Bild und Fall HNO 2014 · 62:124–126 DOI 10.1007/s00106-013-2785-1 Online publiziert: 1. Dezember 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Redaktion

F. Bootz, Bonn

Falldarstellung Anamnese Ein 68-jähriger Patient stellte sich aufgrund von sinusitischen Beschwerden links vor. Er beklagte ein infraorbitales Druckgefühl sowie die Absonderung von einseitigem Nasensekret seit etwa 6 Wochen. Hinweise auf Beschwerden im stomatognathen System bestanden nicht. Eine Zahnbehandlung bzw. -entfernung war nicht unmittelbar vorausgegangen, der Zahn 28 fehlte vorbestehend seit Jahrzehnten.

Klinischer Befund Die klinische Untersuchung einschließlich der Rhinoskopie ergab lediglich eine Nasenseptumdeviation nach links, eine Hyperplasie der unteren Nasenmuscheln rechts mehr als links und geringe Mengen trüben Sekrets in der linken Nasenhaupthöhle (oder der unteren Nasenmuschel). Die Mundschleimhaut, insbesondere im Bereich des linken Oberkiefers, war unauffällig, Sensibilitätsstörungen der Ge-

124 | 

HNO 2 · 2014

N.C. Pausch1 · T. Gradistanac2 · D. Halama1 1 Klinik und Poliklinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Leipzig 2 Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Leipzig

Eine Differenzialdiagnose der chronischen Sinusitis maxillaris sichtshaut lagen nicht vor. Laborchemische Untersuchungen blieben ohne Auffälligkeiten.

Bildgebende Diagnostik, Therapieplanung Zunächst erfolgte eine bildgebende Untersuchung mittels axialer und koronarer Computertomographie (CT) der Nasennebenhöhlen (NNH). Diese erbrachte Hinweise auf eine unilaterale Sinusitis maxillaris (. Abb. 1); allerdings fand sich in den weiter dorsal liegenden Schichten des Oberkiefers auch eine Beteiligung des Alveolarkammes, der mit weichteildichten Massen ausgefüllt war (. Abb. 2). Unter der Verdachtsdiagnose chronische Sinusitis maxillaris links wurde die Indikation für eine Korrektur des Nasenseptums, eine linksseitige NNH-Operation mit Infundibulotomie sowie eine Reduktion der gleichseitigen Concha nasalis inferior gestellt. Der Eingriff erfolgte komplikationsfrei, das aus der linken Kieferhöhle entnommene Material wurde zur histologischen Untersuchung eingesandt.

Abb. 1 8 Koronare NNH-CT mit Anzeichen einer Sinusitis maxillaris links. Pfeil Weichteildichte Massen in der linken Kieferhöhle

Abb. 2 8 Koronare NNH-CT (gleiche Untersuchung wie . Abb. 1), Pfeil Osteolyse des Alveolarfortsatzes

D Wie lautet Ihre Diagnose?

»

Abb. 3 9 Histologie des Resektats. Infiltrate eines epithelialen Tumors (violett) mit in der Peripherie zylindrischen Zellen (Pfeil), daneben ortsständiges, reguläres Bindegewebe (rosa, *)

Diagnose: Ameloblastom der Kieferhöhle als eine Differenzialdiagnose der Sinusitis maxillaris Histologie Die histologische Aufarbeitung des aus der Kieferhöhle gewonnenen Materials ergab Infiltrate eines überwiegend solide konfigurierten epithelialen Tumors mit in der Peripherie zylindrischen Zellen neben regelrechtem Bindegewebe (. Abb. 3). Es wurde die Diagnose „Ameloblastom vom solide-multizystischen Typ“ gestellt. Begleitend bestand eine unspezifisch chronische Entzündung. Zur Diagnosesicherung und zur Ausbreitungsdiagnostik wurde als nächster Schritt eine Biopsie der weichteildichten Masse im Bereich der Alveole des Zahns 28 von intraoaral aus durchgeführt. Diese Gewebeentnahme bestätigte die Verdachtsdiagnose und die Notwendigkeit einer Oberkieferteilresektion.

Abb. 4 9 Oberkieferteilresektat. Gelber Pfeil: ventraler, grüner Pfeil: vestibulärer, schwarzer Pfeil: palatinaler, blauer Pfeil: dorsaler Resektionsrand

Diskussion

Tumorresektion und Defektrekonstruktion Die Resektion erfolgte in 2 Stufen. In der 1. Sitzung wurde die Tumorresektion unter Mitnahme des Zahns 27, des Tuber maxillae, der anliegenden fazialen und dorsalen Kieferhöhlenwand und des angrenzenden Hartgaumens vorgenommen. Die histologische Untersuchung belegte das Heranreichen des Tumors an nahezu alle Resektionsränder (R1-Resektion), weshalb in einer 2. Sitzung die Nachresektion im Sinne einer partiellen Hemimaxillektomie erfolgte. Die Resektion der betroffenen Kieferhöhlenwände wurden nach kranial fortgeführt, nach distal erfolgte die Mitnahme des Proc. pterygoideus und der pterygoidalen Muskulatur. Der Alveolarfortsatz wurde nach mesial hin um 2 weitere Zähne (25 und 26) reseziert (. Abb. 4). Intraoperative Schnellschnitte und die histologische Untersuchung des Hauptpräparats bestätigten eine Entfernung im Gesunden.

Abb. 5 8 In den Defekt eingeheilter Radialislappen 3 Monate postoperativ

Die Defektdeckung erfolgte mittels eines mikrochirurgisch anastomosierten Radialislappens vom linken Unterarm. Die . Abb. 5 zeigt das im Defekt eingeheilte Transplantat. Im Intervall ist eine knöcherne Augmentation mit einem freien Beckenkammtransplantat in Vorbereitung auf die prothetische Versorgung vorgesehen.

Rund 1/3 aller diagnostizierten odontogenen Tumoren sind Amelobastome. Sie sind sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer lokalisiert, wobei v. a. die posterioren Abschnitte betroffen sind. Es besteht jedoch eine Häufigkeitsverteilung zugunsten der Mandibula. Histomorphologisch lassen sich 4 Typen unterscheiden: F Der solide-multizystische, F der periphere, F der desmoplastische und F der unizystische Typ. Ameloblastome wachsen langsam, je nach Typ ist eine frühzeitige Infiltration der umgebenden Gewebe möglich. Mitunter fallen größere Tumoren erst durch Auftreibungen der Kiefer, Schmerzen oder auch Sensibilitätsstörungen auf. Insbesondere in den NNH können sie symptomlos eine erhebliche Größe erreichen und erst bei Beteiligung der Orbita, des Ethmoids bzw. der Nasenhaupthöhle durch funktionelle Defizite (MotilitätsstöHNO 2 · 2014 

| 125

Bild und Fall rungen und Lageveränderungen des Bulbus, rekurrierende Sinusitis sowie Nasenatmungsbehinderung) auf sich aufmerksam machen. Infiltrationen der Orbita, der Schädelbasis bzw. der Fossa pterygopalatina sind gefürchtete Komplikationen. Der solide-multizystische Typ wächst aggressiv-infiltrativ und rezidiviert häufig. Daher wird ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 cm, ausgehend von den radiologischen Grenzen, gefordert. Gleiches gilt für das desmoplastische Ameloblastom. Das periphere Ameloblastom zeigt kein invasives Wachstum. Eine sparsame Exzision ist hierbei ausreichend. Unizystische Ameloblastome können als 2 Subtypen auftreten, als luminaler/intraluminaler und als intramuraler Typ. Während die Bindegewebskapsel bei der erstgenannten Variante nicht vom Tumorepithel infiltriert wird, zeigt das ameloblastäre Epithel des intramuralen Typs einen invasiven Charakter. Leider ist die Bestimmung des histologischen Subtyps meist erst nach kompletter Entnahme des Befundes möglich. Beim luminalen/intraluminalen Subtyp ist eine einfache Enukleation ausreichend, beim intramuralen Typ sollte eine Resektion mit Sicherheitsabstand wie beim solide-multizystischen Typ erfolgen. Im hier vorliegenden Fall handelte es sich um ein Ameloblastom vom solidemultizystischen Typ mit entsprechend aggressivem Verhalten. Zwangsläufig bedingt diese Diagnose eine radikale Resektion befallener Kieferabschnitte und angrenzender Gewebe. Problematisch war bei zurückliegender endonasaler Gewebsentnahme die Festlegung der kranialen Tumorgrenzen und die mögliche Gefahr von Gewebsverschleppungen im Sinus. Die hinsichtlich der postoperativen Ästhetik besten Ergebnisse erreichen Resektionen von intraoral, da sie keine äußeren Narben hinterlassen. Bei ausgedehnteren Befunden sind auch ein „midfacial degloving“ oder eine laterale Rhinotomie als Zugang diskutabel. Alternative Therapieverfahren können dagegen nicht empfohlen werden. Insbesondere Bestrahlungen bzw. Chemotherapien verbessern die

126 | 

HNO 2 · 2014

Prognose nicht und bergen das Risiko der Entstehung eines ameloblastischen Karzinoms. Bei jahrelangem Bestehen von Ameloblastomen wurde die Entwicklung von Metastasen (Halslymphknoten, Lunge) beobachtet. Da Rezidive noch nach 10 Jahren auftreten können, ist eine jährliche klinische Langzeitkontrolle sowie eine bildgebende Diagnostik (z. B. Magnetresonanztomographie) alle 1–2 Jahre anzuraten.

Differenzialdiagnose Im vorliegenden Fall muss neben einer Sinusitis chronica auch an odontogene Tumoren, Zysten der Kieferhöhle bzw. des Oberkiefers, ein Kieferhöhlenkarzinom, ein Papillom oder auch an dentogene Infektionen des Sinus gedacht werden. Zysten lassen sich von soliden Tumoren meist durch geringere radiologische Dichte und durch fehlende Kontrastmittelaufnahme abgrenzen. Dentogene Infektionen des Sinus können meist auf einen entsprechenden stomatologischen Fokus (marktoter/ kariöser Zahn, tiefe parodontale Taschen, Wurzelspitzenprozesse) zurückgeführt werden. Bei vorausgegangenen Zahnextraktionen kommen auch Residualzysten als Differenzialdiagnose in Betracht.

Fazit für die Praxis F Bei chronischer Sinusitis und gleichzeitigem Nachweis von Weichteilinfiltraten bzw. Knochenarrosionen im Bereich des Alveolarfortsatzes sollte an die Möglichkeit einer Neoplasie gedacht werden. F Eine Biopsie von intraoral ist dann zielführender als die endonasale Entnahme von antralem Gewebe, welches im Randbereich oft nur reaktiv verändert ist. F Ameloblastome erfordern je nach Typ bzw. Subtyp trotz ihrer benignen Dignität meist eine radikale Resektion mit Sicherheitsabstand. F Eine onkologische Nachsorge von mindestens 10 Jahren ist erforderlich.

Korrespondenzadresse N.C. Pausch Klinik und Poliklinik für Kiefer-   und Plastische Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 12, 04103 Leipzig [email protected]

Interessenkonflikt.  N.C. Pausch, T. Gradistanac und D. Halama geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

[Differential diagnosis of chronic maxillary sinusitis].

[Differential diagnosis of chronic maxillary sinusitis]. - PDF Download Free
371KB Sizes 0 Downloads 0 Views