Leitthema HNO 2015 · 63:283–290 DOI 10.1007/s00106-014-2972-8 Online publiziert: 10. April 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

G. Hesse Tinnitus-Klinik am Krankenhaus Bad Arolsen, Universität Witten-Herdecke, Bad Arolsen

Neueste Behandlungsansätze bei chronischem Tinnitus In der Behandlung des Tinnitus, zumal des chronischen, ist nach wie vor davon auszugehen, dass eine kurative, den Tinnitus komplett beseitigende Therapie nicht zur Verfügung steht. Gleichwohl gibt es heutzutage eine Reihe von Therapieansätzen, die sehr wohl geeignet sind, insbesondere das Leiden am Tinnitus zu lindern oder gänzlich zu beseitigen, den Umgang mit dem Ohrgeräusch deutlich zu verbessern und damit auch vor allen Dingen wieder gute Lebens- und Hörqualität zu erlangen.

Hintergrund Bezüglich der Tinnitusgenese haben sich in den letzten Jahren durch wissenschaftliche Untersuchungen, sowohl durch Tierversuche als auch Untersuchungen an Patienten, wesentliche neue Erkenntnisse herauskristallisiert. Besonders die immer differenziertere Betrachtung der zentralen Hörverarbeitung hat neue Möglichkeiten für die Therapie offengelegt. Nach wie vor ist für die Behandlung wesentlich, wie lange das Ohrgeräusch schon besteht. Denn in der wirklich akuten Phase, d. h. wenn ein Ohrgeräusch erstmalig auftritt, ist es durchaus sehr wahrscheinlich, dass dieses auch wieder komplett verschwindet, sei es als Spontanheilung oder durch gezielte therapeutische, in der Regel medikamentöse Maßnahmen [1].

Erkrankungsformen Akuter Tinnitus Ein plötzlich auftretendes Ohrgeräusch geht in der übergroßen Mehrheit der Fälle einher mit einem ebenfalls plötzlich auftretenden Hörverlust, dem sog. Hörsturz. Unter Umständen wird der konkrete Hörverlust subjektiv kaum bemerkt, er lässt sich jedoch in der Hörprüfung erfassen. Häufig ist das Ohrgeräusch auch bei einer plötzlichen Hörminderung ein Begleitsymptom, das erst etwas später bemerkt wird, typischerweise wenn der Hörverlust sich spontan oder durch die Therapie etwas gebessert hat. Deshalb wird ein akut auftretender Tinnitus als Hörsturzäquivalent betrachtet und dann auch entsprechend behandelt. Hierzu hat die „Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie“, die 2014 aktualisiert wurde [2], festgestellt, dass die Akutbehandlung in einer systemischen hochdosierten Kortisontherapie erfolgen sollte [3, 4], entweder als eine Kurzinfusion oder als orale Medikation [5]. Alternativ bzw. als „Reservetherapie“ steht auch eine intratympanale Steroidbehandlung zur Verfügung [6, 7, 8, 9, 10]. In der Leitlinie werden andere medikamentöse Therapieansätze nicht mehr empfohlen, da, während für die hochdosierte Kortisontherapie wenigstens eine gewisse Evidenz besteht [11], für Rheologika und sog. Durchblutungsmittel [12] wie auch für Ginkgo [13] keinerlei Evidenz vorliegt.

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Ein akut auftretender Tinnitus wird als Hörsturzäquivalent betrachtet Begleitend sollte diese Behandlung mit einer guten und aufklärenden Beratung einhergehen und evtl. den Patienten auch psychologisch unterstützen [14]. Voraussetzung ist natürlich hier eine schnelle und sorgfältige audiologische Diagnostik, verzichtet werden sollte jedoch auf Hörtests mit hohen Lautstärkepegeln wie z. B. in der Hirnstammaudiometrie (BERA), bei der Stapediusreflexmessung oder auch in der Magnetresonanztomographie [2]. In den sehr seltenen Fällen, in denen ein Tinnitus akut auftritt und gänzlich ohne Hörverlust einhergeht, ist eine medikamentöse Therapie sicherlich verzichtbar. Voraussetzung ist hier eine gründliche und adäquate audiometrische Diagnostik inkl. der Ableitung von Distorsionsprodukten otoakustischer Emissionen, um eben auch diskrete Haarzellschäden auszuschließen [15]. Diese Tinnitusformen sind in der Regel eher als zentrale Überreizungsformen zu werten, sie sollten dennoch ebenfalls umgehend behandelt werden. Allerdings besteht die Behandlung hier eher in einem individuellen Aufklärungsgespräch, vor allem aber in der psychologischen Unterstützung und der Vermittlung von Entspannungstechniken. Gegebenenfalls könnten hier auch Sedativa oder Anxiolytika verordnet werden, wobei aber immer bedacht werden muss, dass viele dieser Medikamente HNO 4 · 2015 

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Leitthema ein starkes Abhängigkeitspotenzial haben [16]. Besser ist sicher eine antidepressive Medikation mit modernen Antidepressiva, wie etwa den Serotonin-Reuptake-Inhibitoren [17]. An dieser Stelle muss betont werden, dass die häufig einem akuten Tinnitus gleichgesetzte Verschlechterung oder Exazerbation eines Tinnitus nicht wie ein akuter Tinnitus zu behandeln ist, weil eben der Tinnitus schon vorbesteht und nur durch Wahrnehmungs- und Hinwendungsreaktionen zu einer stärkeren Wahrnehmung und damit zu einer verstärkten Lautheit führt. In diesen Fällen ist eine medikamentöse Therapie sicherlich ebenfalls nicht indiziert [18].

Chronischer Tinnitus Bei einem chronischen, d. h. länger als 3 Monate bestehenden Tinnitus, sei er einseitig oder beidseitig, hochfrequent oder tieffrequent, besteht das therapeutische Dilemma, dass eine wirklich kurative Therapie nicht zur Verfügung steht. Gleichwohl suchen sowohl Ärzte und Therapeuten als auch natürlich die Patienten selbst ständig nach diesem „verlorenen Schalter“, sie wollen alles tun, um den Tinnitus komplett abschalten zu können. In diesem Zusammenhang ist es aber weit wichtiger zu erkennen, wie und warum das Ohrgeräusch zu einem Störfaktor wird bzw. wie sich daraus ein Leiden am Tinnitus entwickelt. Viele Menschen haben ein permanentes Ohrgeräusch, nehmen dies jedoch kaum wahr und fühlen sich davon in der Regel kaum gestört [19]. Erst wenn das Ohrgeräusch einen eigenen Bewertungszyklus erreicht und quasi in einem Circulus vitiosus durch immer neue Hinwendungsreaktionen verstärkt wird, entwickeln sich das damit verbundene Leiden am Tinnitus und häufig auch eine psychosomatische Komorbidität [20]. Auch wenn das Ohrgeräusch primär fast immer in den Haarzellen des Innenohrs, insbesondere den äußeren Haarzellen, nach einer akuten Schädigung entsteht, so ist doch die weitere Verarbeitung der zentralen Hörverarbeitung sowie die Verquickung und Vernetzung mit anderen Hirnarealen der entscheidende Faktor, der dazu führt, dass der Tin-

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nitus einen eigenen Krankheitswert bekommt. Die zentrale Hörbahn muss dabei einerseits als reine auditive Sinneswahrnehmung gesehen werden – mit der Tonotopie, die sich in der gesamten Hörbahn und auch im auditorischen Kortex findet. Sie ist aber andererseits auch eine vernetzte Hörbahn – als Teil der Sinneswahrnehmung „Hören“ und damit gekoppelt an Gefühle, Bewertungen und Einschätzungen [21].

Ätiologie Stress gilt als Auslöser von Tinnitus und Hörverlust. Stressreaktionen, insbesondere negative Belastungen, führen zu deutlichen Hinwendungsreaktionen und können auch eine starke Bewertung von Ohrgeräuschen hervorrufen. In der Regel sind dies eher Distressreaktionen und weniger positiv empfundene Belastungen. Auch bei der Betrachtung von Stressreaktionen muss jedoch unterschieden werden, ob die Hörbahn isoliert oder wiederum als vernetzte Sinneswahrnehmung betrachtet wird. Bezüglich der Stressreaktion in der Hörbahn wird oft unterschätzt, dass der Hauptstressfaktor für derartige Veränderungen der zentralen Hörbahn der Hörverlust an sich ist. Denn wenn eine Hörminderung besteht, so löst diese eine Vielzahl von Folgeerscheinungen sowohl auditiver als auch emotional-psychischer Art aus. Dies entsteht dadurch, dass eine vorher intakte Hörbahn mit eingehenden intakten und gut funktionierenden auditiven Signalen in der Hörbahn zu einem bestimmten Verarbeitungsmuster führt, was das akustische Gedächtnis prägt und gleichzeitig die Hörbahn in die Lage versetzt, störende Außengeräusche als unbedeutend einstufen zu können [22]. Ist jedoch die Signalverarbeitung im Innenohr gestört, gehen also bestimmte Frequenzen nicht mehr in der gewohnten Intensität in die Hörbahn ein und damit insbesondere nicht in den Kortex, so versucht der Kortex mit bewussten oder unbewussten Aktionen diesen Verlust zu kompensieren [23]. Dies ist umso ausgeprägter, wenn ein Hörverlust plötzlich auftritt, etwa nach einem Lärmschaden oder nach einer plötzlichen Hörminderung wie dem idiopathischen Hörsturz.

Bei der sehr großen Zahl hörgeschädigter Menschen aller Altersgruppen, mit gleichzeitiger statistisch deutlicher Verschlechterung zu höheren Altersgruppen hin [24], ist es nicht verwunderlich, dass auch die Anzahl von Patienten mit Ohrgeräuschen mit zunehmendem Alter häufiger werden [25].

Pathogenese Stressreaktionen der Cochlea und des Kortex werden im Folgenden dargestellt. Ein akut auftretender Hörverlust führt in der Cochlea zu einer erhöhten Kortisolausschüttung. Durch gleichzeitigen Sauerstoffmangel kommt es zum Absterben von Haarzellen wie auch zu einer verstärkten Glutamatausschüttung. Dadurch wird verstärkt Kalzium frei gesetzt, dies wiederum kann die Synapsen zwischen den inneren Haarzellen und dem Ganglion spirale zerstören [26]. Aber auch im Kortex entstehen bei Hörverlust direkte Stressreaktionen, die in einem relativ schnell einsetzenden Prozess die tonotope Karte des primären auditorischen Kortex reorganisieren [27]. Gleichzeitig werden die sog. Eckfrequenzen, die den Frequenzen des Hörverlusts benachbart sind, gesteigert [28]. Ebenfalls kommt es zu einer „Herunterregulierung“ der kortikalen Inhibition, was wiederum die Entstehung sog. maladaptiver Muster [29] wie Tinnitus, Dysakusis und Hyperakusis begünstigt. Aus Versuchen von Eggermont [27], die dieser an Katzen durchgeführt hat, ist bekannt, dass es bereits kurze Zeit nach einem cochleären Trauma, etwa durch Lärm, sowohl zu einem Haarzellverlust als auch zu einem Verlust an Hirnstammpotenzialen für die hohen Frequenzen kommt.

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Akustische Stimulation wirkt der Reorganisation nach Hörschädigung entgegen Dieser Prozess wird jedoch rückgängig gemacht, wenn die Tiere relativ schnell wieder mit hohen Frequenzen beschallt werden. Dann bleibt zwar die cochleäre Schädigung bestehen, die Reorganisation der tonotopen Karte findet jedoch

Zusammenfassung · Abstract nicht in dem Maße statt wie in dem Fall, in dem die Tiere nicht stimuliert wurden [30]. Dies heißt, dass als Folge von Hörschädigungen, insbesondere von akuten Hörminderungen, eine Reorganisation der kortikalen Tonotopie, eine erhöhte Spontanaktivität und eine erhöhte neurale Synchronisation entstehen. Wichtig ist jedoch, dass eine akustische Stimulation dem entgegenwirkt.

Behandlungsansätze Beeinflussung der zentralen Hörbahn und der Hörrinde Heute kann man davon ausgehen, dass Tinnitus fast immer eine Folge oder ein Symptom einer gestörten Hörwahrnehmung ist und auf auditorischen Defiziten (Hörverlust) basiert. Gleichzeitig entscheidet sich die Lautheit und vor allem auch die Belastung, die durch den Tinnitus entsteht, durch die Vernetzung und kortikale Plastizität, durch konkrete Wahrnehmungs- und Hinwendungsreaktionen. In einer Vielzahl von Studien konnten diese Vernetzungen und Anregungsformen und -zonen nachgewiesen werden. In bildgebenden Verfahren wurden etwa in einer funktionellen Magnetresonanztomographie 105 Personen, 42 ohne und 63 mit Tinnitus, untersucht: Die Untersucher fanden hier eine Vergrößerung des Corpus callosum bei Tinnituspatienten, d. h. der Verbindung der auditorischen Anteile der linken und rechten Hemisphäre. Diese sprachen für eine verstärkte Exzitation [31]. Bei einer anderen Studie wurden mittels Positronenemission stomographie(PET)-Scan-Metaanalyse 10 Studien erfasst, in denen insgesamt 56 Foci gefunden wurden, d. h. in die Aktivierung bei Tinnitus sind insgesamt, allerdings bei unterschiedlichen Patienten, 14 Regionen einbezogen: Neben dem primären und sekundären auditorischen Kortex auch die Temporalwindungen, der Parahippocampus, das Corpus geniculatum, der Praecuneus, das Cingulum, das Claustrum und die Gyri angulares des Temporallappens [32]. Somit kann in bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, dass es besondere Anregungszonen bei Tinnituspatienten gibt. Diese sind aber keineswegs einheitlich und lassen noch keine klaren

Muster erkennen, welche Veränderungen direkt den Tinnitus hervorrufen, insbesondere aber ob diese überhaupt durch den Tinnitus oder mehr durch den Hörverlust hervorgerufen werden. Gleiches gilt auch für die zahlreichen EEG-Studien zur „Konnektivität“. Bei diesen Studien wurden EEG-Veränderungen dokumentiert im Vergleich Normalhörender zu Tinnituspatienten. Allerdings wurde hier der Hörverlust oft sogar beschrieben, die Veränderung aber meistens allein dem Tinnitus zugeschrieben. Hinzu kommt, dass sowohl für die EEGAbleitung als auch für die nachfolgende Berechnung die Elektrodenplatzierung wichtig ist und diese keineswegs immer einheitlich durchgeführt wird. So kommt es dann dazu, dass in einigen Studien, beispielsweise in einer Arbeit aus Nottingham erhöhte δ-Aktivitäten im EEG beschrieben wurden, d. h. eine erhöhte Aktivität der langsamen Wellen bei Tinnitus und Hörverlust, während die γ-Aktivität nicht besonders verändert erschien [33]. Dagegen wurden in den vielen Studien der Antwerpener Arbeitsgruppe aus Psychiatrie und Neurochirurgie vielfältigste Veränderungen bei Tinnituspatienten und auch im Tierversuch entdeckt, wiederum wurde hier der Hörverlust nicht mit einbezogen. Gesehen wurde zumeist eine Erhöhung der γ-Aktivität im EEG von Tinnituspatienten, also der schnellen Wellen ([34]; . Abb. 1). In einem etwas mechanistischen Verständnis wurde dann ausgeführt, dass die Quellenlokalisation, die im EEG zu beobachten war, demonstriere, dass sowohl auditorische als auch nichtauditorische Hirnareale involviert seien. Daraus folgerten die Autoren dann aber, der Tinnitus werde durch EEG-Veränderungen verursacht. Bildlich dargestellt wurden in dieser Studie die vielfältigen Anregungszonen, die durch EEGVeränderungen dokumentiert wurden. Auch hier gilt also wieder, dass es sicherlich Veränderungen gibt, die sowohl dem Tinnitus als auch dem Hörverlust zuzuordnen sind. Diese Veränderungen, seien sie in bildgebenden Verfahren erfasst oder durch EEG-Veränderungen dokumentiert, sind jedoch vielfältig und weisen keineswegs auf eine bestimmte Region oder bestimmte Wellenaktivität hin.

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Neueste Behandlungsansätze bei chronischem Tinnitus Zusammenfassung Obwohl Tinnitus zumeist durch Schädigung der Haarzellen des Innenohrs primär peripher generiert wird, entstehen Belastung und Leiden erst durch die zentrale Verarbeitung und Vernetzung bei zerebraler Plastizität. Neuere Therapieansätze versuchen daher, diese Strukturen zu beeinflussen, sei es direkt durch magnetische Bestrahlung oder direkte und indirekte elektrische Stimulation. Auch akustische Stimulationen sind vorgestellt worden, mit Tönen oder veränderter Musik, sie müssen aber den oft bestehenden Hörverlust in die Rehabilitation einbeziehen. Wirksame Habituationstherapien arbeiten mit Hörtherapie, einem Ausgleich des Hörverlusts durch Hörgeräte und psychischer Stabilisierung. In der vorliegenden Übersicht werden die verschiedenen Therapieansätze vorgestellt. Schlüsselwörter Tinnitus · Innenohr · Hörverlust ·   Neuromodulation · Hörtherapie

Newest therapeutic approaches for chronic tinnitus Abstract In the majority of cases, tinnitus derives primarily peripherally, from damage to hair cells in the inner ear; suffering and annoyance, however, are caused by central cortical processing and functional networks of cerebral plasticity. Therefore, new therapeutic approaches aim to influence these structures; whether it be directly by magnetic radiation, or via direct or indirect electrical stimulation. However, these methods can only be efficient if they can integrate and rehabilitate the existing hearing loss. Effective habituation therapies consist of hearing therapy, rehabilitation of hearing loss by hearing aids and psychosomatic stabilisation. In this review, different therapeutic approaches are described and valuated. Keywords Tinnitus · Inner ear · Hearing loss ·   Neuromodulation · Hearing therapy

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supplementär-motorisches Areal dorsolateraler präfrontaler Kortex auditorischer Kortex orbitofrontaler Kortex

Insula

supplementär-motorisches Areal dorsales anteriores Cingulum Praecuneus posteriores Cingulum orbitofrontaler Kortex

Parahippocampus

subgenuales anteriores Cingulum

Abb. 1 8 Verschiedene Anregungszonen im EEG bei Patienten mit chronischem Tinnitus. (Aus: [34], mit freundl. Genehmigung des Elsevier-Verlags) Counter & Borg Aktiv Lc, peak Placebo Lc, peak

130 120

120 rTMS-Lautstärkepegel (Lc,peak) (dB (A))

rTMS-Lautstärkepegel (LAeq, Lc,peak) (dB (A))

140

110 100 90 80 70

Aktiv LAeq Placebo LAeq

Placebospule, 40 % des MPO

110

100

90 20

a

40 60 80 Anteil an MPO (%)

100

b

Abb. 2 8 Lautstärkepegel bei rTMS-Behandlung und der Bestrahlung mit einer Sham-Spule. LAeq äquivalenter Dauerschallpegel (dBA), „equivalent continuous sound level“, LC, peak Spitzenschalldruck, „peak level“ (dBC), MPO maximale Ausgangsleistung, „maximum power output“ (Mod. nach [41])

Wirtschaftliche Aspekte Da sowohl Ärzte als auch besonders Patienten immer nach dem „Schalter“ suchen, der den Tinnitus abschaltet, ist hier leider in den letzten Jahren auch ein sehr lukrativer Markt entstanden. Studien aus den USA verdeutlichen dies: So wurden 2012 in einer Arbeit von Tyler 197 Patienten befragt [35]. Von diesen wollten 19% sich ein Implantat einpflanzen lassen, um den Tinnitus ganz zu verlieren, 13% im-

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merhin, wenn der Tinnitus dadurch nur halb so laut wäre. Die Patienten würden bis zu 5000 US-$ ausgeben, 20% der Patienten sogar mehr als 25.000 US-$, um dieses Ziel zu erreichen. In einer Folgestudie [36] wurden 439 Patienten erneut befragt, davon hatten 40% bereits 500 US-$ bis sogar 10.000 US$ ausgegeben, wenn auch mit sehr mäßigem Erfolg. Diese gesundheitsökonomische Tatsache muss in Betracht gezogen werden, wenn die vielfältigen Thera-

pieverfahren, die quasi wellenartig auf den „Markt schwappen“, betrachtet werden.

Neuromodulation Unter dem Stichwort „Neuromodulation“ als aktuellstem Therapieansatz werden Verfahren zusammengefasst, die versuchen, den auditorischen Kortex oder Hirnregionen gezielt so zu beeinflussen, dass der Tinnitus nicht mehr oder zumindest leiser wahrgenommen wird. Plewnia hat 2011 [37] eine Übersicht zu verschiedenen Verfahren der Neuromodulation vorgestellt: zum einen die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) mit verschiedenen Pulsen, Stimulationsarten und Projektionsfeldern, weiter die transkranielle Elektrostimulation oder sogar eine direkte kortikale Elektrodenimplantation. Plewnia führt hierzu aus, dass zur Zeit nur geringe klinische Relevanz mit durchaus sehr kleinen Fallzahlen für diese Verfahren bestehe, in der Regel seien diese Studien auch methodisch nicht sauber und nicht placebokontrolliert, weiter bestehen keine ausreichend langen Nachbeobachtungszeiten.

Repetitive transkranielle Magnetstimulation Zu diesen Verfahren sind in Deutschland zahlreiche Studien vorgestellt worden, insbesondere aus der Regensburger Psychiatrie: So wurde bei 192 Patienten eine signifikante Belastungsverringerung im Tinnitus-Fragebogen direkt nach der Behandlung mit den starken Magneten gefunden, allerdings war der Gesamteffekt dann doch nicht besser als eine Placebobestrahlung [38]. In einer anderen Studie [39] reagierten von 235 Patienten 21,3% positiv. Diese Reaktion blieb 2–4 Jahre stabil, wurde dann allerdings auch wieder schlechter. Dagegen hat die Arbeitsgruppe aus Tübingen [40] festgestellt, dass bei 48 Patienten, die 4 Wochen mit rTMS behandelt wurden, nur eine geringe Verbesserung bestand, diese aber genauso stark ausgeprägt war wie bei einer Placebobestrahlung.

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Die repetitive transkranielle Magnetstimulation geht mit einer erheblichen Lärmbelastung einher Erwähnt werden muss hier auch, dass die rTMS mit einer erheblichen Lärmbelastung einhergeht. Tringali et al. [41] haben 2012 hierzu eine Studie vorgestellt, in der sie feststellten, dass bei der Magnetstimulation Schallpegel bis zu 120 dB(A) entstehen, der mittlere Schallpegel liegt bei 90– 100 dB(A). Festzustellen ist, dass in der Regel die verwendete Placebospule (Sham) um 40% leiser ist, dadurch allein wird der Placeboeffekt bereits infrage gestellt. Die Autoren dieser Studie fragen sich, ob es zudem eine direkte kortikale Reaktion auf diese Lärmbelastung gibt (. Abb. 2).

Elektrische transkranielle und intrakortikale Stimulation Hier gibt es einige Studien, die sowohl von außen den auditorischen Kortex mit Gleichstrombehandlung beeinflussen wollen [42] als auch, wenn auch erst mit sehr wenigen Patienten, durch direkte Elektrodenimplantation in den Kortex diese Beeinflussung erreichen wollen. Die letzte Studie hierzu stammt von de Ridder, der 10 Patienten derartig behandelte, allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen [43]. Zwar wurde bei 4 Patienten der Tinnitus positiv beeinflusst, es traten jedoch Nebenwirkungen wie Wortfindungsstörungen oder sogar epileptische Anfälle auf. Derartige Therapieverfahren sind daher mit Sicherheit nicht zu empfehlen.

Tinnitustherapie durch Cochleaimplantate Eine direkte elektrische Stimulation des Hörnervs durch ein Cochleaimplantat ist bislang nur bei Ertaubten bzw. hochgradig Schwerhörigen eingesetzt worden, zunehmend auch bei nur einseitiger Beeinträchtigung. Die Erfahrung hat hier gezeigt, dass sich bei den allermeisten Patienten auch der Tinnitus dadurch sehr gut beeinflussen lässt. Dies ist aber sicherlich

weniger durch die direkte elektrische Beeinflussung des Hörnervs als durch die resultierende Reorganisation der tonotopen Karte bedingt, weil durch das Implant die fehlenden Frequenzen oder überhaupt Höreindrücke wieder präsentiert werden können. Dies senkt die Spontanaktivität der Hörbahn und damit auch den Tinnitus bei den allermeisten Patienten ab [44, 45, 46].

Akustische Neurostimulation Ein Verfahren, das ebenfalls unter dem Begriff der Neuromodulation firmiert und in Deutschland mit großen Vorschusslorbeeren vor mehreren Jahren propagiert und vor allem sehr teuer verkauft wurde, ist die sog. akustische Neurostimulation nach dem sog. CR® (Coordinated-Reset-Modell). Diese Therapie wurde im Forschungszentrum Jülich entwickelt und von dort auch relativ aggressiv vermarktet. Grundannahme für diese Therapie war, dass der Tinnitus allein eine Folge von Synchronizität der auditorischen Neurone sei. Statt diese jedoch direkt elektrisch zu stimulieren, sollten sie mit gezielten leisen Tönen, die um die Tinnitusfrequenz herum angesiedelt sind, stimuliert werden. Dazu wurde ein Patent entwickelt, was 2 Töne unterhalb und oberhalb der genau bestimmten Tinnitusfrequenz berechnet. Dann sollten die Patienten in unregelmäßiger Folge über einen Kopfhörer diese leisen Töne über mehrere Stunden hören. Leider ist es der Gruppe nicht gelungen, bislang valide Studien vorzulegen. Zwar wurde nach mehreren Jahren eine Studie veröffentlicht [47], diese war jedoch methodisch sehr schlecht, insbesondere weil auch die Placebogruppe viel zu klein war und bereits viel länger Tinnitus aufwies als die anderen Patienten. Tatsächlich waren in der gesamten Studiengruppe nur 22 Patienten, die nach dieser Methode behandelt worden waren, bei ihnen verbesserte sich im Tinnitus-Fragebogen die Tinnitusbelastung angeblich signifikant, vor allem aber veränderte sich die Tinnitusfrequenz bei 28,5%. Bereits 1998 haben Münickel et al. [48] und 2004 Flor et al. [49] ähnliche Studien vorgelegt, diese Therapieansätze dann aber wieder verlassen, weil häufig negati-

ve Nebenwirkungen bzw. Tinnitusverstärkungen auftraten. Was bei der Studie mit der akustischen Neuromodulation besonders kritisch angeführt werden muss, ist, dass hier über die Hörbahn gereizt wird, diese aber keineswegs mehr intakt ist, sodass auch in diese Studie immer wieder Patienten einbezogen wurden, die bereits eine deutliche Hörminderung hatten – nach Aussagen der Autoren maximal 50 dB [47]. Derartig ausgeprägte Hörminderungen führen aber dazu, dass ein tatsächlich in den Kortex eingehendes Signal verändert wird. Zumindest hätte eine Unterteilung der verschiedenen Ausprägung von Hörminderung für diese Studie erfolgen müssen, was bei der geringen Patientenzahl aber gar nicht möglich war und auch nicht diskutiert wurde. Folgestudien fanden als unkontrollierte Anwenderbeobachtungen statt, hier wurden Zwischenergebnisse vorgestellt, die in dem markigen Satz endeten „sie seien gut“ (Vortrag auf der Jahrestagung des HNO-Berufsverbands 2012). Problematisch ist, dass die Patienten auch für diese Studie das Gerät bezahlen mussten (in der Regel 3000–3500 €) und dass auch keine Zulassung einer Ethikkommission einer Universität bestand. Dies ist für Studien, wo der Patient sehr viel Geld für die Einbeziehung in die Therapie bezahlen muss, auch sicherlich nie zu erreichen. Es wurde dann im Jahr 2012 eine Studie in der HNO-Universitätsklinik in Nottingham initiiert und auch unter „Clinical Trials“ [50] angemeldet. Diese Studie ist mittlerweile abgeschlossen, aus relativ unerklärlichen Gründen ist eine Publikation jedoch blockiert worden. Es verlautete, eine unabhängige Kommission habe festgestellt, dass bestimmte Kriterien der Studie nicht erfüllt worden seien und deshalb eine Veröffentlichung nicht erfolgen dürfe. Die ursprünglich das Gerät vertreibende Firma hat im August 2013 Insolvenz anmelden müssen, jetzt ist das gesamte Projekt von einer englischen Firma übernommen worden, in Deutschland findet zzt. keine Unterstützung mehr statt, soll aber wohl wiederkommen. Die Deutsche Tinnitus-Liga (DTL) hat sehr früh vor dieser Therapie gewarnt [51]. Erstaunlich ist auch, welche Rolle das Forschungszentrum Jülich, ansonsten wissenschaftlich sehr hoch beleumundet, spielt, HNO 4 · 2015 

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Leitthema wenn es sich so hinter unseriöse Therapieverfahren stellt.

Vagusstimulation Ein gänzlich neuer Therapieansatz beruht auf der im Tierversuch gewonnen Erkenntnis, dass bei Stimulation des N. vagus mittels implantierter Elektroden am Hals ganz allgemein Lerneffekte verbessert werden können. Im Tierversuch wurden hier bei Ratten 300 Stimuli pro Tag am Hals auf den Vagusnerv gesetzt und kombiniert mit akustischen Stimuli, die sich von einer Tinnitusfrequenz unterschieden. Es entstand dann eine Verbesserung in der Tinnituswahrnehmung, die bei den Tieren durch Verbesserung im sog. Gapditaction-Test gemessen wurde, was einer Tinnitusverbesserung entsprechen sollte [52]. In der Folge gab es dann Machbarkeitsstudien, ob dieses Verfahren auch am Menschen anwendbar sei, hier wurden keine wesentlichen Kontraindikationen gesehen [53]. Zurzeit startet eine klinische Studie in den USA mit einem entsprechend entwickelten Gerät. Hierzu werden in den Hals für die Dauer der Therapie Elektroden implantiert. Der Patient hört über Kopfhörer Töne und wird gleichzeitig am Hals mit kleinen elektrischen Reizen am Vagusnerv stimuliert. Dadurch soll, eben durch die Verbesserung der Lerneffekte im Kortex, die Tinnituswahrnehmung reduziert werden. Das Gehirn soll dann lernen, den Tinnituston zu ignorieren. Studienergebnisse hierzu liegen noch nicht vor. Allerdings ist auch dabei kein Auslöschen des Tinnitus zu erwarten, sondern nur eine bessere Habituation.

Musiktherapien Ähnlich arbeiten auch Musiktherapien, die als Bestandteil einer Hörtherapie anzusehen sind und damit Habituationsansätze ergänzen; hinzu kommen direkte Musiktherapien wie z. B. die Musiktherapie nach Cramer [54]. Bei der Heidelberger Tinnitus-Musiktherapie wird um den Tinnitus herum stimmlich improvisiert. Diese Therapien wiesen zwar in den Publikationen gute Studienergebnisse auf, methodisch waren sie jedoch nicht sauber,

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da die Therapie mit vielen anderen therapeutischen Interventionen wie z. B. Entspannungsverfahren, Aufklärung, Beratung und psychologischer Stabilisierung gekoppelt und somit kein eindeutiger Effekt allein der Musiktherapie zuzuschreiben war [55]. Pantev et al. [56] stellten eine Therapieform vor, bei der aus der Lieblingsmusik des Patienten die Tinnitusfrequenz herausgefiltert wurde und so die Tinnituslautheit beeinflusst werden sollte. Schon bevor die Studie veröffentlicht war, befand sich ein entsprechendes Gerät im Handel, was allerdings mit dem Studienleiter nicht abgesprochen war. In den ersten Studien wurden 39 normalhörende Tinnituspatienten in 3 Gruppen untersucht. Die eine Gruppe hörte Musik frequenzverändert, die andere placeboverändert, die dritte unverändert. Die Patienten mussten über 12 Monate 1– 2 h täglich diese Musik hören. Es entstanden Veränderungen in der Tinnituslautheit wie auch messbare Magnetenzephal ographie(MEG)-Veränderungen nur bei der tatsächlich in der Tinnitusfrequenz veränderten Musikgruppe. Dies galt auch nur bei Tinnitus, der niedriger als 8 kHz lag [57]. Bereits 1986–1995 wurden mit dem sog. Tinnicur-Gerät ähnliche Therapieansätze verfolgt, auch hier konnte jedoch ein eindeutiger Effekt nie nachgewiesen werden. Bei all diesen Therapieverfahren ist der Nachweis eindeutiger Wirksamkeit nur durch diese Therapie nicht gegeben, sie wirken allerdings sicherlich gut unterstützend, da Musik insgesamt eine sehr positive Wirkung auf das Hörsystem hat und die Hörwahrnehmung schult und damit auch verbessert. Problematisch werden all diese Therapieansätze, wenn sie für den Patienten Heilung versprechen und gleichzeitig sehr teuer sind. Denn in der Regel bezahlen die gesetzlichen und auch die privaten Versicherungen diese Therapien nicht, da eben kein eindeutiger Wirksamkeitsnachweis vorliegt.

Hörgeräteanpassung als wirksame akustische Stimulation Anders stellt sich die Situation für eine direkte akustische Stimulation der fehlenden Frequenzen durch Anpassung von Hörge-

räten dar. Hier ist besonders wichtig, dass eine Hörgeräteanpassung nach neuesten Erkenntnissen so früh wie möglich erfolgen sollte [58]. Nach neueren Zahlen brauchen etwa 16 Mio. Bundesbürger ein Hörgerät, aber nur 10% davon sind wirklich mit Hörgeräten versorgt.

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Häufig wird durch Verbesserung der Hörfähigkeit eine Reduktion der Tinnituslautheit erreicht Gleichzeitig ist in den letzten Jahren die Versorgungsqualität der Hörgeräte deutlich besser geworden, besonders weil diese jetzt zunehmend offen angepasst werden können (verbesserte Rausch- und Rückkopplungsunterdrückung), vor allem aber, weil die modernen Hörgeräte, besonders wenn sie den Hörer direkt im Gehörgang einbringen können, sehr effizient Hochfrequenzhörverluste ausgleichen können. Sehr häufig lässt sich dann durch Verbesserung der Hörfähigkeit auch eine Reduktion der Tinnituslautheit erreichen und damit auch der Tinnitusbelastung [59, 60].

Hör- oder Audiotherapie Ansätze, die bewusst die zentrale Hörverarbeitung verbessern helfen und damit versuchen, Störungen des Hörsystems mit den Möglichkeiten und Restqualitäten eben dieses Hörsystems zu begegnen, haben sich in den letzten Jahren insbesondere als sehr wirksam in der Ergänzung von Habituationstherapien herausgestellt [61, 62]. Zur Hörtherapie gehört dabei vorrangig der Ausgleich eines bestehenden Hörverlusts, sei es mit einem Hörgerät oder einem Cochleaimplantat. Dadurch werden auch zentrale Hörfunktionen gefördert, wie besonders die Fokussierung, die Inhibition und die Filterung von Störgeräuschen. Damit kann auch gelernt werden, das „Störgeräusch Tinnitus“ wieder überhören zu können [63].

Ausblick Auch wenn der Tinnitus fast immer peripher, also in den Haarzellen des Innenohrs

entsteht, so ist das entscheidende Kriterium für eine Belastung durch den Tinnitus die Bewertung in der zentralen Hörverarbeitung sowie Umbauprozesse und neu entstandene Muster in der zentralen Hörbahn. Tinnitus und Hyperakusis sind immer Folgen einer gestörten Hörwahrnehmung. Medikamentöse Therapien sind bei chronischem Tinnitus keinesfalls indiziert und sind allesamt unwirksam, dies gilt insbesondere für sog. Durchblutungsmittel, aber auch für das viel beworbene Ginkgo. Zentral wirksame Medikamente, wie etwa das Neramexan, die in zahlreichen aufwendigen Studien untersucht worden sind, haben bislang keinen Nachweis einer wirklichen Verbesserung erbringen können [64]. Allenfalls ist eine Unterstützung bei vorliegend psychischer Komorbiditäten durch Psychopharmaka wie insbesondere Antidepressiva möglich. Hier wird aber die Komorbidität behandelt, nicht der Tinnitus. Ob in naher oder ferner Zukunft durch die medikamentöse Gentherapie eine Besserung erreicht werden kann, bleibt vorerst abzuwarten. Verfahren der Neuromodulation wie insbesondere die Magnetstimulation haben bislang keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen können, hier liegen nur kleine Patientenzahlen vor und keine bleibenden Erfolge, eine Linderung entsteht zwar, aber meistens nur für die Dauer der Behandlung. Akustische Stimulation ist überaus sinnvoll in der Behandlung des chronischen Tinnitus, hier liegt der große Schwerpunkt auf der sinnvollen und notwendigen Versorgung mit Hörgeräten, unterstützt wird dies durch eine geeignete Hörtherapie, ggf. auch bei nicht bestehendem Hörverlust durch sog. Rauschgeräte. Durch eine akustische Stimulation mit Tönen kann der Tinnitus zwar vorübergehend maskiert, er kann aber nicht ausgelöscht werden. Deshalb müssen akustische Stimulationen immer den bestehenden Hörverlust mit einbeziehen, da sie auch die komplette Hörbahn durchlaufen müssen, wenn sie über das Ohr aufgenommen werden. Vorrangig sind dabei nach wie vor der Ausgleich des bestehenden Hörverlusts und eine hörtherapeutische Verbesserung zentraler Hörfunktionen.

Neue und moderne Tinnitustherapien gehen daher nicht davon aus, den „Schalter zum Abschalten des Tinnitus“ gefunden zu haben, gleichwohl erzielen sie sehr gute Erfolge in der Kombination von neurootologischen und psychosomatischen Therapieansätzen. Diese beruhen auf einer umfassenden Diagnostik, einer empathischen Beratung und Aufklärung, einer Kompensation des Hörverlusts durch akustische Stimulation, einer Hörtherapie und einer gleichzeitig notwendigen individuellen psychologischen Stabilisierung. Damit wird der Tinnitus zwar nicht ausgelöscht, sehr wohl kann er aber aus der Wahrnehmung verdrängt und seine Belastung deutlich reduziert werden.

Fazit für die Praxis F Die Belastung durch den Tinnitus entsteht durch die Bewertung in der zentralen Hörverarbeitung. F Tinnitus und Hyperakusis sind immer Folgen einer gestörten Hörwahrnehmung. F Medikamentöse Therapien sind bei chronischem Tinnitus keinesfalls indiziert. F Zentral wirksame Medikamente wirken allenfalls unterstützend bei psychischen Komorbiditäten. F Verfahren der Neuromodulation haben bislang keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen können. F Akustische Stimulation ist sinnvoll in der Behandlung des chronischen Tinnitus, d. h. Versorgung mit Hörgeräten, unterstützt durch Hörtherapie, ggf. durch sog. Rauschgeräte. F Für die sog. Neurostimulation wurde bisher ebenfalls kein Wirksamkeitsnachweis erbracht. F Durch eine akustische Stimulation mit Tönen kann der Tinnitus zwar vorübergehend maskiert, er kann aber nicht ausgelöscht werden. F Sehr gute Erfolge werden mit der Kombination von neurootologischen und psychosomatischen Therapieansätzen erzielt. F Tinnitus wird zwar nicht ausgelöscht, kann aber aus der Wahrnehmung verdrängt werden.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. G. Hesse Tinnitus-Klinik am   Krankenhaus Bad Arolsen,   Universität Witten-Herdecke Große Allee 50 34454 Bad Arolsen [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  G. Hesse gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigen oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.

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[Newest therapeutic approaches for chronic tinnitus].

In the majority of cases, tinnitus derives primarily peripherally, from damage to hair cells in the inner ear; suffering and annoyance, however, are c...
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