102 Jg.

Häring: Chirurgische Notfallmaßnahmen bei massiver Osophagusvarizenblutung

Aktuelle Therapie

2.89

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 289-291 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Chirurgische Notfaltmaßnahmen bei der massiven Osophagusvarizenblutung Die Behandlung der Leberzirrhose ist grundsätzlich eine Domäne der inneren Medizin. Der Chirurg aber wird mit den Komplikationen des Krankheitsbildes konfrontiert, und zwar in zunehmendem Maße. Die gefährlichste Komplikation ist die massive Blutung aus Ösophagusvarizen als Folge des Pfortaderhochdruckes. Der Patient schwebt immer in unmittelbarer Lebensgefahr. Etwa 60% der Kranken überleben bereits die erste Blutung nicht.

Für diese Notfalisituation gibt es eine Vielzahl konservativer und operativer Behandlungsmethoden. Die Prognose der Blutung hat sich damit nicht gebessert. Für das therapeutische Vorgehen stellen sich drei Ziele: 1. die unmittelbare Blutstillung, 2. die Vermeidung einer Rezidivblutung und 3. die definitive Senkung des Pfortaderhochdrucks. Die Leberzirrhose selbst ist allerdings nicht mit operativen Maßnahmen zu beeinflussen.

Behandlungsmethoden Drei große Gruppen von therapeutischen Maßnahmen lassen sich bei der massiven Varizenblutung unterscheiden:

nicht operative Verfahren, wie die Tamponade mit der Sengstaken- oder Linton-Nachias-Sonde, die Octapressin-Infusion und die transösophagoskopische Vanzenverödung; druckentlastende Operationen, wie die portocavale Anastomose, seltener die splenorenale Shunt-Operation. Sie sind am ehesten als kausal anzusehen;

R. Häring Chirurgische Klinik und Poliklinik im Kliriikum Steglitz der Freien Universitat Serlin )Geschaftsf. Direktor: Prof. Dr. H. Franke)

Sperroperationen im Bereich des terminalen Osophagus oder proximalen Magens mit dem Ziel, die zuführenden Venen zu den Osophagus- und Fundusvarizen zu unterbrechen. Bei der akuten Blutung spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Die sofortige Blutstillung ist der wesentlichste Schritt. Dies gilt um so mehr, als die schon kranke Leber durch Sauerstoffmangel, Eiweißverlust und Elektrolytentgleisung weiter geschädigt wird. Der schwer kalkulierbare Faktor Leber bestimmt zwangsläufig das taktische Vorgehen und die Ergebnisse der chirurgischen Therapie. Hierfür gibt es zwar einen Rahmenplan, aber keine starre Schematisierung. Bei jedem einzelnen Kranken stellt sich die Frage nach dem günstigsten Vorgehen wieder neu. Es besteht Ubereinstimmung darüber, daß bei der akuten Blutung die Blutstillung zunächst durch die initiale Ballon-Tamponade versucht wird. Parallel damit gehen Schockbehandlung, Ausgleich der Wasserund Elektrolytstörung und Maßnahmen zur Verhütung eines Leberkomas. Absaugen des blutigen Mageninhaltes, häufige und regelmäßige Darmspülungen, Applikation von schwer resorbierbaren Antibiotika und Lactulose sollen die Aktivität ammoniakbildender Darmbakterien reduzieren. Die Gabe von Octapressin (20 Einheiten auf 500 ml Lösungsmittel, Infusionszeit 30 mm), intravenös oder selektiv über einen Seldinger-Katheter in die A. mesentenca superior appliziert, soll eine Drucksenkung im Splanchnicusgebiet bewirken. Wir konnten uns von diesem Effekt aufgrund intraoperativer Druckmessungen in der Pfortader nicht überzeugen.

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Nr. 8, 25. Februar 1977,

Häring Chirurgische Notfallmaßnahmen bei massiver Osophagusvarizenblutung

Ob die in Deutschland von Paquet (5, 6) empfohlene transösophagoskopische Sklerosierungsbehandlung der Ösophagusvarizen auch bei der massiven Blutung anwendbar ist, bleibt dahingestellt. Bei den operativen Verfahren konkurriert die ShuntOperation mit den Sperroperationen. Ein prospektiver Leistungsvergleich zwischen beiden Verfahren steht bislang noch aus. Wir bevorzugen die portocavale ShuntOperation, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens wird der portale Hochdruck rasch und definitiv gesenkt und damit die Blutungsgefahr, vor allem auch für später, weitgehend beseitigt. Zweitens ist sie ein sicheres und zeitsparendes Operationsverfahren. Die Operationsdauer ist bei der Blutung von wesentlicher Bedeutung. Drittens entfällt das zusätzliche Risiko eines Zweitemgriffes, wie er beispielsweise nach Sperroperationen notwendig wird. Sperroperationen (subkardiale Magendissektion, transthorakale Ösophagusdissektion, Fundektomie, Kardiaumpfianzung, Dissektionsligatur und viele andere) bedeuten ein größeres Operationstrauma. Sie können zum Beispiel durch Nahtinsuffizienz am Ösophagus kompliziert sein. Das Operationsrisiko ist größer, vor allem, wenn das Risiko einer später notwendigen definitiven Druckentlastung in die Kalkulation einbezogen wird.

Taktisches Vorgehen Wir halten uns an das Prinzip der verzögerten Notoperation, wie sie von Esser und Gütgemann 1969 (1) empfohlen wurde. Sofort nach Einlieferung des Varizenbluters beginnt die Schockbekämpfung, möglichst mit Frischblutkonserven. Wir versuchen, zunächst mit Hilfe der Sengstaken-Sonde eine Tamponade der blutenden Vanzen zu erreichen. Dabei gewinnen wir Zeit für die Stabilisierung des Kreislaufs und für die Operationsvorbereitung. Darüber hinaus sind Magenspülungen und Einläufe erforderlich, um alles Blut aus dem Gastrointestinaltrakt zu entfernen. Parallel zu diesen Maßnahmen bleibt Zeit für klinisch-chemische Untersuchungen (Transaminasen, Bilirubin, Hämoglobin, Hämatokrit, Germnungsfaktoren, Cholinesterase, Elektrophorese, Serumelektrolyte).Bei zweifelhafter Diagnose sind eine Ösophagoskopie und Gastroskopie angezeigt. Erlaubt es der Zustand des Patienten, so wird zur Darstellung der Pfortader, vor allem zum Ausschluß einer gleichzeitigen Thrombose, eine selektive Angiographie der A. coeliaca ausgeführt. Bei Pfortaderthrombose kommt eine Spernoperation in Frage. Der sogenannte verzögerte Not-Shunt wird nach Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse innerhalb von 8-24 Stundeii, höchstens 48 Stunden nach der Blutung durchgeführt. Kommt es trotz liegender Sengstaken-Sonde nicht zum vorübergehenden Sistieren der Blutung, so ist man gezwungen, sofort zu operieren.

Ergebnisse Blutende Ösophagusvarizen bedeuten ein echtes therapeutisches Dilemma. Konservative BehandlungsmaßnahL men haben schlechte Ergebnisse. Sie können die Blutung

Deutsche Medizinische Wochenschritt

meist nur vorübergehend stoppen. Eine Nachblutung ist die Regel. Schröder und yang (7) beobachteten sie in 84% innerhalb der ersten Woche nach der Primärblutung. Deshalb ist die Varizenblutung heute eine Domäne der Chirurgie. Die Ergebnisse der als Notmaßnahme vorgenommenen Shunt-Operation sind nicht vergleichbar mit denen der sogenannten Intervalleingriffe, die nach strengen Auswahikriterien durchgeführt werden. In der Notsituation ist eine solche Selektion, die viele Faktoren berücksichtigt, schwierig. Die »Qualität der Leber« ist der limitierende Faktor und nicht leicht abzuschätzen. Berücksichtigt werden muß stets das individuelle Schicksal des einzelnen Kranken. Auch Patienten in schlechtem Zustand können nicht grundsätzlich von einer möglicherweise doch wirksamen Therapie ausgeschlossen werden. Aus eigener Erfahrung kann bestätigt werden, daß Patienten mit schlechten Voraussetzungen die Operation überlebten, während Kranke mit günstigen Parametern gestorben sind. Dies gilt auch für alte Menschen, denen man oft eine operative Therapie nicht mehr zumuten will. Hohes Lebensalter allein ist für uns keine Kontraindikation. Entscheidend ist: wenn Indikation zur notfallmäßigen portocavalen Anastomose, dann frühzeitig, ehe wiederholte Blutungen die Leberfunktion noch weiter verschlechtern. Im Leberkoma erscheint uns der Eingriff nicht mehr gerechtfertigt. Ein Vergleich der Ergebnisse in der Literatur, bezogen auf die verschiedenen Behandlungsmaßnahmen, ist nur sehr schwer möglich. Es fehlen exakte prospektive Untersuchungen, und die Auswahl der Patienten für den NotShunt ist sehr unterschiedlich. Orloff und Mitarbeiter (4) zum Beispiel operieren nicht, wenn gleichzeitig Ikterus, Aszites und Enzephalopathie vorliegen. Trifft man eine strenge Selektion, so muß die Letalität in der nur konservativ behandelten Gruppe zwangsläufig ansteigen und umgekehrt. Die Operationssterblichkeit bei der NotShunt-Operation liegt im Schrifttum zwischen 23 und 52% (Tabelle 1), im Durchschnitt bei 38,3%, wie aus Tab. I. Ergebnisse der Not-Shunt-Operation aus der Literatur Patienten

Autor und Jahr

Operationsletalität n

n

Child

1955

8

3

38

Wantz, Payne

1961

24

11

46

Mikkelsen et al.

1962

37

13

35

Szecseny

1964

17

9

52

Peskin et al.

1964

13

3

23

Preston, Trippel

1965

25

11

44

Esser, Gütgemann

1969

57

24

42

Edmonson

1971

50

24

48

Schröder, Vang

1973

28

9

32

Orloff at al.

1975

138

68

49

Häring

1976

159

84

52,8

ohne Selektion der Kranken

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Jg.

einer größeren Sammeistatistik von Hoffmann und Mitarbeitern (3) hervorgeht. Die häufig ins Feld geführte postoperative Enzephalopathie ist unseres Erachtens keine stichhaltige Kontraindikation der Shunt-Operation. Sie ist nicht wesentlich häufiger (20%) als bei den nicht operierten Zirrhotikern. Durch vernünftige Lebensweise und mit einer eiweißarmen Diät läßt sie sich durchaus in Grenzen halten. Tab. 2. Behandlungsergebnisse bei der massiven Blutung aus Osophagusvarizen Therapie

Patienten

Letalität

n

5/

n

Vo

159

65,7

84

52,8

konservative Therapie (Ballon-Sonde, Transfusion)

54

22,3

35

64,8

Sperroperationen (Varizenumstechung, Fundektomie, Kardia-Umpflanzung)

29

12

25

86,2

144

59,5

Not-Shunt

Gesamt

2.9 I

Häring: Chirurgische Notfallmaßnahmen bei massiver Ösophagusvarizenhlutung

242

Wir selbst haben 242 Patienten mit einer massiven Varizenblutung bei Leberzirrhose behandelt (2). Tabelle 2 zeigt Behandlungsart und Letalität. Die Sterblichkeit in der konservativen Gruppe liegt bei 64,8%. Bei der Sperroperation sind die Ergebnisse sehr schlecht, hier beträgt die Letalität 86,2%. Bei 159 Patienten haben wir die verzögerte portocavale Notoperation durchgeführt mit einer Sterblichkeit von 52,8%. Diese Zahl ist zweifelsohne hoch, aber doch günstiger als in den beiden anderen Behandlungsgruppen. Das Ergebnis erscheint in einem besseren Licht, wenn wir die Auswahlkriterien für den Not-Shunt betrachten. Bei allen unseren Patienten handelt es sich um schwere Blutungen, die durch die Ballon-Tamponade nicht oder nur vorübergehend gestilit werden konnten. Zum größten Teil waren uns die Kranken aus anderen Kliniken schon mehrere Tage anbehandelt und mit liegender Sengstaken-Sonde eingeliefert worden. Lebensalter und negative klinisch-chemische Kriterien hatten keinen Einfluß auf unsere Operationsindikation. Mit anderen Worten, wir haben keine Selektion durchgeführt. Lediglich Patienten im Leberkoma wurden nicht mehr operiert. Bringt man die Letalität in Beziehung zum Lebensalter, so zeigt sich kein wesentlicher Unterschied. Bei den über 60jährigen Patienten (43% der Kranken) betrug die Letalität 58,7%, bei der jüngeren Patientengruppe 44,3%. Untersucht man die Abhängigkeit des Risikos der Shunt-Operation von der Leberfunktion anhand der präoperativ ermittelten klinischen und klinisch-chemischen Parameter, so scheinen ein massiver Aszites, eine Bilirubinerhöhung und ein deutlicher Anstieg der Transaminasen ungünstig zu sein, ohne daß aber eine statistisch gesicherte Signifikanz besteht.

Tab. 3. Todesursachen bei 84 Patienten nach portocavalem NotShunt wegen massiver Blutung aus Ösophagusvarizen Todesursachen

n

Rezidivblutung

32

38,1

Leberkoma

29

34,5

respiratorische lnsuffizienz (Aspiration)

17

20,2

fulminante Lungenartcrienembolie

1

1,2

Herzinsuffizienz

4

4,8

Peritonitis

1

1,2

An Todesursachen steht an erster Stelle die Rezidivblutung, an zweiter das Leberkoma (Tabelle 3). Diese Rezidivblutungen, die immer in der ersten postoperativen Woche auftreten, sind weder auf eine Thrombose der Gefäßanastomose noch auf eine ungenügende Drucksenkung zurückzuführen. Die intraoperativ regelmäßig vorgenommene Druckmessung in der Pfortader ergab immer einen eindeutigen Druckabfall. Wir sehen vielmehr ihre Ursache darin, daß das frisch thrombosierte Leck in der rupturierten Varize noch nicht dauerhaft verschlossen ist und schon kurzfristig auftretende beträchtliche Druckanstiege ausreichen, den frischen Thrombus herauszuspülen. Postoperative intraportale Druckmessungen, über mehrere Tage durchgeführt, haben uns gezeigt, daß beispielsweise bei Bauchpresse oder beim Husten auch nach portocavaler Anastomose Druckspitzen im Pfortadersystem um durchschnittlich 50 mm Hg möglich sind. Die notfallmäßige portocavale Anastomose ist ein ausgesprochener Risiko-Eingriff. Viele Chirurgen scheuen daher diese Operation. Zweifelsohne belasten solche hohen Letalitätszahlen den Operateur. Resignation scheint uns aber fehl am Platze, da es bisher keine Behandlungsmethoden gibt, die mehr Erfolg versprecheii. Literatur Esser, G., A. Gütgemann: Die akute Ösophagusvarizenhlutung. Dtsch. med. Wschr. 94 (1969), 1476.

Häring, R., U. Baer, B. Stallkamp, L. C. Tung: Portokavaler NotShunt bei der massiven Ösophagusvar:zenhlutung. Med. Welt )Stuttg.) 27 N. F. (1976), 964. Hoffmann, E., A. Jiinemaon, F. Niemann, R. Schröder: Blutende Osophagusvarizen und ihre Behandlung. ii. Umgehungsanastomosen zur Senkung der porralen Hypertension. Zbl. Chir. 96 (1971), 70.

Orloff, M. J., A. C. Charters, J. G. Chander, J. K. Condon, D. E. Grambort, Tb. R. Modafferi, S. E. Levin, N. B. Brown, S. C. Sviokla,

D G. Knox: Portocaval shunt as

emergency procedure in unselected patients svith alcohol cirrhosis. Surg. Gynec. Obster. 141 (19751, 59.

Paquet, K. J. Die endoskopische Fibrosklerosierung von Osophagusvarizen. Therapiewoche 24 (1974), 381. Paquet, K. J., V. Büsiag, G. Kiiems: Wandsklerosierung der Speiserohre wegen akuter, konservativ unstillharcr und droliender Varizenhiutung. Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 59. Schröder, R., J. yang: Zur Therapie der schweren Ösophagusvarizenblutung. Schweiz. med. Wschr. 103 (1973), 1081. Schuster, G., E. Ungeheuer: Die Behandlung der Ösophagusvarizenblutung bei Leberzirrhose und ihre Ergeb. fisse. Med. KIm. 67 (1972), 668.

Prof. Dr. R. Häring Chirurgische Klinik und Poliklinik der Freien Universität Klinikum Steglitz 1000 Berlin 45, Hindenburgdamm 30

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Nr. 8, 25. Februar 1977,

[Emergency surgery in massive bleeding esophageal varices].

102 Jg. Häring: Chirurgische Notfallmaßnahmen bei massiver Osophagusvarizenblutung Aktuelle Therapie 2.89 Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamb...
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