört zu einer guten Sterbebegleitung.

»

Eine gute Sterbebegleitung bezieht die Kultur des Sterbenden ein Wenn von Kultursensibilität die Rede ist, darf die Organisationskultur der jeweiligen Intensivstation nicht vergessen werden [7, 34]. Es sind oft mehr die systemischen Einflussfaktoren als das individuelle Verhalten einzelner Personen, die zu sog. iatrogenem Leiden [17] führen. Hierarchische Strukturen ohne Möglichkeit des kritischen Hinterfragens, Arbeitsverdichtung, moralischer Dystress und Empathiemüdigkeit, eine Fehlerkultur von „blame and shame“ etc. erschweren eine ethisch gute Sterbebegleitung selbst in jenen Fällen, in denen persönlich danach gestrebt wird. Eine für die Sterbebegleitung förderliche Organisationskultur muss langfristig durch gezielte Interventionen der Organisationsentwicklung

aufgebaut werden. Dazu werden entsprechende Strukturen und Prozesse (z. B. eines klinischen Qualitäts- und Risikomanagements, einer klinischen Ethikberatung) benötigt, welche die Haltungen und Handlungen im Sinn der formulierten ethischen Ziele prägen helfen [3, 26].

„Liverpool integrated pathway for the dying patient“ Angesichts der vielfältigen Aspekte, die es als Voraussetzungen für ein gutes Sterben auf der Intensivstation zu bedenken gilt, stellt sich die Frage, wie ein systematisches Rahmenwerk aussehen könnte, um diese Aspekte zusammenzuführen. Eine Antwort bietet der „Liverpool integrated pathway for the dying patient“ (LCP; [9]). Wie jeder klinische Pfad weist auch der LCP gewisse evidenzbasierte, multidisziplinäre, prozess- und qualitätsorientierte Anleitungen auf. Eine wohlverstandene Orientierung an einem solchen klinischen Pfad steht nicht im Widerspruch zur ethisch geforderten Ausrichtung am individuellen Patienten, sondern gewährleistet eine umfassende Berücksichtigung der vielfältigen ethischen Ziele in der Sterbebegleitung.

»

Ein klinischer Pfad für Sterbebegleitung bietet Orientierung für integrative Betreuung In Infobox 1 sind die 3 Phasen des LCP dargestellt. Operationalisiert werden die einzelnen Behandlungs- und Betreuungselemente der Phasen in einem formalisierten Protokoll [9], das andere Dokumentationen in der Krankengeschichte ersetzt. Der wesentliche Vorteil dieses Vorgehens ist in der zwischen den Berufsgruppen abgestimmten Vorgehensweise und Nachvollziehbarkeit zu sehen, die durch eine getrennte ärztliche und pflegerische Dokumentation nicht immer gewährleistet sind. Die Implementierung eines klinischen Pfads, wie des LCP, ist komplex und voraussetzungsreich. Sie erfordert ein intensives Schulungsprogramm, das einerseits fachliche Aspekte der Sterbebegleitung in Erinnerung ruft, aber noch viel mehr an

den organisationskulturellen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung arbeitet.

Fazit für die Praxis F Ein ethisch gutes Sterben auf der Intensivstation hängt nicht nur von moralisch gerechtfertigten Entscheidungen bezüglich Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen, sondern auch von vielfältigen strukturellen und kulturellen Voraussetzungen ab. F Sterbebegleitung auf der Intensivstation bedeutet, das Leben von seiner Grenze her zu deuten. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Menschenbild des Patienten, der Angehörigen, aber auch der Mitglieder des Behandlungsteams. F Dem moribunden Patienten ist Respekt geschuldet, auch wenn er sich seiner Lage nicht mehr bewusst ist – aus Achtung vor seiner und unserer eigenen Würde. F Angehörige eines Sterbenden sollen z. B. im Rahmen einer Angehörigenkonferenz oder einer ethischen Fallberatung „mit an Bord“ geholt   werden. F Sensibilität für die kulturellen Bedürfnisse der Sterbenden und ihrer Angehörigen ist ebenso eine Voraussetzung für eine gute Sterbebegleitung wie Sensibilität für die Organisationskultur der Intensivstation. F Entsprechend dem Ansatz einer integrativen Ethik gilt es, die ver­ schiedenen Aspekte einer guten   Sterbebegleitung auf der Intensiv­ station in einem klinischen Pfad zu gestalten. Der „Liverpool integrated pathway for the dying patient“ liefert dazu Anregungen.

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014 

| 17

Leitthema

Buchbesprechungen

Korrespondenzadresse PD Dr. J. Wallner Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien Johannes-von-Gott Platz 1, 1020 Wien, Österreich [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Wallner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Anselm R (2008) Menschenwürdig sterben auch auf der Intensivstation? In: Junginger T et al (Hrsg) Grenzsituationen in der Intensivmedizin. Springer, Berlin, S 59–69   2. Azoulay E, Sprung CL (2004) Family-physician interactions in the intensive care unit. Crit Care Med 32:2323–2328   3. Berlinger N et al (2013) The Hastings Center guidelines for decisions on life-sustaining treatment and care near the end of life. Oxford UP, New York   4. Bowman K (2010) Cultural issues and palliative care in the ICU. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 128–133   5. Carlet JM et al (2004) Challenges in end-of-life care in the ICU. Intensive Care Med 30:770–784   6. Cassell EJ (1999) Diagnosing suffering. Ann Intern Med 131:531–534   7. Dodek PM (2010) Influence of ICU culture on endof-life care. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 134–139   8. Dreyer M (2008) Der Tod. In: Junginger T et al (Hrsg) Grenzsituationen in der Intensivmedizin. Springer, Berlin, S 37–43   9. Ellershaw J, Wilkinson S (Hrsg) (2006) Care of the dying. Oxford UP, Oxford 10. Ganz FD (2010) Moral distress in critical care health care workers. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 174–179 11. Heller B (2011) Sterbekulturen. In: Peintinger M (Hrsg) Interkulturell kompetent. Facultas, Wien, S 303–315 12. Intensivmedizinische Gesellschaften Österreichs (2004) Konsensuspapier der Intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs. Wien Klin Wochenschr 116:763–767 13. Janssens U et al (2013) Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin. Med Klin 108:47–52 14. Janssens U, Graf J (2010) Angehörigenkonferenz. Intensivmed Notfallmed 47:35–42 15. Koenig HA (2012) Spiritualität in den Gesundheitsberufen. Kohlhammer, Stuttgart 16. Kröll W (2011) Kulturelle und religiöse Aspekte in der Intensivmedizin. In: Kröll W, Schaupp W (Hrsg) Medizin im Konflikt der Kulturen. Manz, Wien, S 93–110 17. Kuhl D (2010) Relationships and iatrogenic suffering. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 94–103, 162–167 18. Lautrette A, Azoulay E (2010) Families of dying patients. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 84–87

18 | 

19. Lautrette A et al (2006) End-of-life family conferences. Crit Care Med 34:S364–S372 20. MacDonald H (2010) From admission to bereavement. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 88–93 21. Multidisziplinäre Arbeitsgruppe (ARGE) Ethik in Anästhesie und Intensivmedizin (2013) Therapiezieländerungen auf der Intensivstation. AINS 48:216–223 22. Puchalski C et al (2009) Improving the quality of spiritual care as a dimension of palliative care. J Palliat Med 12:885–904 23. Puntillo KA, Schuster C (2010) Symptom relief for the imminently dying patient. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 54–59 24. Rehbock T (2009) Menschenwürde auf der Intensivstation. In: Salomon F (Hrsg) Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, S 57–64 25. Salomon F (2009) Das Menschenbild als Entscheidungshintergrund intensivmedizinischen Handelns. In: Salomon F (Hrsg) Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, S 65–74 26. Shale S (2012) Moral leadership in medicine. Cambridge UP, Cambridge 27. Shields M, Joseph D (2010) Spiritual care in the ICU. In: Rocker GM et al (Hrsg) End of life care in the ICU. Oxford UP, Oxford, S 140–145 28. Symptombehandlung – Mundpflege in der letzten Lebensphase. (2009) Z Palliativmed 10:138–139 29. Wallner J (2008) Die richtigen Worte für medizinische Entscheidungen am Lebensende finden. Wien Klin Wochenschr 120:647–654 30. Wallner J (2013) Ethik und Spiritual Care. In: Kemetmüller E, Fürstler G (Hrsg) Berufsethik, Berufsgeschichte und Berufskunde für Pflegeberufe. Facultas, Wien, S 58–74 31. Wallner J (2010) Organisation medizinischer Entscheidungen am Lebensende. Intensivmed Notfallmed 47:49–54 32. Wilkinson S, Mula C (2006) Communication in care of the dying. In: Ellershaw J, Wilkinson S (Hrsg) Care of the dying. Oxford UP, Oxford, S 74–89 33. Winkler EC (2008) Angehörige auf der Intensivstation – Besucher, Helfer oder Traumatisierte? In: Junginger T et al (Hrsg) Grenzsituationen in der Intensivmedizin. Springer, Berlin, S 199–206 34. Winkler EC (2009) Die institutionelle moralische Verantwortung der Klinik. In: Salomon F (Hrsg) Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, S 99–105 35. Zielke-Nadkarni A (2009) Interkulturelle Herausforderungen durch Patienten mit Migrationshintergrund in der Intensivpflege. In: Salomon F (Hrsg) Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, S 219–228

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014

Marc Däumler

Social Media für Praxis und Klinik Ein praktischer Leitfaden für Einsteiger Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2013, 1. Aufl., 175 S., (ISBN 978-3954660032), 14.00 EUR Mit Facebook, Twitter und Xing können Ärzte neue Patienten gewinnen, das Image ihrer Klinik oder Praxis pflegen und so gezielt zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Doch viele trauen sich an Facebook und Co. noch nicht ran. Sei es aufgrund ungeklärter Fragen bezüglich Datensicherheit und Privatsphäre oder weil schlicht das Know-how im Umgang mit Sozialen Netzwerken fehlt. Und genau hier setzt das Buch Social Media für Praxis und Klinik an. Welche Möglichkeiten Social Media für eine Praxis oder eine Klinik bieten, wie man Twitter oder Facebook im Alltag schnell realisiert und wie Sie Xing individuell einsetzen können, erklärt der Autor Marc Däumler, langjähriger PR-Berater für Ärzte und Kliniken. Im praktischen Kitteltaschenformat führt er in einfachen Schritt für Schritt Anleitungen Anfänger und auch Skeptiker verständlich an die neuen Medien heran. Locker und verständlich formuliert widmet der Autor je ein Drittel seines Buches den Themen Facebook und Twitter, im dritten Teil schneidet er Themen wie Xing, YouTube oder Flickr an. Mit vielen Bildern und durch klare Hervorhebung der wichtigsten Fakten kann der Leser danach in 45 min. seinen eigenen Facebook-Account einrichten. Und bereits nach 20 min. kann er mit seinen Patienten twittern – oder sich über aktuelle Nachrichten aus der Gesundheitspolitik unter https://twitter.com/aerztezeitung und der Medizin unter https://twitter.com/ SpringerMedizin informieren. I. Wolff (Heidelberg)

[Dying in the intensive care unit].

Modern intensive care is responsible both for curative interventions in critical health situations and palliative terminal care for the dying ICU pati...
318KB Sizes 0 Downloads 0 Views