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I

Medikamenteninteraktionen

In der Intensivmedizin

Medikamenteninteraktionen sind in der Intensivmedizin ein häufiges Problem, v. a. bei älteren und multimorbiden Patienten, die eine Polymedikation erhalten. Denn mit der Anzahl der verordneten Arzneimittel steigt das Risiko für unerwünschte Wirkungen und Medikamenteninteraktionen [1–4]. Hier ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern gefragt, um die größtmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten. Dieser Beitrag erläutert die wesentlichen Medikamenteninteraktionen in der Intensivmedizin. Hintergrund Bundesweit nehmen Patienten im Mittel ca. 5 Medikamente gleichzeitig ein [5]. Mögliche Ursachen für eventuell auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind ▶ fehlerhafte Verordnungen, ▶ falsche Applikation / Einnahmefehler, ▶ Übertragungsfehler, ▶ Medikamenteninteraktionen und ▶ pharmakokinetische Besonderheiten wie z. B. bei Nieren- oder Leberinsuffizienz [5]. Eine US-amerikanische Studie mit 205 Patienten einer Notaufnahme konnte zeigen, dass die Prävalenz für Medikamenteninteraktionen 13 % bei Einnahme von 2 Medikamenten und 82 % bei Einnahme von ≥ 7 Substanzen beträgt [6]. Eine Studie in Großbritannien ergab, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Krankenhauspatienten in ca. 15 % der Fälle vorliegen und mit einer Verlängerung des Krankenhausaufenthalts verbunden sind [7]. UAW während einer stationären Behandlung werden in 2,1 % der Fälle für schwere und in 0,19 % für tödliche Komplikationen verantwortlich gemacht [8]. Es liegen Daten vor, dass ca. 4 % der Aufnahmen auf eine medizinische Intensivstation auf UAW und Arzneimittelinteraktionen zurückzuführen sind [9]. Risiko minimieren Medikamenteninteraktionen sind besonders bei kritisch Kranken, deren Organfunktionen eingeschränkt sind, ein Gefahrenpotenzial. Dieses Risiko muss durch geeignete Strategien ausgeschlossen bzw. so gering wie möglich gehalten werden. Der Apotheker auf der Intensivstation kann entscheidend dazu beitra-

gen, Arzneimittelinteraktionen und unerwünschte Wirkungen aufzudecken [10]: Laut Leape et al. [11] stellte ein Apotheker während der Intensivvisite fest, dass 4 % der Interventionen mit Medikamenteninteraktionen zusammenhängen.

Medikamentenplan Für eine umfassende Interaktionsprüfung müssen alle Arzneimittel und Vorerkrankungen eines Patienten erfasst und berücksichtigt werden. Hier sind die Forderungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (q www.aps-ev.de) relevant, die z. B. beinhalten, dass ein Medikamentenplan die gesamte Medikation eines Patienten auflistet. Der Patient soll diesen jederzeit mit sich führen. Das ist besonders in Notfallsituationen wichtig, wenn er sich nicht äußern kann. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, werden im Folgenden wesentliche Aspekte zu Medikamenteninteraktionen in der Intensivmedizin vorgestellt.

Grundlegende Aspekte und Risikostratifizierung Folgen unerwünschter Arzneimittelwirkungen Medikamenteninteraktionen werden sehr häufig erst dann erkannt, wenn sich eine ausgeprägte unerwünschte Wirkung zeigt – z. B. eine verstärkte Toxizität. Ein Beispiel dafür ist die Interaktion zwischen dem Fluorchinolon Ciprofloxacin und dem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin. Andere Interaktionen, wie z. B. Wirkungsverluste, werden dagegen erst erkannt, wenn z. B. der Körper ein Transplantat durch unzureichende Wirkspiegel von Immunsuppressiva abstößt. Unerkannte UAW sind zum Teil auch der Grund für die Verordnung von Medikamenten gegen diese unerwünschte Wirkung (Folgeverordnung). Vielfach resultieren Verschreibungskaskaden, die nur schwer zu „entwirren“ sind.

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Helena Peters • Samir G. Sakka

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I

Medication Appropriateness Index Je nachdem, wie viele Medikamente der Patient einnimmt, kann es bei der Beurteilung der Medikation hilfreich sein, ein Interaktionsprogramm zu nutzen und einem bestimmten Leitfaden zu folgen, sodass alle Aspekte berücksichtigt werden. Ein solcher Leitfaden ist z. B. der Medication Appropriateness Index nach Hanlon (q Tab. 1) [13]. Er überprüft allerdings weder UAW noch, ob Arzneimittel teilbar und sondengängig sind. Diese Aspekte sind in der Intensivmedizin besonders wichtig, da viele Patienten Medikamente über enterale Sonden (i. d. R. eine Magensonde) erhalten und die Galenik der Arzneimittel sorgfältig ausgewählt werden muss. Risikofaktoren für das Auftreten von Medikamenteninteraktionen sind: ▶ Alter (≥ 65 Jahre) ▶ Funktionsstörungen von Organen, z.B. Leberoder Niereninsuffizienz ▶ Anzahl der verordneten Medikamente ▶ Pharmakogenetik ▶ Langzeiteinnahme Damit die möglichen Interaktionen überprüft werden können, muss die Medikation eines Patienten vollständig erfasst sein. Es ist sinnvoll, einem Leitfaden zu folgen, um die verschiedenen Aspekte zu berücksichtigen (q Tab.1).

Pharmakokinetische Interaktionen Kurzzeitig tolerierbar Pharmakokinetische Mechanismen umfassen die Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Elimination eines Arzneistoffs. Werden mehrere Medikamente gleichzeitig verabreicht, ist es schwer abzuschätzen, welche Interaktionen auftreten können und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten werden. Da der Patient in der Intensivmedizin sehr engmaschig überwacht wird, können Interaktionen für kurze Zeit toleriert werden, z. B. wie sie durch die gleichzeitige i. v. Therapie von Erythromycin und Midazolam entstehen können: Die Hemmung von CYP3A4 durch Erythromycin verstärkt und verlängert die Wirkung von Midazolam.

Medication Appropriateness Index Fragen ▶ Liegt für das Medikament eine Indikation vor? ▶ Ist das Medikament wirksam? ▶ Ist die Dosierung des Arzneimittels korrekt? ▶ Sind die Anordnungen korrekt? ▶ Sind die Anordnungen praktikabel? ▶ Sind Arzneimittelinteraktionen vorhanden? ▶ Liegen Interaktionen zwischen dem Arzneimittel und der Krankheit bzw. dem Zustand des Patienten vor? ▶ Liegen Doppelverordnungen vor? ▶ Ist die Dauer der Therapie gerechtfertigt? ▶ Wurde das kostengünstigste zur Verfügung stehende Arzneimittel ausgewählt? Tab. 1 Nach Hanlon [12].

Die Pharmakokinetik wird durch Faktoren beeinflusst wie ▶ das Alter des Patienten, ▶ Stoffwechselleistungen der Leber und ▶ z. B. genetische Polymorphismen bei abbauenden Enzymen [14].

Resorption



Zeitversetzte Gabe Arzneimittel, die gleichzeitig enteral verabreicht werden, können bereits im Gastrointestinaltrakt miteinander interagieren und unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Durch Komplexbildung kann die Resorption des Arzneimittels im Magen-Darm-Trakt vermindert werden, z. B. bei der Kombination von Substanzen, die 2- bzw. 3-wertige Kationen beinhalten, mit Fluorchinolonen, Tetrazyklinen oder Bisphosphonaten (z. B. Ferro sanol® mit Ciprofloxacin). Eine zeitversetzte Gabe von mind. 2 h vor oder 4 h nach den Präparaten oder Nahrungsmitteln wie Milchprodukten kann diese Interaktionen verhindern. Bei Moxifloxacin sollte sogar ein Intervall von 6 h vor- und nachher eingehalten werden [15]. Vorsicht bei Azetylzystein In-vitro-Untersuchungen zeigen, dass Azetylzystein Antibiotika inaktivieren kann. In vivo findet sich allerdings kein entsprechender Nachweis, da vorhandene Studien u. a. aufgrund einer geringen Probandenzahl nur eine geringe Evidenz aufweisen [16]. Auf Basis der in-vitro-Untersuchungen wird eine Inkompatibilität von Azetylzystein mit Tetrazyklinen, Aminoglykosiden und Penicillinen / Cephalosporinen sowie Imipenem angenommen. Das Mischen oder die gleichzeitige Applikation von Antibiotika und Azetylzystein über das gleiche Lumen wird nicht empfohlen. Präventiv sollte man aus Sicherheitsgründen eine zeitversetzte Gabe von mind. 2 h einhalten. Dies betrifft sowohl die enterale Gabe von Antibiotika und Azetylzystein als auch die i. v. Applikation [16–18].

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Risikofaktoren Ein Risikofaktor für Medikamenteninteraktionen ist das Patientenalter (≥ 65 Jahre). Ältere Patienten haben oftmals eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Arzneimitteln und pharmakokinetischen Veränderungen, die meist verstärkte und verlängerte Wirkungen zur Folge haben [12]. Weitere Faktoren sind ▶ Organfunktionsstörungen, z. B. eine Leber- oder Niereninsuffizienz, ▶ die Anzahl der verordneten Medikamente, ▶ die Pharmakogenetik und ▶ eine Langzeiteinnahme.

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I Äquivalente Dosierung und Interaktionsübersicht von Statinen Atorvastatin

Fluvastatin

Lovastatin

Pravastatin

Rosuvastatin

Simvastatin

10–20



20

10

10



5

20–30



40

20

20



10

80

40

40

30–40

10

40–45

20



45–50

40



50–55

80

55–60



5

20



5–10

40





10–20

80*







20









40



80

CYP-Metabolisierung1

3A4

2C9

3A4



2C9, 2C19 (gering)

3A4

Nahrungseinfluss2

↓13 %

↓15 % bis↑25 %

↑50 %

↓30 %

↓20 %

kein Einfluss

Tab. 2 Modifiziert nach [25]. Dosierungsangaben in mg. 1 zuständiges CYP-Enzym zur Metabolisierung des jeweiligen Statins; 2 Der Prozentsatz gibt die Zunahme oder Abnahme der Resorption des entsprechenden Statins durch Nahrungseinfluss an. *80 mg-Dosierung wegen eines erhöhten RhabdomyolyseRisikos nicht länger empfohlen. LDL = Low Density Lipoprotein; CYP = Cytochrom-P450.

Auswirkung auf den pH-Wert Weitere Wechselwirkungen können aufgrund einer Veränderung des pH-Werts im Gastrointestinaltrakt durch das „Erstpharmakon“ auftreten. In diesem Zusammenhang ist die Interaktion von Protonenpumpeninhibitoren mit Erlotinib, einem Tyrosinkinase-Inhibitor (bei nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom, Pankreaskarzinom) zu nennen. Eine Anhebung des pH-Werts vermindert die Resorption und letztlich die Bioverfügbarkeit von Erlotinib erheblich. Transportsysteme Die Verkürzung der Darmpassage durch Metoclopramid kann dazu führen, dass schwer resorbierbare Arzneistoffe nicht mehr in physiologischem Umfang aufgenommen werden (z. B. Digoxin). Sind solche physikochemischen Interaktionen berücksichtigt worden, stehen die Transportsysteme im Vordergrund, die für die Resorption relevant sind. Das P-Glykoprotein (P-gp) ist ein Vertreter der ABC-Transportproteine. Es ist für den Transport eines Substrats von intra- nach extrazellulär verantwortlich. Es kommt in Tumorzellen, aber auch in Leber, Darm, Niere und der Blut-Hirn-Schranke physiologisch vor und schützt den Organismus vor dem Eindringen von Fremdstoffen [19]. Durch Induktion (s. u.) oder Inhibition (z. B. durch Verapamil) von P-gp werden die Substrate vermehrt oder verzögert z. B. in das Darmlumen zurücktransportiert. Ein Beispiel für Induktion ist die gleichzeitige orale Gabe von Rifampicin und Digoxin. Rifampicin induziert P-gp, sodass Digoxin vermehrt zurücktransportiert wird. Reduzierte Blutspiegel sind die Folge.

Pharmakokinetische Interaktionen betreffen (LADME-Modell): ▶ Liberation (Freisetzung) aus der Arzneiform ▶ Absorption / Resorption (Exposition) ▶ Distribution (Verteilung) ▶ Metabolisierung ▶ Exkretion des Arzneistoffs Wirkungsverlust durch Komplexbildung, pH-Veränderungen im Gastrointestinaltrakt, eine verlängerte Darmpassage oder die Beeinflussung des Transportproteins P-Glykoprotein (P-gp) sind bei der enteralen Applikation eines Arzneimittels zu berücksichtigen, um eine ausreichende Resorption sicherzustellen.

Verteilung



Konkurrenz an Bindungsstellen Wenn sich mehrere Pharmaka im Blut befinden, kann eine Konkurrenz um die Bindungsstellen der Plasmaeiweiße entstehen. Dazu müssen konkurrierende Arzneistoffe mit hoher Eiweißbindung und verhältnismäßig geringem Verteilungsvolumen und geringer therapeutischer Breite aufeinandertreffen. Nicht steroidale Antiphlogistika können z. B. Antikoagulanzien wie Phenprocoumon (Marcumar®) aus der Eiweißbindung verdrängen. Konsekutiv nimmt die freie Konzentration zu und erhöht die Blutungsneigung bis zur Einstellung des neuen „steady state“ [20].

Metabolisierung



Induktion und Inhibition Im Grunde können alle metabolisierenden Enzyme wie die Gruppe der Cytochrom-P450-Enzyme (CYP) inhibiert und induziert werden [21, 22]. CYP3A4 z. B. verstoffwechselt viele Substrate und ist daher sehr stark durch Induktoren und Inhibitoren beeinflussbar. Die CYP3A4-Substrate, -Inhibitoren und

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LDL-Reduktion [%]

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Antiinfektiva



Makrolid-Antibiotika Die Makrolid-Antibiotika spielen eine sehr wichtige Rolle als Inhibitoren von CYP3A4. Erythromycin und Clarithromycin sind die älteren, aber in dieser Hinsicht relevanteren Vertreter. Erythromycin wird in der Intensivmedizin u. a. i. v. unterhalb der therapeutischen Dosierungen als Motilin-Rezeptor-Agonist eingesetzt [24]. Interaktionen mit Calciumkanalblockern, Amiodaron und Statinen (Hemmer der HMG-CoA-Reduktase) sind oft zu beobachten. Interaktion mit Statinen Die Wechselwirkung mit HMG-CoA-Reduktasehemmern lässt sich durch einen Austausch innerhalb der Substanzgruppen meist aufheben. Beispielsweise wird die Bioverfügbarkeit von Simvastatin besonders stark beeinflusst, während Pravastatin so gut wie keine Interaktion aufweist (q Tab. 2) [25]. Aus der Tabelle können die Äquivalenzdosierungen der entsprechenden Statine abgelesen werden. Weiterhin ist angegeben, welches CYP-Enzym das entsprechende Statin metabolisiert. Substanzen, die diese Enzyme beeinflussen, würden somit auch die Bioverfügbarkeit des Statins verändern und zu vermehrten unerwünschten Wirkungen oder Wirkungsverlust führen. Die gleichzeitige Nahrungsaufnahme scheint die Resorption der Statine zu beeinflussen, sodass eine zeitversetzte Einnahme erfolgen sollte. Azol-Antimykotika wie z. B. Fluconazol sind ebenfalls Hemmstoffe von CYP3A4 und beeinflussen Wirkstoffe, die über das Enzym metabolisiert werden (z. B. Statine, HIV-Proteasehemmer und Immunmodulatoren wie Ciclosporin) (q Tab. 3). Die Auswahl des Statins kann die Interaktion erheblich beeinflussen. Es sollte daher ein Statin ausgewählt werden, welches das CYP-Enzym möglichst nicht beeinflusst.

Fluorchinolone Unter den Fluorchinolonen ist v. a. Ciprofloxacin relevant, weil es das Enzym CYP1A2 hemmt und damit die Clearance von Duloxetin (Cymbalta®), anderen Antidepressiva, Theophyllin und Verapamil verringert. Damit verbunden ist eine Zunahme der UAW. Einige Kombinationen (z. B. Ciprofloxacin und Theophyllin) müssen streng überwacht werden, während andere (z. B. Ciprofloxacin mit Duloxetin) kontraindiziert sind.

Rifampicin Rifampicin ist ein Beispiel für die ausgeprägte Induktion von CYP3A4 und daher für zahlreiche Interaktionen verantwortlich. Interessant sind auch die in der Fachinformation angegeben Interaktionen mit anderen Antibiotika wie u. a. Doxycyclin, Linezolid, Metronidazol und Moxifloxacin. Diese sind bislang unzureichend untersucht und es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit bei Kombination mit Rifampicin beobachtet werden muss [26]. Die Kombination von Rifampicin mit Rivaroxaban (einem Faktor-Xa-Inhibitor und Substrat von CYP3A4) führt zu einer Abnahme des mittleren AUC-Wertes von Rivaroxaban um ca. 50 % und damit zu einer verminderten pharmakodynamischen Wirkung. Bei gleichzeitiger Therapie mit beiden Substanzen ist daher nicht sichergestellt, dass der Patient z. B. eine ausreichende Thromboseprophylaxe erhält. Diese Kombination sollte vermieden werden, es sei denn, der Patient wird engmaschig auf Anzeichen einer Thrombose überwacht. Intensivmedizinisch ist die Interaktion von Rifampicin mit Antimykotika von besonderer Bedeutung, da es deren Bioverfügbarkeit (Posaconazol, Itraconazol) bzw. die max. Plasmakonzentration (Voriconazol) reduziert und zu einem Therapieversagen führen kann. Es reicht nicht aus, die Therapie mit Rifampicin bei möglichen Interaktionen zu beenden, da die Enzyminduktion meist über mehrere Wochen anhält. Daher ist es bei diesem Medikament besonders wichtig, mögliche Interaktionen bereits vor der Verordnung in Betracht zu ziehen und entsprechend zu berücksichtigen. Da zahlreiche Arzneimittel über CYP-Enzyme metabolisiert werden bzw. diese Enzyme hemmen (inhibieren) oder aktivieren (induzieren), sind eine Vielzahl und zum Teil schwerwiegende Interaktionen zu erwarten, die möglichst bereits im Ansatz vermieden werden sollten. Eine Übersicht über die verschiedenen Inhibitoren, Induktoren und Substrate wesentlicher CYP-Enzyme liefern q Tab. 3–5.

Protonenpumpeninhibitoren



Einfluss auf den pH-Wert Pharmakokinetische Interaktionen von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) bestehen u. a. darin, dass diese den pH-Wert im Magen erhöhen und dadurch die Resorption bestimmter Arzneimittel (z. B. Azol-Antimykotika, HIV-Medikamente, Erlotinib) reduzieren. Es sollte abgewogen werden, ob eine Ulkusprophylaxe nötig ist oder alternativ ein H2-Antihistaminikum, wie z. B. Ranitidin, eingesetzt werden kann.

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I -Induktoren sind teilweise mit denen des P-Glykoproteins identisch. Es ist daher oft kein Vorteil, wenn ein Arzneimittel ein Substrat des P-gp, jedoch kein Substrat von CYP3A4 ist, wie z. B. Dabigatran, ein reversibler, direkter Hemmstoff von Thrombin [23].

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I Substrate verschiedener Cytochrom-P450-Enzyme CYP1A2

CYP2C9

CYP2C19

CYP2D6

CYP3A4

Antidepressiva

NSAID

Antidepressiva

Antidepressiva

Azol-Antimykotika

Amitriptylin

Celecoxib

Amitriptylin

Amitriptylin

Itraconazol

Clomipramin

Diclofenac

Citalopram

Clomipramin

Voriconazol

Duloxetin

Ibuprofen

Clomipramin

Duloxetin

Fluvoxamin

Naproxen

Escitalopram

Fluoxetin

Imipramin

Fluvoxamin

Diazepam

Imipramin

Midazolam

Nortriptylin

Calciumkanalblocker

Neuroleptika

Sonstige Amitriptylin

Antiepileptika

Fluoxetin

Diazepam

Paroxetin

Haloperidol

Fluvastatin

Phenytoin

Venlafaxin

Amlodipin

Olanzapin

Irbesartan

Phenobarbital

Betablocker

Nifedipin

Clozapin

Sonstige

Losartan

Carvedilol

Nitrendipin

Esomeprazol

Metoprolol

Verapamil

Tamoxifen

Lansoprazol

Nebivolol

Voriconazol

Omeprazol

Propranolol

HIV-Proteaseinhibitoren

S-Warfarin

Pantoprazol

Timolol

Phenprocoumon

Naproxen

Phenytoin

Ondansetron Paracetamol Propranolol Ropivacain Theophyllin Verapamil R-Warfarin PPI

PPI

Felodipin

Rabeprazol Sonstige Clopidogrel Cyclophosphamid Indometacin

Neuroleptika

Atazanavir Darunavir Ritonavir (als Booster)

Haloperidol

Saquinavir

Sonstige

HMG-CoA-Reduktase-

Clonidin

hemmer Atorvastatin

Moclobemid

Metoclopramid

Nelfinavir

Ondansetron

Lovastatin

Propranolol

Oxycodon

Simvastatin

Voriconazol

Tamoxifen

R-Warfarin

Tramadol

Immunmodulatoren Ciclosporin Sirolimus Tacrolimus Makrolid-Antibiotika Clarithromycin Erythromycin Neuroleptika Haloperidol Opioide Fentanyl Methadon Sonstige Dexamethason Domperidon Propranolol Salmeterol Sildenafil Tamoxifen

Tab. 3 Modifiziert nach [19]. PPI = Protonenpumpeninhibitor; NSAID = nicht steroidale Antiphlogistika.

Protonenpumpeninhibitoren (PPI) können über die Veränderung des pH-Werts die Resorption von Substanzen wie z. B. Azol-Antimykotika, HIV-Medikamenten und Tyrosinkinase-Inhibitoren, wie z. B. Erlotinib, herabsetzen.

Anpassen der Dosis Protonenpumpeninhibitoren haben eine große therapeutische Breite. Bei gleichzeitiger Verordnung von CYP2C19-Hemmern sollte bei reduzierter Verträglichkeit (gastrointestinale Störungen wie Durchfall, Obstipation oder Übelkeit) an eine Dosisreduktion gedacht werden. Detaillierte Empfehlungen des Herstellers liegen allerdings nicht vor.

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Imipramin

Benzodiazepine

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I Induktoren verschiedener Cytochrom-P450-Enzyme CYP1A2

CYP2C9

CYP2C19

CYP2D6

CYP3A4

Esomeprazol Insulin Modafinil Omeprazol Tabak (Rauchen) Nahrungsmittel (z. B. Brokkoli, Rosenkohl, Grillfleisch)

Rifampicin

Carbamazepin Prednison Rifampicin

Dexamethason Rifampicin

Carbamazepin Efavirenz Glukokortikoide Johanniskrautextrakt Modafinil Nevirapin Oxcarbazepin Phenobarbital Phenytoin Pioglitazon Rifabutin Rifampicin

▶ Eine Dosiserhöhung kann bei gleichzeitiger Verordnung mit CYP2C19-Induktoren nötig werden [27].

Substanzabhängige Modulation Die einzelnen Substanzen modulieren CYP-Enzyme unterschiedlich. Omeprazol und sein Enantiomer Esomeprazol hemmen CYP2C19, während Lansoprazol, Pantoprazol und Rabeprazol nicht klinisch relevant inhibieren. Werden gleichzeitig andere Medikamente gegeben, die über das System metabolisiert werden, muss man eine verstärkte oder verlängerte Wirkung annehmen, z. B. bei Citalopram, Diazepam und Moclobemid. Clopidogrel Die Daten zur klinischen Bedeutung der Interaktion zwischen Omeprazol und Esomeprazol mit Clopidogrel sind widersprüchlich. Deshalb sollten die Wirkstoffe Lansoprazol, Pantoprazol und Rabeprazol bevorzugt werden. Der Hintergrund ist, dass Omeprazol und Esomeprazol die Bioaktivierung und Bildung des aktiven Metaboliten von Clopidogrel (erfolgt durch CYP2C19) vermindern und so dessen Wirkung als Thrombozytenaggregationshemmer reduzieren. Die Kombination von Omeprazol / Esomeprazol mit Clopidogrel sollte vermieden werden, da die Wirkung von Clopidogrel reduziert sein kann.

Expressionsabhängige Metabolisierung Die Pharmakogenetik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Expression funktionsfähiger CYP2C19Enzyme ist variabel und beeinflusst die Eliminationsgeschwindigkeit von CYP2C19-Substraten. Bei langsamen Metabolisierern („poor metabolizer“) ist die Verträglichkeit reduziert, während bei den ultraschnellen Metabolisierern der Therapieerfolg ausbleiben kann [27].

Die Metabolisierung der PPI über CYP2C19 kann auch durch andere Substanzen gehemmt werden, wie z. B. Citalopram, Diazepam und Moclobemid. Auch die Pharmakogenetik beeinflusst die Verträglichkeit der PPI.

Selektive-Serotonin-WiederaufnahmeInhibitoren (SSRI)



Citalopram Der Wirkstoff Citalopram wird enantioselektiv (bevorzugt S-Citalopram) über CYP2C19 abgebaut. Wird das Enzym CYP2C19 gehemmt, steigt der Wirkspiegel von S-Citalopram an und erhöht damit das Risiko für unerwünschte kardiale Wirkungen: Citalopram verlängert dosisabhängig das QT-Intervall und es drohen polymorphe ventrikuläre Tachyarrhythmien (Torsades de pointes). Die Kombination mit anderen, die QT-Zeit verlängernden Arzneimitteln wie z. B. Haloperidol muss vermieden werden [27]. Einige SSRI wie z. B. Citalopram und sein Enantiomer S-Citalopram können zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen und sollten nicht mit anderen QT-Zeit verlängernden Medikamenten kombiniert werden, z. B. mit Haloperidol, Erythromycin, Amiodaron und Domperidon.

Fluoxetin und Paroxetin Andere SSRI (z. B. Sertralin) sind risikoärmer und sollten bevorzugt werden. Fluoxetin und Paroxetin sind starke Inhibitoren von CYP2D6 und können bei gleichzeitiger Einnahme z. B. die AUC (Area Under the Curve, Maß für die Bioverfügbarkeit) von Metoprolol um 400–600 % erhöhen [29]. Tamoxifen, ein selektiver Östrogen-RezeptorModulator (Einsatz in der Therapie des Mamakarzinoms), wird bei gleichzeitiger Gabe von Fluoxetin oder Paroxetin nicht mehr zu seinem aktiven Metaboliten umgesetzt. Tamoxifen darf in keinem Fall mit diesen Substanzen kombiniert werden,

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Tab. 4 Modifiziert nach [19].

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I CYP1A2

CYP2C9

CYP2C19

CYP2D6

CYP3A4

Fluvoxamin Ciprofloxacin Cimetidin Amiodaron Enoxacin Interferon Norfloxacin Ticlopidin

Fluconazol Amiodaron Fenofibrat Fluvastatin Fluvoxamin Isoniazid Lovastatin Phenylbutazon Probenecid Sertralin Sulfamethoxazol Voriconazol

PPI

Bupropion Cinacalcet Chinidin Fluoxetin Paroxetin Duloxetin Sertralin Terbinafin Amiodaron Cimetidin Celecoxib Chlorpromazin Citalopram Clomipramin Diphenhydramin Doxepin Doxorubicin S-Citalopram Haloperidol Levomepromazin Methadon Metoclopramid Moclobemid Perphenazin Ranitidin Ritonavir

Clarithromycin Itraconazol Indinavir Nelfinavir Ritonavir* Telithromycin Aprepitant Diltiazem Erythromycin Fluconazol Grapefruitsaft Posaconazol Verapamil Cimetidin Amiodaron Boceprevir Chloramphenicol Fluvoxamin Gestoden Imatinib Mifepriston Telaprevir Voriconazol

Tab. 5 Modifiziert nach [19]. Die Inhibitoren sind nach der Stärke ihrer hemmenden Wirkung gekennzeichnet. Rot = starker Inhibitor (> 5-fache Zunahme der AUC). Orange = mäßig starker Inhibitor (> 2-fache Zunahme der AUC). Blau = schwacher Inhibitor (> 1,25 bis < 2-fache Zunahme der AUC). Schwarz = entweder schwächerer Inhibitor oder Ausmaß der CYP-Hemmung nicht bekannt bzw. in der Fachinformation nicht angegeben. Es besteht eine Interaktion zwischen Wirkstoff und CYP-Enzym. Die Stärke der Hemmung ist unbekannt. *Alle Proteaseinhibitoren (außer Nelfinavir) werden zur Wirkungsverstärkung mit Ritonavir kombiniert. PPI = Protonenpumpeninhibitor; AUC = Area Under the Curve (Fläche unter der Kurve).

Lansoprazol Omeprazol Pantoprazol Rabeprazol Sonstige Chloramphenicol Cimetidin Felbamat Fluoxetin Fluvoxamin Indometacin Modafinil Oxcarbazepin Probenecid Teicoplanin Topiramat Voriconazol

da es zu einer Tumorprogression kommen kann [29].

Die Beeinflussung verschiedener CYP-Enzyme durch SSRI kann die Wirkung anderer Medikamente vollständig aufheben, z. B. Sertralin in Kombination mit dem Zytostatikum Cyclophosphamid, oder den Wirkspiegel eines anderen Medikaments deutlich erhöhen. Fluoxetin und Paroxetin erhöhen z. B. die AUC von Metoprolol um ein Vielfaches.

Fluvoxamin und Sertralin Der hemmende Effekt von Fluvoxamin kann in Kombination mit Clozapin genutzt werden, um die Dosis zu verringern und damit die Verträglichkeit von Clozapin zu verbessern. Fluvoxamin ist ein starker Inhibitor von CYP1A2 und CYP2C19 und ist bei einer antidepressiven Therapie mit Agomelatin kontraindiziert. Sertralin hemmt CYP1D6 nur schwach und CYP2B6 wesentlich stärker. Cyclophosphamid (Prodrug) wird über CYP2B6 metabolisiert. Eine Kombination mit Sertralin kann die zytostatische Therapie abschwächen und muss ebenfalls vermieden werden. Serotonin-Syndrom SSRI können bereits bei Monotherapie ein Serotonin-Syndrom auslösen und sollten daher nicht mit MAO-Hemmern (Moclobemid), SNRI (z. B. Venlafaxin) oder Tra-

madol kombiniert werden [29]. Das Oxazolidinon Linezolid ist ein Antibiotikum, das eine reversible Hemmung der MAO-A und -B auslöst. Es handelt sich um eine unerwünschte Wirkung der Substanz, die mit anderen Wirksoffen wie z. B. Noradrenalin oder SSRI ein Serotonin-Syndrom hervorrufen kann. Wenn möglich sind solche Kombinationen zu vermeiden. Der Patient muss sorgfältig überwacht werden.

SSRI interagieren mit anderen Medikamenten, die ebenfalls das serotonerge System beeinflussen, z. B. Tramadol, SNRI (z. B. Venlafaxin) oder das Antibiotikum Linezolid. Bei diesen Kombinationen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für das Serotonin-Syndrom. Wenn möglich, müssen diese Kombinationen vermieden und die Patienten während der Behandlung sorgfältig überwacht werden.

Pharmakodynamische Interaktionen Definition Pharmakodynamische Wechselwirkungen sind dadurch charakterisiert, dass sich gleichzeitig applizierte Pharmaka durch Interaktion an einem Rezeptor, einem Erfolgsorgan oder einem Regelkreis in ihrer Wirkung verstärken oder abschwächen.

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Inhibitoren verschiedener Cytochrom-P450-Enzyme

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Weitere Beispiele Intravenös verabreichtes Sildenafil verstärkt den pulmonal vasodilatierenden Effekt von inhaliertem Stickoxid (NO). Gleichzeitig induziert es eine systemische Hypotension und Oxygenierungsstörung, die NO weder beheben noch verhindern kann [30]. In einer experimentellen Studie konnten Myburgh et al. [31] zeigen, dass die kontinuierliche Infusion von Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin die Propofolkonzentration um bis zu 63 % senken und dadurch dessen anästhesierenden Effekt reduzieren kann. Verlängerung der QT-Zeit Andere pharmakodynamische Wechselwirkungen betreffen die Verlängerung der QT-Zeit. Bei gleichzeitiger Gabe mehrerer QT-Zeit-verlängernder Substanzen steigt das Risiko additiv. Ob eine QT-Zeit-Verlängerung mit dem Risiko ventrikulärer Arrhythmien (Torsades de pointes) relevant ist, kann vorab mit Interaktionsprogrammen (z. B. AIDKlinik®, Dosing GmbH, Heidelberg) geprüft werden. Zu den Substanzen gehören u. a. Fluorchinolone, Haloperidol, Amiodaron, Citalopram und Makrolid-Antibiotika. Wechselwirkung von ASS und Ibuprofen Eine wichtige pharmakodynamische Interaktion betrifft Azetylsalizylsäure (ASS) in Kombination mit Ibuprofen. Letzteres hemmt die Cyclooxygenase-1 (COX-1) und COX-2 reversibel und „versperrt“ die irreversible Bindung von ASS an COX-1. ASS kann die Thrombozytenaggregation nicht hemmen und damit steigt das kardiale Risiko bei einer koronaren Herzkrankheit. Diese Wechselwirkung ist v. a. dann relevant, wenn Patienten hohe Dosen Ibuprofen über den Tag verteilt einnehmen müssen. In anderen Fällen kann eine zeitversetzte Gabe von Ibuprofen und ASS diese Interaktion unterbinden. Diese Wechselwirkung wird aktuell ebenfalls für das Pyrazolonderivat Metamizol diskutiert. Es konnte gezeigt werden, dass Metamizol die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS vollständig aufhebt

[32]. Die klinische Relevanz dieser Medikamenteninteraktion muss in größeren klinischen Studien überprüft werden.

In Kombination höheres Risiko Andere additive Effekte sind bei den nephro- und ototoxischen Substanzen zu finden, z. B. Vancomycin mit Furosemid oder Aminoglykoside (z. B. Gentamicin) mit Cyclosporin. Ein weiteres Beispiel ist die Kombination von Fluorchinolonen mit Glukokortikoiden. Die Therapie mit einem Fluorchinolon (z. B. Ciprofloxacin) erhöht das Risiko für eine Sehnenruptur. Bei gleichzeitiger Gabe von Glukokortikoiden steigt es weiter an. Pharmakodynamische Interaktionen umfassen z. B. additive Effekte wie bei der Kombination von Substanzen, die bereits jede für sich die QT-Zeit verlängert (z. B. Makrolid-Antibiotika, Fluorchinolone, Haloperidol, Amiodaron, Citalopram). Andere additive Effekte finden sich z. B. bei der Kombination von Vancomycin mit Furosemid (erhöhte Nephrotoxizität) und Fluorchinolonen mit Glukokortikoiden (erhöhtes Risiko für eine Sehnenruptur).

Zusammenfassung Die pharmakokinetischen Interaktionen betreffen die Resorption, Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion eines Arzneistoffs. CYP-Induktion oder -Inhibition sind sehr häufig für Interaktionen verantwortlich. Das CYP3A4 besitzt viele Substrate und ist deshalb besonders wichtig. Pharmakokinetische Interaktionen sind durch additive oder antagonistische Wirkungen gekennzeichnet. Eine Übersicht der intensivmedizinisch wichtigsten Interaktionen zeigt q Tab. 6 (online), in der auch die Relevanz der Wechselwirkungen gekennzeichnet ist.

Fazit Die Kenntnis möglicher Interaktionsstrukturen und -gruppen ist für das Verständnis und die Vermeidung von Interaktionen entscheidend. Nur so lassen sich Interaktionen und mögliche unerwünschte Wirkungen im Ansatz unterbinden. Die Fülle möglicher Interaktionen kann durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern v.a. in Form von Visiten rasch und umfassend aufgeschlossen und gelöst werden. Ein flächendeckendes Angebot ist jedoch in vielen Kliniken noch nicht umsetzbar. Elektronische Systeme, welche die Medikation erfassen und Interaktionsprüfungen durchführen können [33, 34], werden erprobt. Der potenzielle Vorteil derartiger Programme, insbesondere bei Anbindung an eine elektronische Dokumentation in der Intensivmedizin (Patient Data Management System, PDMS), bedürfen der Evaluation in künftigen Studien. ◀

Peters H, Sakka SG. Medikamenteninteraktionen – In der Intensivmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 326–334

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Interaktionen mit Betablockern Ein Beispiel für pharmakodynamische Interaktionen ist die gegenseitige Beeinflussung nicht β1-selektiver Adrenozeptorblocker, z. B. Propranolol. Sie verzögern den Wiederanstieg des Blutzuckerspiegels nach Insulingabe und rufen dadurch verlängerte hypoglykämische Reaktionen hervor. Gleichzeitig können sie die entsprechenden Symptome verschleiern [20]. Clonidin interagiert auch mit Betablockern. Wird es abgesetzt, können übermäßige Entzugserscheinungen (hypertensive Krise, Kopfschmerzen, Palpitationen) auftreten. Daher empfiehlt es sich, zunächst den Betablocker und anschließend Clonidin schrittweise zu reduzieren. Diese Interaktion ist klinisch schwerwiegend, aber die Vorgehensweise ist im Detail nicht wissenschaftlich belegt.

334

CME

Fachwissen: Topthema

I ▶ Medikamenteninteraktionen werden in pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen unterteilt. ▶ Pharmakokinetische Interaktionen spielen sich bei der Liberation, Resorption / Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion des Arzneimittels ab (LADME-Modell). ▶ Bei der Resorption / Absorption ist die physikalisch-chemische Interaktion, z. B. in Form von Komplexbildung, und die Interaktion mit dem P-Glykoprotein wichtig. ▶ Bei der Metabolisierung ist v. a. die Interaktion mit den verschiedenen CYP-Enzymen relevant. Das CYP3A4 ist in diesem Zusammenhang besonders bedeutend. ▶ Pharmakodynamische Interaktionen äußern sich z. B. in additiven Reaktionen, wie sie z. B. bei der Kombination von mehreren QT-Zeit verlängernden Substanzen auftreten können.

Literatur online Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „www.thieme-connect.de/ ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.

Helena Peters ist seit Juni 2012 angestellte Apothekerin bei den Kliniken der Stadt gGmbH. Das Studium der Pharmazie absolvierte sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Schwerpunkt ihrer aktuellen Tätigkeit ist das Medikationsmanagement. E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Samir G. Sakka, DEAA, EDIC, ist Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Klinikum der Universität Witten / Herdecke in Köln-Merheim. Er leitet die interdisziplinäre operative Intensiv station. Seine Schwerpunkte sind Verfahren zur Überwachung der globalen und regionalen Hämodynamik sowie die therapeutischen Einflussmöglichkeiten beim kritisch kranken Patienten. E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Helena Peters erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Samir G. Sakka hat von den Firmen Pfizer, MSD Sharp & Dohme und Astra Zeneca Honorare für Vorträge erhalten.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0034-1376452

q Tab. 6 ist online beim Artikel unter Zusatzmaterial verfügbar.

VNR: 2760512014144212312

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Peters H, Sakka SG. Medikamenteninteraktionen – In der Intensivmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 326–334

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Literaturverzeichnis

Kernaussagen

CME

Medikamenteninteraktionen

Welche Substanz verursacht keine starke Induktion

Welche Aussage zu selektiven Serotonin-

8 Wiederaufnahmehemmern (SSRI) ist falsch? A

Rifampicin Glukokortikoide Carbamazepin Johanniskraut Clarithromycin

B C

2 Welches Statin unterliegt keiner CYP–Metabolisierung? A B C D E

Atorvastatin Fluvastatin Lovastatin Pravastatin Simvastatin

D E

3

Welche Aussage zu Protonenpumpeninhibitoren (PPI)

Welche Maßnahme ist bei direkt pharmakokinetischen Interaktionen (z. B. Calcium und Ciprofloxacin) indiziert? zeitversetzte Einnahme von mind. 2–4 h Es ist keine Intervention notwendig. regelmäßige Plasmakonzentrationsbestimmung von Ciprofloxacin gleichzeitiger Einsatz eines CYP-Induktors Eine der beiden Substanzen muss abgesetzt bzw. ein nicht interagierendes Antibiotikum muss ausgewählt werden.

Für welche Arzneistoffe spielt die Metabolisierung

4 durch CYP-Enzyme keine bedeutsame Rolle? A B C D E

Antibiotika Diuretika Neuro-und Psychopharmaka Immunsuppressiva HIV-Medikamente

D E

Omeprazol und Esomeprazol haben keinen Einfluss auf die CYP-Enzyme. Die therapeutische Breite der PPI ist sehr schmal. Bei ultraschnellen Metabolisierern kann die Wirkung von PPI ausbleiben. Die Senkung des pH-Werts im Magen hat keinen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit anderer Substanzen. Eine verlängerte Wirkung von Diazepam in Kombination mit Omeprazol ist nicht zu erwarten.

Welche der folgenden Aussagen zu P-Glykoprotein

10 (P-gp) trifft nicht zu? A

D

Wie beurteilen Sie die Interaktion zwischen Rifampicin

B C D E

B C

B C

5 und Rivaroxaban? A

Citalopram sollte gegenüber Sertralin bevorzugt eingesetzt werden. Paroxetin und Fluoxetin sind bei Patientinnen mit TamoxifenTherapie ungeeignet. Eine zytostatische Therapie mit Cyclophosphamid kann bei gleichzeitiger Einnahme mit Sertralin abgeschwächt werden. Das Serotonin-Syndrom kann auch schon bei einer Monotherapie mit SSRI auftreten. Die Kombination von Duloxetin (Cymbalta®) und dem Gyrasehemmer (Ciprofloxacin) ist kontraindiziert.

9 ist richtig? A

A B C D E

E

Das P-gp kommt physiologisch in Leber, Darm, Niere und der Blut-Hirn-Schranke vor. Das P-gp gehört zur den Vertretern der ABC-Transportproteine. Der Digoxin-Spiegel wird durch die Induktion von P-gp nicht beeinflusst. Tumorzellen sind in der Lage, durch eine vermehrte Bildung von P-gp Zytostatika aus der Tumorzelle heraus zu transportieren. Verapamil ist ein Inhibitor von P-gp.

Wenn möglich, Kombination vermeiden. Sonst auf ausreichende antikoagulatorische Wirkung achten. lediglich Dosisanpassung notwendig vorsichtshalber Rifampicin-Spiegel überwachen keine Maßnahme notwendig, wenn Rifampicin i. v. appliziert zeitversetzter Einsatz nötig

6 Welche Aussage zu Rifampicin ist falsch? A B C D E

Es kann eine Rotfärbung von Urin und Speichel verursachen. Es wird in der Therapie der Tuberkulose eingesetzt. Es beeinflusst das CYP3A4, hat aber keinen Einfluss auf P-Glykoprotein (P-gp). Die Induktion von CYP3A4 bleibt über mehrere Wochen nach Absetzen von Rifampicin. Der Wirkspiegel von Digoxin kann bei gleichzeitiger enteraler Verabreichung von Rifampicin vermindert sein.

Welche Substanz führt mit Amiodaron nicht zu einem

7 additiven Risiko für eine QT-Zeit-Verlängerung? A B C D E

Amlodipin Haloperidol Erythromycin Citalopram Ciprofloxacin

CME

I

In der Intensivmedizin

1 von CYP3A4? A B C D E

335

CME.thieme.de CME-Teilnahme ▶ Viel Erfolg bei Ihrer CME-Teilnahme unter http://cme.thieme.de. ▶ Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate online für eine CME-Teilnahme verfügbar. ▶ Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, unter http://cme.thieme.de/hilfe finden Sie eine ausführliche Anleitung.

CME-Fragen – Medikamenteninteraktionen – In der Intensivmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 335

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CME-Fragen

Fachwissen: Topthema

[Drug interactions in intensive care medicine].

Drug-drug interactions are a common problem in elderly multi-morbid patients receiving polypharmacy. A high quantity of prescribed drugs is associated...
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