Europ. J. appl. Physiol. 34, 19--31 (1975) 9 by Springer-Verlag 1975

Modell zur Beschreibung des Tremors* M. S/tlzer Institut fiir Arbeitswissenschaft der Technischen Hochschule Darmstadt (Direktor: Prof. ])r.-Ing. W. Rohmert) Eingegangen am 7. 0ktober 1974 Model for Describing Tremor

Abstract. Acceleration measurements of lower arm, hand and finger tremor principally contain several reproducible peaks in their power spectral density function. The transfer function of the system was determined by application of a sinusoidal force with an amplitude of less than I p.c. of the maximum isometric strength. For description of the lower arm tremor a closed loop system was proposed combining the vibration of a mechanical resonant system with stochastic forcing and the oscillation of the neuromuscular reflex arc. The elements of this system were analyzed by cross-correlation of electrical activity and tremor vibration and by analog computer simulation. Key words: Tremor Model - - Lower Arm Tremor - - I-Iand Tremor - - Finger Tremor - Cross-Correlation - - Simulation - - Transfer Function. Zusammen[assung. Im Leistungsdichtezentrum der Beschleunigung des Unterarm-, des Hand- und des Fingertremors treten grunds~tzlieh mehrere Frequenzmaxima anti Mit sinusf6rmigen Kraftanregungen, kleiner als 1% der Maximalkr~fte, werden die Obertragungsfunktionen bestimmt. Ftir den Unterarmtremor wird gezeigt, dal] der Tremor mit einem Regelkreis besehrieben werden kann, der die Auswirkungen der Schwingungen eines mechanischen Schwingungssystems mit einer stochastischen Kraftanregung und neuromuskul~re Schwingungen vereint. Die Bestimmung der Struktur der Einzelbt6cke wird durch Kreuzkorrelationen der EA(t) mit dem Tremor und einer Simulation am Analogrechner durchgeffihrt. Schli~sselwSrter: Tremormodell - - Unterarmtremor - - Handtremor - - Fingertremor - Kreuzkorrelation - - Simulation - - ~bertragungsfunktion.

1. Einleitung Skit fiber i 0 0 J a h r e n wird in der L i t e r a t u r fiber Versuchsergebnisse y o n Einflu~grSl3en a u f den T r e m o r berichtet, die h/~ufig widersprfichlich sind (S~lzer et al., i973). Hieraus abgeleitete Modellvorstellungen fiihren den Tremor entweder a u f neuromuskul/ire Vorg/inge im ]~eflexbogen zurfick (Griffiths, 1888; Sollenberg, 1937 ; Lippold, 1970 ; u. a.) oder a u f die ]3ewegungen eines reinen physikMisehen Schwingungssystems, das d u r c h mechanisehe I m p u l s e aus der I-Ierzt/~tigkeit (Ozaki, t962; Brumlik, t962; u. a.) bzw. aus den Mternierenden K o n t r a k t i o n e n der motorischen E i n h e i t e n (Stiles u. R a n d a l l , t967; R a u , i973; u. a.) zu S c h w i n g u n g e n i n seiner ]~esonanzfrequenz angeregt wird. Eigene U n t e r s u c h u n g e n (S/~lzer, 1973a, b, i972) h a b e n gezeigt, dM~ in Leis t u n g s d i c h t e s p e k t r e n y o n T r e m o r s c h w i n g u n g e n grunds~tzlich m e h r als ein * Der Oeutschen Forschungsgemeinschaft sei f/ir die finanzielle FSrderung der Untersuchungen herzlich gedankt.

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~I. Sglzer Muskel

IF~(PL

I

Abb. 1. Vereinfachter I~egelkreis zur Beschreibung des Unterarmtremors

Frequenzmaximum auftritt. Es ist zu erwarten, dag der Tremor aus der Uberlagerung der Schwingungen mehrerer Sehwingungssysteme besteht. Die Ausprggung and die Frequenzen der Maxima unterscheiden sieh ffir den Finger-, den Hand- und den Armtremor und werden dureh eine groge Anzahl yon Einflu6grSgen in ihrer Erscheinungsform vergndert. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, unter Festlegung yon Randbedingungen ein Modell zur Beschreibung des Tremors zu erstellen, das sowohl die Schwingungen des physikalischen Sehwingungssystems, als auch die der neuromusknlgren t~egelungsvorg/inge umfagt. Als Tremor werden die unwillkfirliehen Bewegungen eines KSrperteils, das um eine Gleichgewichtslage, ann/ihernd sinusfSrmig mit Frequenzen grSger als 0,5 ttz sehwingt, definiert (s. a. Pelnar, 19i3). Literaturergebnisse fiber Tremormessungen wurden fiberwiegend ffir den Fingertremor, den tIandtremor and den Unterarmtremor ermittelt. Die vorliegenden Untersuehungen wurden vorwiegend ffir den Unterarm durehgeffihrt, da sieh die physikalischen Gr6Ben dieses Sehwingungssystems relativ einfach bestimmen lassen und die Uberlagerung des Finger- und des Handtremors wegen ihrer kMneren Schwingungsamplituden vernachl/~ssigt werden kSnnen.

2. Darstellung der Untersuchungsmethode und der Ergebnisse Eine frfihere Untersuchung (Sglzer, i973 a) zeigte, dab bei der Austibung einer Kraft durch den Agonisten (z. B. statische ttaltekraft) yore Antagonisten eine gleiehphasige, kleinere Kraft aufgebracht wird. Ffir ein Funktionsmodell fiber den Tremor ist es daher nicht erforderlieh, die Kraftausfibung des Antagonisten gesondert zu berficksiehtigen. Unter dieser Annahme lggt sich ffir den Unterarm das in Abb. 1. dargestellte Ersatzmodell angeben. Es soll fiberprfift werden, inwieweit der Unterarmtremor mit einem derart vereinfachten Modell beschrieben werden kann. tIierffir mfissen die Kenngr6Ben der dargestellten B16cke bestimmt werden. Ffir den Unterarm wird ein Schwingungssystem 2. Ordnung angesetzt, ffir das die Dgmpfung, die Federsteifigkeit und die Masse zu ermitteln sind. AnBer der Schwingung des Unterarms wird das Elektromyogramm (EMG) registriert. Aus dem EMG lggt sich dutch Gleichrichtung nnd Filterung dessen Einhfillende die Elektrische Aktivit~tt EA(t) bestimmen, die ein Nag der Kraftsehwankungen des Muskels darstellt (Abb. 2). Die EA(t) wird zur Bestimmnng der neuromuskul/~ren B15cke yon Abb. I verwendet. Die verwendeten Aufnehmer und das Auswertungsverfahren wurden bereits frfiher eingehend (Sglzer, 1973 a, b) besehrieben.

Modell zur Beschreibung des Tremors

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Abb. 2. Bestimmung der elektrischen Aktivit~t (EA (t)) aus dem Elektromyogramm (EMG) bei einer Belastung des Unterarms mi~ einer Federkr~ft (c = I N mm -1) von F = 20 % F .... und einer H~ltezeir yon 6 rain

2.1. Bestimmung der GrS[3en des mechanischen Ersatzmodells des Unterarms Der menschliche U n t e r a r m l~Bt sich in einer ersten N~herung mit einem einfachen mechunischen Ersatzmodell besehreiben. I n dem mechanischen Ersatzmodell (s. Abb. 3) muB d~s Tr/~gheitsmoment des Unter~rms u m das Ellbogengelenk bestimmt werden, ~uBerdem die Momente, die sich aus der Federsteifigkeit und der D~mpfung des Systems ergeben. Mit F wird der Drehwinkel u m das Ellbogengelenk bezeichnet. Wegen der sehr k]einen Winkel/~nderungen y o n wurde die Beschleunigung des Unterarms am Grundgelenk des Zeigefingers in t~ngentia]er R i e h t u n g gemessen. Die Schwingungsdifferentialgleichung ffir das gew~hlte Ers~tzmodell (Abb. 3) lautet : Mit der L5sung

qJ=a.e

-

( K - t ) . sin cot

21

(l)

ffir den homogenen Tell der Gleichung und

~

D

K 2

I

41 ~

(2)

~I. Sglzer

22

anreg~i~1~ L-~g Muskel-

muAilu A

-

Abb. 3

Abb. 4

Abb. 3. Mechanisehes Ersatzmodell des Unterarms Abb. 4. Bestimmung der Diimpfung der Unterarmsehwingungen

I = K= D~ T= a=

Tr~gheitsmoment [kg 9m~]; D/~mpfungskonstante durch visc6se Widerst/inde [kg. m 9s -12] ; Richtmoment aus der Federsteifigkeit [N 9m]; Anregungsmoment dureh die Muskeln [At 9m]; Amplitudenfaktor, der durch die Anregung festgelegt wird. K Die Gr613e ~ / w i r d ffir einen leiehten Anstog des reehtwinklig gebeugten, waagereeht gehaltenen Unterarms entspreehend Abb. 4 hestimmt. Direkt naeh der Anregung (s. Abb. 4) wird die Sehwingung des Unterarms reflektoriseh gebremst. Erst danaeh zeigt sich der typische Amplitudenverlauf einer abklingenden Schwingung mit der D~mpfung K ~-i = t,6 [s-l]. Das Trs des Unterarms u m das Ellbogengelenk wurde mit der Anordnung yon Abb. 5 gemessen. Der Oberarm wurde horizontal in sagittaler Stellung unterstfitzt. Dot Unterarm wurde in der sagittalen Ebene naeh vorne bewegt. An der Hand wurde ein Faden mit einer Sehlaufe befestigt. ])as andere Ende des Fadens war mit einer KraftmeBdose verbunden. Die L~nge des Fadens war so gew/~hlt, dab der Schwerpunkt des Unterarms beim ZerreiBen des Fadens etwa fiber dem Ellbogengelenk lag. Mit der Kraftmel3dose wurde die Zerreigkraft (Fe) gemessen. Aus der ZerreiBkraft des Fadens, der Besehleunigung (aB) im Augenbliek des Zerreigens des Fadens und dem Abstand r vom Ellbogengelenk zum t{andmittelpunkt ls sieh das TrS~gheitsmoment des Unterarms bereehnen: 1-

FB

. r~

aB

[kg" m 2]

I = 0,045 [kg 9 m~]. Dieser Wert in G1. (3) eingesetzt ergibt: K = 0,t44 [kg. m 2 9s -1] .

Modell zur Besehreibung des Tremors

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Abb. 5. Bestimmung des Tri~gheitsmomentes (I) des Unterarms

! s fl I 240 "l

2]

/ /

Feder

'

'

7

C~,2

180"

1,2

120 6O 0 2

/

6

8

f[Hz]

Abb. 6. Leistungsdichtespektren fiir _~nderungen der Steifigkeit des Sehwingungssystems Unterarm dureh Zusatzfedern verschiedener Steifigkeit

Die Sehwingungsfrequenz des Unterarmsystems ist 2 Hz. Dureh Umformen und Einsetzen der bekannten Gr6Ben in G1. (2) ergibt sieh K2 D=Ico 2+~=7,4[N'm]. Das ermittelte Tr&gheitsmoment liegt in dem Bereieh der Tr&gheitsmomente, die yon Bousset u. Per~uzon (1968) an t l Versuehspersonen gemessen wurden. Dureh Einsetzen der ermittelten GrSBen in G1. (1) ergibt sieh q) = a 9 e-l, 6 t sin 12,6 t. 9

Dies ist die L6sung des homogenen Teils der Schwingungsdifferentiaigleiehung, in dem das Anregungsmoment (T) der Muskeln auf den Unterarm noeh nieht beriieksiehtigt ist. Die abklingende Sehwingung des Unterarms wird durch die impulsartigen Kr&fte (Kraftzuekungen) der alternierend aktiven motorisehen Einheiten der Muskeln angeregt. Zwisehen der D&mpfung und der Anregung stellt sieh Bin Gleiehgewieht ein. Die resultierende sinusfSrmige Schwingung is~ der Unterarmtremor yon ca. 2 Hz. Zur l~berprtifung des mechanischen Ersatzmodells wurde die Steifigkeit des Unterarmsystems durch zus&tzliche Federn verSmdert. Hierzu wurden am Unter-

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1~I.Sglzer

Tabelle ~. Berechnete and gemessene Sehwingungsfrequenzen des Unterarms f~r unterschiedliche 1%dersteifigkeiten Steifigkeit der Zusatzfeder [N. mm-1]

Schwingungsfrequenz (Hz) berechnet gemessen

C1 C2

/2 ~ 4,t /a = 6,2

~ 60 ~ 200

/ 2 - 4,5 /a = 6,5

arm jeweils ein P a a r Federn gleieher Steifigkeit befestigt (Abb. 6). Die daraus resultierenden Sehwingungsfrequenzen wurden gemessen und mit den erreehneten Werten, die sieh aus dem Ersatzmodell ergeben, vergliehen. Die Versuehsbedingungen sind sehematiseh in Abb. 6 dargestellt. Der Unterarm und die Zusatzfedern waren so angeordnet, dab sieh die Kraft, die yon den Beugern und den Streekern des Unterarms ausgefibt wurde, dureh die Zusatzfedern nieht /inderte. Eine ~berprtifung der ausgefibten K r a f t wurde dureh EMG-Ableitungen durehgeffihrt. Bei Bereehnung der Frequenzen wurde die Frequenzs dureh die DS,mpfung vernaehlS, ssigt, da ihr Einflug deutlieh unter dem Aufl6sungsvermSgen der Untersuehungsmethode liegt. Somit ergibt sieh G1. (2) f/ir I1 des unbelasteten Unterarms zu:

I 1/D A=Y~v f

[Hz].

Unter Ber/ieksiehtigung des zus~tzliehen, rfiektreibenden Moments dureh die Federn ergeben sieh die Sehwingungsfrequenzen zu:

/2,3= ]/2'%2"r2+ I12 [Hz] 4.~2.i

Die berechneten und die gemessenen Frequenzen fiir die Unterarmsehwingungen sind in Tabelle I gegen/ibergestellt. Die beiden gemessenen Frequenzen sind nur geringffigig grSger als die aus dem Ersatzmodell bereehneten Frequenzwerte. Der Frequenzuntersehied wird auf eine leiehte zus/~tzliehe Anspannung w/~hrend der Versuehe zurfiekgeffihrt. Die gewonnenen Ergebnisse best~tigen, dab das Schwingungssystem des Unterarms und sein mechanisches Verhalten mit dem verwendeten Ersatzmodell besehrieben werden k6nnen.

2.2. Bestimmung der GrS/3en des Modells zur Beschreibung der neuromuslculSren Einfliisse an/den Unterarm Die Auspr/~gung der neuromuskul/~ren Schwingungen yon ca. l0 Hz im Leistungsdichtespektrum des Tremors h/~ngt yon einer grol3en Anzahl yon EinfluBgr6Ben ab (s. aueh S/~lzer, i973 b), wie z. B. yon einer physisehen Beanspruehung (Mfiller u. Sehnauber, 1954; Stiles u. Randall, 1967), einer psyehisehen Beanspruehung (Kuna et al., 1964; S/~lzer, i973 a) und dem GenuB yon P h a r m a k a (Sato u. Inanaga, 1959; S/~lzer u. Rohmert, t974). Ferner mug die Frequenzeharakteristik des Aufnehmersystems beriieksichtigt werden (S/~lzer, 1972). Am Beisloiel des Handtremors konnte yon S/~Izer (1973b) gezeigt werden, dab der

Modell zur Besehreibung des Tremors

Federkraft

i

25

Massenkraft

F

sinusfi~rmige Kraft

IF

J

lAo[cm s -2]

3

J

/7'J:\!

,/~ /.

.,:/.

:,.

]

9

1'2

'; f[H,l

Abb. 7. Amplituden-Frequenz-Diagramm der Besehleunigung des Unterarms fiir eine sinusfSrmige Kraftanregung einsehlieBliehVersuehsanordnungen fiir die verschiedenen Belastungsarten

Tremor unter konstant gehaltenen Randbedingungen intraindividuell in Frequenz und Amplitude auch fiber einen Zeitraum van mehreren Wochen weitgehend gleich bleibt. F fir eine Untersuehung der B16eke in Abb. I zur Besehreibung der Muskelcharakteristik wird der Unterarm mit einer sinusf6rmigen Kraft angeregt. Die Untersuchungen van Einflul3grSgen auf den Tremor haben gezeigt, dab es sich bei dem in Abb. t dargestellten Regelkreis um ein nichtlineares System handelt. Als eine N/iherung wird angenommen, dab der Regelkreis ffir kleine Anregungsamplituden und sonst konstant gehaltene Randbedingungen als linear betraehtet werden kann. Der so festgelegte Arbeitspunkt des Systems entspricht wegen der geringen s Kraft weitgehend dem ohne eine zus~tzliehe Kraftwirkung gehaltenen Unterarm. W~Lhrend der Messung wurde neben der mechanisehen

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M. S~Izer x

]

w

.

~ ~ = 5,3 ~2 = 25,8

--

/

Messung

- ~

ua~ =28.5

~:~D5

i ~~ = 53'7

'I',. I~\ -

-- Aootogre+hner- +y++

[Model for describing tremor (authors transl)].

Acceleration measurements of lower arm, hand and finger tremor principally contain several reproducible peaks in thier power spectral density function...
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