Kasuistik

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Frontotemporale Demenz (FTD) – Trotz neuer Konsensuskriterien immer noch eine differenzialdiagnostische Herausforderung

Autoren

S. Lüscher, D. Schwerthöffer, J. Diehl-Schmid

Institut

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

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Frontotemporale Demenzen (FTD) stellen immer wieder eine diagnostische Herausforderung dar. Schwierig ist besonders die Abgrenzung zu affektiven Erkrankungen. Anhand einer Kasuistik werden diagnostische Bemühungen und differenzialdiagnostische Überlegungen bei einem Patienten mit Verhaltensauffälligkeiten und affektiven Symptomen geschildert und es wird dabei auf die neuen Konsensuskriterien von Rascowsky et al. für die FTD mit Betonung von Verhaltensauffälligkeiten (bvFTD) eingegangen.

Frontotemporal dementia remains a diagnostic challenge. Especially the differential diagnosis between FTD and affective disorders is often difficult. Based on a case report, diagnostic efforts and differential diagnoses are described and revisited criteria for the behavioral FTD (bvFTD) from Rascowsky et al. are mentioned.

Einleitung

agnose einer erstmaligen depressiven Episode wurde eine medikamentöse Therapie mit Sertralin (bis zu 200 mg täglich) eingeleitet und eine Psychotherapie empfohlen, die der Patient jedoch ablehnte. Wegen unzureichender Wirksamkeit auf die affektive Symptomatik wurde Sertralin nach 6 Wochen auf Venlafaxin (bis 225 mg täglich) umgestellt. Im weiteren Verlauf kam es bei dem Patienten zu erheblichem Alkoholkonsum (bis zu 3 Litern Bier täglich) und häufiger psychomotorischer Unruhe mit ständigem Bewegungsdrang. Ende 2011 wurde der Patient zum ersten Mal stationär psychiatrisch aufgenommen, nachdem er eine große Menge an Venlafaxin (50 Tabletten à 75 mg) und Alkohol (eine Flasche Wodka à 0,7 l) in fraglich suizidaler Absicht zu sich genommen hatte. Die Familienanamnese war unauffällig bezüglich neuro-psychiatrischer Erkrankungen.

● FTD ● frontotemporale Demenz ● Konsensuskriterien FTD ● affektive Störung " " "

Key words

● FTD ● frontotemporal dementia ● revisited diagnostic criteria ● affective disorder " " " "

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Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1365978 Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 267–270 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299

Korrespondenzadresse Sandra Lüscher Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Ismaninger Str. 22 81675 München [email protected]

Die Diagnose einer frontotemporalen Demenz (FTD) stellt aufgrund der Heterogenität des klinischen Bildes und etlicher infrage kommender Differenzialdiagnosen oft eine Herausforderung dar. Trotz des Vorliegens neuer Konsensuskriterien für die FTD, die eine Diagnostik der sogenannten behavioralen Variante der FTD, bvFTD, mit hoher Sensitivität und Spezifität erlauben [1, 2], bleibt die Abgrenzung zu anderen, besonders affektiven, Erkrankungen weiterhin schwierig [3]. Anhand einer Kasuistik werden differenzialdiagnostische Überlegungen bei einem Patienten mit Verhaltensauffälligkeiten und affektiven Symptomen geschildert.

Kasuistik !

Anamnese

Psychopathologischer Befund

Ein 67-jähriger Patient konsultierte im Juni 2011 aufgrund von Adynamie, Affektverflachung, Interessenverlust und Schlafstörungen in direktem zeitlichem Zusammenhang mit seiner Berentung auf Drängen seiner Ehefrau erstmals einen niedergelassenen Psychiater. Unter der Verdachtsdi-

Wacher, 4-fach orientierter Patient, freundlich, jedoch affektiv verflacht, kaum moduliert. Mimisch und psychomotorisch reduziert, stereotype kurze Antworten („ja, ja“, „mir geht es gut“), keine Antwortlatenzen. Konzentration und Mnestik orientierend unauffällig (Serial Seven, Delayed Re-

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Frontotemporal Dementia (FTD) – Even with Revisited Criteria a Diagnostic Challenge

Kasuistik

call), jedoch kann der Patient kaum Angaben zum tagespolitischen Geschehen machen. Die Stimmung wird als ausgeglichen beschrieben, in seiner Selbsteinschätzung beschreibt sich der Patient als „nicht krank“. Massive Ein- und Durchschlafstörungen sowie gesteigerter Appetit. Halluzinationen, Wahn- oder IchStörungen werden verneint. Von Suizidalität distanziert. Nicht krankheits- oder therapieeinsichtig.

Diagnostik !

Die körperlich-neurologische Untersuchung des Patienten ergab einen unauffälligen Befund. Insbesondere lagen keine Primitivreflexe vor, also kein Babinski-Zeichen, kein Palmomentalreflex und kein Glabellareflex, keine extrapyramidal-motorischen Symptome, keine Muskelfaszikulationen, keine Okulomotorikstörung, keine Muskelatrophien und keine Aphasie. Die internistische Untersuchung des Patienten inklusive Röntgen-Thorax und EKG war unauffällig. Laborchemisch (inklusive TSH, Vitamin B1, B6, B12, TPHA-Serologie) lediglich erhöhter Wert für MCV (96 fl, Normbereich 88 – 92 fl) als mögliches Zeichen eines chronisch erhöhten Alkoholkonsums. Weitere apparative Diagnostik mittels EEG und cMRT ergab keine wegweisenden Befunde, wobei das cMRT eine leichtgradige, symmetrische temporo-mesial betonte Atrophie zeigte, jedoch insgesamt als altersentsprechend beurteilt wurde. Die Liquordiagnostik inklusive der Neurodegenerationsparameter (Tau-Protein, Phospho-Tau-Protein, Beta-Amyloid 1 – 42, 14 – 3-3 Protein) war unauffällig. Die zerebrale Fluordesoxyglucose-Positronenemissionstomografie (FDG-PET) zeigte einen leicht inhomogenen Glucosehypometabolismus, betont basal im Temporallappen beidseits ohne Nachweis größerer zusammenhängender hypometaboler Areale. In einer neuropsychologischen Untersuchung ergaben sich in der CERAD (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease)-Testbatterie nicht eindeutig interpretierbare, knapp unterdurchschnittliche Minderleistungen in sämtlichen Bereichen sowie eine deutliche Motivations- und Konzentrationsfluktuation und eine ausgeprägte Tendenz zum vorschnellen Handeln. Der MMST (Mini-Mental-Status-Test) ergab einen Wert von 22/30. Insgesamt wurde das Ergebnis als „passend zu einer demenziellen Entwicklung“ eingeordnet.

Mittelfristiger Verlauf Unter der Verdachtsdiagnose einer schweren, therapieresistenten depressiven Episode mit sekundärem Alkoholmissbrauch erfolgten bei dem Patienten Alkoholkarenz und mehrere antidepressive medikamentöse Therapieversuche in ausreichender Dauer und Dosierung (Citalopram, Venlafaxin, Trazodon, Sertralin, Mirtazapin). Ein Alkoholentzugsdelir trat nicht auf. Bei zunehmend risikoreichem Verhalten (Rauchen im Bett, unerlaubtes Autofahren mit Unfallfolge während Wochenendbeurlaubung) erfolgte augmentierend die niedrigdosierte Gabe verschiedener atypischer Neuroleptika (Risperidon, Olanzapin, Aripiprazol). Die Therapie bewirkte jedoch keinerlei Verbesserung der ausgeprägten Antriebslosigkeit. Der Patient verblieb mitunter tagelang im Bett und verweigerte die Teilnahme am Therapieprogramm. Auch die affektive Verflachung in Kombination mit einer auffälligen Hypomimie und das knappe und stereotype Antwortverhalten („Jaja“) blieben unverändert. Zudem vermochte die medikamentöse Therapie nicht die weiterhin ausgeprägten Ein- und

Durchschlafstörungen zu beeinflussen oder die immer wieder auftretenden Phasen ausgeprägter psychomotorischer Unruhe, in denen der Patient stundenlang auf dem Stationsflur umherlief. Zudem fiel eine Hyperoralität auf, so rauchte der Patient pausenlos. Er aß Kiwis mit Schale, füllte mehrfach den Inhalt einer gesamten Zuckerdose in seinen Kaffee und aß wiederholt das Essen von Mitpatienten auf, das er zuvor von deren Tablett entwendet hatte. Auch betrat er wiederholt unangekündigt die Zimmer seiner Mitpatienten, ohne erklären zu können warum. Erschwert wurde die Einordnung dieses teilweise inadäquat wirkenden Verhaltens durch fremdanamnestische Angaben der Ehefrau, ihr Mann sei „bereits sein Leben lang enthemmt“ gewesen, z. B. sei er immer schon ein rasanter Autofahrer gewesen und habe eine Vorliebe für Pornografie. Dies wäre auch mit einer impulsiven Persönlichkeitsvariante vereinbar. Medikamentös besserten sich die anhaltenden Schlafstörungen des Patienten erst unter Doxepin-Infusionen. Bei anhaltender Adynamie wurde schließlich eine zwölfmalige Elektrokrampftherapie (EKT) durchgeführt. Darunter besserten sich die Antriebslosigkeit und die Unruhe deutlich und der Patient wurde deutlich schwingungsfähiger. Hyperoralität und Distanzlosigkeit blieben jedoch unverändert. In der nach Abschluss der EKT durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung mittels CERAD-Testbatterie ergab sich nun ein deutlich verbessertes, weitgehend altersentsprechendes Leistungsprofil mit lediglich leichter Beeinträchtigung der semantischen Wortflüssigkeit und des Wiedererkennens. Da sich der Patient, besonders bei Ausgängen mit der Familie, häufig riskant und unberechenbar verhielt (unvorsichtiges Überqueren von Straßen, Klettern aufs Hausdach, wiederholtes Rauchen auf Station mit Aktivieren von Feuermeldern), war letztlich eine Entlassung nach Hause nicht möglich, so dass mit Patient und Familie eine Unterbringung in einer beschützenden Wohngruppe beschlossen wurde.

Langfristiger Verlauf Im Juni 2013 wurde der Patient, mehr als ein Jahr nach der Entlassung, erneut stationär aufgenommen, da er sich in der Wohngruppe immer wieder Mitpatientinnen unerwünscht sexuell genähert hatte. Der Patient zeigte im Vergleich zum Voraufenthalt weniger hyperorale und distanzgeminderte Verhaltensweisen bei weiterhin offensichtlicher Affektverflachung und Adynamie. Der psychopathologische Befund hatte sich kaum verändert. Nach wie vor zeigte der Patient keine Krankheitseinsicht („mir geht es gut, bin nicht krank“). Im zerebralen FDG-PET ergab sich wiederum ein leicht inhomogener Glucosehypometabolismus, betont im Temporallappen beidseits, der jedoch erneut nicht zur Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung ausreichte und keine Progredienz zu den Voraufnahmen zeigte. In der neuropsychologischen Untersuchung (CERAD-Testbatterie) ergab sich nahezu der gleiche Befund wie zur zweiten Voruntersuchung mit insgesamt weitgehend altersentsprechenden Ergebnissen. Die Liquordiagnostik inklusive Neurodegenerationsparameter blieb erneut ohne auffälligen Befund.

Differenzialdiagnostische Überlegungen Differenzialdiagnostisch wurden bei dem Patienten eine neurodegenerative Erkrankung mit Verhaltensauffälligkeiten als vor-

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Konsensuskriterien der bvFTD nach [1].

Mögliche bvFTD Verhalten (3 aus 6, Auftreten innerhalb der ersten 3 Jahre)

– – – – – –

Wahrscheinliche bvFTD

Gesicherte bvFTD

Enthemmung Apathie oder Passivität Verlust von Mitgefühl oder Einfühlungsvermögen Hyperoralität oder Änderung d. Essverhaltens Perseveratives, stereotypes oder zwanghaftes/ritualisiertes Verhalten Störung exekutiver Funktionen

Bildgebung (1 aus 2)

– cCT oder cMRT zeigt frontale u/o anteriore temporale Atrophie – PET zeigt frontalen u/o anterioren temporalen Hypometabolismus

Ausmaß

Störung der Alltagsfunktion – Histopathologie post mortem oder bioptisch – Vorliegen einer bekannten Mutation

Pathobiologie (1 aus 2)

wiegender Symptomatik (z. B. bvFTD) und eine therapieresistente depressive Störung diskutiert.

Einteilung der frontotemporalen Lobärdegenerationen (FTLD) und neue Konsensuskriterien der bvFTD Die frontotemporalen lobären Degenerationen (FTLD) sind eine Bezeichnung für eine klinisch, neuropathologisch und genetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen, die durch eine bevorzugt den Frontal- und/oder die Temporallappen betreffende Atrophie charakterisiert sind [4, 5]. Je nach hauptsächlicher Lokalisation des neurodegenerativen Prozesses lassen sich drei klinische Syndrome unterscheiden, die in erster Linie entweder durch Verhaltensauffälligkeiten oder durch eine primär progrediente Aphasie (PPA) gekennzeichnet sind [5]. 1. Bei der frontotemporalen Demenz, der häufigsten klinischen Manifestation der FTLD, ist der neurodegenerative Prozess in erster Linie auf den Frontallappen fokussiert. 2. Die semantische Demenz (SD, auch semantische Variante der primär progredienten Aphasie, svPPA, genannt) wird durch eine bilaterale, häufig asymmetrische, linksbetonte Atrophie der anterioren Temporallappen verursacht. 3. Die progrediente, nicht-flüssige Aphasie (PNFA, auch nichtflüssige Variante der PPA, nfvPPA) ist durch einen Nervenzelluntergang vor allem des frontalen inferioren Gyrus, des Prämotorkortex und der Insel der sprachdominanten Hemisphäre gekennzeichnet. Als Weiterentwicklung der Kriterien nach Neary et al. [5], die für die Diagnose einer FTD als Hauptkriterien einen „schleichenden Beginn mit allmählichem Fortschreiten“, „eine frühe Störung des Sozialverhaltens“, „eine frühe Persönlichkeitsänderung“, „eine frühe emotionale Verflachung“ und „einen frühen Verlust der Krankheitseinsicht“ fordern, wird in den neuen Konsensuskriterien für die behaviorale Variante der FTD (bvFTD) nach Rascovsky et al. das Vorkommen von mindestens drei aus sechs Symptomkomplexen gefordert. Die neuen Kriterien erlauben eine Graduierung in „mögliche bvFTD“, „wahrscheinliche bvFTD“ und „gesi" Tab. 1 aufgelistet [1]. cherte bvFTD“, wie in ●

Epidemiologie und Diagnostik der FTLD Die FTLD macht zwar mit 5 – 7 % nur einen geringen Anteil aller Demenzformen aus, stellt jedoch in der Gruppe der präsenilen Demenzen, die vor dem 65. Lebensjahr beginnen, mit rund 50 % eine häufige Erkrankung dar [3, 4]. Die Familienanamnese ist in 35 – 50 % positiv für psychiatrische oder demenzielle Erkrankungen, in mindestens 10 % der Fälle liegt ein autosomal dominanter Erbgang vor [6]. Männer und Frauen sind in etwa gleich häufig

Tab. 2

Psychiatrische Differenzialdiagnosen bvFTD.

1. Depression 2. Manie 3. Bipolare Störung 4. Substanzmissbrauch 5. Persönlichkeitsstörung 6. Zwangserkrankung 7. Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis

betroffen [6]. Zur Diagnostik gehören die Erhebung der psychiatrischen Anamnese inklusive einer ausführlichen Fremdanamnese, ggf. eine Verhaltensbeobachtung, eine körperliche und neurologische Untersuchung, laborchemische Untersuchungen zum Ausschluss somatischer Erkrankungen, eine neuropsychologische Untersuchung, eine zerebrale strukturelle Bildgebung (Kernspintomografie) sowie eine Liquordiagnostik inklusive Neurodegenerationsmarker. Differenzialdagnostisch hilfreich ist in vielen Fällen die funktionelle Bildgebung (FDG-PET) [7]. Eine Diagnosesicherung ist hirnbioptisch mittels der Detektion der abnormen Proteinablagerungen in Form von neuronalen und glialen Einschlusskörperchen (vor allem Tau-Protein bzw. TARDNA bindendes Protein-43, TDP-43) möglich. Bei genetischen Fällen sichert der Nachweis einer Genmutation die Diagnose [4].

Differenzialdiagnosen der bvFTD Differenzialdiagnostische Überlegungen müssen demenzielle Erkrankungen anderer Ätiologie (neurodegenerativ, vaskulär, infektiös, entzündlich, autoimmun, metabolisch, neoplastisch/paraneoplastisch, infektiös etc.) berücksichtigen. Differenzialdiagnostisch ist zudem eine Reihe nicht-organischer psychischer Erkrankungen " Tab. 2 aufgelistet. in Betracht zu ziehen. Diese sind in ●

Diskussion !

Bei der geschilderten Kasuistik liegen zweifelsfrei mindestens drei der für die nach den neuen Konsensuskriterien für die bvFTD geforderten Symptomkomplexe vor. Wegen der unauffälligen strukturellen und funktionellen zerebralen Bildgebung ist im vorliegenden Fall die Diagnose einer „möglichen bvFTD“ zu stellen. Neben der unauffälligen Hirnstruktur und -funktion sprechen allerdings die nicht eindeutige Progredienz der Verhaltensauffälligkeiten, der unauffällige körperlich-neurologische Untersuchungsbefund, der (auch im Verlauf) unauffällige Liquorbefund, schwankende, teilweise altersentsprechende, neuropsychologi-

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Tab. 1

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sche Befunde sowie das Teilansprechen einiger Symptome auf eine EKT tatsächlich eher für einen affektiven Prozess. Andererseits sind Patienten mit bvFTD mit sehr langem Verlauf und entsprechend langsam verlaufender Verschlechterung beschrieben. Die Leistungen in neuropsychologischen Untersuchungen können in den ersten Jahren der Erkrankung – zumindest wenn nur Standardtestbatterien wie die CERAD verwendet werden – altersentsprechend sein. Unauffällige cMRT-Befunde sind im Frühstadium der bvFTD keine Seltenheit [7]. Uneindeutige FDG-PETBefunde können vorkommen. Gleichzeitig gibt es bislang keine Liquormarker, die – ähnlich dem beta-Amyloid bei der Alzheimer-Krankheit – eine Positivdiagnostik der FTLD ermöglichen könnten. Die Frage, ob in diagnostisch unklaren Fällen der Versuch unternommen werden soll, die Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung durch eine Hirnbiopsie zu erzwingen bzw. auszuschließen, muss unter anderem vor dem Hintergrund der Sicherheit dieses Verfahrens, der Eindeutigkeit eines histopathologischen Befundes (z. B. Risiko eines falsch negativen Befundes), der therapeutischen Konsequenz und des Rechts auf Wissen- bzw. NichtWissen-Wollen beurteilt werden, wobei der Patient zu einer diesbezüglichen freien Willensbildung krankheitsbedingt häufig gar nicht in der Lage sein dürfte. Die S3-Leitlinie „Demenzen“ spricht im Hinblick auf die Wertigkeit einer Hirnbiopsie zur Diagnosesicherung keine Empfehlung aus [8].

Abschließende differenzialdiagnostische Stellungnahme !

Unserer Meinung nach überwiegen bei dem Patienten bislang die zahlreichen Hinweise für das Vorliegen einer hartnäckigen affektiven Erkrankung (s. Diskussion) und eine neurodegenerative Erkrankung kann momentan nicht diagnostiziert werden. Weitere therapeutische Konsequenzen einer eventuellen diagnostischen Hirnbiopsie waren nicht erkennbar. Nach Rücksprache mit dem Patienten und seiner Familie entschieden wir uns, neben der Empfehlung einer kontinuierlichen ambulanten nervenärztlichen Betreuung, für engmaschige Verlaufsuntersuchungen mit klinischer und apparativer Diagnostik, um die Entwicklung bei weiterhin möglicher bvFTD zu beurteilen.

Fazit !

Die Abgrenzung der frontotemporalen Demenz (bvFTD) zu nichtorganischen, psychischen, insbesondere affektiven Erkrankungen kann eine Herausforderung darstellen. In manchen Fällen wird nur der Langzeitverlauf eine eindeutige Einordnung ermöglichen. Eine histopathologische Diagnosesicherung durch Hirnbiopsie muss vor dem Hintergrund einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung für den Patienten erfolgen und wird derzeit nicht standardmäßig empfohlen oder durchgeführt [8, 12]. Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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[Frontotemporal Dementia (FTD) - even with revisited criteria a diagnostic challenge].

Frontotemporal dementia remains a diagnostic challenge. Especially the differential diagnosis between FTD and affective disorders is often difficult. ...
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