Update Orthopädie • Orthopädie/Unfallchirurgie und Recht

Jeder ärztliche Eingriff ist rein faktisch ein Eingriff in den Patienten. Damit werden in jedem Fall die Privatsphäre und fast ausnahmslos zusätzlich die körperliche Integrität des Patienten tangiert. Die Rechtfertigung der ärztlichen Behandlung ruht auf den „drei Säulen des Medizinrechts", der Indikation, dem Patientenwillen und der fehlerfreien Durchführung. Fehlt die Indikation oder die Einwilligung des Patienten oder wurde der indizierte und konsentierte Eingriff fehlerhaft durchgeführt, so bleibt die mit der ärztlichen Behandlung notwendigerweise verbundene Verletzung des Körpers des Patienten rechtswidrig. Dies führt im Zivilrecht zur Haftung und im Strafrecht zur Strafbarkeit, sofern man dem Arzt dies auch zum Vorwurf machen kann. Letzteres nennen die Juristen die „Vorwerfbarkeit“

Korrespondenzadresse

W. Putz PUTZ – SESSEL – STELDINGER, Kanzlei für Medizinrecht Quagliostr. 7, 81543 München [email protected] Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirurgie 2015 und entsprechen den Seminarunterlagen des 7. Ortho Trauma Update 2015 der med update GmbH Orthopäde 2015 · 44:574–575 DOI 10.1007/s00132-015-3132-x Online publiziert: 2. Juni 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion: S. Rehart, Frankfurt a.M.

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oder die „Schuld“. Da im Zivilrecht wegen des dort geltenden objektiven Fahrlässigkeitsbegriffes Schuldausschließungsgründe extrem selten denkbar sind, führt das Fehlen der Indikation und/ oder der fehlende zustimmende Patientenwille und/oder der Verstoß gegen den ärztlichen Standard (Fehler) zur Verantwortlichkeit, also zur Haftung. Einlassungen wie „ich befand mich in einer extremen Ausnahmesituation“, „kein Mensch kann fehlerfrei arbeiten“ oder „ich habe in meinem gesamten Berufsleben noch keinen Fehler gemacht und keinen Menschen geschädigt“ können ausnahmslos nur im Strafrecht eine Bedeutung haben, niemals bei der zivilrechtlichen Haftung für das Verlassen der Bandbreite des Facharztstandards. Die nicht indizierte Behandlung Handelt der Arzt ohne Indikation, so hätte der streitgegenständliche Eingriff korrekterweise überhaupt nicht stattfinden dürfen (Ausnahme: Wunsch-erfüllende Medizin wie die reine Schönheitsoperation). Dies muss der Patient durch Sachverständigengutachten beweisen. Sämtliche Folgen des Eingriffs, auch die schicksalhafte Verwirklichung eines Risikos, gehen dann zulasten des Arztes. Führt der Arzt eine nicht indizierte Behandlung durch, kann der Patient neben dem Schadensersatz für Körperschädigung und Vermögensschädigung auch sämtliche Behandlungskosten für den streitgegenständlichen Eingriff zurückfordern. Und dafür ist der Arzt mit der beruflichen Haftpflichtversicherung nicht versichert! Aufklärungsfehler Grundsätzlich kann auch der nicht aufgeklärte Patient einem Eingriff zustimmen. Dies wird

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Ärztlicher Eingriff und Rechtfertigung

Abb.  8 Höhere Schadenersatzsummen treiben die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung hoch.

häufig übersehen, weil alle Welt von der „Aufklärungspflicht“ des Arztes spricht. Ausnahmslos jedes Lehrbuch über Arzthaftungsrecht beschließt jedoch dieses Kapitel mit dem Hinweis, dass der Patient selbstverständlich auch auf Aufklärung verzichten kann. Folglich gilt: Der Arzt muss Aufklärung anbieten. Nimmt der Patient dieses Angebot der Aufklärung an und wünscht der Patient aufgeklärt zu werden, so hat der Arzt die nach dem entsprechenden Fachgebiet und nach der Rechtsprechung gebotenen Aufklärungspflichten zu erfüllen. Dies resultiert aus dem Behandlungsvertrag. Ähnlich wie bei einer ohne Indikation durchgeführten Behandlung fehlt auch bei einer vom Patienten gewünschten aber vom Arzt fehlerhaft erbrachten Aufklärung die wirksame Zustimmung des Patienten. Die Folge ist, dass bei richtiger Aufklärung der streitgegenständliche Eingriff möglicherweise überhaupt nicht stattgefunden hätte. Führt der Arzt eine nicht konsentierte Behandlung durch, kann der Patient neben Schadensersatz für Körper- und Vermögensschädigung auch sämtliche an den Arzt bezahlte Behandlungskosten für

den streitgegenständlichen Eingriff zurückfordern. Sicherungsaufklärung Verstöße gegen die sogenannte therapeutische oder Sicherheitsaufklärung sind keine Aufklärungsfehler sondern Behandlungsfehler. Hier geht es etwa um den Hinweis, kein Fahrzeug nach einer Medikamenteneinnahme zu lenken oder ähnliche Verhaltensanweisungen. Es geht um die mögliche Selbstschädigung von Patienten. Das gilt ganz selbstverständlich für die Sicherungsmaßnahmen bei Patienten, die unter dem Einfluss sedierender Medikamente stehen. Erhebt sich etwa ein noch unter dem Einfluss solcher Medikamente stehender Patient weisungswidrig von einer Liege im Aufwachraum, so muss organisatorisch vorgesorgt sein, dass dies entdeckt und der Patient sofort gesichert wird (OLG Oldenburg MDR 2011, 294). Behandlungsfehler und Körperschaden Sehr häufig ist es zwar sehr wahrscheinlich, dass der Gesundheitsschaden des Patienten eine Folge der ärztlichen Fehlbehandlung ist, nur sicher nachgewiesen ist der Kausalzusammenhang

nicht. So wären gerade im Medizinrecht Schadensersatzansprüche nach den üblichen juristischen Spielregeln selten durchzusetzen. Folglich ist Dreh- und Angelpunkt des Arzthaftungsrechts die Beweislast, Beweiserleichterung und Beweislastumkehr. Neben dem Behandlungsfehler muss der Patient dessen Ursächlichkeit für den Schaden beweisen (BGHZ 99,391,398;129,6,10). Das ist die schwierigste Hürde, daran scheitern die meisten Patientenklagen. Der Patient muss nachweisen, dass der ungünstige Verlauf (Nichtheilung oder Körperschaden) nicht eingetreten wäre, wenn der Behandlungsfehler nicht passiert wäre. Sehr häufig führt aber auch eine perfekte Behandlung nicht zur erwünschten Heilung oder zu unerwünschten Risiken. Beispiel: Einer unterlassenen Thromboseprophylaxe mag eine Thrombose folgen. Aber auch mit Thromboseprophylaxe kommt es zu Thrombosen. Beweiserleichterungen bei Arzthaftung Die Besonderheit des Arzthaftungsrechts ist, dass in allen Teilschritten „Alles-oder-Nichts-Entscheidungen“ zu einem völligen Obsiegen oder Unterliegen führen, wenn man nicht – aus beiderseitiger Angst vor dem Verlieren – rechtzeitig einen Vergleich schließt. Eine unzureichende Aufklärung kann den Anspruch nur zu 100 % oder gar nicht entstehen lassen. Das Handeln kann nur ein Fehler oder kein Fehler sein. Die Kausalität kann nur gegeben oder nicht gegeben sein. Der Arzthaftungsprozess besteht also schon im rein medizinischen Bereich aus zahllosen Weichen bis zum Ziel. An jeder einzelnen Weiche kann man den Prozess nur ganz verlieren oder ganz gewinnen! Das Gericht kann im Urteil nicht den Schadensersatz zu 50 % zusprechen, weil die Kausalität zwischen Behandlungsfeh-

ler und Körperschaden mit etwa 50 % wahrscheinlich ist. Diese Klage müsste abgewiesen werden. Deshalb sind Einigungen, am besten außergerichtliche Einigungen, Schlichtungsverfahren oder Mediation sinnvolle Instrumente für die Arzthaftungsfälle. Damit der Patient angesichts solcher Beweishürden nicht nur verliert, hat die Rechtsprechung für den eigentlichen Arzthaftungsprozess vor dem Zivilgericht gerade in den letzten Jahren umfassende und praxistaugliche „Spielregeln“ festgelegt. Verloren gegangene Dokumentation Ärgerlich ist für den Arzt, wenn der Befund erhoben wurde aber verloren gegangen ist (BGH NJW 1996, 779). Auch hier verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass die Verteilung der Beweislast Billigkeitsgründen entspricht und keine Sanktion gegen den Arzt darstellt, weshalb es auch nicht darauf ankommt, ob der Verlust von Dokumenten verschuldet ist oder nicht. Verschwundene Röntgenbilder oder ein unauffindbares EKG haben daher zu der Rechtsprechung geführt, dass es zur gleichen Beweislastumkehr wie bei Nichterhebung des Befundes kommt (BGH in laufender Rechtsprechung, vgl. NJW 1996, 779; 1589).

D Veranstaltungshinweis

7  Schadensersatz mit Kehrseite Immer wieder heißt es nach einem Behandlungsfehler „In Amerika hätte man dafür Millionen bekommen“. Hier wird übersehen, dass die in Deutschland geleisteten Beträge nur zum Teil an den Patienten fließen. Dieser erhält Schmerzensgeld sowie einen Ausgleich des weiteren materiellen Schadens, z. B. Verdienstausfall oder Pflegekosten. Im Übrigen fällt er in das „soziale Netz“, erhält neben der anfänglichen Lohnfortzahlung Leistungen aus Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Behinderte erhalten umfangreiche staatliche Leistungen und so weiter. Sämtliche Einrichtungen können beim Schädiger Regress nehmen. Alles in allem sind die Summen bei großen Schäden kaum geringer als in den USA. Die Summen erhält der Patient in den USA direkt und muss damit für den Rest seines Lebens auskommen. Die enormen Gesamtsummen in den USA mindern das dort übliche Erfolgshonorar der Rechtsanwälte von 40 bis 50 Prozent, übrigens Beträge, von denen ein deutscher Anwalt nur träumen darf. Berufshaftpflicht teurer Kehrseite immer höherer Entschädigungsleistungen sind immer höhere Versicherungsbeiträge für die ärztliche Berufshaftpflichtversicherung. Am höchsten sind diese in der Geburtshilfe und für manche Geburtshelfer und vor allem für viele Hebammen nicht mehr zu finanzieren. Ein adäquater Ausgleich könnten nur höhere Arzthonorare für die gefährlichen Fachbereiche sein, was wiederum höhere Versicherungsleistungen und damit höhere Versicherungsbeiträge in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung zur Folge hätte. Diese Entwicklung würde noch gefördert werden, wenn sich derzeitig diskutierte Bestrebungen zur generellen Umkehr der Beweislast durchsetzten. Dann würde der Arzt immer haftpflichtig sein, solange er nicht beweisen kann, dass die Gesundheitsschäden des Patienten nicht auf einem Behandlungsfehler beruhen. Das jahrzehntelange Bemühen des Bundesgerichtshofs um einen differenzierten Interessenausgleich wäre damit konterkariert.

Berlin, 15.–16.04.2016 Ortho Trauma Update 2016 8. Orthopädie-UnfallchirurgieUpdate-Seminar – Unter der Schirmherrschaft der DGOU/DGSP

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