Schwerpunkt Internist 2015 DOI 10.1007/s00108-014-3629-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

S. Werth · H. Lehnert · J. Steinhoff Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck, Lübeck

Diabetische Nephropathie Aktuelle Diagnostik und Therapie

An einem Diabetes mellitus sind aktuell mehr als 300 Mio. Menschen erkrankt. Aufgrund der steigenden Prävalenz werden nach aktuellen Schätzungen im Jahr 2035 weltweit mehr als 500 Mio. Menschen betroffen sein [1]. Die Krankheitsprognose bei Diabetes mellitus wird durch die Manifestation mikro- und makroangiopathischer, insbesondere kardiovaskulärer, Endorganschäden bedingt. Eine diabetische Nephropathie erhöht das kardiovaskuläre Risiko deutlich: So haben niereninsuffiziente Diabetiker in aktuellen Langzeitstudien jeweils das höchste Risiko, im Zuge eines kardiovaskulären Ereignisses zu versterben [2]. Bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz ist dieses Risiko extrem erhöht. In den westlichen Industrienationen stellt die diabetische Nephropathie eine wesentliche Ursache für die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz dar. Neben etablierten Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Rauchen und Übergewicht sind zunehmend auch genetische Polymorphismen als Risiko identifiziert worden, z. B. im ACE- oder EPO-Locus [3]. Mit renoprotektiven Therapiestandards, wie der Inhibition des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), konnte das Progressionstempo zur terminalen Niereninsuffizienz zwar verbessert, aber insgesamt nur unzureichend beeinflusst werden [4].

Diagnostik Die diabetische Nephropathie gehört zu den mikrovaskulären Organkomplikationen des Diabetes mellitus. Sie ist gekennzeichnet durch einen chronischen Nierenfunktionsverlust, der anhand der glomerulären Filtrationsrate (GFR) be-

stimmt wird. Bereits im Frühstadium entwickelt sich auch häufig eine Albuminurie. Aktuelle Erhebungen im Rahmen von Disease-Management-Programmen in Deutschland weisen je nach zugrunde gelegten diagnostischen Kriterien eine Prävalenz der Mikroalbuminurie von 17– 34% und der diabetischen Nephropathie von 7–15% bei einer mittleren Diabetesdauer von 8–19 Jahren aus [5]. Bereits mit dem Auftreten einer Mikroalbuminurie sind das Mortalitätsrisiko und das Risiko einer Progression der chronischen Niereninsuffizienz erhöht. So hatten in einer Subgruppenanalyse der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) Patienten mit Typ-2-Diabetes und Mikroalbuminurie ein doppelt so hohes Risiko wie die Vergleichsgruppe ohne Albuminurie [6]. D Die Albuminurie ist sowohl

ein diagnostischer als auch prognostischer Parameter der diabetischen Nephropathie.

Einteilung in 3 Schweregrade empfohlen (. Tab. 1). Semiquantitative Urinschnelltests haben in der Diagnostik durch ihre universelle Verfügbarkeit große Verbreitung gefunden. Situationen, die erhöhte Urinkonzentrationen von Albumin mitverursachen können, sollten als Störfaktoren in der Diagnostik berücksichtigt werden (. Infobox 1). D Die diagnostische Sicherheit ist von

der Höhe der Albuminurie, dem Grad der Niereninsuffizienz und der Diabetesdauer abhängig. Beim Diabetes mellitus Typ 1 mit einer Erkrankungsdauer von >10 Jahren hat die Albuminurie eine hohe diagnostische Sensitivität für die Diagnose einer diabetischen Nephropathie, die beim Typ-2-Diabetes so nicht erreicht wird. Die Einhaltung eines praktikablen Algorithmus zur Evaluation erhöht die diagnostische Sicherheit (. Abb. 1). D Therapeutisches Ziel ist die Verhinde-

Die klinische Diagnose orientiert sich am Auftreten einer Mikroalbuminurie und markiert im Rahmen von Screeningprogrammen hierzulande den ersten Hinweis auf eine diabetische Nierenerkrankung. Ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht bereits bei geringer Albuminurie (Albuminexkretionsrate 300 mg/g erhöht die Mortalität signifikant [6, 7]. Zur Bestimmung kann man zweckmäßig den morgendlichen, frischen (Mittelstrahl-)Urin verwenden. Für die Einstufung der Schwere in Relation zum Harnkreatinin wird eine

rung einer Albuminurie bzw. des Progresses zur schweren Albuminurie.

Infobox 1  Sonstige Ursachen erhöhter Harnalbuminkonzentrationen F  Akute Hyperglykämie F  Akute Herzinsuffizienz F  Harnwegsinfektionen F  Hämaturie F  Schwangerschaft F  Körperliche Anstrengung F  Fieber F  Blutdruckkrise Der Internist 2015 

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a Die Albumin-Kreatinin-Verhältnisse in mg/g und mmol/g entsprechen sich ungefähr.

KDIGO Kidney Disease: Improving Global Outcomes.

Stoffwechselkontrolle

Tab. 2  Lipidsenkende Therapie bei chronischer Niereninsuffizienz. (Adaptiert nach [34])

Die Vermeidung chronischer Hyperglykämien über eine adäquate Glukosekontrolle senkt sowohl beim Typ-1- als auch beim Typ-2-Diabetes mellitus die Wahrscheinlichkeit einer Mikroalbuminurie und vermindert den Progress zur schweren Albuminurie [13]. In den letzten Jahren wurde allerdings die zu rigide Glukosekontrolle mit HbA1c-Zielwerten 50 Jahre

Nierenerkrankung bzw. Grad der Niereninsuffizienz eGFR ≥60 ml/min/1,73 m2 KOFb eGFR 10% (ausgenommen Dialysepatienten) Erwachsene Dialysepatienten

Patienten nach Nierentransplantation

Empfohlener Lipidsenker Statin Statin oder StatinEzetimib-Kombination Statin

Evidenzstärke/ -graduierunga 1B 1A

Einleitung nicht empfohlen Fortführung, falls vorhanden Statin

2A

2A

2C 2B

a Evidenzstärken: 1 „Empfehlung“, 2 „Vorschlag“. Evidenzgraduierung: A „starke“, B „mittlere“, C „geringe“, D „sehr

geringe“ Qualität der Evidenz. b Betrifft die Chronic-kidney-disease(CKD)-Stadien 1 (eGFR ≥90 ml/min/1,73 m2 KOF + Vorliegen einer strukturellen oder funktionellen Nierenerkrankung seit >3 Monaten) und 2 (eGFR 60–89 ml/min/1,73m2 KOF). eGFR Geschätzte glomeruläre Filtrationsrate; KOF Körperoberfläche.

Eine Reduktion der Albuminurie ist mit einer Verzögerung des Abfalls der geschätzten glomerulären Filtrationsrate [“estimated glomerular filtration rate“ (eGFR)] und mit einer niedrigeren kardiovaskulären Morbidität und Mortalität verbunden [8]. Ältere Studien wiesen in der Regel auf eine große Bedeutung der Mikroalbuminurie im Hinblick auf die Progression einer Nierenfunktionseinschränkung hin. Die Bedeutung der Albuminurie als diagnostischer Parameter wird durch Daten relativiert, die besagen, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit der Rückbildung von der Mikro- zur Normalbuminurie v. a. beim Typ-1-Diabetes besteht [9]. Teilweise gibt es auch Patienten mit diabetischer Nephropathie, die ohne

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Albuminurie bereits eine schwere Nierenfunktionseinschränkung aufweisen [10]. Neue Biomarker könnten diese diagnostische Lücke füllen und zukünftig die Albuminurie als diagnostischen Parameter ergänzen. So wurden mittlerweile verschiedene Proteine identifiziert, die z. T. besser mit dem Nierenfunktionsverlust korrelieren als die Albuminurie und auch zur Prädiktabilität einer terminalen Niereninsuffizienz beitragen könnten. Beispiele sind die löslichen Tumor-NekroseFaktor(TNF)-α-Rezeptoren 1 und 2 [11, 12]. Auch mikroRNAs (miRNAs) könnten zukünftig in der Diagnostik von Nutzen sein. Dabei handelt es sich um kleine, nichtcodierende RNAs, die an der posttranskriptionellen Genregulation betei-

Blutdruckkontrolle Die Zielwerte der Blutdruckkontrolle unterscheiden sich in gegenwärtigen Leitlinien und sind Ausdruck einer zunehmend individualisierten Bluthochdrucktherapie. Eine Absenkung des Blutdrucks von im Mittel 140/73 mmHg (Kontrollgruppe) auf 136/73 mmHg geht mit einer Risikoreduktion hinsichtlich der Albuminurie, Gesamtmortalität und kardiovaskulären Mortalität einher [8]. Eine weitere Absenkung des Blutdrucks mindert das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen. Systolische Blutdruckwerte

[Diabetic nephropathy: current diagnostics and treatment].

Diabetic kidney disease is a leading cause of renal failure in Germany. Albuminuria is an early diagnostic indicator of renal damage in diabetes and, ...
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