Innovationen in der Intensivmedizin Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 109:429–436 DOI 10.1007/s00063-014-0394-8 Eingegangen: 20. Februar 2014 Überarbeitet: 15. Mai 2014 Angenommen: 2. Juni 2014 Online publiziert: 3. Juli 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Redaktion

G. Heinz, Wien

Hintergrund Die Stentthrombose stellte in den ersten Jahren nach Einführung der perkutanen Koronarintervention (PCI) das prognostisch bedeutsame und die Mortalität bestimmende Ereignis dar. Die Einführung von Clopidogrel war ein Meilenstein in der Entwicklung einer modernen Antiplättchentherapie. Die Unzulänglichkeiten in der Pharmakokinetik von Clopidogrel, die mit unzureichender Hemmung der Plättchenaggregation einhergehen, haben die Suche nach alternativen Substanzen beflügelt. Mit Prasugrel und Ticagrelor wurden­ 2 neue Adenosindiphosphat(ADP)– Rezeptor-Antagonisten in die aktuellen­ Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) aufgenommen [1, 2]. Beide Substanzen sind dem Clopidogrel hinsichtlich des primären Effektivitätsendpunkts bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall signifikant überlegen. Prasugrel wird v. a. in der Indikation ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) mit primärer Koronar­ angioplastie und bei Hochrisikopatienten, v. a. Diabetikern, mit Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI), bei denen die Koronaranatomie bekannt ist, empfohlen. Ticagrelor ist bei allen Arten von ACS, unabhängig ob eine invasive oder konservative Vorgangsweise gewählt wird, indiziert. Die potentere Plättchenhemmung mit den neuen ADP-RezeptorAntagonisten korreliert jedoch mit einer erhöhten Rate an spontanen Blutungen [1, 2]. Somit stehen heute auch Blutungskomplikationen neben den ischämischen Komplikationen als Prognoseprädiktoren im Vordergrund. Spezifische Empfehlun-

J.M. Siller-Matula · G. Delle Karth Universitätsklinik für Innere Medizin II, Abteilung für Kardiologie, Medizinische Universität Wien,

Duale Plättchenhemmung in der Intensivmedizin gen in Bezug auf die duale Plättchentherapie bei Intensivpatienten bestehen nicht.

Plättchenhemmer Clopidogrel hemmt die Bindung von ADP am P2Y12-Rezeptor und verhindert damit die Thrombozytenaggregation. Clopidogrel inhibiert die ADP-induzierte Plättchenaggregation zu 40–50% [3]. Der Effekt ist irreversibel, somit noch 7–10 Tage­ nach Beendigung der Therapie nachweisbar. Die Clopidogrelwirkung setzt erst 4–6 h nach Einnahme ein, was auf die komplexe Bioaktivierung in der Leber mit 2 sequenziellen Oxidationen über Cytochromoxidasen zurückzuführen ist [4]. Im Ergebnis werden etwa 5% der Pro-Drug in den aktiven Metaboliten umgewandelt. Die Konsequenz ist eine hohe interindividuelle Variabilität der plättchenhemmenden Wirkung, die bei etwa 20–30% Patienten auftritt [5, 6]. Zu den weiteren Ursachen der Variabilität der Clopidogrelwirkung gehören Begleiterkrankungen mit erhöhter Plättchenaktivität, wie Diabetes mellitus oder ACS, Alter, Adipositas, Niereninsuffizienz, Medikamenteninteraktionen sowie Polymorphismen des CYP2C19-Isoenzyms [7]. Prasugrel ist ähnlich wie Clopido­ grel eine Pro-Drug. Prasugrel wird nach Einnahme rasch resorbiert und durch Carbo­xyesterasen zu einem Thiolacton­ hydrolysiert: die maximalen Plasmaspiegel des aktiven Metaboliten werden bereits nach 30 min erreicht [3]. Die pharmakologische Wirkung von Prasugrel besteht wie bei Clopidogrel aus der irreversiblen Blockierung des P 2Y 12Rezeptors.­Prasugrel zeichnet sich jedoch durch eine stärkere Potenz in Vergleich zu

Clopidogrel aus: 80% vs. 50% Inhibition der Plättchenaggregation [8]. Ticagrelor als Vertreter einer neuen­ Substanzklasse von P2Y12-Rezeptor-Antagonisten unterscheidet sich von den Thienopyridinen Clopidogrel und Prasugrel­ durch 2 wesentliche Merkmale: Es ist keine­Pro-Drug und benötigt daher auch keine In-vivo-Bioaktivierung [3]. Auch ist die Wirkung der Substanz reversibel, was bei einer Halbwertszeit von etwa 7–11 h eine 2-malige tägliche Gabe erforderlich macht. Reversibilität der Wirkung bedeutet aber auch, dass die Substanz nicht irreversibel am ADP-Rezeptor der Throm­bozyten bindet und damit auch an möglicherweise adenosinvermittel­ ten Off-target-Effekten, wie z. B. an Dyspnoe- oder Bradyarrhythmieneigung, beteiligt sein kann [9]. . Tab. 1 gibt einen Überblick über die Thrombozytenaggregationshemmer.

Klinische Studien mit neuen Plättcheninhibitoren Klinische Studien mit den neuen Plättcheninhibitoren Prasugrel und Ticagrelor sind in . Tab. 2 zusammengefasst und werden im Folgenden näher dargestellt.

Prasugrel Die TRITON-TIMI-38-Studie („trial to assess improvement in therapeutic out­ comes by optimizing platelet inhibition­ with prasugrel-thrombolysis in myocardial infarction 38“) verglich Prasugrel­ mit Clopidogrel bei mehr als 13.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, bei denen eine perkutane Koronarintervention (PCI) geplant war. Von den Patienten hatten 2 Drittel (74%) eine

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Innovationen in der Intensivmedizin Tab. 1  Klinische Pharmakologie von Thrombozytenaggregationshemmern   Dosis

Clopidogrel Aufsättigung mit 600 mg: ACS mit PCI oder bei einer elektiven PCI, 300 mg: ACS ohne PCI, ACS mit Lyse wenn Alter 75 Jahre; Erhaltungsdosis 75 mg

Bioverfügbarkeit Verstoffwechselung

50%

Spitzen­ spiegel Steady state Aus­ scheidung Halbwertszeit Erholung der Thrombozytenfunktion Inter­ aktionen



Prasugrel Aufsättigung mit 60 mg, danach 10 mg pro Tag: Dosisanpassung bei Alter >75 Jah­re oder bei Körpergewicht 40 mg wegen Rhabdomyolysegefahr), von P-Glykoproteinen abhängige Arzneimittel: Digoxin und Cyclosporin (daher Überwachung von Plasmaspiegeln notwendig)

Pro-Drug; aktiver Metabolit wird in 2 Oxidationsschritten durch die CYP-Enzyme gebildet: CYP1A2, CYP3A4/5, CYP2B6, CYP2C9 und CYP2C19

36%

30–60 min

ACS akutes Koronarsyndrom, PCI perkutane Koronarintervention, CYP Cytochrom P450.

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instabile Angina pectoris oder einen NSTEMI,­ein Drittel (26%) einen STEMI.­ Die mittlere Behandlungsdauer betrug 15 Monate­ [10]. Mit Ausnahme der STEMI-­Patienten, die die Studienmedikation (± Vorbehandlung mit Clopidogrel) unmittelbar­nach Diagnosestellung erhalten hatten, war eine bekannte Koronaranatomie mit Indikation zur perkutanen Koronarintervention (PCI) für die Randomisierung Voraussetzung. Alle Patienten erhielten zusätzlich Azetylsalizylsäure­ (ASS). Während des Studienzeitraums erreichten 12,1% der Patienten in der Clopidogrelgruppe den primären Endpunkt (Kombination von Tod, Myokardinfarkt und ischämischem Schlaganfall) im Vergleich zu nur 9,9% Patienten in der mit Prasugrel behandelten Gruppe. Dies entsprach einer signifikanten Reduktion des relativen Risikos um 19%. Der günstige therapeutische Effekt von Prasugrel war hauptsächlich auf eine signifikante Reduktion der nichttödlichen Herzinfarkte zurückzuführen [9]. Auch Stentthrombosen waren signifikant häufiger in der Clopidogrelgruppe (2,4%) als bei Prasugrel (11%). Bemerkenswert war darüber hinaus, dass sich diese Überlegenheit sowohl in der Frühphase der Therapie als auch im Langzeitverlauf zeigte, wie anhand von Landmark-Analysen nachgewiesen werden konnte [10]. Eine wichtige Subgruppenanalyse dieser Studie betraf Diabetiker. Es zeigte­ sich, dass auch bei diesen Patienten der primäre Endpunkt unter Prasugrel erheblich seltener auftrat (12,2%) im Vergleich zu Clopidogrel (17%) [11]. Die Risikoreduktion unter Prasugrel war unabhängig vom Diabetestyp. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die hochsignifikante relative Reduktion der Myokardinfarkte bei Diabetikern unter Prasugrel um 40% [11]. Eine weitere und sehr bedeutende Subgruppenanalyse von Patienten mit STEMI­ ergab, dass die relative Risikoreduktion für den primären Endpunkt bei diesen Patienten statistisch signifikant höher war (21%), wobei gleichzeitig die Rate an schweren Nicht-Bypass-Operation-assoziierten Blutungskomplikationen nicht erhöht war. Auffällig war auch die Trennung der Kurven bereits in den ersten Tagen.

Zusammenfassung · Abstract Von der Behandlung mit Prasugrel profitierten 3 Patientengruppen nicht: Patienten, die anamnestisch zerebrovaskuläre­ Ereignisse aufwiesen (transitorische ischä­mische Attacke (TIA) oder Apoplex); Patienten, die älter als 75 Jahre waren sowie untergewichtige Patienten (18.000

Ticagrelor, 1) 50 mg, 2) 100 mg, 3) 200 mg 2-mal/ Tag, 4) 400 mg Ticagrelor, 1) 90 mg 2-mal/ Tag, 2) 180 mg 2-mal/Tag Ticagrelor, LD: 180 mg, MD: 90 mg 2-mal/ Tag

Clopidogrel, LD: 300 mg, MD: 75 mg

Vaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Blutungen

PEGASUS

III

Ticagrelor, 1) 90 mg 2) 60 mg

Placebo

IV

Myokardinfarkt in der Vorgeschichte STEMI

21.000

ATLANTIC

Randomisiert, doppelblind, Parallel­ gruppen Randomisiert, doppelblind, Parallel­ gruppen

1770

Prähospitales Ticagrelor, LD 180 mg gefolgt von Placebo

Prähospitales Placebo gefolgt von Ticagrelor, LD 180 mg

Kardiovasku­ lärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall Thrombolyse bei Myokardinfarkt (TIMI) Grad 3 Fluss bei der ersten Angiographie; ST-SegmentAuflösung ≥70%

Ischämische Ereignisse traten in der Clopido­ grelgruppe häufiger auf; schwerwiegende Blutungen traten in beiden Gruppen gleich häufig auf, Ticagrelor: erhöhte die Rate von Nicht-BypassOperation-assoziieren Blutungen Die Studie wurde noch nicht abgeschlossen

Die Studie wurde noch nicht abgeschlossen

LD Aufsättigungsdosis, MD Erhaltungsdosis, NSTE-ACS akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung, PCI perkutane Koronarintervention, STEMI ST-Hebungsinfarkt, NSTEMI, Nicht-ST-Hebungsinfarkt, UA instabile Angina pectoris, TIMI Thrombolyse bei Myokardinfarkt, ACS akutes Koronarsyndrom, KHK koronare Herzkrankheit.

und tödlichen Spontanblutungen (4,5 vs. 3,8%) [14]. Nachdem es kein Antidot gegen ADPRezeptor-Blocker gibt, soll man bei Blutung und entsprechender Indikation stufenweise eine empirische Gerinnungstherapie anwenden: lokale Hämostyptika,­ Tamponade und Thrombozytenkonzentrat. Eine Reversierung von Ticagrelorwirkung erscheint aufgrund der hohen Proteinbindung schwierig zu sein. Möglicherweise benötigt man Plasmapherese. Es wird vermutet, dass bei Patienten, die die reversibel wirkende Substanz Ticagrelor genommen haben, neu transfundierte­ Thrombozyten ebenfalls gehemmt werden und teilweise wirkungslos sind. Invitro-Daten zeigen jedoch, dass möglicherweise 2 Einheiten an Thrombozyten-

konzentraten ausreichend wären, um den Effekt von Ticagrelor zu antagonisieren [17]. In-vivo–Daten fehlen hierzu noch.

Resorption von ADPRezeptor-Antagonisten unter besonderen Bedingungen Es gibt kaum Daten über Plättchenhemmung bei Patienten, die einen Herzstillstand erleiden und sowohl einen koronaren Stent als auch eine therapeutische Hypothermie erfordern. In kleinen Studien zeigte sich, dass nur bis zu 20% von diesen Patienten eine ausreichende Plättchenhemmung unter Clopidogrel aufweisen [18]. In einer kleinen Fallserie traten definitive akute und subakute Stentthrombosen bei 33% der Patienten

auf [19]. Diesbezüglich sind größere Analysen dringend notwendig. Auch sprachen nur bis zu 70% der Patienten auf die Behandlung mit Prasugrel an [18]. Dies ist möglicherweise auf mehrere Gründe zurückzuführen. So findet während des kardiogenen Schocks eine Minderdurchblutung des Darms statt, die die Resorption von Medikamenten erschwert. Diese­ negative Auswirkung des kardiogenen Schocks wird zusätzlich durch die therapeutische Hypothermie verstärkt, durch die sich der Metabolismus von Medikamenten, die durch das Cytochrom P450 verstoffwechselt werden, um 7–22% pro Grad Celsius verringert [20]. Hinzu kommen Probleme aufgrund der veränderten Galenik, die sich aus der Verabreichungsform per Magensonde ergeben. In Anbe-

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Innovationen in der Intensivmedizin tracht diesen Faktoren erscheint es sinnvoll, anstelle von Clopidogrel die potenten ADP-Rezeptor-Antagonisten zu verabreichen oder schnellstmöglich die Therapie von Clopidogrel auf Prasugrel oder Tica­ grelor umzustellen. Um einen möglichst raschen Effekt zu erziehen, sollte bei Therapiewechsel mit einer Aufsättigungsdosis begonnen werden. Es muss jedoch bei der Anwendung der potenten Substanzen an das höhere Blutungsrisiko gedacht werden. Somit müssen bei jedem Patienten die Risiken gegen den Nutzen abgewogen werden. Eine schnell wirksame intravenöse Substanz wie Cangrelor wäre für diese Indikation sehr wünschenswert, ist aber noch nicht zugelassen. Möglicherweise stellt die Gabe von GpIIb/IIIa-Antagonisten bei Patienten mit kardiogenem Schock eine gewünschte Ergänzung der Therapie dar. Diese Annahme beruht jedoch nicht auf prospektiven Studien.

Plättchenhemmer bei betagten kritisch kranken Patienten Insbesondere bei betagten oder schwerkranken Patienten stellt sich die Frage, ob eine potente Plättchenaggregation zur Risikoprävention mit Blick auf die eingeschränkte Lebenserwartung noch sinnvoll erscheint. Subgruppenanalysen zur dieser Fragestellung liegen leider nicht vor. Wichtig erscheint die Tatsache, dass Alter ein universeller Risikofaktor für ischämische aber auch Blutungskomplikationen ist. Deswegen soll die Anwendung von potenten Plättchenhemmer bei Betagten überdacht werden, da das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig sein kann. So kann sich beispielsweise für Prasugrel das Risikoprofil mit zunehmendem Alter verändern (z. B. gehäuftes Auftreten­ von schwerwiegenden Blutungskomplikationen bei >75 Jährigen; [10]). Tica­ grelor erzielte ebenfalls keine besseren Ergebnisse­ als Clopidogrel in dieser Alterskategorie [14]. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass ältere Patienten bei ACSStudien im Verhältnis zur klinischen Routinebehandlung, bei der diese aufgrund des meist hohen ischämischen Risikos besonders von einem invasiven Vorgehen profitieren, unterrepräsentiert sind und davon auszugehen ist, dass insbesondere relativ gesunde ältere Patien-

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ten rekrutiert wurden. Diesbezüglich ist also eine Generalisierbarkeit von Studien mit den neuen Plättchenhemmern eingeschränkt.

Operation unter neuen Plättchenhemmern Bei Patienten unter dualer Plättchenhemmung besteht im Falle einer Operation ein erhöhtes perioperatives Risiko. Das vorzeitige Absetzen der Antiplättchentherapie erhöht das relative Risiko einer Stentthrombose, dagegen führt die Fortsetzung der Therapie zu einem erhöhten Risiko einer Blutungskomplikation im Operationsgebiet. Die Operationsplanung soll in Abwägung von Blutungs- und Thromboserisikofaktoren erfolgen. Die nichtkardiochirurgischen elektiven Eingriffe sollen bis zur Beendigung der dualen Antiplättchentherapie wie folgt aufgeschoben werden: bei „drug eluting stents“ (DES) und bei ACSPatienten unabhängig vom Stenttyp für 12 Monate, bei „bare metal stents“ (BMS) für 1–3 Monate nach Stentimplantation [1]. Bei Eingriffen, die relativ dringlich sind, soll die Entscheidung anhand des chirurgischen Blutungsrisikos und des patientenspezifischen Thromboserisikos getroffen werden [21]. ASS soll ohne Unterbrechung weiter verabreicht werden. Es gibt keine allgemein anerkannte­ Checkliste zur Klassifikation des Blutungsrisikos, jedoch gelten folgende Faktoren als Blutungsprädiktoren: Nieren­insuffizienz, Diabetes mellitus, höheres Alter, Hypertonie und eine positive Blutungsanamnese. Zu Operationen, die ein hohes Blutungsrisiko tragen,­ zählen v. a. abdominelles Aortenaneurysma,­ Wirbelsäulenchirurgie, Leberchirurgie,­ Augenchirurgie, intrakranielle Chirurgie, Nierenteilresektion oder große Prostatachirurgie. Es wird prinzipiell empfohlen, ASS ohne Therapiepause zu verabreichen. ADP-Rezeptor-Blocker sollen je nach Risikostratifizierung pausiert (bei mittelhohem Blutungsrisiko) oder ohne Therapiepause (bei niedrigem Blutungsrisiko) verordnet werden. Die ESC-Leitlinien empfehlen, Prasugrel 7 Tage,­ Clopidogrel und Ticagrelor 5 Tage, vor einer geplanten Operation abzusetzen­ [2]. ADP-Rezeptor-Antagonisten sollen

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so früh wie möglich nach dem Eingriff wieder verabreicht werden. Bei Patienten, die gleichzeitig ein hohes­ Blutung- und Ischämierisiko aufweisen, soll man die Übergangstherapie (Bridging) mit kurzwirksamen Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren, wie Tirofiban oder Eptifibatid, anwenden [21]. Eine weitere Möglichkeit eines Bridgings wurde mit Cangrelor, einem parenteralen­ ADP-Rezeptor-Antagonist mit kurzer Halbwertszeit (2–3 min) beschrieben [7]. Jedoch ist die Substanz noch nicht zugelassen. Das Monitoring der Thrombozytenfunktionshemmer mit Thrombozytenfunktionstests kann sowohl zur Abschätzung des perioperativen Blutungsrisikos als auch zur Planung der Operation angewendet werden [22].

Duale Plättchenhemmung bei voller Antikoagulation Es kommt immer häufiger zu Indikatio­ nen,­bei denen zur dualen Antiplättchentherapie eine Antikoagulation erforderlich ist. Dies gilt für Patienten mit Vorhofflimmern, Pulmonalembolie oder bei Status nach mechanischem Klappenersatz. Eine 3-fache antithrombotische­ Therapie ist jedoch mit erhöhten Blutungsraten verbunden [23]. Einschränkend ist hier anzumerken, dass nur ausreichende Erfahrungen mit der Kombination ASS plus Clopidogrel plus Vitamin-K-Antagonisten in der Indikation koronare Herzerkrankung (KHK) mit Vorhofflimmern vorliegen [24]. Besonders wichtig erscheint ein International-normalized-ratio(INR)-Zielwert im unteren therapeutischen Bereich anzustreben (INR: 2,0–2,5), wenn eine Kombinationstherapie mit einer oder 2 Antiplättchensubstanzen erforderlich ist. Es wird auch empfohlen, die 3-fache antithrombotische Therapie auf die kürzeste notwendige Zeit zu beschränken: in Abhängigkeit von Blutungsneigung, Stenttyp und Schweregrad der Erkrankung auf maximal 6 Monate [25]. Es fehlen jedoch derzeit Daten zur Anwendung von Prasugrel oder Ticagrelor anstelle von Clopidogrel in dieser Indikation. Es ist auch ungeklärt, ob die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) in der Langzeittherapie­ von KHK-Patienten

mit Indikation für Antikoagulation ähnlich wirksam und sicher sind, wie die Vitamin-K-Antagonisten. Möglicherweise­ könnten sehr niedrige Dosierungen­ von NOAC in Kombination mit ASS plus Clopidogrel ebenfalls effektiv und sicher sein [24]. Um Blutungen zu vermeiden, aber eine hohe Effektivität zu erhalten, wird bei antithrombotischen Therapiekombinationen derzeit ein Verzicht auf ASS diskutiert. Alle diese Konzepte würden jedoch bis jetzt noch nicht ausreichend getestet. Deswegen sollte vorerst der geprüften 3-fachen Kombination bestehend aus ASS plus Clopidogrel plus Vitamin-K-Antagonist der Vorzug gegeben werden, bis weitere Erkenntnisse aus randomisierten Studien oder prospektiven Registern vorliegen. In Bezug auf die Verabreichung einer 3-fachen Therapie bei Intensivpatienten (unfraktioniertes Heparin in therapeutischer Dosis plus duale Antiplättchentherapie) liegen keine Daten vor. Jedoch lässt die Datenlage aus dem gesamt Patientenkollektiv vermuten, dass auch bei dieser 3-fachen Indikation eher eine prophylaktische anstatt einer therapeutischen Heparin­dosis verabreicht werden konnte. Prospektive Studien, um diese Annahme zu beweisen, fehlen jedoch zurzeit.

Zusammenfassung Die Einführung der neuen ADP-Rezeptor-Antagonisten Prasugrel und Tica­ grelor hat die klinische Prognose von Patienten mit ACS verbessert. Interessant erscheint die Reduktion der Mortalität durch Ticagrelor, die möglicherweise im Zusammenhang mit einer Adenosinwirkungskomponente steht. Wie erwartet­ korreliert die Senkung der Rate an ischä­ mischen Ereignissen durch die potenten ADP-Rezeptor-Antagonisten mit einem erhöhten spontanen Blutungsrisiko. Dennoch ist das Nutzen-Risiko-Profil vorteilhafter als unter Clopidogrel. Beide neuen­ Plättchenantagonisten sollten nicht bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko, nach einem hämorrhagischen Schlaganfall und bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung angewendet werden. Prasugrel ist zusätzlich bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall in der Vorgeschichte kontraindiziert. Eine weitere Einschränkung der Anwendung der

beiden­ neuen Substanzen ergibt sich in Kombination mit oralen Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten, Faktor-IIaoder­ -Xa-Inhibitoren). Leider ist die Datenlage zur Anwendung der neuen Plättchenantagonisten bei kritisch kranken Patienten sehr dünn. Studien oder Subgruppenanalysen mit klinischen Endpunkten liegen für diese Kohorte nicht vor. Lediglich lassen die Pharmakodynamikstudien vermuten, dass der plättchenhemmende Effekt der ADP-RezeptorInhibitoren bei Intensivpatienten geringer­ ausgeprägt ist als bei dem Kontrollkollektiv. Deswegen erscheint die Anwendung der neuen potenten ADP-RezeptorAnta­gonisten bei jüngeren Patienten mit kardiogenem Schock sinnvoller als die Alternativsubstanz Clopidogrel. Anders präsentiert sich die Situationen bei Patienten, die älter als 75 Jahre sind, da sich das Risikoprofil von den Plättcheninhibitoren mit zunehmendem Alter zugunsten des Blutungsrisikos verändert. Ein Entscheidungsprozess über die Verwendung von Thrombozytenaggregationshemmern bei Intensivpatienten ist schwierig, da das individuelle Risiko für Blutungen und ischämische Ereignisse unbedingt zu berücksichtigen ist. Die rezenten Studien unterstreichen die Beurteilung des klinischen Nettonutzens im Patientenmanagement. Nachdem es nur eine dünne Linie zwischen Wirksamkeit und Sicherheit bei kritisch kranken Patenten gibt, erscheinen­ zukünftige Studien zur Risikostratifizierung der antithrombozytären Therapie im Sinne der personalisierten Medizin obligatorisch zu sein.

Fazit für die Praxis F Prasugrel und Ticagrelor sind potente­ ADP-Rezeptor-Antagonisten der neuen­ Generation mit einem im   Vergleich zu Clopidogrel vorteilhaften Nutzen-Risiko-Profil. F Prasugrel und Ticagrelor sollten nicht bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko, schwerer Leberfunktionsstörung oder nach hämorrhagischem Schlaganfall (Prasugrel zusätzlich nicht bei ischämischem Schlaganfall) angewendet werden. In Kombination mit oralen Antikoagulanzien ist ihre Gabe ebenfalls eingeschränkt.

F Bei Intensivpatienten ist ihr plättchenhemmender Effekt vermutlich geringer ausgeprägt, sodass ihre Anwendung v. a. bei jüngeren Patienten mit kardiogenem Schock sinnvoll und hier ihre Wirkung der Alternativsubstanz Clopidogrel überlegen ist. F Bei dem schwierigen Entscheidungsprozess über die Verwendung von Thrombozytenaggregationshemmern bei Intensivpatienten muss der individuelle klinische Nettonutzen berück­sichtigt werden. Zukünftige Studien zur Risikostratifizierung der antithrombozytären Therapie im Sinne der personalisierten Medizin sind daher notwendig.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. G. Delle Karth Universitätsklinik für Innere Medizin II, Abteilung für Kardiologie, Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien Österreich [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  G. Delle-Karth erhielt Vortragsoder Beraterhonorare von AstraZeneca und Daiichi Sankyo. J.M. Siller-Matula erhielt Vortrags- oder Beraterhonorare vom AstraZeneca, Eli Lilly und Daiichi Sankyo. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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The introduction of clopidogrel was a milestone in the development of modern antiplatelet therapy. However, the shortcomings in the pharmacokinetics o...
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