Schwerpunkt: Schwindel und Synkope Internist 2015 · 56:29–35 DOI 10.1007/s00108-014-3549-z Online publiziert: 14. Dezember 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Schwerpunktherausgeber:

S. Schellong, Dresden

Synkopen Synkopale Zustände sind für den Neurologen v. a. unter 2 Aspekten relevant: Zum einen gibt es neurologische Krankheitsbilder, die mit einem vermehrten Auftreten von Synkopen einhergehen und zum anderen gibt es eine Reihe von neurologischen Erkrankungen, die Parallelen zu Synkopen aufweisen und differenzialdiagnostisch von ihnen abzugrenzen sind.

(Vermehrtes) Auftreten bei neurologischen Grunderkrankungen Es gibt einige neurologische Krankheiten, bei denen die Störung der autonomen Blutdruckregulation einen wesentlichen Krankheitsbestandteil darstellt. Bei Parkinson-Syndromen und zwar sowohl beim M. Parkinson, bei der Lewy-BodyDemenz sowie bei Multisystematrophien (MSA) als auch beim Krankheitsbild des „pure autonomic failure“ (PAF) besteht eine vermehrte Ablagerung des Proteins α-Synuklein im Gehirn.

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Synkopen können bei Diabetes mellitus auftreten Im Kontrast zu diesen primär zentralnervösen Krankheiten sind Affektionen der peripheren autonomen Nerven oder Ganglien zu sehen. Polyneuropathien mit vegetativer Beeinträchtigung weisen meist auch sensible und/oder motorische Störungen auf. Als klinisch relevantes Beispiel ist v. a. der Diabetes mellitus zu nennen. Selten, aber aufgrund des besonderen pathophysiologischen Wirkprinzips

J. Machetanz Städtisches Krankenhaus Dresden Neustadt

Schwindel und Synkope aus Sicht des Neurologen und der diagnostischen und therapeutischen Besonderheiten zu erwähnen, ist die autoimmune autonome Ganglionopathie (AAG; [16]). Klinisch stehen orthostatische Hypotonie, gastrointestinale Hypomobilität, Anhidrose, Blasenfunktionsstörungen und Sicca-Syndrom im Vordergrund. Daneben treten autonome Störungen bei paraneoplastischen Syndromen (kleinzelliges Bronchialkarzinom), monoklonalen Gammopathien und Amyloidosen auf.

Differenzialdiagnosen Epileptische Anfälle

In Studien aus Krankenhausnotaufnahmen sind bei Patienten mit vorübergehenden Bewusstseinsverlusten in einer Häufigkeit von 33–88% Synkopen und in 5–53% epileptische Anfälle als Ursache beschrieben worden [19]. Die in . Tab. 1 dargestellten klinisch differenzierenden Merkmale helfen häufig weiter. Eine nach dem Unfall erhöhte (und später sich normalisierende) Kreatinkinase als Folge der Muskelverkrampfungen spricht für einen Anfall. Die mit der gleichen Fragestellung eingesetzte Prolaktinbestimmung ist aufgrund diverser Fehlerquellen nur begrenzt aussagekräftig [4]. In Zweifelsfällen werden diagnostisch zunächst die (meist unauffällige) neurologische Untersuchung, ein Elektroenzephalogramm (EEG) sowie ggf. in der erweiterten Diagnostik eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes und ein Schlafentzug-EEG zur Hilfe herangezogen.

Schwindel Schwindel tritt im Kontext vorübergehender Befindlichkeitsstörungen, chronisch beeinträchtigender relativ ungefährlicher Krankheitsbilder, aber auch unmittelbar lebensbedrohlicher Zustände auf. Bei Patienten, die in US-amerikanischen Notaufnahmen mit dem Leitsymp­ tom „dizziness“ oder „vertigo“ gesehen wurden, erwies sich dieses im Endeffekt in 11,2% der Fälle als neurologisch bedingt [15]. Dabei ist die Differenzialdiagnose auch innerhalb der sog. ernsten neurologischen Ursachen bunt ([14]; . Abb. 1).

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Anamnese und klinische Untersuchung haben bei Schwindel ein hohes Gewicht Zudem ist zu beachten, dass Anamnese und klinische Untersuchung bei diesen Erkrankungen ein hohes Gewicht haben, da bei einer großen Zahl der infrage kommenden Fälle keine Klärung durch eine evtl. angefertigte Computertomographie (CT) erhofft werden kann. Von der genannten Notfallpopulation unterscheiden sich die Patienten einer neurologischen Schwindelambulanz erheblich (. Abb. 2). Diese wird in der Regel erst aufgesucht, wenn der Schwindel trotz Diagnostik und Therapieversuche der primär behandelnden Ärzte über eine längere Zeit als beeinträchtigendes Problem verblieben ist.

Diagnostik Die Diagnostik konzentriert sich bei Schwindelsyndromen zunächst auf den Ausschluss gefährlicher SchwindelursaDer Internist 1 · 2015 

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Schwerpunkt: Schwindel und Synkope Tab. 1  Neurologische und psychiatrische Differenzialdiagnose von kurzen transienten Bewusstseinsverlusten   Synkope

Pathogenese Hypoxie des Gehirns durch systemische Reduktion der Hirnperfusion

Epileptische Anfall

Hirnelektrische Hypersynchronisation

Psychogener Anfall

Komplex und uneinheitlich

„Drop attack“ Vertebrobasiläre transitorische ischämische Attacke Kataplexie

Einschlafattacken (M. Parkinson)

Unbekannt Fokale Ischämie im Hirnstammbereich Verlust hypocretinhaltiger Zellen im Hypothalamus und Verminderte Bildung des Neuropeptids Orexin; Assoziation mit dem humanen Leukozytenantigen(HLA)-Typ DBQB1 Bei dopaminerger Medikation Störung der Dopaminrezeptoren?

chen (v. a.: Basilaristhrombose, Hirnblutung, Hirndruck und Hirninfarkt). An einen gefährlichen Schwindel ist insbesondere dann zu denken, wenn ein Schwindel in Vergesellschaftung mit manifesten neurologischen Symptomen oder neuen Kopfschmerzen auftritt. Neurologische Begleitsymptome sind Bewusstseinsstörungen, Sehstörungen (insbesondere Gesichtsfeldausfall), Ataxie, Paresen, Sensibilitätsstörungen und Dysarthrie. Anamnestisch ist daneben zu erfragen, wann und in welcher Situation der Schwindel erstmalig aufgetreten ist, ob typische Auslösemechanismen (z. B. Lageänderungen des Kopfes) beobachtet wurden und ob begleitende Symptome auf konkrete Krankheitsentitäten hinweisen (z. B. migränetypische Symptome als Hinweis auf eine vestibuläre Migräne oder frühere Episoden mit Sehstörungen/Gefühlsstörungen als Hinweis auf eine multiple Sklerose). Wesentlich ist die Zuordnung, ob es sich um eine Erstmanifestation oder um seit längerem bekannte rezidivierende Episoden handelt und wie lange die einzelnen Episoden ggf. dauern.

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Charakteristika Häufig Reflexsynkope mit typischen Auslösesituationen (Blutabnahme, Soldaten beim langen Stehen); bleiche Gesichtsfarbe; motorische Phänomene (kurze Zuckungen/Kloni) sind nicht selten (konvulsive Synkope); wenn Zungenbiss, dann meist an der Zungenspitze; Einnässen kommt vor Auren (epigastrische, olfaktorische, gustatorische, psychische, auditive, visuelle oder somatosensible) vor dem Anfall; typische motorische Phänomene (lateralisierte Bewegungsschablonen, tonisch klonischer Krampf); Pupillenstarre im Anfall; lateraler Zungenbiss; verlängerte Reorientierung; Amnesie nach dem Anfall; genetische Prädisposition; typische Provokation (Alkoholentzug, Schlafentzug) oder Hirnläsion; transiente Erhöhung der Kreatinkinase nach dem Anfall Tritt sowohl als Pseudoanfall als auch als Pseudosynkope auf; häufiger bei jungen Patienten und Frauen; häufig im Kontext psychisch belastender Situationen; Augen meist geschlossen; Pupillen reagibel; Inkontinenz selten; meist Angabe von Gedächtnislücken für das Ereignis; häufig psychopathologische Auffälligkeiten; im Verlauf variable Anfallscharakteristika; diagnostisches Video-EEG bzw. diagnostische Kipptischuntersuchung sind sehr aussagekräftig Überwiegend ältere Patienten; erhaltenes Bewusstsein; häufig Sturz auf die Knie und Unfähigkeit aufzustehen Mit neurologischen Symptomen über die Bewusstlosigkeit hinaus vergesellschaftet

Tonusverlust nach emotionaler Bewegung (z. B. Lachen oder Erschrecken); meist kein Bewusstseinsverlust, aber Übergang in Einschlafen möglich; Gesamtkrankheitsbild Narkolepsie

Bei Parkinson-Patienten besonders unter Medikation mit nichtergotaminerge Dopamin­ agonisten

Des Weiteren ist nach Risikofaktoren für vaskuläre Ereignisse zu fragen. Bei der klinischen Untersuchung muss die Okulomotorik insbesondere im Hinblick auf einen Nystagmus differenziert untersucht werden.

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Die Okulomotorik muss differenziert untersucht werden Unterschieden werden muss z. B. der horizontale Spontannystagmus mit rotatorischer Komponente, der charakteristisch für eine periphere vestibuläre Störung ist, während ein Blickrichtungsnystagmus oder vertikale Nystagmusformen, ebenso wie sackadierende Blickfolgebewegungen, als Zeichen einer Hirnläsion zu werten sind. Auch sind in diesem Zusammenhang Doppelbilder und die sog. Skew-Deviation“ zu werten. Als Skew-Deviation bezeichnet man eine vertikale Achsabweichung zwischen den beiden Augen, die mit einer Kippung der subjektiven Vertikalen einhergeht und zu einer kompensatorischen Schräghaltung des Kopfes führt.

Sitz, Stand und Gang sind auf Sicherheit bzw. gerichtete oder ungerichtete Fallneigung zu prüfen. Dabei ist der Seiltänzergang die sensitivste Standarduntersuchung. Übelkeit und Erbrechen sind als unspezifische Zeichen einer gewissen Symptomintensität zu werten und differenzieren nicht zwischen den akuteren Schwindelformen. Erweiterte bzw. speziell auf die Identifizierung von peripheren Schwindelsyndromen gerichtete klinische Untersuchungen (Kopfimpulstest, Lagerungsprobe) sind in diesem Heft im Kapitel von Pabst et al. (HNO-Heilkunde) beschrieben. Die aussagekräftigste Zusatzdiagnostik zur Detektion struktureller Hirnläsionen ist die Bildgebung mittels MRT einschließlich diffusionsgewichteter Sequenzen [3, 12]. In einer Fallserie von Kattah et al. [7] fanden sich bei Patienten mit akutem vestibulären Syndrom auf dem Boden von Hirninfarkten in 12% der Fälle keine Veränderungen in der Diffusionswichtung (DWI) des frühen MRT, während klinische Korrelate u. a. in der elabo-

Zusammenfassung · Abstract rierten okulomotorischen Untersuchung nachzuweisen waren.

Vaskuläre Schwindelformen Vaskuläre Syndrome, also Hirninfarkte und Blutungen, stellen die mit Abstand größte Gruppe akut gefährlicher neurologischer Schwindelzustände dar (. Abb. 1). Das Kernsyndrom vertebrobasilärer vaskulärer Syndrome ist plötzlich auftretender Schwindel in Kombination mit Sehstörungen, ataktischen Störungen, Bewusstseinsstörungen, Sensibilitätsstörungen oder Paresen sowie mit bestimmten Nystagmusformen. Klinisch problematisch ist insbesondere die Erkennung von Kleinhirninfarkten, die trotz erheblicher Ausdehnung bemerkenswert geringe objektivierbare Symptome bedingen können. Die Gefahr der Verkennung solcher zerebellärer Syndrome ist noch einmal erhöht, wenn die unspezifischen Symptome anderen Umständen (insbesondere chronischem Alkoholabusus, Alter) zugeschrieben werden und die Angaben des Patienten, dass es tatsächlich zu einer akuten Verschlechterung des Zustandes gekommen sei, nicht hinreichend ernst genommen werden. Bei den ganz frühen Infarkten, die ja die Hauptzielgruppe für die Lysetherapie oder Thrombektomie ausmachen, ist der negative Befund der nativen kranialen CT die Regel und darf nicht zur Beruhigung führen, sondern muss für eine mögliche aggressive Therapieoption sensibilisieren. Ischämien im hinteren Stromgebiet werden im Prinzip durch die gleichen Ursachen verursacht, wie auch andere Hirninfarkte. Aufgrund besonderer klinischer Symptomkonstellationen und diagnostisch-therapeutischer Erfordernisse verdienen die Vertebralisdissektion, die Basilaristhrombose und das Subclaviansteal-Syndrom im Kontext des Rahmenthemas Schwindel besondere Aufmerksamkeit. Eine Dissektion der A. vertebralis kann nach Traumen im Halsbereich, aber auch spontan auftreten. Typisch sind neu aufgetretene Nackenschmerzen in Verbindung mit neurologischen Ausfällen des hinteren Stromgebietes. Diagnostisch wegweisend ist die Bildgebung der Vertebralarterien mittels Ultraschall-

Internist 2015 · 56:29–35  DOI 10.1007/s00108-014-3549-z © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 J. Machetanz

Schwindel und Synkope aus Sicht des Neurologen Zusammenfassung Schwindel und synkopale Zustände gehören zu den häufigsten Symptomen, mit denen der Neurologe konfrontiert wird. Dabei besteht bei der Synkope die häufigste Aufgabe darin, diese von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen mit anfallsweise auftretenden Bewusstseinsstörungen anderer Genese differenzialdiagnostisch abzugrenzen. Des Weiteren sind bei rezidivierenden Synkopen die Patienten in Hinblick auf ursächliche zentralnervöse Störungen der autonomen Blutdruckregulation oder Affektionen der peripheren autonomen Nerven abzuklären. Schwindel tritt im Kontext vorübergehender Befindlichkeitsstörungen, chronisch beeinträchtigender relativ ungefährlicher Krankheitsbilder, aber auch unmittelbar lebensbedrohlicher Zustände auf. Anamnese und klinische Untersuchung haben bei der

Einordnung dieses Symptoms ein hohes Gewicht. Wesentlich ist hier z. B. die Zuordnung, ob es sich um eine Erstmanifestation oder um seit längerem bekannte rezidivierende Episoden handelt und wie lange die einzelnen Episoden ggf. dauern. In der klinischen Untersuchung wird die Okulomotorik insbesondere im Hinblick auf einen Nystagmus differenziert untersucht. Der vorliegende Beitrag skizziert die wesentlichen zugrunde liegenden Krankheitsbilder von Synkopen bzw. Schwindel aus dem neurologischen Fachgebiet, ihre relevanten Differenzialdiagnosen und das praktische Vorgehen in der Behandlung. Schlüsselwörter Vertigo · Bewusstseinsverlust ·   Bewusstlosigkeit · Epileptischer Anfall ·   Psychogene Aspekte

Vertigo/dizziness and syncope from a neurological perspective Abstract Vertigo/dizziness and syncope are among the most frequent clinical entities encountered in neurology. In patients with presumed syncope, it is important to distinguish it from neurological and psychiatric diseases causing a transient loss of consciousness due to another etiology. Moreover, central nervous disorders of autonomic blood pressure regulation as well as affections of the peripheral autonomic nerves can be responsible for the onset of real syncope. This is particularly relevant in recurrent syncope. Vertigo occurs in the context of temporary disorders, relatively harmless diseases associated with chronic impairment, as well as in acute life-threatening states. Patient history and clinical examination play an important role in classifying these symptoms. It is of crucial impor-

untersuchung, CT-Angiographie (CTA) oder MRT. Die Basilaristhrombose [13] ist zwar selten, hat aber so gravierende Konsequenzen, dass die Kenntnis des Krankheitsbildes wesentlich ist, zumal das therapeutische Zeitfenster extrem eng ist. Sie ist durch eine akute bzw. rezidivierende und/oder crescendoartig zunehmende Hirnstammsymptomatik bis zu Bewusstseinsstörungen charakterisiert. Die bei schwererer Symptomatik auftretenden Streckkrämpfe können mit epileptischen

tance in this context, e.g., to establish whether the patient is experiencing an initial manifestation or whether such episodes have been known to occur recurrently over a longer period of time, as well as how long the episodes last. Clinical investigations include a differential examination of the oculomotor system with particular regard to nystagmus. The present article outlines the main underlying neurological diseases associated with syncope and vertigo, their relevant differential diagnoses as well as practical approaches to their treatment. Keywords Vertigo · Loss of consciousness ·   Unconsciousness · Eplileptic seizure ·   Psychogenic aspects

Krampfanfällen verwechselt werden, wobei die Parallelität einiger anderer Symptome (Bewusstseinsstörung, Paresen, Pyramidenbahnzeichen) und die Häufigkeit epileptischer Anfälle im klinischen Alltag dazu führen können, dass ein unreflektiert als „epileptischer Anfallsstatus“ etikettierter Patient mit Basilaristhrombose eine inadäquate Diagnostik und Therapie erhält (auch Streckkrämpfe sistieren in der tiefen Narkose). Die Diagnose ist zuverlässig nur durch CTA oder MRTAngiografie (MRA) zu stellen. TheraDer Internist 1 · 2015 

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Schwerpunkt: Schwindel und Synkope

Hirntumor 12%

Benigner Lagerungsschwindel 20%

Multiple Sklerose 4%

Ischämischer Hirninfarkt 47%

Intrazerebrale Blutung 16%

Psychogene Ursachen 40%

Transitorische ischämische Attacke 19%

Hirninfarkt plus Dissektion 2%

Vestibulare Migräne14%

M. Meniere 13%

Vestibularisparoxysmie 6% Bilaterale Vestibulopathie 7%

Abb. 1 8 Sog. ernste neurologische Grunderkrankungen beim Primärsymptom Schwindel in einer Notfallambulanz. (Adaptiert nach [14])

Abb. 2 8 Schwindelursachen in einer neurologischen Schwindelambulanz. (Adaptiert nach [6])

pie der Wahl ist die neurointerventionelle Thrombektomie, wobei die systemische Thrombolyse mit rTPA („recombinant tissue plasminogen activator“) – zumindest in der Überbrückung („bridging“) bis zum Zuführen zur nicht an jedem Standort verfügbaren Thrombektomie – einen relevanten Stellenwert hat. Die Mortalität der Basilaristhrombose ist auch bei Ausschöpfung moderner Therapieverfahren, wie Thrombektomie und Thrombolyse, mit etwa 30–50% hoch.

Blut abgezogen wird. Typischerweise äußert sich dieses klinisch durch Schwindel und verschiedene Symp­tomen des hinteren Stromgebietes. Diagnostisch wegweisend sind neben der Anamnese eine Blutdruckdifferenz der Arme im Seitenvergleich über 20 mmHg und entsprechende bildgebende Gefäßdiagnostik (insbesondere Ultraschalluntersuchung).

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Beim Subclavian-steal-Syndrom ist eine Blutdruckdifferenz beider Arme wegweisend Dem Subclavian-steal-Syndrom liegt eine Stenose/Verschluss der A. subclavia oder des Truncus brachiocephalicus proximal des Abgangs der A. vertebralis zugrunde. Klinisch kommt es bei Beanspruchung des betroffenen Armes (z. B. durch körperlich anstrengende Arbeiten) zu einer relativen arteriellen Minderperfusion, die sich zunächst in Schmerzen und verfrühter Ermüdbarkeit des Armes äußert. Eine Teilkompensation kann durch die dann retrograd perfundierte A. vertebralis erfolgen. Dabei kommt es jedoch zu einer Minderperfusion im vertebrobasilären Stromgebiet, aus dem das in den Arm fließende

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Symptomatischer Schwindel bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen Hirntumore/Raumforderungen können durch eine Einblutung oder Hirndruck dekompensieren und in einen akut klinisch bedrohlichen Zustand münden. Bei diesen, wie auch bei intrakraniellen Blutungen anderer Ursache (z. B. dekompensierendes chronisch subdurales Hämatom), ist die Erfassung akut bedrohlicher Zustände im CT unproblematisch. Alarmzeichen sind Schwindel in Kombination mit Kopfschmerzen, Erbrechen und – im fortgeschrittenen Stadium – Bewusstseinsstörungen. Entzündliche ZNS-Erkrankungen einschließlich der multiplen Sklerose (MS) werden Im CT häufig nicht dargestellt. Diagnostisch sind hier MRT und Liquoruntersuchungen sowie auch das EEG Ver-

fahren der Wahl. Auch kleinere oder CTisodense Tumoren (u. a. Vestibularisschwannome, Gliome) sind erst durch die MRT zuverlässig auszuschließen. Gangstörungen und ataktischen Beschwerden bei verschiedensten Erkrankungen, wie bei spinozerebellären Ataxien, Demenzen, Parkinson-Syndromen, aber auch sensible Störungen z. B. im Rahmen von Polyneuropathien werden vom Patienten nicht selten als Schwindel bezeichnet. Derartige Ursachen sind durch eine sorgfältiger klinische Untersuchung zu erfassen. Eine epileptische Genese transienter Schwindelzustände ist selten [8]. In der klinischen Praxis wird man bei rezidivierenden transienten und unscharf charakterisierten „Schwindelanfällen“, die in ihrer Symptomatik von den klassischen Schwindelsyndromen abweichen, ein EEG veranlassen.

Migränenahe Schwindelformen

Die vestibuläre Migräne als diagnostische Entität ist eine vergleichsweise neue Diagnose, obwohl die Prävalenz mit 1% der Gesamtbevölkerung als relativ hoch eingeschätzt wird [5]. Klinisch ist das rezidivierende Auftreten einer Kombination aus migränetypischen und vestibulären Symp­tomen charakteristisch. Für die Diagnosekriterien wurde von den Fachgesellschaften für Kopfschmerz (International Headache Society, IHS) und Schwindel (Barany Society) ein Konsensuspapier erarbeitet [11]. Gefordert wird eine Migräneanamnese mit oder ohne Aura entsprechend den IHS-Kriterien [18], mindestens ein migränetypisches Symptom bei mindestens 50% der Schwindelepisoden und der Ausschluss einer anderen auf die Gesamtkonstellation besser passenden Krankheit. In Abweichung von den üblichen Definitionsbereichen für eine Migräneaura kann eine wahrscheinliche vestibuläre Migräne auch bei einer Dauer von Minuten bis 72 h diagnostiziert werden. Im Intervall zwischen den Attacken ist der klinische Befund in der Regel unauffällig; in der Attacke besteht häufig ein Nystagmus, wobei sowohl eine periphere als auch eine zentrale Nystagmuscharakteristik vorgefunden wird. Die Basilarismigräne hat im Median eine Dauer von 60 min, wobei die in der

Schwerpunkt: Schwindel und Synkope Attacke bestehenden Hirnstammsymptome variieren. Kirchmann et al. [9] beschrieben v. a. Schwindel (61%), Dysarthrie (53%); Tinnitus (45%),

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Bei vestibulärer Migräne besteht in der Attacke häufig ein Nystagmus Doppelbilder (45%), beidseitige visuelle Symptome (40%), beidseitige Parästhesien (24%), herabgesetztes Bewusstsein (21%), Hypakusis (21%) und Ataxie (5%). Die oben beschriebene klinische Kernsymptomatik mit Symptomen der Basilaristhrombose ist weitgehend identisch. Somit ist bei der Erstmanifestation des Krankheitsbildes die Gefäßdiagnostik mit CTA/MRA erforderlich, und die Diagnose kann erst nach mehreren Episoden zuverlässig gestellt werden.

Vestibularisparoxysmie

Die Vestibularisparoxysmie ist durch rezidivierende kurze (meist Sekunden dauernde) isolierte Dreh- oder Schwankschwindelattacken charakterisiert. Häufig können diese durch Kopfbewegungen provoziert werden. Pathophysiologisch wird ein neurovaskuläres Kompressionssyndrom angenommen (analog zur Trigeminusneuralgie und zum Spasmus hemifacialis). Bei dieser Krankheitsgruppe geht man davon aus, dass die Ursache in einer chronischen mechanischen Irritation des Hirnnerven (hier: N. vestibularis) durch Pulsationen eines arteriellen Blutgefäßes mit unmittelbarem Kontakt zum Nerven liegt. Der Gefäß-Nerv-Kontakt kann bei entsprechend hochauflösender MRT-Diagnostik des N. vestibularis dargestellt werden. Therapeutisch spricht die Symptomtik meist auf Antikonvulsiva, wie Carbamazepin oder Oxcarbazepin, an [17].

Nichtorganische Aspekte Die Annäherung an die Problematik psychogener Schwindelformen erfolgt insbesondere aus 2 Perspektiven: F die Charakterisierung von Schwindelsyndromen, bei denen keine organische Hauptursache vermutet wird (v. a. der phobische Schwankschwindel), und

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F die Untersuchung der psychiatrischen Morbidität und Komorbidität bei verschiedenen – auch primär organisch zugeordneten – Schwindelsyndromen. Der phobische Schwankschwindel [1, 2] bietet ein vergleichsweise charakteristisches klinisches Bild. Typisch sind Klagen über Schwankschwindel und subjektive Stand-/Gangunsicherheit bei normalem neurologischem Befund und unauffälligen Gleichgewichtstests. Der Schwindel wird als eine Benommenheit mit fluktuierender Unsicherheit von Stand und Gang, als attackenartige Angst vor Stürzen, ohne dass es real dazu kommt, z. T. auch als unwillkürliche kurzdauernde Körperschwankung beschrieben. Die Attacken treten oft in typischen Situationen auf, die auch als externe Auslöser anderer phobischer Syndrome bekannt sind (z. B. Brücken, Auto fahren, leere Räume, große Menschenansammlungen im Kaufhaus oder Restaurant). Psychogener Schwindel findet sich jedoch nicht nur im Kontext des phobischen Schwankschwindels. In einer Fallserie (n=547) von Lahmann et al. [10] aus der Spezialabteilung für Schwindel der Universität München fand sich ein Anteil von 80,8% von primär organischen und 19,2% von psychogenen Schwindelursachen. Bei 48,8% wurden die Kriterien einer psychiatrischen Krankheit, meist Angststörung, somatoforme Störung oder Depression erfüllt. Auch bei den Patienten mit einer organischen Ursache erfüllten noch 42,5% die Kriterien einer psychiatrischen Komorbidität. Dabei war die Wahrscheinlichkeit einer psychiatrischen Komorbidität zwischen verschiedenen organischen Schwindelursachen nicht gleich, sondern z. B. bei M. Meniere oder vestibulärer Migräne höher als bei der Neuritis vestibularis oder dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel.

Fazit für die Praxis

Synkopen F Zur Diagnose von Synkopen ist die Eigen- und Fremdanamnese zu Erfassung von relevanten Befunden, wie aurasuspekte Vorsymptomatik, beob-

achtetes Krampfen, verlängerte Reorientierung, Zungenbiss, fokalneurologische Begleitsymptomatik, tatsächlicher Bewusstseinsverlust, im Hinblick auf die häufigsten Differenzialdiagnosen wesentlich. Nur bei entsprechenden konkreten Hinweisen ist eine gezielte Zusatzdiagnostik (insbesondere EEG, Schnittbildgebung) indiziert. F Bei rezidivierenden Synkopen sollte eine klinische Prüfung auf potenzielle neurologische Grunderkrankungen, wie degenerative Hirnerkrankungen (M. Parkinson), Polyneuropa­ thien und andere vegetative Störungen, erfolgen.

Schwindel F Initial sollte eine interdisziplinäre Öffnung der Differenzialdiagnose (etwa 89 % aller Notfallpatienten mit Klagen über Schwindel haben keine gefährliche neurologische Ursache) mit Suche nach internistischen und HNOärztlichen Ursachen erfolgen. F  Es soll klinische geprüft werden, ob konkrete Hinweise auf ein neurologisch bedingtes akut bedrohliches Schwindelsyndrom vorliegen. Abzugrenzen sind insbesondere isolierte vestibuläre Funktionsstörungen von akut begonnenen fokalneurologischen Symptomen des Hirnstamms und Kleinhirns sowie neuartige begleitende Kopfschmerzen. Wenn Anhalt für eine akute neurologische Ursache besteht, sollte eine konsequente Notfalldiagnostik, ggf. mit zerebraler Schnittbildgebung und Gefäßdarstellung, eingeleitet werden. F  Bei chronischen Schwindelsyndromen sollte eine fachärztliche Kategorisierung (HNO, Neurologe) anhand der klinischen Charakteristik und eine gezielte Zusatzdiagnostik erfolgen. Diese hat – wenn irgend möglich – das Ziel der Formulierung einer anerkannten und langfristig überprüfbaren Diagnose. Die Therapie sollte sich an dieser Arbeitshypothese orientieren.

Fachnachrichten Korrespondenzadresse PD Dr. J. Machetanz Städtisches Krankenhaus   Dresden Neustadt Industriestr. 40, 01129 Dresden [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Machetanz gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Der gefährlichste Tag des Jahres Wenn es um schwere Autounfälle geht, ist nicht der Jahreswechsel, sondern der   1. Mai der gefährlichste Tag des Jahres. Das ergibt eine Auswertung des deutschen TraumaRegister DGU® von Prof. Dr. Rolf Lefering, Statistiker an der Universität Witten/ Herdecke: „Betrachtet man das Ranking der Jahrestage, dann fällt auf, dass zwischen Weihnachten und Neujahr erstaunlich wenige Unfälle passieren. Das TraumaRegister erfasst die vielen leichten Unfälle mit Böllern an Silvester nicht, weil diese selten intensivmedizinisch versorgt werden müssen, aber schwere Autounfälle gibt es in dieser Zeit erstaunlich wenig. Das könnte daran liegen, dass man vorsichtiger fährt, weil man seine Familie mit im Auto hat.“ Unter den „Top Ten“ der Tage mit den meisten schweren Unfällen neben dem 1. Mai findet sich noch ein weiterer bundesweiter Feiertag: der 3. Oktober. Die übrigen „kritischen“ Tage liegen alle im Sommer, wo vor allem durch Motorradfahrer die Unfallzahlen fast doppelt so hoch sind wie im Winter. Im TraumaRegister DGU® sind Daten von weit über 150.000 dokumentierten Einzelfällen hinterlegt. Seit 1993 sammelt das Register Daten schwerverletzter Patienten, um den beteiligten Kliniken Rückmeldung über ihre Behandlungsqualität zu geben. Literatur: Pape-Köhler CI, Simanski C, Nienaber U, Lefering R (2014) External factors and the incidence of severe trauma: time, date, season and moon. Injury 45S:93-99 Quelle: Universität Witten/Herdecke, www.uni-wh.de

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dizziness and syncope from a neurological perspective].

Vertigo/dizziness and syncope are among the most frequent clinical entities encountered in neurology. In patients with presumed syncope, it is importa...
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