Originalarbeit

„Diese Offenheit muss weitergehen“ Wie erleben Psychiatrieerfahrene, Angehörige und Professionelle den Trialog? „This Openness Must Continue“ Changes Through Trialogue Identified by Users, Carers, and Mental Health Professionals

Autoren

Sebastian von Peter1, Hans-Jochen Schwedler2, Michaela Amering3, Ingrid Munk2

Institute

1

Psychiatrische Universitätsklinik der Charite im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Neukölln 3 Abteilung für Sozialpsychiatrie/Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Wien/Österreich 2

Schlüsselwörter

" Vielstimmigkeit ● " Identität ● " Macht ● " Öffentlichkeit ● " Psychose-Seminar ●

Keywords

" trialogue ● " psychosis seminar ● " power ● " identity ● " multivocality ●

Zusammenfassung !

Anliegen: Die multivariablen Effekte des Trialogs sollen aus Sicht der 3 teilnehmenden Gruppen untersucht werden. Methoden: Eine Fragebogen- wurde mit einer Fokusgruppenuntersuchung kombiniert. Ergebnisse: Die Kommunikation im Trialog unterscheidet sich deutlich von klinischen Begegnungen. Interesse aneinander, Wohlwollen und Offenheit werden von allen 3 Gruppen angestrebt und als wesentlich erachtet. Der klinische Alltag mit Rollenvorgaben, Machtgefälle und Hand-

Einleitung !

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1370212 Online-Publikation: 26.8.2014 Psychiat Prax 2015; 42: 384–391 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0303-4259 Korrespondenzadresse Dr. Sebastian von Peter MVZ St. Hedwig-Krankenhaus Große Hamburger Straße 5–11 10115 Berlin [email protected]

Der Trialog hat erstmalig 1989 stattgefunden. Er hat Geschichte gemacht als eine neue Form der Begegnung in der Psychiatrie. Allerdings ist „in der Psychiatrie“ nicht korrekt: Das Charakteristische ist, dass sich die an der Psychiatrie beteiligten Gruppen der Patienten (die es im Rahmen der Selbsthilfe vorziehen, sich als „Psychiatrieerfahrene“ oder „-betroffene“ zu bezeichnen), der Psychiatriemitarbeiter (im Weiteren „Professionelle“ genannt) und Angehörigen außerhalb einer Behandlungssituation treffen und miteinander sprechen. Eine größere Öffentlichkeit erreichte der Trialog zum 1. Mal auf dem Weltkongress für Psychiatrie 1994 in Hamburg [1]. Seither hat die Anzahl der Trialogveranstaltungen kontinuierlich zugenommen und steigt weiter an [2]. Die Zahl der Teilnehmer (von 10 – 150 Personen) ist verschieden, der Ort variabel; häufig handelt es sich um Räume, die von kirchlichen Einrichtungen, von Vereinen, von der Volkshochschule oder den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Die Frequenz ist ebenfalls unterschiedlich von zweimal pro Monat bis einmal im Vierteljahr. Die Moderation übernimmt entweder eine unterschiedliche Kom-

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lungsdruck wird dabei als hinderlich erlebt. Vor allem die Erfahrenen erleben die heilsame Wirkung des Erzählens im öffentlichen Raum. Trialog ermöglicht eine eigenständige Form der Kommunikation und Wissenserweiterung. Diskussion: Der Trialog wird als neues Erfahrungsfeld für die Entwicklung einer gleichwertigen Beziehung verstanden. Der offene Austausch im Trialog könnte sich dadurch erklären, dass dort weniger Handlungsdruck und gegenseitige Verantwortlichkeit herrschen. Der Trialog ist bereit für noch mehr Öffentlichkeit.

bination von Personen der 3 Teilnehmergruppen oder eine „trialogische“ Besetzung durch jeweils 1 Person. Die Inhalte und Themen, die in den Veranstaltungen besprochen werden, werden entweder zu Beginn einer Sitzung frei bestimmt oder von den Moderatoren anhand eines Programms, das in den meisten Fällen von den Teilnehmern zu Beginn einer Trialogreihe festgelegt wird, vorgegeben. Sie ähneln sich in den verschiedenen Trialogveranstaltungen weitgehend [1]: Es geht um die Erfahrungen von Psychiatriebetroffenen mit psychischen Krisen im weiteren, mit Psychosen im engeren Sinne, den Umgang der Angehörigen und Professionellen damit und um Erlebnisse in der Klinik und Öffentlichkeit im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Bock et al. (1999) [3] haben eine Art Manual mit Berichten über den Trialog zusammengestellt. Die Erfahrungen im Trialog werden hier als „erzählte Geschichten“ oder als „Therapie ohne Therapeuten“ zusammengefasst; obwohl keine Therapie im klassischen Sinne, habe der Trialog vielfache therapeutische Wirkungen; der Schwerpunkt liege dabei auf Verständnis und nicht auf Veränderung. Ob solche Wirkungen i. S. von Effektstärken, wie bei randomisierten kontrollier-

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Methoden !

Die Untersuchung erfolgte in der Trialogveranstaltung im Berliner Bezirk Neukölln, der dort im Rathaus an jedem 3. Montag im Semester an der Volkshochschule stattfindet. Die Teilnehmerzahl liegt zwischen 15 und 40 Personen. Die Moderation wird „trialogisch“ von einem Erfahrenen, einer Angehörigen und einem Professionellen wahrgenommen. Die Moderatorengruppe legt auf der Grundlage der diskutierten Fragen der vorangegangenen Sitzungen jeweils das Thema des nächsten Treffens fest. Wir danken an dieser Stelle allen Trialogteilnehmern, die das Forschungsanliegen durch die Teilnahme an den Fokusgruppen und/ oder die Beantwortung der Fragebögen überhaupt erst möglich gemacht haben.

Fragebogen Der Fragebogen war in 2 Teile unterteilt. Der 1. Teil wurde am Anfang und am Ende des erfassten Zeitraums von insgesamt 6 Monaten ausgeteilt, der 2. jeweils zu jeder Trialogsitzung, also insgesamt 6-mal. Teil 1 enthielt Fragen zur Person, wie Alter und Geschlecht, und Zuordnung zur Gruppe der Erfahrenen, Angehörigen oder Professionellen. Der Zugangsweg zum Trialog, der bisherige Besuch anderer Trialogveranstaltungen sowie die Gründe für die Teilnahme am und die Erwartungen an den Trialog wurden erfragt. Als standardisiertes validiertes und reliables Element wurde die Selbstwertskala nach Rosenberg [5] eingefügt. Die Teilnehmer kennzeichneten die Fragebögen mit ihren Geburtsdaten oder einem Codewort, wodurch die Einschätzungen der einzelnen Teilnehmer am Anfang und Ende des Erfassungszeitraums vergleichbar wurden. Der in jeder Sitzung ausgeteilte Teil 2 des Fragebogens bestand aus 6 Fragen, 3 geschlossenen und 3 offenen, die darauf zielten, das subjektive Erleben der Teilnehmenden zu ermitteln. Die Fragen betrafen die Bewertung der jeweils aktuellen Sitzung, inkl. des Verhaltens der Moderatoren, den Respekt durch die anderen Teilnehmer, die Benennung der Inhalte der Sitzung und die Einschätzung der eigenen Teilhabemöglichkeiten an der jeweiligen Sitzung.

Fokusgruppen Es wurde jeweils eine Fokusgruppe von 90 Minuten Dauer getrennt für Erfahrene, Angehörige und Professionelle durch eine der Autorinnen (M. A.) leitfadengestützt durchgeführt. Im Schwerpunkt zielten die Fokusgruppen darauf ab, die Auswirkungen des Trialogs zu erheben: Welche Veränderungen nahmen die Teilnehmenden bei sich und den anderen teilnehmenden Gruppen wahr? Wodurch erklärten sie sich diese Veränderungen? Und wie nahmen sich die teilnehmenden Gruppen generell untereinander wahr? Pro Fokusgruppe nahmen 7 – 8 Personen aus den Reihen der Teilnehmer des Neuköllner Trialogs teil. Die Fokusgruppen wurden auf Band aufgenommen und anschließend transkribiert. Die inhaltliche Analyse erfolgte nach dem Konzept der Grounded Theory [6]. Die Codes wurden in einem dreistufigen Verfahren aus den Transkripten entwickelt und in der Forschungsgruppe abgestimmt. Die endgültigen Codes wurden durch jeweils 2 Autoren erneut auf die Transkripte angewendet und die entsprechenden Textpassagen untereinander diskutiert. In Bezug auf die Codes und deren Zuordnung zu den jeweiligen Textpassagen fand sich ein hoher Grad an Übereinstimmung innerhalb der Forschungsgruppe.

Ergebnisse !

I Quantitative Daten (Fragebogenerhebung) Es kamen insgesamt 171 Fragebögen zur Auswertung. Insgesamt beteiligten sich 37 Personen an der Befragung. 24 Fragebögen wurden nach der 1. Sitzung und 18 nach der 2. Sitzung ausgefüllt, die restlichen 129 Fragebögen betrafen den 2. Teil der Befragung. Die meisten Teilnehmenden hatten von der Trialogveranstaltung durch das Klinikum Neukölln erfahren, einige der Erfahrenen auch über die Selbsthilfe oder durch Freunde und Bekannte. Von den Erfahrenen hatte mehr als die Hälfte vorher bereits an anderen Trialogveranstaltungen teilgenommen, während dies bei den Angehörigen und Professionellen in der Mehrzahl nicht der Fall war. Die Geschlechts- und Altersverteilung der Teilnehmenden an der Fragebogenuntersuchung zeigten keine Auffälligkeiten. Alle befragten Erfahrenen haben stationäre Aufenthalte erlebt (im Mittel 9,07; max. 40). Die meisten Erfahrenen befanden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung in psychiatrischer Behandlung, etwa die Hälfte lebte im betreuten Wohnen. Etwa 2/3 der Angehörigen gaben einen Sohn als psychisch krankes Familienmitglied an, die anderen entweder eine Tochter oder, in einem Fall, einen Bruder. Unter den befragten Professionellen waren 1/3 Sozialarbeiter, 1/4 Ärzte, der Rest verteilte sich auf Sozialbetreuer, Psychologen, Ergotherapeuten und Pflegende. Durchgängig zeigten sich alle Teilnehmer mit der Moderation zufrieden, die Erfahrenen nach der letzten Trialogsitzung sogar voll und ganz (MW 3,6 auf einer 4-stufigen Skala). Niemand erlebte deutliche Schwierigkeiten, richtig mitmachen zu können. Alle meldeten zurück, dass sie respektvoll behandelt wurden. Alle bewerteten die Sitzungen eher positiv, die Erfahrenen die letzten Sitzungen sogar positiver als die Anfangssitzungen (Anstieg des MW von 2,6 auf 3,4). Alle 3 Gruppen erwarteten durch den Trialog eine Verbesserung des Verhältnisses zueinander. Die Gruppe der Professionellen ist die Gruppe, die sich nach Einschätzung der Angehörigen und Erfahrenen und auch in der eigenen Einschätzung durch die Teilnahme am Trialog am meisten verändern wird. von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

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ten Studien, bemessen werden können, wird von Bock und Priebe [1] jedoch bezweifelt. Da es sich beim Trialog nicht um eine spezifische, in seinen Zielkriterien eingrenzbare Intervention handelt, empfehlen die Autoren andere Formen der Empirie, um das Verständnis und die Weiterentwicklung des Trialogs zu befördern. Der Einbezug der Perspektiven aller 3 Teilnehmergruppen wird dabei als wesentlich erachtet [4]. In diesem Sinn möchte die vorliegende Studie einen Beitrag dazu leisten, die komplexen und multivariablen Auswirkungen des Trialogs aus der Sicht der 3 teilnehmenden Gruppen und mithilfe einer Methodenkombination aus einer Fragebogen- und Fokusgruppenuntersuchung zu ermitteln. Sie zielt auf die folgenden Fragestellungen: Wer nimmt am Trialog teil? Welche Erfahrungen machen diese Teilnehmenden im Trialog? Wie nehmen sich die Teilnehmer untereinander wahr? Und was bewirkt der Trialog, bzw. sind diese Effekte bei allen 3 teilnehmenden Gruppen vergleichbar?

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Bei der Auswertung der Selbstwertskala nach Rosenberg ergaben sich keine signifikanten Veränderungen nach der 1. und letzten Trialogsitzung in allen 3 Gruppen. Tendenziell fand sich bei den Angehörigen mit einem MW von 3,7 ein höherer Selbstwert als bei den Professionellen (3,4) und Erfahrenen (3,1).

II Qualitative Daten (Fragebogenerhebung und Fokusgruppenarbeit) Im Folgenden beziehen wir uns sowohl auf Aussagen des qualitativen Teils der Fragebögen als auch auf die Transkripte der Fokusgruppenarbeit. Die Aussagen sind gruppiert nach den 4 endgültigen Codes. Die Zitate mit der Kennzeichnung (FB) stammen dabei aus dem offenen Teil des Fragebogens, die Ziffern geben jeweils die Stellen innerhalb der transkribierten Aussagen der Fokusgruppen an. Außerdem findet sich eine quantitative Auswertung " Tab. 1. der Aussagen aus der Fokusgruppenuntersuchung in ● Tab. 1 Häufigkeit codierter Textpassagen. Lesebeispiel: EE1 Erfahrene äußern sich über andere Erfahrene in 1 Aussage, EA15 Erfahrene äußern sich über Angehörige in 15 Aussagen usw.

Codierkategorien

Erfahrene

Angehörige

Professionelle

I

E1 A 15 P 28

A1 E 24 P 13

P 20 E 32 A 26

Interpersonalität (Wahrnehmung der eigenen und anderen Teilnehmergruppen)

II

Vielstimmigkeit

7

11

III

Identitätsfindung

12

1

4

IV

Offenheit/Öffentlichkeit

19

18

19

0

Interpersonelle Kategorie: Wahrnehmung der eigenen und anderen Teilnehmergruppe(n) Erfahrene über Erfahrene Erfahrene heben die Bedeutung hervor, die „Stimmen von anderen Betroffenen“ zu hören und „Gleichgesinnte mit kritischer und nicht kritischer Haltung gegenüber Psychiatrie, Medikation usw.“ zu treffen (FB). Sie suchen im Trialog andere Erfahrene, „die auch Interesse haben, sich auseinanderzusetzen mit ihrer Krankheit. Die das nicht nur zur Seite schieben und zu verdrängen versuchen“ (2).

Erfahrene über Angehörige Die von den Angehörigen im Trialog häufig thematisierte Sorge um ihre erkrankten Familienmitglieder wird von den Erfahrenen als einengend und kontrollierend empfunden und bietet im Trialog immer wieder Anlass für Kritik und Ärger. Ständiges Sorgen wird nicht selten als Übergriff angesehen. Die Erfahrenen fragen sich, ob es nicht besser wäre, wenn Angehörige ihre Sorge zugunsten der Selbstverantwortlichkeit ihrer Familienmitglieder zurücknähmen: „Ich meine, dass den eigenen Angehörigen überhaupt kein Gehör geschenkt werden sollte“ (14). Gleichzeitig können die Erfahrenen die Not der Angehörigen auch nachvollziehen. Sie äußern Verständnis und Mitgefühl mit den im Trialog anwesenden Angehörigen und bezeichnen sie bspw. als „selbst betroffen“ (74). Und sie schätzen deren Bereitschaft, sich auf den Trialog einzulassen. So merken die Erfahrenen an, dass sie im Trialog Angehörige erlebt haben, die „sich echt Gedanken machen“ (10) und „Engagement und Sorge“ (1) zeigten. Einige vermissen einen solchen Einsatz in ihrer eigenen Familie: „Das hätte ich mir auch in bei meinen Eltern gewünscht, die haben nie zugehört; ich war quasi immer alleine damit“ (1). von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

Erfahrene über Professionelle Die Erfahrenen wünschen sich eine Arzt-Patient-Beziehung ohne Machtgefälle und finden diese im Trialog verwirklicht; denn dort bestehe bspw. die Chance auf ein „Sprechen auf Augenhöhe mit [den] Professionellen“ (FB). Der Klinikalltag wird von den Erfahrenen dagegen als stark von Hierarchien bestimmt erlebt; sie betonen bspw., dass sie dort nicht wie „kleine Kinder behandelt“ (106) werden wollen. Außerdem brächten sich Professionelle im Klinikalltag nur sehr unpersönlich ein: „Ich bin nur wie eine Ware … und das äußert sich ganz konkret dadurch, dass die sich als Mensch gar nicht einbringen“ (70). Die Erfahrenen erleben in der Klinik häufig eine Koalitionsbildung zwischen Professionellen und Angehörigen, die ihr Vertrauen in die professionell Tätigen untergräbt. So kritisieren sie bspw., dass Professionelle meistens nur den Angaben von Angehörigen vertrauen oder dass Patienten nach einer Behandlung oft wieder in die für sie eigentlich schädliche Familienstrukturen entlassen würden. Die im Trialog anwesenden Professionellen werden von den Erfahrenen als verhalten, manchmal verschlossen erlebt, „das hat mir hier wirklich gefehlt, dieses wirklich von-sich-sprechen“ (43), was sie sich mit deren Überforderung erklären: „Wahrscheinlich sind da noch sehr viele Ängste verborgen“ (7). Außerdem befürchten die Erfahrenen, dass diejenigen Professionellen, die sich dem Trialog stellen, nicht repräsentativ sind. Sie äußern dabei jedoch die Hoffnung, durch die anwesenden Professionellen indirekt auch die anderen, nicht im Trialog Anwesenden erreichen zu können: „Also wie eine Reihe Dominosteine, wenn überhaupt Profis kommen, ändert sich vielleicht in der ganzen Einstellung des Systems … was“ (74). Im Trialog erwarten die Erfahrenen von Professionellen Offenheit; so schätzen sie es, wenn diese ihre eigene Hilflosigkeit zugeben: „Also so eine Äußerung [der Ratlosigkeit] macht mir dann Mut“ (65). Außerdem wünschen sie sich von den Professionellen im Trialog eine Distanz von ihrer Rolle und „mehr Menschsein“ (FB). Die Erfahrenen schlagen vor, trialogische Elemente in der Ausbildung aller psychiatrischen Professionen zu verankern.

Angehörige über Angehörige Angehörige kommen in den Trialog entweder alleine oder zusammen mit anderen Angehörigen bzw. ihren erkrankten Familienmitgliedern. Mit den Letzteren sprechen sie im Anschluss an den Trialog die jeweiligen Themen der Sitzungen „noch einmal durch, was als Bereicherung erlebt“ wird (FB). So wünschen sich die Angehörigen eine Übersetzung der im Trialog gehörten Erfahrungen in das eigene Umfeld, damit sie nachfolgend im Gespräch „mit den Kindern … einen Konsens“ (5) erreichen können. Den Angehörigen ist es wichtig, im Trialog zu berichten, was sie mit ihren kranken Familienmitgliedern erlebt und erlitten haben.

Angehörige über Erfahrene Manche Angehörige begreifen sich im Trialog als „Stellvertreter“ ihrer kranken Familienmitglieder (FB), manchmal verbunden mit der Idee, wenn diese selbst zum Trialog kämen, sei dies das Anzeichen für einen wesentlichen Schritt der Gesundung. Die Angehörigen fühlen sich im Trialog darin bestätigt, die Beziehung mit ihren kranken Familienmitgliedern auf jeden Fall aufrechtzuerhalten und die Hoffnung nicht zu verlieren, da sie an den anwesenden Erfahrenen ja erlebten, dass eine Gesundung prinzipiell möglich sei: „Die Trialogrunde hat mir … viel gebracht, weil ich viele Betroffene getroffen habe, die mir zeigten, dass eine bestimmte Lebensform möglich ist“ (10).

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Den Angehörigen bleiben im Trialog vorrangig ihre kranken Familienmitglieder im Blick. Sie suchen im Trialog weniger Hilfe für sich selbst, sondern wollen erkunden, was bei anderen Erfahrenen geholfen hat, um es daraufhin auch bei ihren kranken Angehörigen „anwenden“ zu können (45). Sie sind also neugierig auf die Erfahrenen und wünschen sich nicht selten, Vorschläge in Form von Verhaltensmaßregeln oder Tipps zu bekommen, wie sie mit ihren eigenen betroffenen Familienmitgliedern umgehen könnten. So sei es wichtig, „dass Betroffene Einblicke in die Krankheit geben“ und dass sie im Trialog Neues über „die Krankheit und den Umgang mit ihr“ erführen, sowie darüber, wie eine „gute Behandlung aus Sicht von Betroffenen“ aussehen könnte (alle FB). Außerdem befürchten die Angehörigen, dass die Erfahrenen im Trialog eben doch die Gesünderen seien, bspw. „etwas pflegeleichter als mein Sohn“ (31). Einige sehen im Trialog eine Tendenz zur „Verharmlosung“ (FB) oder „Verherrlichung“ von Psychosen (36), wohingegen die eigene Familiengeschichte als vor allem leidbringend erlebt wird. Viele Angehörige fühlen sich bei der Frage, an welcher Stelle sie zu Hause handeln, bzw. eingreifen müssen, durch den Trialog alleingelassen oder missverstanden und folgern daraus, diese Frage für sich oder in Angehörigengruppen lösen zu müssen. Die häufig geäußerte Empfehlung der Erfahrenen an die Angehörigen, „dem eigenen Kind seinen Weg gehen zu lassen“ (8), löst bei den Angehörigen teilweise Entsetzen aus; sicherlich sei Selbstständigkeit wichtig für psychisch Kranke, diese müssten dazu jedoch auch „in der Lage“ sein (55). Schlussendlich fühlen sich die Angehörigen im Trialog von den Erfahrenen stärker anerkannt als üblich: „Das fand ich damals so nett, dass die [eine Erfahrene] sich, stellvertretend für alle Kranken, bei mir bedankte, dass ich mich so für meinen Sohn so aufgeopfert habe“ (76).

Angehörige über Professionelle Ähnlich wie die Erfahrenen haben auch die Angehörigen das Gefühl, dass sich die Professionellen im Trialog zu wenig einbringen: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass es zu wenige Redebeiträge sind“ (24). Dennoch legen sie starken Wert auf die Teilnahme von Professionellen am Trialog, weil diese es ihnen ermöglicht, Fragen zu stellen und ihr Wissen zu erweitern: „Da bekomme ich dann eine Antwort“ (FB). Sie sind irritiert, wenn die Professionellen ihre Fragen nicht beantworten können oder wollen: „Da bin ich manchmal ein wenig erschrocken über diese Unsicherheit … und frage mich, wieweit ist eigentlich die Wissenschaft von diesem Themenkreis noch entfernt?“ (2). Einige Angehörige gehen davon aus, dass sie den Zustand ihrer kranken Familienmitglieder besser als die Professionellen einschätzen können. Kritisiert werden die häufigen Vorschläge aus der Klinik, der eigene Sohn/die eigene Tochter solle von zu Hause ausziehen. Oftmals stünden diese nach der Entlassung dann ganz allein da, sodass sich die Eltern wieder kümmern müssten: „Also mein Sohn kommt aus dem Krankenhaus und war alleine und ist von Welt und Gott alleingelassen. Also das ist das Problem“ (1).

Professionelle über Professionelle Die Professionellen thematisieren häufig die Unterschiede zwischen dem Trialog und ihrer Arbeitsstelle. Sie erleben beide Situationen wie „zwei Welten“ (FB), die schwer miteinander zu vereinbaren seien. Bei ihrer professionellen Tätigkeit erleben sie sich selber als stark bestimmt durch Verantwortung und Handlungsdruck: „Das Alltagsgeschäft ist dann doch noch einmal etwas anderes“ (104). Diese Verantwortung wird als Last erlebt,

die ein eher ruhiges Abwägen oder eine eher zuhörende und abwartende Haltung erschwert: „nach dem Trialog bin ich zur Arbeit gegangen und dachte: Naja, ich bin mit meinen Gedanken gar nicht zu Ende gekommen, weil klar war, dass die Verantwortung jetzt wieder bei uns liegt“ (45). Die Professionellen fragen sich, ob sie im Berufsalltag den Dingen auch mal einen freieren Lauf lassen können: „[im Trialog] genieße ich es, nur zuzuhören“ (FB). Sie zeigen sich verunsichert, wenn sie im Trialog zu Beiträgen angehalten werden, es also nicht auszureichen scheint, wenn sie – wie alle anderen auch – dort nur zuhören oder nur dann etwas beitragen, wenn sie es selber auch wünschen. Darüber hinaus finden es die Professionellen wichtig, dass die Erfahrenen und Angehörigen im Trialog von der Hilflosigkeit der Professionellen in klinischen Situationen erfahren: „Ich kann mir vorstellen, dass das eine gute Erfahrung ist, dass wir eben auch einmal nicht weiter wissen“ (5). Professionelle berichten auch über Veränderungen im Arbeitsalltag durch die Teilnahme am Trialog, bspw., dass sie sich weniger mit Krankheitssymptomen und mehr mit „von Patienten geäußerten Bedürfnissen und Sichtweisen“ auseinandersetzen (FB). Oder: „Es hat mich mutiger gemacht, den Patienten auch zu vertrauen, dass die auch entscheiden können, was gut für sie ist“ (87).

Professionelle über Erfahrene Die Professionellen sind berührt von dem, was die Erfahrenen und Angehörigen im Trialog erzählen: „ich war fasziniert davon … wie offen die darüber reden“ (1). Sie bemerken, wie „eloquent“ sich die Erfahrenen im Trialog mitteilen (30) und fragen sich, ob dieses mit einer bestimmten Selektion der Teilnehmer zu tun hat. Die Professionellen finden insbesondere die kreativen Überlebensstrategien der Erfahrenen beeindruckend: „… dass es auch möglich ist, seine eigenen Wege zu gehen und zu probieren und nicht nur darauf zu warten, dass irgendeinem Kittel etwas einfällt“ (22). Auf besonderes Interesse und Neugier stoßen Berichte der Erfahrenen über die Ausheilung von Psychosen ohne Medikamente. Angesichts der teilweise positiven Bewertung der Psychoseerfahrung durch die Betroffenen geben sie zu bedenken, dass Psychosen vielfach zu erheblichen sozialen Folgen, wie z. B. Arbeitsplatzverlust, führen können: „… für mich so die Tendenz, die Psychose gutzuheißen, wie toll diese Zustände sind“ (24). Professionelle äußern den Wunsch, dass noch mehr Erfahrene zum Trialog kommen, gerade jene, die ersterkrankt sind und einen „eigenen Weg im Umgang mit ihrer Erkrankung“ suchen (FB).

Professionelle über Angehörige Professionelle sehen für die am Trialog teilnehmenden Angehörigen Erkenntnismöglichkeiten durch die Erfahrungsberichte der Betroffenen: „Dann können sie zu Hause noch einmal mit anderen Schritten rangehen oder einfach mehr Kreativität oder Ideenreichtum im Umgang mit ihren Kranken an den Tag legen“ (22). Die Professionellen erkennen die besonderen Anstrengungen an, die die Angehörigen bei der Unterstützung ihrer Familienmitglieder unternehmen: „Das war wirklich beeindruckend … dieses Dabeisein mit der Krankheit“ (8). Sie empfehlen für Angehörige den Besuch von Trialog- oder Angehörigengruppen, um die eigene Isolation und Verzweiflung zu überwinden. Die Professionellen nehmen die im Trialog anwesenden Angehörigen als reflektierter und offener wahr als diejenigen, denen sie im Berufsalltag begegnen: „Hier [im Trialog] fragen sie mehr und von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

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sehen auch mehr ein“ (48). Im Alltag erleben sie seitens der Angehörigen vor allem einen hohen Erwartungsdruck: „Sie haben die Erwartung: Macht doch einmal was“ (66).

Wahrnehmung von innerer oder äußerer Vielstimmigkeit im Trialog Die Erfahrenen betonen die Einzigartigkeit ihrer Erlebnisse und gerade deswegen die Notwendigkeit diese zusammenzutragen: „Also ganz viele verschiedene Geschichten, die auch mich immer wieder in meiner Ansicht festigen, wie individuell das ist und wie wichtig das ist, zusammenzuarbeiten“ (15). Sie möchten über „Einstellungen und Vorstellungen … immer aus verschiedenen Sichtweisen“ (19) voneinander lernen. Die Verschiedenheit des Betroffenseins wird dabei als erleichternd erlebt: „Gott sei Dank, es gibt noch andere“ (12). Gegenüber den Professionellen bietet der Trialog den Erfahrenen die Möglichkeit „die eigene Perspektive zu verdeutlichen, um eine höhere Sensibilität … bei ihnen [den Professionellen] zu bewirken und ihren Handlungsspielraum besser zu verstehen“ (FB). Es gelinge im Trialog ein „Hineinversetzen in die Situation und Position jeder der Gruppierungen“ (FB). Außerdem ist es für die Erfahrenen wichtig, weniger klassifizierend als alltagsorientiert miteinander ins Gespräch zu kommen: „So kann man … darüber sprechen, welche Schwierigkeiten gibt es miteinander, was stört mich, was ist mit mir los und wie kann ich das ändern“ (6). Die Angehörigen beschreiben, wie ihnen die trialogische Auseinandersetzung und insbesondere das Hören von anderen Perspektiven mehr Sicherheit verschafft: „Mir hat es an sich viel gebracht, indem ich höre wie andere damit klarkommen“ (20). Sie profitieren von den unterschiedlichen Erfahrungsbeständen der Betroffenen, die sie gleichzeitig jedoch von denen ihrer eigenen Familienmitglieder abgrenzen: „Jeder hat ein anderes Schicksal“ (8). In Bezug auf die Kategorie „Vielstimmigkeit“ ließ sich keine der Aussagen der professionellen Gruppe decodieren.

Identitätsfindung durch die Teilnahme am Trialog Die Erfahrenen erleben es als heilsam, sich im Trialog mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen; dadurch könnten sie lernen „im Nachhinein das Ganze aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“ (2), um „ein Stück Distanz“ (22) zu gewinnen. Dies stärke das Selbstbewusstsein und verhelfe zu mehr Gesundheit: „Ich habe auch das Gefühl, dass es mir hilft, diese ganze Zeit noch einmal anzusehen und mich noch weiter zu integrieren“ (4). Durch den Trialog schaffen es die Erfahrenen somit sich von früheren Erlebnissen zu lösen und diese Vergangenheit werden zu lassen: „Es ist auch nicht mehr so wie früher, als ich mir dachte, dass ich lieber wegdenken muss“ (2). Die Erfahrenen erleben also die progressive und heilende Kraft des Erzählens: „Ich habe das wirklich als Balsam erlebt. Das hat eine ganz große Wunde, vor allem, was ich im letzten Jahr alles erlebt habe, ein bisschen abgetupft“ (8). Sie sehen den Sinn des Trialogs in einer Pendelbewegung zwischen Abgrenzung und Verständigung zwischen den beteiligten Gruppen und propagieren, dadurch die Rolle als Patient hinter sich lassen zu können: „Ich will nicht mehr psychisch krank sein, ich will das nicht mehr“ (32). Die Professionellen wollen im Trialog ins Gespräch kommen, um dadurch die Unsicherheiten ihrer Rolle offen zu verhandeln. So überlegt ein Professioneller, dass er sich in seiner „Rolle nicht mehr so klar sehen kann, in der Art und Weise wie ich sie bisher ausgeübt habe“ (9). Ein anderer gibt an, dass er sich, bedingt durch die Teilnahme am Trialog, fortan „nicht mehr sofort auf von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

die Krankheitsmomente stürzt, sondern … versucht mit den Leuten noch einmal zu reden“ (1). Durch die Teilnahme am Trialog erleben also auch die Professionellen einen Wandel ihres Selbstverständnisses, und zwar in der Auseinandersetzung von Person, Rollenidentität und Systen. Die Angehörigen trafen keinerlei Aussagen, die im Rahmen der Kategorie der Identitätsfindung eindeutig decodiert werden konnte.

Trialogische Atmosphäre von Offenheit bzw. Begegnung in einem öffentlichen Raum Die Erfahrenen schätzen die Atmosphäre im Trialog von „gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz“ (FB). Ein Erfahrener drückt sich so aus: „Eigentlich dreht sich für mich alles um Verständigung und die Fähigkeit des menschlicheren Umgehens – Augenhöhe, Ernstnehmen des Einzelnen in seinem Erleben“ (FB). Erfahrene halten eine offene Atmosphäre für unabdingbar, um miteinander ins Gespräch zu kommen: „Ganz wichtig für Veränderungen ist auch, dass es in so einem offenen Rahmen stattfindet. Da herrscht eine ausgewogene Atmosphäre. Diese Offenheit muss weitergehen“ (1). Den Trialog erleben sie als 1. Schritt einer solchen Offenheit. In einer Weiterentwicklung erhoffen sie vom Trialog auch eine größere Öffentlichkeit bis hin zu einer beratenden Funktion von politischen Entscheidungsträgern in Fragen der Psychiatrieplanung und -versorgung. So schließt eine Erfahrene den Gedanken an, dass der Trialog, um fortzubestehen, „vielleicht ein bisschen politischer“ (46) werden müsse. Denn die Zeit scheint den Erfahrenen reif für eine „Öffnung für alternative Behandlungskonzepte und ein Aufbrechen der Starre der Psychiatrie“ (alle FB). Die Angehörigen gehen mit der Öffentlichkeit des Trialogs unterschiedlich um. Sie erleben die Erfahrenen häufig als konfrontativ. Einige haben deswegen das Gefühl, dass sie nicht offen über ihre eigenen Erfahrungen sprechen können und fragen sich deshalb, ob dieses in einer Angehörigengruppe nicht doch mehr möglich sei: „… in der Angehörigengruppe sind wir unter uns. Das ist ganz anders, da kann man viel freier sprechen und die Sachen auch so aussprechen, wie wir die sehen“ (4). Ihrer Meinung nach öffnen sich die Erfahrenen im Trialog stärker als in der Behandlungssituation: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass in der Behandlung so eine Offenheit stattfindet“ (29). Sie glauben, dass eine solche Offenheit die teilnehmenden Professionellen erstaunt: „Hier aber war das sehr offen, ich dachte, da haben die Ärzte teilweise richtig große Augen bekommen“ (22). Die Professionellen schätzen den offenen Austausch im Trialog, der deshalb möglich sei, weil es sich dort, im Gegensatz zur Behandlungssituation nicht immer nur „um das Brennende“ (2) drehe. Eine solche Offenheit sei im Trialog vielleicht auch deshalb möglich, weil es dort mehr Zeit zum Sprechen gebe im Vergleich zur Klinik, in der es manchmal lediglich möglich sei, „zwischen Tür und Angel die Leute“ (23) zu befragen. Einige Professionelle sind enttäuscht, wenn sie erfahren, dass Patienten ihnen in der Klinik viele wichtige Dinge vorenthalten: „,Das bespreche ich mit allen, aber nicht mit den Behandlern. Das hat mich sehr erschrocken“ (18). Sie hoffen, dass der Trialog dazu beiträgt, dass sich die Erfahrenen auch in der Klinik mehr öffnen: „Sie müssen verstehen, dass sie uns auch in unserem Alltag vertrauen können“ (118).

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Diskussion !

Unsere Untersuchung macht deutlich, dass der Trialog dem gegenseitigen Austausch dient; dem Austausch unter Gleichgesinnten, in den Aussagen dann oftmals bezogen auf die eigene Teilnehmergruppe, und dem Austausch von unterschiedlichen, teils auch gegensätzlichen oder sich widersprechenden Positionen, sodann von den Untersuchten oft auf die einer anderen Gruppe bezogen. Im Trialog geht es also um Begegnung und darum, miteinander ins Gespräch zu kommen, Erfahrungen auszutauschen und die anderen, jenseits der Behandlungssituation, besser kennenzulernen und zu verstehen. Die von uns untersuchten Erfahrenen scheinen in dieser Begegnung vor allem die Auseinandersetzung mit den Professionellen, aber auch eine offene Aussprache mit den anwesenden Angehörigen zu suchen; die Angehörigen erfahren durch diese Begegnung, dass überhaupt, und auf welche Weise, eine Gesundung ihrer erkrankten Familienmitglieder möglich sein kann; und die befragten Professionellen wollen im Trialog vorwiegend ihre eigene Berufspraxis bzw. ihre professionelle Rolle reflektieren. Dabei betonen unter allen Untersuchten vor allem die Erfahrenen, dass sich der Trialog besonders für den Austausch von voneinander abweichenden Meinungen eignet. Und auch einige Angehörigen erkennen die trialogische Vielstimmigkeit an. Hingegen gab es keine Aussage der Professionellen, die wir in Bezug auf dieses Kriterium decodieren konnten. Ohne diesen Fund überbewerten zu wollen, könnte das daran liegen, dass Vielstimmigkeit in der beruflichen Sozialisation und Praxis traditionell eher nicht anerkannt wird, sondern erst im Rahmen neuerer Behandlungsansätze, wie bspw. dem Open Dialogue, zu einem systematischen Bestandteil gemacht wurde [7]. Vielleicht ist diese möglicherweise fehlende Übung im Umgang mit Vielstimmigkeit auch Grund dafür, dass alle Teilnehmenden vom Trialog die größten Veränderungen bei der professionellen Gruppe erwarten, wobei offen bleibt, ob diese Erwartung im Sinne einer Veränderungsnotwendigkeit, oder im Sinne von Veränderungspotenzialen, aufgefasst werden muss. Die durch den Trialog bewirkten Veränderungen werden dabei nicht nur für die jeweils anwesenden Personen, sondern immer auch – im Sinn einer Generalisierung – für die klinische und außerklinische Behandlungssituation, also das psychiatrische Versorgungssystem insgesamt erhofft. So werden Trialog und Behandlung häufig miteinander abgeglichen oder kontrastiert, wobei, sodann meist für eine jeweils andere Teilnehmergruppe, auch Veränderungen von dieser Gruppe zugehörigen, jedoch am Trialog nicht teilnehmenden Personen erwartet oder teilweise auch ersehnt werden. Der Trialog wird von den Untersuchten demnach als eine Art neues Erfahrungsfeld aufgefasst, der seine Wirkung prinzipiell auch jenseits der konkreten Veranstaltung entfalten und dadurch das Potenzial haben kann, im Gesundheitssystem grundsätzlich Veränderungen zu schaffen. Er wird in seinen Effekten einerseits im Unterschied zur Behandlungssituation, explizit oder implizit, diskutiert, andererseits aber immer auch prinzipiell für eine „neue“ Form der Begegnung, also in grundsätzlicher Ausrichtung auf den klinischen oder außerklinischen Alltag. Alle 3 Teilnehmergruppen sind sich einig, dass ihnen im Trialog im Vergleich zur Behandlungssituation, eine offenere Haltung, mehr Wertschätzung und auch ein größeres Verständnis den jeweils anderen Teilnehmergruppen gegenüber möglich ist. So sind bspw. die Angehörigen erstaunt, dass sie im Trialog anders erlebt werden als sonst, dass ihr Engagement dort gewürdigt und anerkannt wird und dass ihnen Wertschätzung für die Begleitung ihrer psychisch erkrankten Familienmitglieder entge-

gengebracht wird. Dieses könnte dadurch bedingt sein, dass die Teilnehmer im Trialog meistens auf Personen treffen, mit denen sie im Rahmen von Alltags- oder Behandlungssituationen nicht unmittelbar zu tun haben. Diese Personen werden als anders empfunden, was sich darin zeigt, dass alle 3 untersuchten Gruppen die Frage stellen, ob die am Trialog Teilnehmenden wirklich diejenigen repräsentieren, die sie im (Berufs-)Alltag üblicherweise vorfinden: Die Angehörigen tendieren dazu, die Erfahrenen in die „Gesünderen“ im Trialog und die „Kränkeren“ bei sich zu Hause aufzuteilen; umgekehrt fragen sich auch die Erfahrenen, ob die Angehörigen im Trialog die „Besseren“ seien; und auch bei den Professionellen tauchen Zweifel auf, ob die Erfahrenen und Angehörigen im Trialog als repräsentative Vertreter ihrer jeweiligen Gruppen gelten können. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass sich in unserem Trialog grundsätzlich anders geartete Personen eingefunden haben. Die Ergebnisse der quantitativen Untersuchung sprechen auch dagegen: Ein Mittelwert von ca. 9 stationären Aufenthalten deutet eher auf ein schwerer erkranktes Erfahrenenklientel hin, das Schwergewicht von Mitarbeitern der Eingliederungshilfe und Sozialarbeit in der professionellen Gruppe entspricht auch dem anderer Trialogveranstaltungen [8], und auch die im Trialog anwesenden Angehörigen waren mit denjenigen vergleichbar, die wir aus Behandlungssituationen kennen. So scheint vielmehr die trialogische Situation mit ihrem spezifischen Rahmen eine andere zu sein als die der Behandlung, und nicht etwa die Eigenschaften der beteiligten Personen. Denn im Trialog können sich die Teilnehmer unvoreingenommener begegnen, zwar als Repräsentant ihrer jeweiligen Gruppen, aber oftmals ohne eine gemeinsame, persönliche Geschichte, vielfach geprägt durch institutionellen Handlungsdruck oder gegenseitige Zuschreibungen von Schuld oder Verantwortung. Ein „neuer“ Blick aufeinander und ein Verstehen wird dadurch möglich, artikuliert in dem Erstaunen der Untersuchten, dass sich die Vertreter der jeweils anderen Gruppierungen (im Trialog) anders verhielten oder, mehr noch, anders seien, als dies bislang gewohnt war. So wird im Trialog ein produktiver Prozess des Reflektierens in Gang gesetzt, der verfestigte Rollen – man ist fast geneigt, zu sagen: Fronten – infrage stellen kann. Ein wesentlicher Wirkfaktor des Trialogs ist demnach, dass sich die Teilnehmer im Trialog gegenseitig als anders wahrnehmen, wohinter die Möglichkeit aufscheint, dass auch die eigenen Angehörigen, Erfahrenen oder Professionellen vielleicht anders, also identisch mit denen im Trialog, sein könnten. Eng verknüpft damit ist die Frage der Machtverhältnisse innerund außerhalb des Trialogs, die auch in den Aussagen der untersuchten Teilnehmer einen wesentlichen Stellenwert einnahm. So meinen die untersuchten Erfahrenen und Angehörigen in der Regel ärztliches Personal, wenn sie über die Gruppe der Professionellen insgesamt sprachen; dies spiegelt wider, wie sehr sie diese Problematik umtreibt, wobei Macht vorrangig Ärzten zugeschrieben wird. Die Erfahrenen machen an verschiedenen Stellen deutlich, dass sie in ihrem Alltag einen hohen Grad an Willkür und sich selber vielfach als Opfer von Entscheidungen anderer erleben. Demgegenüber wird der Trialog als ein Ort erfahren, an dem die Professionellen im Vergleich zur Behandlungssituation weniger „das Sagen“ haben. Die Betroffenen erleben sich als Gestalter im Trialog. Sie besetzen den Begriff der Psychose und füllen ihn mit subjektiver Erfahrung. Dadurch entziehen sie den Professionellen die Definitionsmacht über diese Begrifflichkeit. Die Professionellen erleben damit einen doppelten Machtverlust: Neben der Sicherheit gebenden institutionellen Macht kommt ihvon Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

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Originalarbeit

Originalarbeit

nen im Trialog auch die Definitionsmacht abhanden. Sie selber erklären ihr gegenüber der Behandlungssituation verändertes Verhalten damit, dass sie im Trialog endlich einmal nicht unter Verantwortungs- oder Handlungsdruck stehen und fühlen sich dadurch befreit. Sie führen das zumindest partiell auf die Bedingungen und Erfordernisse der psychiatrischen Institution zurück. Sie erleben die ihnen im Berufsalltag zugeschriebene Macht häufig als Last und genießen es, sich im Trialog zurückhalten zu dürfen. Andererseits wird gerade diese Zurückhaltung von den teilnehmenden Angehörigen und Erfahrenen kritisiert. Darunter scheint die Frage auf, ob der Wunsch nach einem gleichberechtigten Miteinander bei den nichtprofessionellen Gruppen vielleicht auch ambivalent erlebt wird. Die Professionellen reagieren auf diese Kritik, indem sie feststellen, dass es für die anderen Gruppen wichtig sei, Momente der eigenen Rat-, Hilf- oder Machtlosigkeit anzuerkennen. Das Thema der Macht wird also auch innerhalb des Trialogs verhandelt. Widerstreitende Positionen werden dort ausgesprochen, und zwar offener als in der Behandlungssituation, in der die oft festgeschriebenen Rollenerwartungen und Abhängigkeiten einen solchen Austausch eher erschweren können. Der Trialog hat also auch eine „emanzipatorische“ Funktion, die Beteiligten können dort, befreit von den Kontingenzen der Behandlungsoder Alltagssituationen, zu einer Stimme finden und auch belastende Themen in anderer Weise untereinander verhandeln. Hier fügen sich Aussagen ein, die wir im Ergebnisteil unter der Kategorie „Identitätsfindung“ zusammengefasst haben. Die Erfahrenen erleben den Prozess des Erzählens als heilsam. In einer Ablösung von der Krankenrolle nehmen sie sich innerhalb des Trialogs erzählend als Subjekte wahr, wodurch sie ihre bisherigen Erfahrungen in anderer Weise integrieren können. Und auch die Professionellen nutzen den Trialog dazu, sich mit sich selber auseinanderzusetzen, wobei sie sich vor allem kritisch mit ihrer professionellen Rolle beschäftigen. Nur die Angehörigen gingen in der Befragung nicht auf dieses Thema ein. Das könnte daran liegen, dass ihnen im Trialog vor allem ihre erkrankten Familienmitglieder im Blick sind, sie dort also möglicherweise weniger nach einer Erneuerung ihres eigenen Selbstverständnisses suchen. In diesem Zusammenhang muss auch die Anwesenheit eines prinzipiellen Gegenübers, also die Präsenz einer zuhörenden und antwortenden Person, berücksichtigt werden. So berichten die von uns befragten Erfahrenen, dass vor allem „die anderen Blickwinkel“ dazu geführt hätten, zu Erkenntnissen über sich selber zu kommen. Das heißt durch Differenz entsteht so etwas wie ein Selbst, ein dialogisches Konzept von Identität, dass sich insbesondere auf den Aspekt der Vielstimmigkeit gründet [9]. Ein Gegenüber scheint die Art des Erzählens wesentlich zu beeinflussen, sodass dem grundsätzlich öffentlichen Format von Trialogveranstaltungen eine hohe Bedeutung zukommt. Persönliche Geschichten werden im trialogischen Raum geteilt und damit veröffentlicht, die Offenheit wird zur Öffentlichkeit, und die Erfahrungen können durch diese gegenseitige Anerkennung besser verarbeitet werden. Der öffentliche Raum des Trialogs wird also von allen 3 Teilnehmergruppen besetzt, um den eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen. Er wird zum Raum sprachlicher Symbolisierung [10], der gleichermaßen die Wiederaneignung von gelebter Geschichte als auch die Aushandlung unmittelbar geteilter Gegenwart umspannt. Und mehr noch: Im Trialog erstarken Hoffnungen auf eine bessere Zukunft und darauf, dass Veränderungen denkbar und möglich sind. So wünschten sich vor allem die untersuchten Erfahrenen zukünftig trialogische Ansätze von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

auch innerhalb von versorgungspolitischen Debatten. In diesem Sinne („die Offenheit muss weitergehen“) könnte der Trialog [11, 12] wesentlich zu einer patientenzentrierten Planung und Durchführung von psychiatrischer Versorgung beitragen.

Konsequenzen für Klinik und Praxis

▶ Vom trialogischen Austausch wird ein veränderter Umgang der 3 beteiligten Gruppen in der Alltags- bzw. Behandlungssituation erhofft. ▶ Der Handlungs- und Verantwortungsdruck im klinischen Alltag scheint einen offenen und gleichwertigen Austausch untereinander zu beeinträchtigen. ▶ Auch weiterhin wird die Behandlungssituation von den Psychiatrieerfahrenen als sehr machtvoll erlebt. ▶ Den Prozess des freien und öffentlichen Erzählens erleben die Erfahrenen als heilsam.

Interessenkonflikt !

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Abstract

„This Openness Must Continue“ !

Objective: The aim is to explore the multivariant effects of trialogue groups from the perspectives of the participants. Methods: We combined a questionnaire with focus-groups. Results: Communication in trialogue groups is clearly different from clinical encounters. All three groups cherish and apsire to interest for each other, good will and openness. Daily clinical routine with role prescriptions, power balance and constant pressure to act is experienced as an obstacle. Users and ex-users describe the healing effect of creating a narrative in a public environment. Trialog facilitates a discrete and independent form of communication and acquisition and production of knowledge. Discussion: Trialogue groups seem to be experimental grounds, teaching participants how to develop equal relationships. Their open atmosphere might be caused by less mutual responsibilities or pressure to act. Trialogue groups have the potential to become even more public.

Literatur 1 Bock T, Priebe S. Psychosis seminars: An unconventional approach. Psychiatr Serv 2005; 56: 1441 – 1443 2 Trialog Psychoseseminar. Im Internet: www.trialog-psychoseseminar. de (Stand: 1.9.2013) 3 Bock T et al. Es ist normal verschieden zu sein! Verständnis und Behandlung von Psychosen. Hrsg. von der AG der Psychoseseminare. Bonn: Psychiatrie Verlag; 1997 4 Bombusch J. Trialog in der Wissenschaft – Forschung im Psychoseseminar. 2000: Im Internet: http://www.psychiatrie-bielefeld.de/trialog_ barrierefrei/texte_trialog/trialog_in_der_wissenschaft_sp_3_2000.pdf (Stand: 18.06.2014) 5 von Collani G, Herzberg PY. Eine revidierte Fassung der deutschsprachigen Skala zum Selbstwertgefühl von Rosenberg. Z Diff Diagnostische Psychologie 2003; 24: 3 – 7 6 Strauss A, Corbin J. Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz PVU; 1996 7 Seikkula J, Arnkil T. Dialoge im Netzwerk. Neumünster: Paranus; 2007

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Originalarbeit 11 Amering M, Hofer H, Rath I. The „first Vienna Trialogue“ – experiences with a new form of communication between users, relatives and mental health professionals. In: Lefley H, Johnson D, Hrsg. Family interventions in mental illness: International perspektives. Westport, London: Praeger; 2002: 105 – 124 12 Amering M, Mikus M, Steffen S. Recovery in Austria: mental health trialogue. Int Rev Psychiatry 2012; 24: 11 – 18

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8 Becher A, Zaumseil M. Professionelle im Psychose-Seminar: Erste Forschungsergebnisse. In: Bombosch J, Hansen H, Blume J, Hrsg. Trialog praktisch – Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige und Professionelle gemeinsam auf dem Weg zur demokratischen Psychiatrie. Neumünster: Paranus Verlag; 2003: 87 – 102 9 Bakhtin MM. Problems of Dostoevsky’s poetics. Minneapolis: University of Minnesota Press; 1929/1984 10 Segal H. In: Bott-Spillius F, Hrsg. Melanie Klein heute: Beiträge zur Theorie. Frankfurt: Klett-Cotta; 2002: 202ff

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von Peter S et al. „Diese Offenheit muss … Psychiat Prax 2015; 42: 384–391

["This Openness Must Continue"].

The aim is to explore the multivariant effects of trialogue groups from the perspectives of the participants...
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