PRAXIS
Mini-Review
Praxis 2014; 103 (4): 203-211
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Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, üniversitätsspital Basel Ingo Mecklenburg
Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen Therapy of Inflammatory Bowel Disease
Zusammenfassung Die Inzidenz chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) steigt in der Schweiz stetig an. Das therapeutische Ziel für diese Patienten ist nicht nur eine Symptomfreiheit, sondern die vollständige Erkrankungskontrolle mit Abheilung der mukosalen Entzündung und dauerhaftem Erhalt der Lebensqualität. Durch eine rechtzeitige und bedarfsadaptierte Therapie können in den meisten Fällen strukturelle gastrointestinale Schäden und chirurgische Interventionen vermieden werden. Hierfür ist jedoch eine klinische Risikostratifizierung notwendig, um Patienten mit komplizierten Verläufen und erhöhtem Therapiebedarf frühzeitig zu erkennen. Bei ungünstigen Prognoseparametern muss eine rasche Therapieeskalation vorgenommen werden, wofür eine Vielzahl an immunmodulierenden Substanzen zur Verfügung steht. Die publizierten Praxisleitlinien mehrerer Fachgesellschaften haben in den letzten Jahren einen breiten Konsens für die Therapieauswahl erreichen können, die Therapie ist hierdurch jedoch insgesamt komplexer geworden. Weitreichende klinische Erfahrung und regelmässige klinische Verlaufskontrollen sind weiterhin Voraussetzungen für eine erfolgreiche und nachhaltige Therapie von Patienten mit chronisch-entzündlichen D armerkr ankungen.
© 2014 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Schlüsselwörter: chronisch-entzündliche Darmerkrankungen - Morbus Crobn - Colitis ulcerosa - medikamentöse Therapie
Einleitung In der Schweiz sind etwa 15000 Personen von einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) betroffen, wobei Prävalenz und Inzidenz von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn bisher stetig ansteigen. Knapp die Hälfte der Patienten erfahren einen eher gutartigen Krankheitsverlauf mit abnehmender Symptomatik und nur geringer Behandlungsnotwendigkeit [1]. Bei der Mehrzahl der Patienten treten jedoch chronisch-rezidivierende oder persistierende Krankheitsschübe auf, die einen erheblichen Therapiebedarf mit hohen primären und sekundären Krankheitsaufwendungen - u.a. für Medikamente, Konsultationen und Arbeitsausfälle - zur Folge haben. Die komplizierten Verläufe der CED müssen anhand einer klinischen Risikostratifizierung baldmöglichst identifiziert werden, um durch die frühzeitige Therapieeskalation eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und die Entstehung gastrointestina1er Strukturstörungen (Abszesse, Strikturen, Operationen) zu verhindern [2]. Das Therapieziel ist heutzutage nicht nur die Beseitigung der Symptome, sondern vielmehr die vollständige ErkrankungskontroUe mit Abheilung der Schleimhautschäden (mucosal healing) und histologischer Remission (deep re-
mission). Hierfür sind diverse immunmodulierende Substanzen zugelassen, die eine unterschiedliche Effektivität sowohl in der Induktionstherapie als auch der Remissionserhaltung von CED aufweisen (Tab. 1). Die Beurteilung der verfügbaren Therapieoptionen wird durch den messharen Benefit einer Placebobehandlung erschwert, da hiermit Ansprechraten bis 50% und Remissionsraten von immerhin 15% beschrieben sind. Die Therapieauswahl wird durch detaillierte Leitlinien mehrerer Fachgesellscbaften sowohl zur Colitis ulcerosa [3-6] als auch für den Morbus Crohn [7-9] erleichtert. Dieser Review liefert einen Überblick über die evidenzbasierte und leitlinienkonforme medikamentöse Therapie von CED.
Therapie der Colitis ulcerosa Die Therapie der Colitis ulcerosa richtet sich sowohl nach der Krankheitsausdehnung (Proktitis, Linksseitenkolitis, Pankolitis) als auch der Entzündungsintensität (leicht bis mässiggradig oder schwer) (Abb. 1). Im Artikel verwendete Abkürzungen: CED Chronisch-entzündliche Darmerkrankung CI CRP CU KG MC MRI OR RR TNF-a
95%-Konfidenzintervall C-reaktives Protein Colitis ulcerosa Körpergewicht Morbus Crohn Magnet Resonanz Imaging Odds Ratio Relatives Risiko Tumor Nekrose Faktor-alpha DOI 10.1024/1661-8157/a001561
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Tab. 1: Medikamentöse Therapieoptionen bei CED Medikation
Präparat (Auswahl)
Dosierung
Anwendungsinformation
Asacol®
400 oder 800 mg Filmtabletten
3xtäglich vor den Mahlzeiten
2 oder 4 g Schaum oder Susp.
Rektale Applikation abends
Pentasa®
1 oder 2 g Granulat
Bis 4g in 2-4 Einzeldosen
5-Aminosalicylsäure Mesalazin
Salofalk®
250 oder 500 mg Filmtabletten
3xtäglich vor den Mahlzeiten
1,5 oder 3 g Granulat
1,5-3 g als Einzeldosis unzerkaut
0,5 oderlgSupp.
3x0,5 g oder 1x1 g abends
2 oder 4g Klysmen
Rektale Applikation von 2-4g, abends
I g Rektalschaum
Rektale Applikation von zwei Hüben (=2 g), abends
Budenofalk® Entocort®
3x3 mg oder 1x9 mg Tabletten
• Wirkt als Induktionstherapie im lleocoekalbereich • Keine Dauertherapie
Budenofalk®
2 g Rektalschaum
• Nur bei Colitis ulcerosa • Rektale Applikation morgens oder abends
Prednison
Diverse
0,5-1,0 mg/kg/d p.o./i.v. als Induktion
Prednisolon
Spiricort®
0,5-1,0 mg/kg/d p.o./i.v. als Induktion
Methylprednisolon
Solu-Medrol®
48 mg/d p.o./i.v. als Induktion
Hydrokortison
Solu-Cortef®
200-400 mg/d i.v. als Induktion
Azathioprin
Azarek® Imurek®
2,0-2,5 mg/kg/d p.o.
• Wirkungslatenz 3-6 Monate • Keine Wirksamkeit als Induktionstherapie • Aufdosierung unter Blutbildkontrolle
6-Mercaptopurin
Puri-Nethol®
1-1,5 mg/kg/d p.o.
Bei Azathioprin-Unverträglichkelt (nicht bei Pankreatitis!)
Methotrexat
Diverse
25mgs.c.lx/Woche nach drei Monaten ggf. Dosisreduktion auf 15 mg/Woche möglich
• • • •
Tacrolimus
Prograf®
0,01-0,05 mg/kgKG i.v. in 24 h, dann 0,1-0,2 mg/kgKG p.o.
Cidosporin
Sandimmun®
2 mg/kgKG i.V.
Lokale Kortikosteroide Budesonid
Systemische Kortikosteroide Ausschleichen innerhalb von sechs Wochen Keine Dauer- oder Erhaltungstherapie!
Thiopurine
Sonstige Immunsuppressiva +5 mg Folsäure p.o. zwei Tage nach Injektion Off-Iabel use bei MC, keine Wirksamkeit bei CU Nur geringe Wirksamkeit als Induktionstherapie Empfängnisverhütung obligat!
Oralisierung nach Talspiegel (Ziel: 10-15 ng/ml) Induktion mit engmaschiger Verlaufskontrolle
TNF-a-lnhibitoren: Infliximab
Remicade®
Induktion; 5 mg/kg i.v. in Woche 0,2,6 Remissionserhaltung: 5 mg/kg i.v. alle 8 Wochen
Infektion (inkl.Tbc, Abszesse) ausschliessen Kombination mit Azathioprin verbessert Ansprechen und Remissionsrate
Adalimumab
Humira®
Induktion; 160 ms s.c. in Woche 1. dann 80 mg in Woche 2 Remissionserhaltung: 40 mg s.c. alle 2 Wochen
Infektion (inkl.Tbc, Abszesse) ausschüessen Ansprechen auch nach Infliximab-Resistenz möglich
Certolizumab
Cimzia®
Induktion; 400 mg s.c. in Woche 0,2,4 Remissionserhaltung: 200 mg alle 2 Wochen für 6 Monate, dann ReFvaluation
Zulassung bei Morbus Crohn nur in USA und CH Ansprechen nur wenn CRP>5-10 mg/l [35]
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Colitis ulcerosa
I
Leichte bis massige
Entzündungsaktivität
í.
Proktitis / Proktosigmoiditis Mesalazin (1-4 g rektal) Klysmen, Schaum, Supp.
1.
Colitis/ Linksseitenkolitis Mesalazin (1,5-4,5 g oral)
oder: Budesonid
Remissionserhaltung
2 nng Schaum
r
Hohe Entzündungsaktivität Induktionstherapie
Systemische Steroide
(0,5-1 mg/kgKG/d) Ciciosporin
(2 mg/kgKG/d i.v.) Azathioprin (2,5 mg/kgKG) oder 6-Mercaptopurin (1,5 mg/kgKG)
—I
TNF-a-lnhibitoren Infliximab 5-10 mg/kg i.v. Adalimumab 40 mg s.c.
Proktokolektomie
6 blutige Durchfälle/24 h • Fieber >37,5°C • Tachykardie >90/min • Anämie 30 mm/h
pression mit Ciclosporin, Infliximab oder Tacrolimus unter engmaschiger klinischer Kontrolle eingeleitet werden, wobei auch die interdisziplinäre Diskussion einer Proktokolektomie kurzfristig erfolgen soUte. Mittelfristig kann nur bei einer Minderheit dieser Patienten das Kolon dauerhaft erhalten werden [18]. Thiopurine Nach schweren oder wiederholten Erkrankungsschüben (i.e. >lx/Jahr) ist nach Induktion eine Erhaltungstherapie
lleocoekalbefall c O -o c
M. Crohn
T
Leichte bis massige
Entzündungsaktivität
Budesonid
1
(9 mg/d)
* bei +Risikokriterien
cu c o \n
Alternativ können TNF-a-Inhibitoren verabreicht werden, die im Vergleich zu Thiopurinen ein deutlich schnelleres
Leichte bis massige
EntzündunRsaktivität
Systemische Steroide
(1 mg/kgKG)
Q.
3
tu
Biologika
+ Azathioprin (2,5 mg/kgKG) oder 6-IVIercaptopurin (1,5 mg/kgKG)
* C
sikopatienten identifizieren, ersetzt aber nicht die notwendigen BlutbildkontroUen und ist zur Therapiesteuerung unsicher, da Thiopurine auch eine Induktion dieses Enzymes bewirken können. Die Messung des aktiven Metaboliten 6-Thioguanin korrelierte in einzelnen Studien mit der therapeutischen Wirksamkeit und Toxizität von Thiopurinen, die hohe Variabilität der Analytik sowie widersprüchliche Daten aus bisher nur begrenzten Kollektiven haben eine Etablierung dieses Monitorings bisher jedoch verhindert. Als pragmatisches Vorgehen ist eine langsame Aufdosierung der Thiopurine unter zunächst wöchentlicher Laborkontrolle mit vertretbarem Risiko möglich.
Crohn-Kolitis oder multifokaler Befall
Hohe Entzündungsaktivität
Re-Evaluation!
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oder Methotrexat (25 mg i.m /s.c./Woche)
Q.
Si
TNF-a-Inhibitoren Infliximab 5-10 mg/kgKG i.v. alle 8 Wochen Adalimumab 40 mg s.c. alle 2 Wochen
£
cu cu
Abb. 2: Behandlungsalgorithmus Morbus Crohn (adaptiert nach [7-9]).
ggf. chirurgische Resektion
o T3 Q.
,0
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klinisches Ansprechen ermöglichen und insbesondere bei schweren Krankheitsschüben auch in der Induktionstherapie wirksam sind (RR 0,72; CI: 0,57-0,91) [21]. Sowohl Infliximab als auch Adalimumab sind für die Behandlung der Colitis ulcerosa in der Schweiz zugelassen und sollten insbesondere bei komplizierten oder schweren Erkrankungsverläufen frühzeitig eingesetzt werden. Allerdings liegt die langfristige Remissionsrate bei diesen Patienten bei lediglich 35% nach einem Jahr [22], weshalb hier auch in Zukunft ein Bedarf an neuen Therapieoptionen besteht. Eine Leukozyten-Apharese (Adacolumn®) hat sich aufgrund von limitierter Wirksamkeit diesbezüglich nicht durchsetzen können.
Therapie des Morbus Crohn Vor Einleitung einer Therapie muss beim Morbus Crohn ein Staging mit genauer Betrachtung möglicher Entzündungslokalisationen inklusive extraintestinaler Manifestationen (Dermatitis, Arthritis, Uveitis etc.) erfolgen. Neben einer Koloskopie und einer Dünndarmbildgebung (z.B. mittels Hydro-MRI) gehört hierzu auch eine Ösophagogastroduodenoskopie, da eine Affektion des oberen Castrointestinaltraktes einen komplizierten Verlauf nahelegt und die Therapieauswahl einschränkt. Anhand weiterer Risikofaktoren (Tab. 3) [23] kann die Prognose des Patienten eingeschätzt werden und gegebenenfalls bereits frühzeitig eine Therapieeskalation (als early step up- oder top dowM-Strategie) vorgenommen werden (Abb. 2). Tab. 3: Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf des Morbus Crohn (nach [23]) • Langstreckige Entzündung • Alter 5-10 mg/1) ein nachweisbares Ansprechen [35]. Im Vergleich zum Therapieansprechen ist die notwendige Dauer der immunsuppressiven Behandlung weniger gut untersucht. Die Beendigung einer TNE-a-Inhibition nach mindestens sechsmonatiger steroidfreier Remission führt bei 44% der Patienten zu einem erneuten Krankheitsschub innerhalb eines Jahres [36]. Ein Therapieende erfordert demnach eine gewissenhafte Risikoabwägung und kommt nur für symptomfreie Patienten mit dokumentierter Mukosaheilung über ein bis zwei Jahre (z.B. negatives CRP im Serum und Calprotectin im Stuhl, entzündungsfreie Histologie) in Erage [37].
Potenzielle Nebenwirkungen der immunmodulierenden Therapie Vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie ist grundsätzlich der Ausschluss infektiöser Differenzialdiagnosen (infektiöse Enteritis, Clostridien assoziierte Colitis etc.) erforderlich. Abszesse müssen zuvor therapiert oder
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Tab. 4 : Checkliste für die Durchführung einer TNF-a-lnhibition (nach [33]) • Kein Nachweis von Abszessen • CMV-Colitis ausgeschlossen (bei therapierefraktären Fällen) • Stuhl auf Cd/gf/d/e negativ • Höhergradige Herzinsuffizienz (NYHA Stadium III-IV) ausgeschlossen • Keine unkontroNierte HIV- oder Hepatitis-B-Infektion • Latente Tuberkulose mittels Interferon-Y-Re!ease Assays (OuantiFERON-TB®,T-SPOT®) ausgeschlossen • Aktive Immunisierung gegen Hepatitis A und B, Pneumokokken, Influenza; ggf gegen HPV bei Frauen s disease on antimetabolite
tenance of clinical response and remission in patients w i t h Crohn's
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Statement of the World Congress of Gastroenterology on Biological
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