S112 KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Strukturbildung

Zusammenfassung

denzorientierten Weiterentwicklung dieser Strategie zu leisten, wurde eine Studie im Rahmen des Förderprogramms „Präventionsforschung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) initiiert. Dessen Hauptergebnis, die „Checkliste Tabakpolitik an Schulen“, wird in diesem Beitrag vorgestellt. Will man das Potenzial der schulischen Tabakpolitik in der Tabakprävention untersuchen, ist ein bisher nicht verfügbares psychometrisch abgesichertes Instrument notwendig [5]. Will eine Schule ihre tabakpräventiven Bemühungen optimieren, ist eine anwenderfreundliche Orientierungshilfe von Vorteil. Demnach sollte von dem Vorhaben sowohl die Forschung als auch die Praxis profitieren, sodass die Checkliste psychometrisch belastbar als auch anwenderfreundlich und handlungsleitend sein sollte.

Schlüsselwörter ▶ Tabakpolitik ● ▶ Schule ● ▶ Fragebogen ● ▶ Messinstrument ●

Vorgehensweise/Methodik

Die Schule ist als Setting für verhaltensund verhältnisbezogene Tabakpräven­ tion etabliert. Viel Forschung ist zur Wirksamkeit von verhaltensbezogenen Maßnahmen publiziert worden, zu verhältnispräventiven Ansätzen ist das Wissen dagegen gering. Das Forschungsprojekt „Tabakpolitik an Schulen“ hatte u. a. zum Ziel, ein Instrument zu entwickeln, dass eine reliable Messung der schulischen Tabakpolitik erlaubt. Die „Checkliste zur Erfassung der schulischen Tabakpolitik“ wurde entwickelt und anhand einer Stichprobe von 42 bayerischen und 607 hessischen Schulen psychometrisch getestet. Die Checkliste besteht aus 15 Items, die 5 Skalen zugeordnet werden können. Mit ihr ist es möglich, die schulische Tabakpolitik reliabel und handlungsorientiert zu messen.

Wesentliches Projektziel

Die Tabakpräventionsbemühungen der letzten Jahre haben gefruchtet. Auch im Jahr 2011 hat der Anteil an rauchenden Jugendlichen nochmals abgenommen, derzeit sind fast 90 % der 12- bis 17-Jährigen Nichtraucher [1]. Die Schule ist als Setting für verhaltens- und verhältnisbezogene Tabakprävention etabliert [2]. Viel Forschung ist zur Wirksamkeit von Maßnahmen publiziert worden, die direkt mit Jugendlichen arbeiten und darauf abzielen, den Griff zur Zigarette hinauszögern oder zu verhindern [3, 4]. Die Überzeugung, dass auch die Einführung von verhältnisorientierten, strukturellen Maßnahmen wie das schulische Rauchverbot sinnvoll sind, hat in Deutschland dazu geführt, dass zwischen 2004 und 2008 sukzessive das Rauchverbot an Schulen gesetzlich verankert wurde [2]. Allerdings ist das Rauchverbot nur eine Maßnahme der allgemeinen und schulischen Tabakpolitik und seine Festschreibung reicht nach bisherigen Studien als alleinige Maßnahme nicht aus, um die Verbreitung des Rauchens spürbar zu senken [5, 6]. Um einen Beitrag zur evi-

Die systematische Auswertung der internationalen Literatur [5] führte zu 7 Dimensionen einer konstruktiven evidenzbasierten schulischen Tabakpolitik. Entsprechend dieser Dimensionen wurden Items formuliert, die dann in mehreren Versionen eingesetzt und überprüft wurden. Die Entwicklung der Skala fand im Rahmen des BMBF-Projekts statt, in dem im Schuljahr 2004/2005 42 Schulen aus Bayern und 3 364 Schüler befragt wurden und Experten aus dem Bereich der Tabakprävention um ihr Urteil gebeten wurden [7]. Die Stichprobe, anhand derer die endgültige Version statistisch überprüft wurde, setzte sich aus insgesamt 607 Schulen des Bundeslandes Hessen zusammen, die an einem von der BZgA geförderten Forschungsvorhaben teilnahmen (s. [8]). Es handelte sich um eine repräsentative Stichprobe, in der Schulen aller unterschiedlichen Schultypen (Berufsschulen, Förderschulen, Grund-/Haupt- und Realschulen, Gymnasien, integrierte und kooperative Gesamtschulen) aus städtischen und ländlichen Gebieten vertreten waren.

Wesentliche Ergebnisse

Die 7 Dimensionen, die aus der existierenden Literatur extrahiert wurden, um eine konstruktive evidenzbasierte schuli-

Bühler A, Piontek D. Entwicklung einer Checkliste zur …  Gesundheitswesen 2015; 77: S112–S113

sche Tabakpolitik zu beschreiben waren folgende: 1. Struktur: Eine effektive Tabakpolitik wird durch einen regelmäßig zusammenkommenden Arbeitskreis getragen. In diesem Arbeitskreis sollten alle beteiligten Personengruppen vertreten sein. 2. Regelwerk: Für eine effektive Tabakpolitik ist es unerlässlich, dass es ohne Ausnahme komplette Rauchverbote für alle Personengruppen (Schüler, Lehrer, nicht-pädagogisches Personal, Besucher) und für alle Orte (Schulgebäude, Schulgelände, um die Schule herum) gibt. 3. Durchsetzen der Regeln/Konsequenzen: Bestehende Rauchverbote müssen regelmäßig und konsequent kon­ trolliert werden. Darüber hinaus sollten Regelverstöße unmittelbar und konstruktiv sanktioniert werden. Die eingesetzten Sanktionen sollten neben einem disziplinierenden auch einen präventiven Fokus haben. 4. Förderung des Nichtrauchens/Aktivitäten: An einer Schule mit einer effektiven Tabakpolitik sollten regelmäßig evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden. Für aufhörwillige Raucher (Schüler und Lehrer) sollten Möglichkeiten der Tabakentwöhnung vorgehalten werden. 5. Wissen/Kompetenzvermittlung: Die Suchtpräventionsbeauftragten oder einzelne Lehrer sollten regelmäßig an Fortbildungen zu rauch- bzw. präventionsspezifischen Themen teilnehmen. 6. Kooperation/Vernetzung: Zu einer umfassenden Tabakpolitik gehört auch, mögliche Netzwerkbildungen zu nutzen. Möglichkeiten für Zusammenarbeiten bieten andere Schulen, Krankenkassen, Beratungsstellen oder die BZgA. 7. Formalisierung der Tabakpolitik: Die bestehenden Regelungen zur schulischen Tabakpolitik müssen schriftlich festgehalten und allen beteiligten Personengruppen regelmäßig über verschiedene Kanäle mitgeteilt werden. Die Endversion der Checkliste umfasst 5 Skalen: Verankerung und Organisation (5 Items, Cronbachs α = 0,70), Durchsetzung der Regelungen für Schüler (3 Items, Cronbachs α = 0,82), Durchsetzung der

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Entwicklung einer Checkliste zur Erfassung der schulischen Tabakpolitik

KNP/BMBF-Förderschwerpunkt Präventionsforschung – Strukturbildung S113

Tab. 1  Faktoren und Items der Checkliste Tabakpolitik an Schulen. M (SD)

Faktor 1: Verankerung und Organisation Das pädagogische Personal nimmt an Fortbildungen zum Thema Rauchen teil. Unsere Schule arbeitet regelmäßig mit anderen Einrichtungen zusammen, die auf dem Gebiet Rauchen/Nichtrauchen tätig sind. An unserer Schule existiert ein fester Arbeitskreis, der sich mit dem Thema Rauchen an der Schule befasst. An Entscheidungen bezüglich des Rauchens sind alle wichtigen Gruppen beteiligt (Schülerschaft, Schulleitung, pädagogisches Personal, Eltern, nichtpädagogisches Personal). An unserer Schule existiert ein allen zugängliches Schriftstück zur Tabakpolitik, in dem alle Bemühungen und Regelungen verbindlich aufgezeichnet sind. Faktor 2: Durchsetzung der Regelungen – Schüler Bei Regelüberschreitungen gibt es konsequente und abgestufte Sanktionen. Die Sanktionen sind sowohl disziplinierender als auch gesundheitsfördernder Natur. Im Laufe des Schultages gibt es überall an der Schule regelmäßige Kontrollen der Einhaltung der Regelungen (Gebäude, Gelände, angrenzendes Gelände). Faktor 3: Durchsetzung der Regelungen – Personal Die Einhaltung des Rauchverbots für das Personal wird regelmäßig kontrolliert. Es gibt Sanktionen für das Personal sowie für Besucher, wenn diese sich nicht an das Rauchverbot halten. Faktor 4: Förderung des Nichtrauchens Unsere Schule bietet Tabakentwöhnungskurse für das Personal an oder unterstützt es dabei. Unsere Schule bietet Tabakentwöhnungskurse für Schüler an oder unterstützt Schüler dabei. An unserer Schule sind wissenschaftlich überprüfte Präventionsmaßnahmen (z. B. Lebenskompetenzprogramme, Be smart – don’t start) etabliert. Faktor 5: Rauchverbote An unserer Schule gibt es für alle Schüler überall ein Rauchverbot (Gebäude, Gelände, angrenzendes Gelände). An unserer Schule gibt es ein Rauchverbot für pädagogisches und nichtpädagogisches Personal.

Regelungen für das Schulpersonal (2 Items, Cronbachs α = 0,71), Förderung des Nichtrauchens (2 Items, Cronbachs α = 0,52) und Rauchverbote (2 Items, Cronbachs α = 0,51). In ●  ▶  Tab. 1 sind die Items dargestellt, die von den Anwendern zur Beschreibung der schulischen Situa­ tion fünfstufig mit „trifft gar nicht zu (nein)“, „trifft kaum zu“, „teils, teils“, „trifft eher zu“ oder „trifft völlig zu (ja)“ beantwortet werden. Die hervorgehobenen Wörter verdeutlichen, dass mehrere Aspekte einer Regelung gleichzeitig abgefragt werden. Jedes Item stellt die derzeit als am effektivsten erachtete Umsetzung der jeweiligen Facette schulischer Tabakpolitik dar. Die Antwort indiziert demnach, wie nahe eine Schule mit ihrer Politik am „Ideal“ ist und wo noch Verbesserungsmöglichkeiten sind. Die Mittelwerte informieren darüber, wie jedes Item durchschnittlich in den befragten Schulen ausgeprägt war (1 = trifft gar nicht zu/ nein, 5 = trifft völlig zu/ja). Zur Bestimmung der Dimensionen des abzubildenden Phänomens „Schulische Tabakpolitik“ wurden die 15 Items einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation unterzogen [9].

Schlussfolgerungen

Mit der Checkliste „Schulische Tabakpolitik“ steht ein Fragebogen zur Verfügung, der nach mehreren Entwicklungsphasen

als reliabel und valide bezeichnet werden kann. Reliabel ist die Checkliste in dem Sinn, dass einzelne Items einer Skala tatsächlich eine gemeinsame Dimension der schulischen Tabakpolitik abbilden. Valide ist die Checkliste insofern, als dass Experten alle Dimensionen der Tabakpolitik darin wieder finden und diese Dimensionen sich auch empirisch mittels explorativer Faktorenanalyse in der Datenstruktur nachweisen lassen. Zudem ist sie praktikabel und handlungsorientiert, d. h. es kann von Schulen abgebildet werden, inwiefern die derzeit praktizierte Tabakpolitik von der effektivsten Politik entfernt ist und damit nächste Handlungsschritte aufzeigen. Damit kann das Instrument zur Weiterentwicklung der verhältnisorientierten Tabakprävention an Schulen sowohl in der Praxis als auch in der Forschung genutzt werden.

2,24 (1,14) 2,34 (1,29) 1,68 (1,13) 3,18 (1,53) 2,76 (1,66)

4,05 (1,09) 3,73 (1,18) 4,14 (1,03)

3,52 (1,59) 2,74 (1,57) 1,34 (0,87) 1,76 (1,22) 2,67 (1,46)

4,71 (0,79) 4,74 (0,85)

Förderkennzeichen 01EL0403 Projektlaufzeit 12/2004–05/2007 Autoren A. Bühler, D. Piontek Institut IFT Institut für Therapieforschung, München Korrespondenzadresse Dr. Anneke Bühler IFT Institut für Therapieforschung Parzivalstr. 25, 80804 München [email protected] Bibliografie DOI  http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0032-1330027 Online-Publikation: 26.3.2014 Gesundheitswesen 2015; 77: S112–S113 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0949-7013

Interessenkonflikt: A. Bühler wird in einem Forschungsprojekt zu Grundlagen von Nikotinabhängigkeit von Pfizer Inc. gefördert. D. Piontek wird in einem Forschungsprojekt zur Epidemiologie von Alkoholabhängigkeit von Lundbeck GmbH gefördert. Literatur Literatur finden Sie im Internet unter http:// dx.doi.org/10.1055/s-0032-1330027.

Bühler A, Piontek D. Entwicklung einer Checkliste zur …  Gesundheitswesen 2015; 77: S112–S113

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Faktor und Item-Formulierung

[Development of a Checklist to Assess School Smoking Policy].

The school system is an established setting for behavioural and environmental tobacco prevention activities. Most research on the effectiveness of tob...
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