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Medikamenteninteraktionen

Ein unterschätztes Problem in AINS?

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In der Anästhesie

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In der Intensivmedizin

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Bildnachweis: privat

Prof. Dr. med. Berthold Bein, MA, DEAA, ist stellvertretender Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Seit 2010 ist er Landesvorsitzender der DGAI Schleswig-Holstein. E-Mail: [email protected]

Vernachlässigtes Thema Medikamenteninteraktionen spielen in der pharmakologischen Literatur eine große Rolle. In anästhesiologischen Fachzeitschriften hingegen finden sich hierzu allenfalls vereinzelt Kasuistiken. Diese Tatsache überrascht: Im Fachgebiet Anästhesiologie – und vergleichbar auch in der Intensiv- und Notfallmedizin – werden regelmäßig hochpotente Pharmaka gleichzeitig und / oder kurz hintereinander i. v. verabreicht, und dies zunehmend bei Patienten, die bereits eine Vielzahl rezeptpflichtiger oder freiverkäuflicher Medikamente als Dauermedikation erhalten. Konkret nehmen Patienten > 65 Jahre im Mittel 6 verschiedene Medikamente täglich ein. Es ist insofern sehr wahrscheinlich, dass es tagtäglich zu Medikamenteninteraktionen in unserer klinischen Praxis kommt. Die meisten davon verlaufen jedoch entweder klinisch inapparent oder die resultierenden unerwünschten Effekte werden gar nicht auf die ursächliche Wechselwirkung zurückgeführt. Medikamenteninkompatibilität Welche Interaktionen sind nun für einen in unserem Fachgebiet tätigen Arzt am bedeutsamsten? Im ersten Beitrag des Topthemas beschäftigen sich Böhm,

Bildnachweis: KH Krauskopf

Unser Fachgebiet ist u. a. dadurch charakterisiert, dass hochpotente Pharmaka in ihrer am schnellsten wirksamen Formulierung, nämlich intravenös, regelhaft zur Anwendung kommen. Das gilt in besonderem Maße für die Säulen Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin. Diese „Akutpharmakologie“ ermöglicht es einerseits die pharmakodynamischen Effekte der eingesetzten Medikamente rasch abzuschätzen, birgt andererseits aber das Risiko, dass unerwünschte Medikamenteninteraktionen sehr schnell zu lebensbedrohlichen Situationen führen können. Insofern ist das Topthema „Medikamenteninteraktionen in Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin“ von großer Bedeutung, und wir freuen uns, dass ausgewiesene Experten dieses wichtige Thema aktuell und übersichtlich diskutieren.

Reinecke und Bein grundsätzlich mit den verschiedenen Arten von Medikamenteninteraktionen. Dieser Beitrag fokussiert auch auf das wichtige Thema der Medikamenteninkompatibilität (pharmazeutische Medikamenteninteraktion), die sich ggf. schon außerhalb des Patienten in Form von Ausfällungen, Trübungen und Komplexbildung manifestiert. Die Infusion einer wirkungslosen oder einer physikochemisch veränderten Lösung, die u. U. auch zu Mikroembolien führen kann, gefährdet den Patienten akut.

Propofol Für die millionenfach eingesetzte Substanz Propofol beispielsweise führt die Fachinformation (z. B. Propofol lipuro®) nur 3 geeignete Trägerlösungen auf (0,9 % NaCl, 5 % Glukose und 0,18 % NaCl + 4 % Glukose); darunter findet sich keine einzige moderne, balancierte Elektrolytlösung. Auch wird explizit auf die patientennahe Mischung von Propofol mit der jeweiligen Trägerlösung bzw. weiteren Medikamenten hingewiesen. Die tagtägliche Mischung mit balancierten Elektrolytlösungen funktioniert in der Praxis offenbar ohne ernste Zwischenfälle (jedenfalls sind derzeit diesbezüglich keine negativen Fallberichte publiziert). Dagegen muss die besonders auf Intensivstationen gelegentlich anzutreffende

Bein B, Scholz J. Medikamenteninteraktionen – Ein unterschätztes Problem in AINS? Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 314–315

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Berthold Bein • Jens Scholz

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Cytochrom-P450-Isoenzyme Eine besondere Rolle spielen dabei die unterschiedlichen CYPEnzyme, da zahlreiche regelmäßig in der Intensivmedizin verwendete Medikamente diese potent inhibieren. Beispielweise hemmen die Makrolid-Antibiotika Erythromycin und Clarithromycin CYP3A4 und können zu signifikant erhöhten Plasmaspiegeln der HMG-CoA-Reduktoren Atorvastatin, Lovastatin und Simvastatin (und entsprechenden unerwünschten Nebenwirkungen) führen. Da andere Präparate aus der Substanzklasse davon nicht betroffen sind, lässt sich diese Interaktion problemlos umgehen. In dem Zusammenhang erschließt sich auch der Nutzen einer regelmäßigen Visite gemeinsam mit einem klinischen Pharmakologen, die allerdings derzeit nur vereinzelt realisiert ist.

Ein unterschätztes Problem Medikamenteninteraktionen in AINS sind häufiger als gemeinhin vermutet. Ihre Kenntnis ist unabdingbar, um unseren Patienten nicht zu schaden und optimale therapeutische Ergebnisse zu erzielen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Vergnügen beim Lesen der Beiträge des Topthemas!

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Prof. Dr. med. Jens Scholz ist seit August 2000 Ordinarius für Anästhesiologie und wurde im April 2009 zum Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein gewählt. Er gehört zum Herausgeber-Team der AINS. Von 2002–2009 war Prof. Scholz DGAI-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Von 2003–2009 war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Komitees der DGAI und von 2004–2009 Vorsitzender des AK Notfallmedizin der DGAI. Seit 2006 ist Prof. Scholz Mitglied der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften). E-Mail: [email protected]

Ihre Berthold Bein und Jens Scholz

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0034-1376450

Bein B, Scholz J. Medikamenteninteraktionen – Ein unterschätztes Problem in AINS? Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 314–315

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Pharmakokinetische Interaktionen Gerade in der Intensivmedizin, wo eine Vielzahl von Medikamenten zeitgleich i. v. appliziert wird und der Zustand des Patienten sich rasch und dynamisch ändern kann, werden Medikamenteninteraktionen häufig nicht erkannt. Dieser Tatsache trägt der Beitrag von Peters und Sakka in hervorragender Weise Rechnung, indem er gerade die so wichtigen pharmakokinetischen Interaktionen ausführlich diskutiert. Hier dominieren die beiden Entitäten Wirkungsverstärkung und Wirkungsverlust. Da es u. U. schwierig ist, die Bioäquivalenz einer Substanz bei einer gleichzeitig applizierten zweiten abzuschätzen, muss sich der Kliniker im Wesentlichen an der effektiven pharmakodynamischen Wirkung orientieren.

Auch in der Notfallmedizin relevant Im letzten Beitrag des Topthemas behandeln Kunz und Meybohm den Stellenwert von Medikamenteninteraktionen in der Notfallmedizin. Hier sind eine sorgfältige Medikamentenanamnese und die Kenntnis der Medikamente mit besonders hohem Interaktionspotenzial sehr wichtig. Neu angesetzte Medikamente können Notfälle auslösen, wenn es zu Fehleinnahmen kommt oder wenn der verordnende Arzt die bestehende Dauermedikation des Patienten nicht kennt. Ob die elektronische Gesundheitskarte die in dieser Hinsicht in sie gesteckten Erwartungen erfüllen wird, bleibt abzuwarten. Von wesentlicher Bedeutung in der Notfallmedizin sind auch Interaktionen zwischen illegalen Drogen, Alkohol und den vom Notarzt applizierten Medikamenten, insbesondere von Sedativa.

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Praxis, labyrinthartige Verschachtelungen von Infusionsverlängerungen mit Dreiwegehähnen vor dem Propofolperfusor zu etablieren, äußerst kritisch gesehen bzw. korrigiert werden.

[Drug Interactions - An underestimated problem in AINS?].

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