Originalarbeit

Vorhofflimmern in Deutschland – eine prospektive Krankheitskostenstudie A. Spyra1, D. Daniel1, I.-M. Thate-Waschke2, S. Berghaus2, S. Willich3, U. Zeymer4, R. Rychlik1

Institute 1 Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Burscheid 2 Bayer Vital GmbH, Leverkusen 3 Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitäts­ medizin Berlin 4 Klinikum der Stadt Ludwigshafen am Rhein gGmbH

Zusammenfassung Hintergrund und Fragestellung | Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung in der klinischen Praxis und mit einem ­hohen Risiko für Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Hospitalisierung verbunden. Die vorliegende Krankheitskostenstudie untersucht die indikationsspezifischen direkten Kosten von gesetzlich versicherten VHF-Patienten in Deutschland. Methodik | Die Erhebung erfolgte bundesweit bei 54 niedergelassenen Allgemeinmedizinern, Praktikern und hausärztlich tätigen Internisten sowie bei 12 niedergelassenen Kardiologen. Der Beobachtungszeitraum pro Patient betrug ein Jahr. Die Kostenanalyse wurde aus der Perspektive der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV) durch­ geführt. In der Studienpopulation wurden die jährlichen indikationsspezifischen direkten Kos-

Einleitung Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung in der klinischen Praxis und mit einem hohen Risiko für Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Hospitalisierung verbunden [6]. In Europa sind schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen davon betroffen. In Deutschland waren es im Jahr 2009 ca. 2 Millionen Patienten [13, 14], damit liegt die Prävalenz des VHF in Deutschland bei ca. 2 % [4, 14]. Für das Jahr 2020 wird ein weiterer Anstieg bis zu einer Prävalenz von über 2,6 % erwartet [14]. Bis 2050 könnte die Prävalenz aufgrund der alternden Bevölkerung und der Zunahme von prädisponierenden Faktoren nach Angaben der European Society of Cardiology Guideline sogar um das Doppelte ansteigen [2].

Korrespondenz Anna Spyra Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Am Ziegelfeld 28 51 399 Burscheid 49-2174–715122 [email protected]

VHF ist mit einem erhöhten Risiko für ein thromboembolisches Ereignis assoziiert [12]. So erhöht VHF das Risiko für einen Schlaganfall um das 5-­fache und ist insgesamt für 15–20 % aller Schlaganfälle verantwortlich [13]. Trotz der hohen Prävalenz des VHF gibt es nur wenige nationale und internationale Studien, die die sozialen und ökonomischen Folgen des VHF evaluieren. Zudem unterscheiden sich die bisherigen Studien erheblich in der Wahl des methodischen Ansatzes [1, 3, 5].

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ten sowie weitere patientenrelevante Parameter erhoben. Ergebnisse | Die von den Hausärzten dokumentierten indikationsspezifischen Leistungen von 361 Patienten (Alter: 75 Jahre, männlich: 55 %) verursachen durchschnittliche Kosten in Höhe von 582 € pro Patient. Den größten Kostenblock stellen die Klinikkosten mit 289 €, gefolgt von den ambulanten Behandlungskosten mit 151 € und den Kosten für Antikoagulation mit 52 € pro Patient. Ein zusätzlicher Besuch bei einem Kardiologen verursacht durchschnittlich Kosten in Höhe von 82 €. Die durchschnittlichen Gesamtkosten belaufen sich demnach auf 664 €. Folgerungen | Die Ergebnisse dieser prospektiv erhobenen Krankheitskostenanalyse zum VHF in der Alltagsversorgung in Deutschland zeigen eine hohe sozioökonomische Belastung durch VHF.

Primäres Ziel dieser Krankheitskostenstudie war die Berechnung der durchschnittlichen jährlichen indikationsspezifischen direkten Kosten für Patienten mit VHF aus der Perspektive der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Darüber hinaus wurden der Krankheitsverlauf und die dem VHF zugrundeliegenden Versorgungsstrukturen abgebildet sowie Lebensqualität und Therapiezufriedenheit der Patienten erhoben. Die hier vorlie­ gende Publikation fokussiert auf die durch die ­Behandlung des VHF entstehenden Kosten aus GKV-Sicht.

Methodik Bei dieser Krankheitskostenstudie handelt es sich um eine prospektive, offene, multizentrische Beobachtungsstudie. Die Datenerhebung fokussierte auf zwei Arztgruppen: ▶▶ niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten (API) sowie ▶▶ niedergelassene Kardiologen. Aus der Grundgesamtheit der niedergelassenen Ärzte wurde eine bundesweite Zufallsstichprobe von 54 APIs und 12 Kardiologen erfasst. Die Re­ krutierung erfolgte in Anlehnung an die Publikation von McBride et al. nicht auf Basis einer Fall-

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Originalarbeit

Die Erfassung der Kosten erfolgte in Form einer zweistufigen Datenerhebung. Die Hauptdatenerhebung wurde bei APIs durchgeführt. Diese Ärzte dokumentierten für jeden in die Studie eingeschlossenen VHF-Patienten über ein Jahr hinweg alle indikations- und abrechnungsrelevanten Leistungen. Klinische Parameter wurden zusätzlich für jeden Patienten an drei Zeitpunkten erhoben: ▶▶ Beim Einschluss in die Studie, ▶▶ nach 6 Monaten und ▶▶ nach 12 Monaten. Überweisungen zu Fachärzten und Krankenhäusern wurden dokumentiert. Die Kosten für die stationär erbrachten Leistungen wurden anhand der in den Arztbriefen berichteten Diagnosen und Prozeduren abgeleitet. Zur Berechnung der Facharztkosten wurde ein ­anderer Ansatz gewählt. Aus den wenigen zugänglichen Krankheitskostenstudien zum VHF war ersichtlich, dass die Überweisung zum Kardiologen die häufigste Facharztüberweisung war. Um die durchschnittlichen direkten GKV-relevanten Kosten eines VHF-Patientenbesuchs beim ­Kardiologen berechnen zu können, wurde eine ­separate Datenerhebung durchgeführt. Die in ­diesem Studienarm eingeschlossenen Patienten mussten den gleichen Ein- und Ausschlusskriterien genügen wie die Patienten der Hauptstudie. Um die Qualität der erhobenen Daten zu sichern, wurde nach 6 Monaten bei den APIs ein Vor-OrtMonitoring durchgeführt. Dabei wurde die Datenqualität stichprobenartig überprüft. Zusätzlich wurden zwei Telefonmonitorings pro Arzt durchgeführt. Die Datenerfassung erfolgte im Zeitraum November 2010 bis September 2012. Einschlusskriterien für die Studie waren ▶▶ erwachsene, GKV-versicherte Patienten, ▶▶ bei denen ein paroxysmales, persistierendes oder permanentes VHF diagnostiziert wurde, ▶▶ die einen CHADS2-Score ≥ 2 aufwiesen und ▶▶ mit Antikoagulantien behandelt wurden. Alle Patienten mussten fähig sein, den Patientenfragebogen auszufüllen sowie ihr Einverständnis zur Teilnahme schriftlich zu erteilen. Ausgeschlossen wurden Patienten, die ▶▶ privat versichert waren, ▶▶ einen Herzklappenersatz hatten oder ▶▶ bereits parallel an einer anderen Studie teilnahmen. Im Rahmen der Datenerhebung wurden für jeden Patienten

▶▶ sozioökonomische Daten, ▶▶ klinische Basisparameter, ▶▶ Anamnesedaten und

▶▶ klinische Verlaufsdaten

zum VHF erhoben. Zur Erfassung von patientenberichteten Ergebnissen wurden verschiedene Fragebögen zur Messung der Lebensqualität eingesetzt (Short Form-12 [SF-12[, Anti-Clot-Treatment Scale [ACTS]). Zentraler Bestandteil war die Darstellung der direkten Kosten. Bei jedem indikationsspezifischen Arztkontakt wurden alle diagnostischen Maßnahmen und die VHF-bedingte verordnete Medika­ tion dokumentiert. Des Weiteren wurden alle indikationsspezifischen Behandlungsmaßnahmen sowie Facharztüberweisungen und Krankenhauseinweisungen festgehalten. Bei stationären Aufenthalten im Krankenhaus bzw. in einer Reha­ klinik wurden ▶▶ Art (elektiv oder akut), ▶▶ Grund und ▶▶ Verweildauer anhand des anonymisierten Arztbriefes evaluiert. Die Verordnung von nichtmedikamentöser Therapie aufgrund des VHF wurde nach Art und ­Anzahl der logopädischen, ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Therapieeinheiten erfasst. Die Krankheitskostenanalyse beinhaltet aufgrund der gewählten Perspektive der GKVVersicherten alle relevanten indikationsspezifischen direkten Kosten für medizinische und nicht-medizinische Leistungen. Als direkte Kostenarten wurden erhoben: ▶▶ Kosten der ambulanten ärztlichen Leistung beim Arztbesuch: Diese Kosten wurden anhand der angegebenen EBM-Ziffern ermittelt. Es wurde ein durchschnittlicher Punktwert von 0,035048 € zugrunde gelegt. Dies entspricht dem Orientierungspunktwert des Erweiterten Bewertungsausschusses für 2010, 2011 und 2012. Je abgerechneter EBM-Ziffer ergeben sich die ambulanten Therapiekosten aus dem Produkt von Punktwert und Punktzahl der EBMZiffer bzw. aus den angegebenen Beträgen. ▶▶ Kosten für diagnostische Maßnahmen und ­Laboruntersuchungen: Die Bewertung dieser Kostenfaktoren erfolgte auch anhand des EBM. ▶▶ Arzneimittelkosten: Alle vom Arzt verordneten indikationsrelevanten Arzneimittel (Antikoagulanzien) wurden nach Art und Menge (Handelsname, Anzahl, Packungsgröße) dokumentiert und gemäß des zum Erhebungszeitpunkt aktuellen Arzneimittelpreises der Roten Liste berechnet. ▶▶ Hospitalisierungskosten: Die aufgrund eines VHF bzw. seiner Folgekomplikationen durchgeführten stationären Behandlungen wurden mit der Angabe der Indikation und der Aufenthaltsdauer dokumentiert. Aufgrund dieser Angaben wurden zunächst die dokumentierten Indikationen, die zur Einweisung ins Krankenhaus geSpyra A et al. Vorhofflimmern in Deutschland ...  Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: e142–e148

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zahlplanung oder dem Anspruch von Repräsentativität [5]. Jeder API konnte bis zu 10 Patienten rekrutieren, jeder Kardiologe bis zu 20 Patienten. Die Rekrutierung der Patienten erfolgte konsekutiv ab Datum des Vertragsabschlusses.

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Originalarbeit API

Kardiologen*

Anzahl Patienten

361

115

Durchschnittsalter

75 Jahre

74,9 Jahre

BMI

28,9

28,2

Vorhofflimmern-Typ ▶▶ paroxysmal ▶▶ persistierend ▶▶ permanent ▶▶ neu diagnostiziert ▶▶ keine Angaben

27,4 % 15,2 % 54,0 % 2,8 % 0,6 %

36,5 % 6,1 % 50,4 % 7,0 % –

CHADS2-Score ▶▶ 2 ▶▶ 3 ▶▶ 4 ▶▶ 5 ▶▶ 6

49,0 % 32,4 % 12,7 % 4,2 % 1,7 %

57,4 % 34,8 % 6,1 % 0,9 % 0,9 %

INR-Wert bei Einschluss ▶▶ INR  3

31,4 % 58,0 % 10,6 %

32,0 % 56,0 % 12,0 %

Tab. 1  Soziodemographische und klinische Parameter (Baseline) *Summe ≠ 100 % aufgrund von Rundungsdifferenzen API = niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten

führt haben, nach ICD-10-GM und gegebenenfalls nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) codiert. Als durchschnittlicher Basisfallwert wurden 2991,53 € (Stand: 2012) eingesetzt [7]. ▶▶ Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen: Für die Berechnung der Kosten von ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahmen wurde ein durchschnittlicher Tagessatz (123 € / Tag nach Angabe der Ärztekammer Nordrhein) errechnet und mit der dokumentierten Anzahl der Rehabilitationstage multipliziert.

Abb. 1  Verteilung der Kostenarten an den Gesamtkosten API = niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten



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▶▶ Kosten der Notfallbehandlung: Notfallbehand-

lungen wurden getrennt nach notdienstlichen und notärztlichen Behandlungen erfasst. Für eine notdienstliche Behandlung wurden, basierend auf Angaben der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfallaufnahme e. V., ­Kosten in Höhe von 25,00 € pro Behandlung, für eine notärztliche Behandlung laut Landesfachkommission Rettungsdienst RheinlandPfalz pro Einsatz Kosten von 617,95 € zugrunde gelegt. Im Folgenden werden beide Maßnahmen unter dem Begriff „Notfallbehandlung“ ­zusammengefasst. ▶▶ Kosten der nichtmedikamentösen Therapie: Es wurden alle verordnete nichtmedikamentöse Therapien und Hilfsmittel erfasst und die Kosten zugrunde gelegt, die aus den Vereinbarungen mit den jeweiligen Leistungserstattern vereinbart wurden. Diese sind durch die Vergütungsvereinbarungen in SGB IV festgelegt [8–11]. Die Auswertung erfolgte mit der Software SAS 9.3, SPSS Version 22 und MS Excel 2007. Aufgrund des Charakters der Studie erfolgte eine deskriptive Auswertung.

Ergebnisse Im Hauptarm der Studie wurden 368 Patienten eingeschlossen. Für die Auswertung konnten die Dokumentationen von 361 Patienten verwendet werden, 7 Patienten wurden ausgeschlossen, da sie das Einschlusskriterium CHADS2-Score ≥ 2 nicht erfüllten. Bei der Auswertung der Kardiologen-Visitendaten konnten Dokumentationen von 115 der 127 dokumentierten Patienten berücksichtigt werden, 12 Patienten erfüllten nicht die Einschlusskriterien. In ▶Tab. 1 sind die soziodemographischen sowie klinischen Baseline-Parameter der Patienten getrennt nach den Arztgruppen dargestellt. ▶Tab. 1 zeigt, dass die Patienten der beiden Arztgruppen überwiegend vergleichbar sind. Die Patienten der API-Gruppe wiesen ein Durchschnittsalter von 75 Jahren auf. Bei mehr als der Hälfte der Patienten wurde das VHF als permanent eingestuft und mehr als zwei Drittel der Patienten wiesen einen CHADS2-Score von ≥ 3 auf. Die überwiegende Mehrheit der Patienten wurde mit VKA behandelt. Die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten liegen bei 663,99 € pro Patient. Die stationären Behandlungskosten stellen mit 43,5 % den größten Kostenblock dar, gefolgt von den Kosten für ambulant erbrachte Behandlungsleistungen (22,8 %). Die Kosten für die Antikoagulanzien haben einen Anteil von 7,8 %. ▶Abb. 1 zeigt die prozentuale Verteilung der Kostenarten an den Gesamtkosten. Im weiteren Verlauf werden die einzelnen Kostenarten ausführlich dargestellt.

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Originalarbeit

Für die 361 Patienten wurden insgesamt 4782 Arztbesuche dokumentiert. In 63,2 % der Fälle wurde das VHF allein und in weiteren 20,8 % der Fälle in Kombination mit einer anderen Indikation als Besuchsgrund angegeben. 10 % der Besuche fanden ausschließlich aufgrund einer anderen Indikation statt und in 5,9 % der Fälle wurden keine Gründe dokumentiert. Im Durchschnitt besuchten die Patienten 13 × pro Jahr einen API. Dadurch entstehen der GKV durchschnittliche jährliche direkte Kosten in Höhe von 151,22 € (SD 99,89 €; Min. 6,10 €, Max. 507,64 €, Median: 142,82 €) pro Patient. In der Studie fallen Gesamtkosten von 54 590,55 € für die GKV an. Die am häufigsten abgerechneten EBM-Ziffern waren: ▶▶ Ziffer 32 026 (Thromboplastinzeit): n = 1424 ▶▶ Ziffer 32 113 (Quick-Wert, Plasma): n = 755 ▶▶ Ziffer 03 112 (Versichertenpauschale ab 60. Lebensjahr): n = 574

Kosten der Diagnostik EKG / ­Echokardiografie Die am häufigsten durchgeführte diagnostische Maßnahme war die Labordiagnostik, die bei 43,4 % (N = 2075) der Arztbesuche allein oder kombiniert mit anderen diagnostischen Maßnahmen angegeben wurde. In ▶Tab. 2 findet sich ein Überblick über die dokumentierten diagnostischen Maßnahmen. Somit fallen jährliche direkte Kosten von 12,86 € (SD 26,87 €; Min. 0 €, Max. 180,51 €, Median: 0 €) pro Patient und damit Gesamtkosten von 4644,16 € für die GKV an.

Kosten der Antikoagulation 95 % aller Patienten wurden mit einem Vitamin-KAntagonisten (VKA) behandelt. 86,9 % erhielten ausschließlich VKA als antikoagulative Therapie, bei 8,1 % der Patienten wurde die VKA-Therapie mit einem weiteren Blutgerinnungsmittel kombiniert (siehe ▶ Tab. 3). Für zwei Patienten liegen keine Angaben vor. Die durchschnittlichen Kosten pro Patient und Jahr liegen bei 51,97 € (SD 25,12 €; Min. 10,74 €, Max. 299,60 €, Median: 53,64 €). Es fallen Gesamtkosten von 18 761,09 € für die GKV an.

Maßnahme*

Anzahl

Anteil**

Labor ▶▶ großes Blutbild ▶▶ kleines Blutbild ▶▶ Gerinnungsstatus ▶▶ Sonstiges

2146 167 211 1881 157

44,9 % 3,5 % 4,4 % 39,3 % 3,3 %

EKG

316

6,6 %

Echokardiografie

16

0,3 %

Sonstiges

153

3,2 %

keine Diagnostik

1193

24,9 %

keine Angabe

1275

26,7 %

Tab. 2  Diagnostische Maßnahmen bei den dokumentierten Arzt­ besuchen  * Mehrfachnennungen möglich ** Anteile beziehen sich auf die Anzahl Arztbesuche (4782) (Summe ≠ 100 % aufgrund von Rundungsdifferenzen)

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Ambulante Behandlungskosten

Kosten der Rehabilitation Für insgesamt vier Patienten wurden stationäre Aufenthalte in einer Rehabilitationsklinik dokumentiert. Die Dauer der Rehabilitation liegt zwischen 22 und 36 Tagen. Es ergeben sich Gesamtkosten in Höhe von 13 284,00 € (Min. 0 €, Max. 4428,00 €, Median: 0 €), was Durchschnittskosten von 36,80 € pro Patient und Jahr entspricht.

Kosten der Notfallbehandlung Für Notfallbehandlungen entstanden im Durchschnitt Kosten in Höhe von 19,80 € (Min. 0 €, Max. 1928,85 €, Median: 0 €) pro Patient und Jahr. Insgesamt waren notärztliche Einsätze mit Gesamtkosten in Höhe von 6797,45 € deutlich kostenintensiver als notdienstliche Einsätze mit insgesamt 350 € (Min. 0 €, Max. 75,00 €, Median: 0 €).

Kosten der nichtmedikamentösen Leistungen ▶Tab. 5 gibt einen Überblick über die Häufigkeit der verordneten Leistungen. Am häufigsten wurden physiotherapeutische Therapien verordnet. Die Gesamtkosten errechneten sich auf 7486,84 €. Dies entspricht durchschnittlichen jährlichen Kosten pro Patient in Höhe von 20,74 € (SD 166,34 €; Min. 0 €, Max. 2741,20 €; Median: 0 €).

Kosten der stationären Behandlung

Patient ist eingestellt auf

Anzahl (gesamt)

Anteil (gesamt)

Es wurden insgesamt 47 stationäre Krankenhausbehandlungen für 31 Patienten dokumentiert. Daraus resultieren Gesamtkosten von 104 221,97 € (Min. 0 €, Max. 17 485,49 €). Auf die Gesamtzahl der 361 Patienten bezogen liegen die durchschnittlichen Kosten pro Patient und Jahr bei 288,70 €. In ▶Tab. 4 sind die Gründe für die Krankenhausaufenthalte auf Basis der abgerechneten DRGs sowie ihre Anzahl gelistet.

VKA

312

86,4 %

Heparine

1

0,3 %

TAH

17

4,7 %

VKA + TAH

25

6,9 %

VKA + Heparin

4

1,1 %

keine Angabe

2

0,6 %

e145

Tab. 3  Einstellung der Patienten auf Blutgerinnungsmittel (API) VKA = Vitamin-K-Antagonisten TAH = Thrombozytenaggregationshemmer

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Originalarbeit Abgerechnete DRG

Anzahl

F71B

Nicht schwere kardiale Arrhythmie und Erregungsleitungsstörungen ohne äußerst schwere CC, ohne kathetergestützte elektrophysiologische Untersuchung des Herzens

26

F62B

Herzinsuffizienz und Schock ohne äußerst schwere CC oder ohne Dialyse, ohne Reanimation, ohne komplizierende Diagnose

4

F66B

Koronararteriosklerose ohne äußerst schwere CC

3

B70F

Apoplexie ohne neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, ohne andere neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, ohne komplexen zerebrovaskulären Vasospasmus, ohne komplizierende Diagnose, ohne systemische Thrombolyse

3

F69B

Herzklappenerkrankungen ohne äußerst schwere oder schwere CC

2

F67D

Hypertonie ohne bestimmte Erkrankung der endokrinen Drüsen, ohne äußerst schwere oder schwere CC

2

D62Z

Blutung aus Nase und Rachen oder Otitis media oder Infektionen der oberen Atemwege,

2

F12I

Implantation eines Herzschrittmachers, Ein-Kammersystem, ohne invasive kardiologische Diagnostik bei bestimmten Eingriffen

1

F07B

Andere Eingriffe mit Herz-Lungen-Maschine

1

K62B

Verschiedene Stoffwechselerkrankungen außer bei Para- / Tetraplegie, ohne komplizierende Diagnose

1

F49E

Invasive kardiologische Diagnostik außer bei akutem Myokardinfarkt

1

F73Z

Synkope und Kollaps

1

Tab. 4  Stationäre Behandlungen aufgrund des VHF / Folgekomplikationen CC = Komplikationen und / oder Komorbiditäten

Kosten bei Besuch eines Kardiologen Im einjährigen Dokumentationszeitraum wurden 109 Überweisungen zu Fachärzten dokumentiert. Da 88,1 % der Überweisungen an Kardiologen erfolgten, werden bei der weiteren Kostenbetrachtung auch nur diese berücksichtigt. Die Ermittlung der durchschnittlichen indikationsspezifischen Kosten pro Besuch bei einem niedergelassenen Kardiologen wurden mithilfe der zuvor beschriebenen Datenerhebung bei Kardiologen (siehe ­Methodik) durchgeführt. Aus dieser Analyse ergaben sich für einen einzelnen Besuch durchschnittliche jährliche Kosten von 81,90 € (SD 33,94 €; Min. 20,50 €, Max. 161,47 €, Median: 92,25 € ) pro Patient. Die Gesamtkosten liegen bei 7535,10 €.

Tab. 5  Verordnung von nicht medikamentösen Therapien oder Hilfsmitteln

Maßnahme

Anzahl (gesamt)

Anteil (gesamt)

Logopädische Therapie

0

0,0 %

Ergotherapeutische Therapie

5

0,1 %

Physiotherapeutische Therapie

30

0,6 %

Gehhilfen

3

0,1 %

Sonstiges

19

0,4 %

Ergo- und Physiotherapie

4

0,1 %

Sonstiges, Ergo- und Physiotherapie

3

0,1 %

keine Angaben

3

0,1 %

Gesamt

67

1,4 %

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Zur Ermittlung der durchschnittlichen jährlichen VHF-spezifischen Gesamtkosten pro Patient wurde angenommen, dass jeder VHF-Patient mindestens einmal im Jahr zum niedergelassenen Kar­ diologen überwiesen wird.

Diskussion Die vorliegende Krankheitskostenstudie zeigt, dass das VHF einen hohen Kostenfaktor für das deutsche Gesundheitswesen darstellt. Die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten liegen bei 663,99 € pro Patient. Die Stärken dieser Kostenanalyse liegen in der prospektiven Betrachtungsweise unter Alltagsbedingungen und ihre Re­ präsentativität. In der Literatur fanden sich drei Arbeiten die sich ebenfalls mit Kostenerhebungen im Bereich VHF beschäftigen. ▶▶ Brüggenjürgen et al. (2010) lieferten mit ihrer Modellierung der Krankheitslast Ergebnisse (bezogen auf das Jahr 2006), die mit unserer Studie vergleichbar sind. So lagen die durchschnittlichen jährlichen direkten Kosten pro ­Patient hier bei ca. 700 €, abhängig von der individuellen Versorgung [1]. ▶▶ Jönsson et al. wiesen in ihrer 2010 erschienenen Beobachtungsstudie jährliche Kosten für das VHF in Höhe von 5586 € pro Patient aus. Diese beinhalten neben den direkten auch indirekte Kosten des VHF sowie alle anfallenden Out-of-Pocket-Kosten. Die direkten medizinischen Kosten liegen mit 1304 € pro Patient höher als in der vorliegenden Untersuchung. Dies

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könnte auf die Art der Datenerhebung zurückzuführen sein. Im Gegensatz zur hier beschriebenen prospektiven Untersuchung erhoben Jönsson et al. ihre Daten retrospektiv. Dabei wurden neben den vom Arzt abgerechneten Leistungen auch Patienten direkt zur Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen in der Vergangenheit befragt [3]. ▶▶ McBride et al. (2009) ermitteln in einer prospektiven Kohortenstudie durchschnittliche jährliche Kosten in Höhe von 827 € pro Patient. Den größten Kostentreiber machen in dieser Untersuchung die Hospitalisierungskosten aus, die für 44 % der ermittelten Kosten verantwortlich sind [5].

nomische Relevanz des VHF für das deutsche Gesundheitswesen.

Limitierungen

Weitere Erhebungen und Analysen sollten aber außer den direkten Kosten auch indirekte Kosten mit erfassen, um den gesamtökonomischen Einfluss des VHF auf das Gesundheitswesen darstellen und abschätzen zu können.

Die vorliegende Studie weist einige Limitierungen auf. Zum einen wird in dieser Untersuchung davon ausgegangen, dass jeder Patient nur einmal jährlich einen niedergelassenen Kardiologen aufsucht. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass bei Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern Spezialisten häufiger konsultiert werden. Demnach könnten die Kosten der Facharztbesuche unterschätzt sein. Zum anderen vernachlässigt die gewählte Perspektive der GKV indirekte sowie Out-of-PocketKosten. Da sich die untersuchten Patienten überwiegend im Rentenalter befinden und damit kaum indirekte Kosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit anfallen, fällt dieser Kostenblock hier vermutlich weniger ins Gewicht. Der Ressourcenverbrauch wurde über die Abrechnungsziffern der Ärzte ermittelt. Aufgrund von Unsicherheiten in der Diagnosestellung und Codierung sind Abweichungen vom tatsächlichen Ressourcenverbrauch möglich. Angaben zu intangiblen Kosten nehmen in der Literatur bisher eine eher untergeordnete Rolle ein und können als Kostenfaktor nicht eindeutig beziffert werden. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Aufgrund der Rekrutierungsmethodik der dokumentierenden Ärzte als bundesweite Zufallsstichprobe, kann die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Grundgesamtheit der Versicherten nicht bedingungslos sichergestellt werden.

Fazit Da in unserer Untersuchung „Real-world-Daten“ erhoben wurden, wird die tatsächliche Versorgung und der entsprechende Ressourcenverbrauch von Patienten mit VHF valide dargestellt. Unsere Ergebnisse unterstreichen die sozioöko-

Angesichts des demographischen Wandels, des prognostizierten weiteren Anstiegs der Prävalenz und der beschränkten Ressourcen im Gesundheitswesen rücken chronische Krankheiten wie das VHF zunehmend in den Fokus. Gezielte Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung scheinen somit nicht nur aus medizinischer Sicht sinnvoll. Zudem stellt VHF ein großes Risiko für das Auftreten eines Schlaganfalls dar. Demnach wird durch eine gezielte Vermeidung des VHF ebenfalls das Risiko für thromboembolische Ereignisse gesenkt, was zu weiteren Kosteneinsparungen führt.

Konsequenz für Klinik und Praxis ▶▶ VHF ist eine chronische Erkrankung mit weitreichenden ökonomischen Konsequenzen, die aufgrund des demographischen Wandels zunehmend an Bedeutung gewinnt. ▶▶ Die durchschnittlichen direkten jährlichen Gesamtkosten pro VHF-Patient liegen bei 663,99 €, wobei beinahe die Hälfte der Kosten durch Krankenhausaufenthalte verursacht werden. Somit stellt das VHF eine erhebliche finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem dar. ▶▶ Gezielte Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung scheinen mit Blick auf die steigende Prävalenz und die hohen Kosten der Erkrankung sinnvoll.

Literatur 1 Brüggenjürgen B, Reinhold T, McBride D et al. Vorhofflimmern: epidemiologische, ökonomische und individuelle Krankheitsbelastung. Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: S21–S25. 2 European Society of Cardiology. Guidelines for the management of atrial fibrillation. The Task Force for the Management of Atrial Fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2010; 31: 2369–2429. 3 Jönsson L, Eliasson A, Kindblom J et al. Cost of illness and drivers of cost in atrial fibrillation in Sweden and Germany. Appl Health Econ Health Policy 2010; 8: 317–325 4 L’hoest H. Vorhofflimmern: Die “neue Epidemie“ der Herzkreislaufkrankheiten? In: Repschläger U, Schulte C, Osterkamp N, Hrsg. BARMER Gesundheitswesen aktuell 2012: Beiträge und Analysen; 2012: 236–260 5 McBride D, Mattenklotz AM, Willich SN et al. The Costs of Care in Atrial Fibrillation and the Effect of Treatment Modalities in Germany. Value in Health; 2008: 1–10

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Originalarbeit

Originalarbeit 6 Nabauer M, Gerth A, Limbourg T et al. The Registry of the German Competence NETwork on Atrial Fibrillation: patient characteristics and initial management. Europace. 2009; 11: 423–434 7 Vereinbarung gemäß § 10 Abs. 9 KHEntgG für den Vereinbarungszeitraum 2012 vom 22.09.2011 zwischen GKV-Spitzenverband, dem Verband der privaten Krankenversicherung und der Deutsche Krankenhausgesellschaft. www.dkgev.de / media / file/10418.RS379-11_­ Anlage.pdf Letzter Zugriff am: 29.05.2015 8 Verband der Ersatzkassen (VDEK).Vergütungsliste gemäß § 125 SGB V für die Abrechnung ergotherapeutischer Leistungen. Anlage 3 a zum Vertrag vom 01.10.2008 http://www.vdek.com/vertragspartner/heilmittel/ rahmenvertrag/_jcr_content/par/download_7/file. res/ergotherapeuten_west_12_final.pdf Letzter Zugriff am: 29.05.2015 9 Verband der Ersatzkassen (VDEK). Vergütungsliste für podologische Leistungen. http://www.vdek.com /vertragspartner/heilmittel/ rahmenvertrag/_jcr_content/par/download_15/ file.res/Preise_west_2014_UF.pdf Letzter Zugriff am: 29.05.2015

Interessenkonflikt Die Autoren geben an, dass die Studie von der Firma Bayer Vital GmbH gesponsert wurde. DOI 10.1055/s-0041-102802 Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: e142–e148 © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472 Spyra A et al. Vorhofflimmern in Deutschland ...  Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: e142–e148

10 Verband der Ersatzkassen (VDEK). Vergütungsliste gemäß § 125 SGB V für die Abrechnung von stimm-, sprech-, sprachtherapeutischer ­Leistungen. http://www.vdek.com / vertragspartner/heilmittel/ rahmenvertrag/_jcr_content/par/download_4/file. res/Preisliste_sprachtherapie_2013.pdf%22 Letzter Zugriff am: 29.05.2015 11 Vergütungsvereinbarung gemäß § 125 SGB V für die Abrechnung physiotherapeutischer Leistungen, Massagen und medizinischer Bäder. http://www.physioservice.de/Downloads/ vdek_west_2011.pdf Letzter Zugriff am: 29.05.2015 12 Völler H, Glatz J, Taborski U et al. Self-Management of oral Anticoagulation in nonvalvular Atrial Fibrillation (SMAAF study). Z Kardiol 2005; 94: 182–186 13 Weimar C, Benemann J, Katsarava Z et al. Adherence and Quality of Oral Anticoagulation in Cerebrovascular Disease Patients with Atrial Fibrillation. Eur Neurol 2008; 60: 142–148 14 Wilke T, Groth A, Müller A et al. Incidence and prevalence of atrial fibrillation: an analysis on 8.3 million patients. In: Europace 2013; 15; 486–493

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[Atrial fibrillation in Germany: A prospective cost of illness study].

Atrial fibrillation (AF) is the most common sustained cardiac arrhythmia in clinical practice and associated with a high risk of stroke, heart failure...
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