Adenotomie, Parazentese und Paukendrainage: Was ist zu beachten bei einem Kind mit Hyperekplexie Falldarstellung



Wir berichten über einen 3-jährigen, frühgeborenen Jungen (33 + 1 SSW), welcher unter einer klinisch und genetisch gesicherten Hyperekplexie leidet. Bereits in der 47. Lebensminute erfolgte aufgrund eines damals noch unklaren Laryngospasmus eine Notfallintubation. Seit dem 26. Lebenstag besteht eine Dauermedikation mit Clonazepam (aktuell 3 × 0,3 mg). Aufgrund vergessener Medikamenteneinnahme war es seitdem zu weiteren 2 Krampfanfällen mit der Notwendigkeit einer Intubation gekommen. Der kleine Junge ist in regelmäßiger neurologischer, pädiatrischer und pädaudiologischer Betreuung. Bereits im vierten Lebensmonat wurde unter Sedierung mit Chloralhydrat eine Ableitung der frühen, akustisch evozierten Potenziale (FAEP) durchgeführt. Hier zeigten sich beidseits regelgerechte Latenzen mit der Hörschwelle im Normbereich der Messmethode.

Klinischer Befund



Aufgrund einer behinderten Nasenatmung, rezidivierenden Infekten und einer fraglichen Hörminderung mit Sprachentwicklungsstörung wurde gemeinsam mit den Kollegen der Pädaudiologie nun die Indikation zur Epipharyngoskopie ggf. mit Adenotomie (AT), Parazentese und ggf. Paukendrainage gestellt. In der präoperativ durchgeführten Tympanometrie bestand beidseits ein abgeflachter Kurvenverlauf. Die vorsichtig durchgeführt HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung zeigte beidseits ein mattes Trommelfell mit serösem Paukenerguss, die Untersuchung des Epipharynx war bei sehr unruhigem Kind und bei der vorliegenden Grunderkrankung nicht möglich.

Schwerpunkt operative Intensivmedizin erfolgte in Intubationsnarkose problemlos eine Epipharyngoskopie mit modifizierter Adenotomie sowie eine Parazentese mit Paukendrainage beidseits. Hierbei wurde versucht taktile, optische und akustische Stimuli zu minimieren bzw. zu vermeiden, um keine Spasmen im Rahmen der Anästhesieeinleitung als besonders vulnerabler Phase auszulösen. Auf eine Reklination des Kopfes wurde ebenso wie auf das akustisch laute Absaugen des seromukösen Paukenergusses ver▶ Abb. 1). Es erfolgte lediglich zichtet (● ein vorsichtiges, bipolares Koagulieren der Adenoide unter indirekter Epipharyngoskopie.

Diskussion



Die Hyperekplexie wurde erstmals im Jahre 1958 von Kirstein und Silfverskiold beschrieben. Weltweit sind nur vereinzelte Fälle bekannt. Betroffene Kinder leiden unter teilweise massiv ausgeprägten und andauernden Spasmen mit diffuser muskulärer Hypertonie, ausgelöst durch inadäquat beantwortete akustische, optische oder somatosensorische Stimuli. Teilweise entstehen solche Spasmen auch im Rahmen starker Gefühlsreaktionen wie Stress oder Furcht. Im Rahmen dieser generalisierten Spasmen können lebensbedrohlichen Komplikationen wie Apnoe durch Laryngospasmus, Aspirationen sowie ausgeprägte Bradykardien bis hin zum Herzstillstand auftreten (Lee CG et al., Clinical Features and Genetic Analysis of Children With Hyperekplexia in Ko-

rea. Journal of child neurology 2012 Apr 24). Die ersten Spasmen zeigen sich fast immer innerhalb der ersten Lebensstunden bzw. -tage (Rivera S et al., Congenital hyperekplexia: 5 sporadic cases. European journal of pediatrics 2006; 165: 104–107). Bis allerdings die Diagnose Hyperekplexie gestellt ist, bedarf es in den meisten berichteten Fällen mehrere Wochen. Die Diagnostik ist dabei fast ausschließlich klinisch. Neben inadäquaten Reaktionen auf akustische, optische und somatosensorische Reize (hier vor allem thermische Reize beispielsweise durch Wasserkontakt), kann durch gezielte Klopfreize im Bereich der Nasenwurzel und Glabella Spasmen (auch repetitiv) bei Kindern mit Hyperekplexie ausgelöst werden. Für Rivera et. al. ist diese Manöver ein Hauptbestandteil der klinischen Diagnostik (Rivera S et al., Congenital hyperekplexia: 5 sporadic cases. European journal of pediatrics 2006; 165: 104– 107). Zusätzlich wurden in den letzten Jahren molekulargenetisch unterschiedliche Mutationen im Bereich der α1Untereinheit des inhibitorischen Glyzerin-Rezeptors (GLRA1) gefunden, welche sich auf Chromosom 5 befindet. Diese Mutationen werden für die Entstehung der Hyperekpleksie verantwortlich gemacht (Lee CG et al., Clinical Features and Genetic Analysis of Children With Hyperekplexia in Korea. Journal of child neurology 2012 Apr 24. Harvey RJ et al., The genetics of hyperekplexia: more than startle! Trends in genetics: TIG 2008; 24: 439–447). Durch Clonazepam (nach Kilogramm Körpergewicht) oder das Vigevano-Manöver (erzwungene Flexion des Kopfes und der Beine zum Stamm) kann eine solche Krampfepisode unterbrochen werden (Cioni G et al., Hyperekplexia and stiffbaby syndrome: an identical neurological disorder? Italian journal of neurological sciences 1993; 14: 145–152. Mineyko A et al., Hyperekplexia: treatment of a se-

Therapie und Verlauf



In enger Kooperation mit den Kollegen des sozialpädiatrischen Zentrums sowie der Abteilung für Anästhesiologie mit

Abb. 1 Lagerung des kleinen Patienten im OP ohne Reklination des Kopfes, mit abgedeckten Augen und Schutz der Nasenwurzel.

Bast F et al. Adenotomie, Parazentese und Paukendrainage: … Laryngo-Rhino-Otol 2013; 92: 759–760 ∙ DOI 10.1055/s-0033-1351264

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vermeiden. Auf eine Reklination des Kopfes wurde verzichtet. Zum Schutz vor optischen Reizen und zum Schutz der Nasenwurzel sowie der Glabella wurde dieser Bereich mit einem weichen Baumwolltuch verdeckt und abgeklebt ▶ Abb. 1). Nach vorsichtigem mikrosko(● pischem Einstellen der Trommelfellebene und Parazentese loco typico wurde auf das akustisch laute Absaugen des seromukösen Paukenergusses verzichtet. Eingelegt wurden Tübinger-Titan-Röhrchen der Größe 1,25 mm. Im Rahmen der modifizierten Adenotomie wurde auf das Einbringen einer Velotraktion verzichtet und der Weichgaumen lediglich mit einem Velumhaken vorsichtig angehoben. Zusätzlich erfolgte bei einem mittelgroßen adenoiden Polster nicht die klassische Kürettage mittels Beckmann'schen Ringmesser, sondern ein vorsichtiges bipolares Koagulieren des adenoiden Polsters unter indirekter Epipharyngoskopie. Eine Blutstillung mittels Tupferdruck war nicht nötig. Unter den oben genannten Maßnahmen konnte der Eingriff problemlos und ohne Anzeichen für einen Spasmus durchgeführt werden. Der kleine Junge wurde nach 2-tägiger stationärer Überwachung komplikationslos entlassen.

In den Nachsorgeuntersuchungen, sowohl in der sozialpädiatrischen Abteilung als auch in der Kindersprechstunde unserer Klinik, zeigte sich bei dem kleinen Patienten eine deutlich verbesserte Nasenatmung sowie eine reduzierte Infektneigung. Durch logopädische Therapie konnte die Sprache auf ein fast altersgerechtes Niveau angehoben werden.

Fazit für die Praxis



▶ Die Hyperekplexie ist eine bisher nur sehr selten beschrieben Erkrankung, welche durch inadäquat beantwortete akustische, optische oder somatosensorische Stimuli gekennzeichnet ist. ▶ Es bedarf einer engen interdisziplinären Planung um taktile, optische und akustische Stimuli prä-, intra- und postoperativ zu minimieren um somit das Auftreten von Spasmen zu verhindern. ▶ Die wenigen Fallberichte in der Literatur sollten zur Planung eines Eingriffes in Vollnarkose bei Kindern mit Hyperekplexie herangezogen werden. F. Bast, C. von Heymann, H. Olze, Berlin

Bast F et al. Adenotomie, Parazentese und Paukendrainage: … Laryngo-Rhino-Otol 2013; 92: 759–760 ∙ DOI 10.1055/s-0033-1351264

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vere phenotype and review of the literature. The Canadian journal of neurological sciences 2011; 38: 411–416). Auch Reize im Rahmen eines operativen Eingriffes in Intubationsnarkose können bei Kindern mit Hyperekplexie einen Spasmus triggern. Garg et. al. beschreiben hier vor allem Spasmen im Bereich der oberen und unteren Extremitäten im Rahmen von operativen Eingriffen in Vollnarkose. Daher muss ein notweniger Eingriff, in unserem Fall eine Epipharyngoskopie mit modifizierter Adenotomie und Parazentese mit Paukendrainage, so schonend als nur möglich durchgeführt werden. Daher wurde die Intubationsnarkose nach den in der Literatur beschriebenen Empfehlungen durchgeführt (Garg R, et al., Anaesthetic implications of hyperekplexia-‚startle disease‛. Anaesthesia and intensive care 2008; 36: 254– 256). Aus anästhesiologischer Sicht sind hierfür die zeitgerechte präoperative Einnahme der antikonvulsiven Dauermedikation sowie die Schaffung einer ruhigen und reizarmen Atmosphäre für die Anästhesieein- und ausleitung besonders wichtig. Zusätzlich muss aus HNO-Sicht versucht werden, taktile, optische und akustische Stimuli zu minimieren bzw. zu

[Adenoidectomy, myringotomy and timpani drainage: what to consider in a child with hyperekplexia].

Adenotomie, Parazentese und Paukendrainage: Was ist zu beachten bei einem Kind mit Hyperekplexie Falldarstellung ▼ Wir berichten über einen 3-jährig...
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