Leitthema Chirurg 2014 · 85:314–319 DOI 10.1007/s00104-013-2622-9 Online publiziert: 9. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Labenz Medizinische Klinik, Diakonie Klinikum Jung-Stilling, Siegen

Divertikelblutung Diagnostik, konservative Therapie, Operationsindikation

Blutungen aus dem Verdauungstrakt gehören zu den häufigsten Notfällen in der klinischen Routine. Das Spek­trum reicht von geringen Blutbeimengungen zum Stuhl bis hin zu Massenblutungen. Leitsymptome können die sichtbaren Blutverluste, aber auch die Folgen des Blutverlustes mit allgemeiner Schwäche, Schock und Versagen wichtiger Organfunktionen sein. Es ist von immenser Bedeutung, dass in einer solchen Notfallsituation rasch und umsichtig gehandelt wird, um die Ursache der Blutung zu eruieren, die Blutung wenn notwendig zu stillen und die Folgen des Blutverlustes zu kompensieren bzw. zu beheben. Eine der häufigsten Blutungsquellen im unteren Verdauungstrakt sind Divertikel – insbesondere bei älteren Patienten.

schwere Darmblutung ist über eines der folgenden Kriterien definiert: Kreislauf­ instabilität, persistierende Blutung 24 h nach Krankenhausaufnahme, Hämoglobin (Hb)-Abfall ≥2 g/dl und/oder Notwendigkeit einer Transfusion [6]. In einer solchen Situation ist auf jeden Fall eine dringliche Indikation zur Diagnostik und Therapie gegeben. Divertikelblutungen sind häufig, wobei unklar ist, wie viele Patienten mit Divertikeln tatsächlich im Laufe ihres Lebens eine Blutung erleiden. In der Literatur finden sich Angaben zwischen 4 und 48% [1]. Die Lebenszeitprävalenz schwerer Blutungen mit signifikantem Hb-Abfall und hämodynamischen Auswirkungen wird auf 2–6% geschätzt [18].

Blutungen aus dem unteren Verdauungstrakt

Bei der Divertikelblutung handelt es sich um eine arterielle Blutung. Sie entsteht durch Eröffnung der Vasa recta durch Scherkräfte am Divertikelrand und ist in aller Regel keine Komplikation einer Divertikulitis. Die unter Spannung stehenden Blutgefäße am Divertikelhals und an der Divertikelkuppe sind besonders anfällig für mechanisch bedingte Rupturen bzw. Arrosionen, die die hohe Blutungsneigung bei der Divertikelkrankheit erklären [13]. Divertikel sind bei Patienten aus Ländern der westlichen Welt überwiegend im linken Hemikolon bzw. Sigma lokalisiert, Divertikelblutungen stammen aber zu 50% aus dem rechten Hemikolon [14].

Die jährliche Inzidenz von Krankenhausaufnahmen wegen einer akuten Darmblutung lag in einer Studie aus den USA bei 36/100.000 und war damit etwa halb so groß wie die der Blutungen aus dem oberen Verdauungstrakt [11]. Die Inzidenz stieg mit dem Lebensalter. Die Divertikulose nimmt ebenfalls mit dem Lebensalter an Häufigkeit zu. Bei über 70-Jährigen erreicht sie eine Prävalenz von 60% [13]. Sie ist mit etwa 30–40% die häufigste Ursache für Darmblutungen [5, 6]. Die Intensität einer Darmblutung bestimmt das Management (. Abb. 1). Eine

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Pathogenese und Risikofaktoren der Divertikelblutung

D Höheres Lebensalter und rechtsseiti-

ge Kolondivertikel sind Risikofaktoren für eine Divertikelblutung [1, 14]. In einzelnen Studien waren eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie, eine Hyperurikämie, eine koronare Herzkrankheit und eine chronische Niereninsuffizienz mit einem erhöhten Risiko für eine Divertikelblutung assoziiert [13]. Seit dem ersten Bericht von Langman et al. [12] wurde in einer Reihe von Kohorten- und Fallkontrollstudien ein erhöhtes Risiko für eine Divertikelblutung unter nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Acetylsalicylsäure (ASS) beobachtet [13, 24]. Erstaunlicherweise fehlt für ASS aber eine Dosis-Wirkungs-Beziehung [24]. Andere Antikoagulanzien, Paracetamol, Kortikosteroide und Kalziuman­ tagonisten sind weitere Medikamente, die Tab. 1  Risikofaktoren für eine Divertikel-

blutung: Ergebnisse aus Kohorten- und Fallkontrollstudien Unbeeinflussbare Risikofaktoren Alter Rechtsseitige   Kolondivertikel Arteriosklerose   assoziierte Krankheiten – Koronare Herzkrankheit – Chronische Niereninsuffizienz

Beeinflussbare   Risikofaktoren Arterielle Hypertonie Hyperlipidämie Hyperurikämie Medikamente – Nichtsteroidale Antirheumatika – Acetylsalicylsäure – Andere   Antikoagulantien – Kortikosteroide – Paracetamol – Kalzium-  antagonisten

Hämatochezie

Schwere Blutung • Kreislaufinstabilität • Hb-Abfall≥2 g/dl in 24 h • Transfusionsbedarf • Anhaltende Blutung >24 h

Keine schwere Blutung

Ano-/Prokto-/Sigmoidoskopie

ÖGD +Koloskopie* (innerhalb 12-24 h)

Blutung sistiert

Endoskopische Blutstillung

Koloskopie (elektiv innerhalb 48 h)

Anhaltende Blutung Keine Blutstillung

Abb. 1 9 Managementalgorithmus bei Hämatochezie und Verdacht auf Divertikelblutung. *Reihenfolge abhängig von klinischer Situation. Koloskopie ohne Vorbereitung oder nach salinischer Lavage mit 1 l pro 45 min (ggf. über Magensonde). ÖGD Ösophagogastroduodenoskopie

Therapie abhängig vom Befund

Quelle nicht lokalisierbar

Darmlavage bis Spülflüssigkeit klar

CT-Angiographie Angiographie ±Therapie Resektion

als Risikofaktoren für eine Divertikelblutung in Betracht gezogen werden müssen (. Tab. 1, [13]).

Diagnostik der Divertikelblutung Patienten mit einer vermuteten Divertikelblutung sollten stationär aufgenommen werden [4, 13].

Klinische Befunde Das Leitsymptom der Divertikelblutung ist die schmerzlose Hämatochezie. Patientenangaben zur Menge und Farbe des abgesetzten Blutes sind allerdings von limitierter diagnostischer Relevanz. So kann bei einer massiven Blutung aus dem oberen oder mittleren Verdauungstrakt durchaus rotes Blut abgesetzt werden und bei einer längeren Verweilzeit des Blutes im Darm – insbesondere bei Blutungsquelle im rechten Hemikolon – auch Teerstuhl Folge einer Blutung aus dem unteren Verdauungstrakt sein. Insgesamt findet sich bei mehr als 10% der Patienten mit peranal rotem Blutabgang eine aktive Blutungsquelle im oberen Gastrointestinaltrakt [6, 19]. Der Nachweis von frischem Blut oder Koageln bei der rektaldigitalen Untersuchung spricht für eine stärkere und vermutlich noch anhaltende Blutung.

Endoskopie Bei schwerer peranaler Blutung gekennzeichnet durch einen signifikanten HbAbfall (kann wegen Verlustes von Vollblut erst verzögert nachweisbar sein!) und v. a. eine Kreislaufinstabilität sollte nach initialer Kreislaufstabilisierung zuerst eine Endoskopie des oberen Verdauungstraktes durchgeführt werden, um eine hier gelegene Blutungsquelle auszuschließen bzw. nachzuweisen. Im nächsten Schritt ist dann eine Koloskopie angezeigt. Timing und Vorbereitung der Kolo­ skopie werden in der Literatur kontrovers beurteilt. Als Grundregel kann gelten: D Je stärker die Blutung desto

weniger Zeit sollte für die Vorbereitung verwendet werden. Bei anhaltender Darmblutung ist eine vorangehende Lavage häufig auch nicht wirksam, zudem ist Blut ein „gutes Abführmittel“. In praktisch allen Fällen gelingt es bei entsprechender endoskopischer Expertise und Geräteausstattung (z. B. Endowasher) auch ohne Vorbereitung eine aktive oder potenzielle Blutungsquellen zu identifizieren oder zumindest in etwa die Höhe der Blutungslokalisation abzuschätzen, was im Falle einer notwendig werdenden chirurgischen Therapie von großer Relevanz für die Pla-

nung des Eingriffs ist [3]. Wenn es die klinische Situation erlaubt, empfiehlt sich die Vorbereitung des Darmes mit einer salinischen Lavage, ggf. auch über eine Magensonde [8, 13]. Die Beurteilung der abgesetzten Spülflüssigkeit lässt dabei auch Rückschlüsse auf ein spontanes Sistieren der Blutung zu. In der einzigen randomisierten, kontrollierten Studie, die eine rasche Koloskopie (nach kurzer Vorbereitung) mit einer Angiographie gefolgt von einer verzögerten Kolo­skopie verglich, wurde die Blutungsquelle durch die rasche Endoskopie häufiger identifiziert, allerdings hatte dieser Vorteil in dieser Untersuchung keinen maßgeblichen Einfluss auf Outcome-Parameter wie Mortalität, Transfusionsbedarf, Krankenhausverweildauer, Rezidive und Operationsnotwendigkeit [7]. Eine vorgeschaltete dynamische computertomographische (CT-) Untersuchung kann die Ergebnisse der koloskopischen Diagnostik und Therapie möglicherweise noch verbessern [10]. Im blutungsfreien Intervall kann eine stattgehabte Divertikelblutung nur durch den Nachweis der Divertikel und Ausschluss einer anderweitigen Blutungsquelle wahrscheinlich gemacht werden.

Angiographie Angiographisch können aktiv blutende Läsionen bei einer Blutungsintensität Der Chirurg 4 · 2014 

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Zusammenfassung · Abstract von mindestens 0,5 ml/min identifiziert werden. Die Erfolgsrate der Angiographie hängt wesentlich von der Auswahl der Patienten, der Blutungsintensität und auch der Expertise des Untersuchers ab. Sie schwankt zwischen 10 und 86% [1, 6]. Eine diagnostische Alternative zur konventionellen Angiographie ist die CTAngiographie. In einer Metaanalyse lagen die Sensitivität bei 89% und die Spezifität bei 85% [27]. Aufgrund der geringeren Invasivität und breiteren Verfügbarkeit ist diese Methode ein guter Kandidat für die Primärdiagnostik falls eine Endos­kopie nicht möglich oder die Blutungsquelle nicht identifiziert ist. Es ist aber zu berücksichtigen, dass auch für die CT-Angio­graphie eine aktive Blutung stärkerer Intensität vorliegen muss.

Blutpoolszintigraphie Die Szintigraphie mit 99mTc-markierten Erythrozyten wird heute nur noch selten durchgeführt. Vorteil dieser Methode ist, dass auch geringe Blutungen (ab 0,04 ml/ min) erfasst werden können. In ca. 50% der Fälle kann so eine Blutung nachgewiesen werden, in 25% der Fälle ist die vermutete Blutungslokalisation aber falsch infolge des Bluttransportes im Darm [16, 25]. Aus diesem Grund sollte eine operative Therapie niemals allein aufgrund eines Szintigraphiebefundes ohne Bestätigung durch andere Methoden geplant werden. Weitere Nachteile dieser Methode sind die fehlende Möglichkeit der Charakterisierung der blutenden Läsion und die nicht vorhandene therapeutische Option. Rezidivierende Divertikelblutungen ohne Identifikation des blutenden Divertikels bei wiederholter Koloskopie ist eine Indikation. Falls die Untersuchung positiv ausfällt, empfiehlt sich anschließend eine Mesenterikographie [25].

Therapie der Divertikelblutung Allgemeine Maßnahmen In der Notfallsituation ist es von großer Bedeutung, zunächst lebensbedrohliche Folgen eines Blutverlustes zu erkennen bzw. zu verhindern. Hierzu gehören neben der zielgerichteten Anamnese und Untersuchung die Stabilisierung bzw. Si-

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Chirurg 2014 · 85:314–319  DOI 10.1007/s00104-013-2622-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 J. Labenz

Divertikelblutung. Diagnostik, konservative Therapie, Operationsindikation Zusammenfassung Hintergrund.  Die Divertikelblutung ist die häufigste Form der schweren Darmblutung. Diagnostik und Therapie sind nicht standardisiert. Fragestellung.  Unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur soll ein diagnostischer und therapeutischer Algorithmus entwickelt werden. Material und Methoden.  Es wurde eine systematische Literaturrecherche (PubMed 1998–2013) durchgeführt und auch aktuelle Leitlinien berücksichtigt. Ergebnisse.  Etwa 5% aller Divertikelträger werden im Laufe ihres Lebens eine relevante Divertikelblutung erleiden. Patienten mit Verdacht auf Divertikelblutung sollten stationär aufgenommen werden, auch wenn die Rate selbstlimitierender Blutungen mit 70–90%hoch ist. Bei schwerer Blutung, definiert als Blutung mit Kreislaufinstabilität, anhaltende Blutung nach 24 h, Hämoglobinabfall um ≥2 g/dl in 24 h oder Transfusionspflichtigkeit sind innerhalb der ersten 12–24 h Endoskopien des oberen und unteren Verdauungstrakts angezeigt. Bei endos-

kopischem Nachweis einer aktiven Divertikelblutung oder sichtbaren Stigmata der stattgehabten Blutung (Gefäßstumpf, Koagel) soll eine endoskopische Therapie in gleicher Sitzung erfolgen, da hierdurch die ansonsten beträchtliche Rezidivrate deutlich gesenkt werden kann. Bei nicht stillbarer Blutung kann eine angiographische Embolisation erfolgen. Eine Operation bleibt Patienten mit nicht stillbarer oder rezidivierender schwerer Divertikelblutung vorbehalten. Diskussion.  Die Divertikelblutung ist häufig. Als primäre Diagnostik soll heute eine Koloskopie erfolgen, die im Falle der lokalisierbaren Blutung auch therapeutisches Potenzial hat. Die weit überwiegende Mehrzahl der Divertikelblutungen kann konservativ bzw. interventionell beherrscht werden mit entsprechend günstiger Prognose. Schlüsselwörter Angiographie · Divertikelblutung · Endoskopische Therapie · Koloskopie · Operationsindikation

Diverticular bleeding. Diagnostics, non-surgical treatment, indications for surgery Abstract Background.  Diverticular bleeding is the most common cause of acute severe lower gastrointestinal bleeding. Diagnostic and therapeutic approaches have not been standardized. Objective.  Development of an evidencebased management algorithm. Materials and methods.  A systematic search of the literature (PubMed 1998–2013) was carried out and a review with consideration of current guidelines is given. Results.  The lifetime risk of clinically relevant bleeding is estimated to be 5% in persons with colonic diverticula. Patients with clinically suspected diverticular hemorrhage should be admitted to hospital. Diverticular bleeding will cease spontaneously in around 70– 90% of the cases. In patients with severe lower gastrointestinal tract bleeding, defined as instability of the circulation, persistent bleeding after 24 h, drop of the hemoglobin level to ≥2 g/dl or the necessity for transfusion, endoscopy of the upper and lower gastrointestinal tract within the first 12–24 h is recommended. In patients with active diverticular

bleeding or signs of recent hemorrhage (e.g. visible vessel or adherent clot) endoscopic therapy is strongly recommended because it significantly decreases the rate of early and late rebleeding. Angiography with superselective embolization is a therapeutic option in patients where endoscopy failed. Surgery should be considered in patients with ongoing bleeding and failure of interventional treatment and in patients who suffered from recurrent severe diverticular bleeding. Conclusions.  Diverticulosis coli remains the most common cause of lower gastrointestinal bleeding. Colonoscopy is recommended as first-line diagnostic and therapeutic approach. In the vast majority of patients diverticular hemorrhage can be readily managed either conventionally or by interventional therapy. Keywords Angiography · Colonoscopy · Diverticular bleeding · Endoscopic treatment · Indication for surgery

Leitthema cherung der Herz-Kreislauf-Funktion sowie die Überprüfung und ggf. auch Korrektur von Gerinnungsstörungen. Es ist ratsam, ein oder bei stärkeren Blutungen auch zwei großlumige Venenverweilkanülen anzulegen und isotone Elek­ trolytlösungen zu infundieren, mit dem Ziel einen systolischen Blutdruck von >100 mmHg zu erzielen oder aufrecht zu erhalten [6]. Patienten mit Kreislaufinstabilität, schwerer Komorbidität oder massiver Blutung sollten auf einer Intensivstation behandelt werden [6]. Eine Transfusion ist bei Hb-Werten

[Diverticular bleeding. Diagnostics, non-surgical treatment, indications for surgery].

Diverticular bleeding is the most common cause of acute severe lower gastrointestinal bleeding. Diagnostic and therapeutic approaches have not been st...
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